Michael Menzel – Die Legenden von Andor

Man stellt sich immerzu vor, die Titel, die für die Wahl zum ‚Kennerspiel des Jahres‘ berücksichtigt werden, würden einem ausufernd üppigen Regelschema untergeordnet sein und als vermeintliche Familienspile nicht mehr zwingend zu empfehlen sein. Diese Einschätzung hat sich in der Vergangenheit jedoch immer wieder als falssch erwiesen, sei es bei den ersten Gehversuchen des Preises bei „Schatten über Camelot“ odder auch später bei „7 Wonders“, die beide für sich beanspruchen können, anspruchsvolle Titel mit leichten Einstiegsregeln zu sein.

Nicht viel anders verhält sich das ganze bei „Die Legenden von Andor“, dem vielleicht breitesten Einstieg des Kosmos Verlags in die Fantasy-Materie, die mit „Herr der Ringe – Abenteuer in Mittelerde“ und den Spielen zu „Der Hobbit“ zwar immer mal wieder angeschnitten wurde, dessen Mechanismen aber bislang nie so scharf ausgeprägt waren wie bei „Die Legenden von Andor“. Die Auszeichnung mit besagtem Titel im Jahr 2013 ist also gewissermaßen eine Selbstläuferaktion gewesen, zu der man aber zugestehen muss, dass die Abenteuer im Reiche Andor nicht so komplex ausgestaltet sind, dass si echten Strategiefüchsen den Schweiß ins Gesicht treiben. Nein, die Qualitäten des mittlerweile schon von mehreren Erweiterungen begleiteten Spiels liegen an anderer Stelle – und damit vor allem im kooperativen Modus, der bei „Schatten über Camelot“ bereits zum Meilenstein erkoren wurde.

Spielidee:

Er ist in der Spielwelt nicht mehr sonderlich neu, der Kampf von wagemutigen Helden gegen die dunklen Mächte des Bösen. Was in „World Of Warcraft“, „Runebound“ oder auch „Descent“ schon auf üppigste Art und Weise erprobt wurde, findet in „Die Legenden von Andor“ nun seine Fortsetzung in einer etwas familienfreundlicheren, deswegen aber nicht weniger anspruchsvollen Variante.Eine konkrete Spielbeschreibung fällt dabei schwer, da sich das Spiel in unterschiedliche Queste (hier Legenden genannt) unterteilt und die Zieele eines Abenteuers sich doch deutlich voneinander unterscheiden. Ganz grob beschrieben geht es darum, innerhalb einer bestimmten (durch den Spielmechanismus vorgegebenen) Zeit das Ziel einer Legende zu erreichen und zu verhindern, dass Ungertüme wie Gors, Skrale oder Trolle die heimische Burg erreichen. Mit Kriegern, Zauberern und weiteren Helden stellt man sich im Team im Kampf für das Land Andor und verteidigt es gegen seine vielfältigen Widersacher. Doch man kann sich nicht ewig Zeit lassen beim Entwickeln von Strategien – denn jeder Schritt wird auf der Stundenleiste dokumentiert, jede Handlung bringt die Legende weiter, und wenn bei den Gefährten Uneinigkeit herrscht und das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren wird, nimmt die Erzählung in den sechs zu Beginn zur Verfügung stehenden Legenden auch kein gutes Ende.

Spielmaterial:
* 71 Legendenkarten
* 34 goldene Ereigniskarten
* 1 silberne Start-Ereigniskarte
* 11 silberne Ereigniskarten
* 10 Ereigniskarte geheimer See
* 10 Schicksalskarten
* 7 große Plättchen
* 15 Kreaturenplättchen
* 1 Turm
* 11 Edelsteine
* 8 Sternchen
* 4 Bauernplättchen
* Prinz Thorald, Schildzwerge, 2 Wardraks, ein Dunkler Magier, eine Hexe
* 8 Helden
* 20 Würfel (5 grüne, 4 blaue, 4 große schwarze, 3 gelbe, 3 rote und 1 violetter)
* 9 Holzscheiben (je 2 grüne, blaue, gelbe und violette und 1 rote)
* 5 Holzsteine (je 1 grüne, blaue, gelbe, violette und rote).
* 16 Gors
* 5 Skrale
* 5 Trolle
* 1 Erzähler
* 41 Kunststoffhalter (26 rote, 4 schwarze, 3 graue und je 2 blaue, gelbe, grüne und violette).
* 1 doppelseitiger Spielplan
* 1 Drache
* 1 Losspiel-Anleitung
* 1 Begleitheft
* 3 Heilkräuter
* 6 Pergamente
* 6 Runensteine
* 5 Tränke der Hexe
* 5 Trinkschleuche
* 2 Fernrohre
* 2 Falken
* 4 Schilde
* 3 Bögen
* 4 Brunnenplättchen
* 3 Helme
* 26 Goldplättchen (12 x Wert 1, 10 x 2 und 4 x 5)
* 8 Geröllplättchen
* 3 rote Kreuze
* 1 Gift
*15 Nebelplättchen
* 1Ausrüstungstafel
* 4 Heldentafeln
* 1 N-Plättchen

Die bloße Auflistung der Spielmaterialien weckt Erinnerungen an die monströse Ausstattung mancher themenbezogenen Spiele von Fantasy Flight Games. Man wird anfangs regelrecht erschlagen von der Masse an Markern und Plättchen, muss sich aber nicht fürchten die Übersicht zu verlieren. Die einzelnen Teile finden schnell ihren Platz, man macht sich im Eiltempo mit ihnen vertraut, und sollten doch einmal kurz Ungereimtheiten auftauchen, kann das Begleitheft zum Spielmaterial sofort weiterhelfen. Denn das ist bei „Die Legenden von Andor“ vorbildlich: Man bekommt einen opulenten Schachtelinhalt vorgesetzt, verliert aber zu keinem Punkt des Spiels oder der Spielvorbereitung den Faden.

Die grafische Präsentation des Spiels ist derweil fantastisch; keine überzeichneten Szenerien werden hier dargestellt, dafür aber ein richtig starker Kompromiss aus zweckdienlicher Aufmachung und sehenswertem Design. Auch hier hat man nie das Gefühl, überfrachtet zu werden, weil die Materialien auch grafisch sehr gut aufeinander abgestimmt sind. Die oben angeführte Auszeichnung ist sichtlich an Bedingungen geknüpft, die Spielautor Michael Menzel in dieser Hinsicht zu erfüllen weiß. Insofern verdient die Welt von Andor auch für echte Fantasy-Gourmets lautstarken Beifall.

Spielvorbereitung:

Bevor sich die Spieler (2-4 Spieler dürfen sich der Herausforderung stellen) entsprechend ausrüsten, wird erst einmal eine der sechs Legenden gewählt, die man fortan zu einem guten Ende bringen möchte. Jede Queste liefert den Beteiligten unterschiedliche Startbedingungen, was Materialausstattung und Startpositionen betrifft. Bevor man jedoch wirklich loslegt, muss sich das Team einig werden, welcher Spieler welchen Charakter übernimmt. Anschließend deckt man den doppelseitigen Spielplan auf der Seite der ausgewählten Legende aus und positioniert Gegner, Marker und Plättchen. Die Legendenkarten werden Alphabet nach sortiert und ausgelegt. Sobald die Heldentableaus bestückt wurden, liest der erfahrenste Spieler die erste Karte vor und befolgt deren Anweisungen – nun kann das Spiel beginnen.

Spielablauf:

Der genaue Spielverlauf variiert je nach gewählter Legende. Gleich bleiben indes die Handlungsmöglichkeiten, die die Spieler untereinander aufteilen können. Man muss kämpfen, den Spielplan erkunden, die finsteren Kreaturen von der Burg fernhalten, gleichzeitig aber auch das Hauptziel der Queste nicht aus dem Auge verlieren. In welcher Reihenfolge welcher Spieler nun agiert, bleibt der Absprache der Teilnahme überlassen. Zu beachten ist lediglich, dass jede Aktion auf der Tagesleiste mit einer Stunde markiert wird. Sobald die siebte Stunde erreicht ist, muss der jeweilige Akteeur nun warten, bis auch seine Gefährten an diesem Punkt angelangt sind. Es besteht zwar die Möglichkeit, ein paar ‚Überstunden‘ zu machen, jedoch ist der Preis dafür ziemlich hoch. Der Held muss für jede weitere Stunde zwei Willenspunkte opfern, was natürlich Einschränkungen für den weiteren aktiven Spielverlauf bedeutet. Von dieser Option sollte man also auch nur dann Gebrauch machen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist!

Sobald nun alle Spieler das Ende der Tagesleiste erreicht haben, kommt es zum ersten Ereignis. Die oberste Ereigniskarte wird gezogen und ihre Anweisungen werden befolgt. Anschließend beginnt ein neuer Tag mit einer neuen Legendenkarte – und die zeit schreitet sowohl auf der Tagesleiste als auch in der übergeordneten Legende unbarmherzig voran.
Je weiter das Spiel nun voranschreitet, desto größer wird auch die Bedrohung durch die feindlichen Kreaturen, die man mit alleiniger oder vereinter Würfelkraft bekämpfen und vertreiben kann. Man muss zwar parallel Händler aufsuchen, Brunnen aufspüren und weitere wichtige Marker entdecken, lässt man jedoch den Kreaturen freien Lauf, dauert es nicht lange, bis sie das Land erobert haben – perfekte Abstimmung ist also das A und O. Und ein bisschen Glück benötigt es auch, schließlich würfelt man nicht immer die benötigten Summen auf dem Schlachtfeld von Andor.

In der Folge ist das gesamte Spiel ein echter Selbstläufer. Neue Ereignisse und Legendenkarten dokumentieren den Fortschritt in der Partie, weitere Gegner bevölkern das Land, und die Situation auf dem Spielfeld wird zunehmend unangenehmer.
Das Spiel endet schließlich, sobald der Buchstabe N auf der Legendenleiste erreicht wurde. Nun gilt es abzustecken, ob das jeweilige große Legendenziel erreicht wurde. Haben die Spieler in ihrem gemeinsamen Kampf tatsächlich die Bedingungen erfüllt, gehen sie siegreich aus Andor hervor. Sollte es dazu jedoch nicht gekommen sein, haben die finsteren Eindringlinge gewonnen – und eine weitere ist nötig, um die Legende doch noch zufriedenstellend zu lösen. Ferner kann es aber auch zu einem verfrühten Spielabbruch kommen, wenn (je nach Spielerzahl) ausreichend viele Kreatuen die Burg erreicht haben. In diesem Fall geeht das Spiel schon vor Ende der eigentlichen Erzählung verloren.

Persönlicher Eindruck:

Um es gleich einmal vorwegzunehmen: „Die Legenden von Andor“ ist eine echte Wucht, sowohl im Hinblick auf das reichhaltige Spielmaterial, als auch hinsichtlich der sehr unterschiedlich gefärbten Abenteuer, die man schon im Grundspiel erleben darf. Sehr positiv ist hierbei der Umstand, dass man sehr sensibel an das eigentliche Spiel herangeführt wird und bereits nach wenigen Minuten alle entscheidenden Kniffe und Hintergründe verinnerlicht hat, die es braucht, um das Spielsystem zu verstehen. Fantasy-affine Spieler haben vielleicht noch einmal einen kleinen Vorteil, weil sich Elemente wie Tableaus und Markersysteme ebenso an die oben bereits angeführten Titel anlehnen, aber auch Neulinge werden keine Schwierigkeiten haben, sich schon in dder ersten Runde perfekt in der Umgebung von Andor zurechtzufinden.

Auch der Aufbau der Spielanleitung ist ein sehr innovatives Instrument, das der Verlag respektive der Autor prima umgesetzt und genutzt haben, um den Einstieg so einfach wie möglich zu gestalten – wohlgeemerkt ohne dabei Einbußen bei der eigentlichen, nach wie vor anspruchsvollen Spielgestaltung zu machen.

Des Weiteren ist auch die Entwicklung des Schwierigkeitsgrades sehr angenehm und auch langfristig nicht unfair. Zugegeben: die erste Legende löst man, sofern man beim Würfeln nicht gerade das größte Pech hat, noch spielerisch, doch mit numerischem Anstieg der Legenden, steigt auch das Niveau immer weiter, so dass man ziemlich lange braucht, bis man auch wirklich alle Aufgaben des Basisspiels gelöst hat. Hier ist sicherlich zu erwähnen, dass es wahrscheinlich nur dann Sinn ergibt, im Spiel voranzuschreiten, wenn man über eine eingeschworene Spielergruppe verfügt. Neulinge, die noch nicht die ersten beiden Abenteuer durchlaufen haben, könnten ansonsten einige Probleme bekommen, die richtigen Aktionen in eine der späteren Questen zum richtigen Zeitpunkt zu wählen. Aber auch dies ist für ein umfassendes Fantasy-Game, wie es „Die Legenden von Andor“ nunmal ist, kein Novum, sollte aber noch einmal erwähnt werden – denn für Gelegenheitsspieler ist das System letztendlich nicht ausgelegt.

Was bei „Die Legenden von Andor“ jedoch auch sehr gut gefällt, ist die bereits sehr opulente Ausführung des Basiskastens. Natürlich ist das Spiel darauf ausgelegt, irgendwann erweitert zu werden (weitere Ergänzungen sind schließlich längst verfügbar), doch im Großen und Ganzen kann man mit dem Grundspiel schon sehr viel Zeit verbringen, ohne das sich das System verbraucht oder in irgendeiner Form Frust aufkeimt, weil die Weiterentwicklung ab einem gewissen Punkt stockt. Ähnliches hat man bei den Konkurrenten von Fantasy Flight Games leider schon erlebt, hier ist es jedoch trotz des vergleichsweise simpleren Spielaufbaus auch nach vielen Runden nicht eingetreten!
Und auch ein eher ungewöhnlicher Aspekt: Egal welche Spielerzahl mal letztendlich bedient, es kommt zu keinem Ungleichgewicht, selbst nicht im Spiel zu zweit, das bei derart üppigen Ausführungen ja oftmals zu einer Verschlimmbesserung des eigentlichen Spielprinzips führt. Die Systematik ist ausgewogen, und selbst wenn natürlich die Partie in größerer Runde aufgrund des gut ausgeprägten kommunikativen Elements immer größeren Spaß bringt, kann man auch bedenkenlos mit nur einem weiteren Mitstreiter in die Schlacht ziehen.

Alles in allem ist der Gesamteindruck schlichtweg überragend, vielleicht noch besser als im auch hier schon zitierten „Schatten über Camelot“, das mit wachsender Spieldauer schon einige kleine Verschleißerscheinungen zeigt. In Andor ist das Abenteuer auch nach der 20. Aufführung immer noch spannend und aufregend, weshalb sich der Titel problemlos zur Referenz der Familienspiele mit Fantasy-Background steigert – und das mit nachhaltig verankertem Anspruch!

Autor: Michael Menzel
Verlag: Kosmos
Auszeichnung: Kennerspiel des Jahres 2013
ASIN: B0088UZZJK
empfohlenes Alter: ab 10 Jahre
Anzahl Spieler: 2-4 Spieler
www.kosmos.de

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