Michael Scott Rohan – Der Amboss aus Eis (Der Winter der Welt 01)

Spannender, actionreicher Auftaktband

Der junge Schmied Alv hat zum Ende seiner Ausbildung drei Gesellenstücke unter der Anleitung seines Meisters geschaffen. Alv begibt sich auf die Reise durch die Welt, ohne zu ahnen, dass seine Gesellenstücke, ein Armreif, ein Tarnhelm und ein Schwert, in den falschen Händen ein großes Unglück hervorrufen könnten… (Verlagsinfo?)

Die Trilogie „Der Winter der Welt“ besticht nicht nur die spannende Erzählung über die Erlebnisse des Schmiedes Alv sondern auch durch die Detailverliebtheit des Autores, der den Leser in ein komplex Welt entführt. So sind in allen drei Büchern jeweils ein Anhang der den Leser näheres über die Welt, in der die Geschichte spielt, so etwa Flora und Fauna, Sprachen, Tiere, Völker usw.

Der Autor

Michael Scott Rohan(22. Januar 1951 – 12. August 2018) war ein schottischer Science-Fiction- und Fantasy-Autor, der auch über die Oper schrieb.

Der Winter der Welt (The Winter of the World)

The Anvil of Ice, Macdonald 1986, ISBN 0-356-10749-3
Der Amboß aus Eis, Heyne 1994, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07252-9
The Forge in the Forest, Macdonald 1987, ISBN 0-356-10750-7
Die Schmiede im Wald, Heyne 1993, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07253-7
The Hammer of the Sun, Macdonald 1988, ISBN 0-356-15147-6
Der Hammer der Sonne, Heyne 1994, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07254-5
The Castle of the Winds, Orbit 1998, ISBN 1-85723-570-3
The Singer and the Sea, Orbit 1999, ISBN 1-85723-741-2
Shadow of the Seer, Orbit 2001, ISBN 1-84149-041-5

Pfortenwelt (The Spiral)

Chase the Morning, Orbit 1990, ISBN 0-7088-8338-9
Wolfsdämmerung, Goldmann 1996, Übersetzer Gerald Jung, ISBN 3-442-24670-9
The Gates of Noon, Gollancz 1992, ISBN 0-575-05317-8
Der Herr der Dämmerung, Goldmann 1996, Übersetzer Gerald Jung, ISBN 3-442-24671-7
Cloud Castles, Gollancz 1993, ISBN 0-575-05563-4
Gralsdämmerung, Goldmann 1996, Übersetzer Gerald Jung, ISBN 3-442-24672-5
Maxie’s Demon, Orbit 1997, ISBN 1-85723-462-6
Maxies Dämon, Bastei Lübbe 2001, Übersetzerin Frauke Meier, ISBN 3-404-20417-4

Einzelromane

Run to the Stars, Arrow Books 1982, ISBN 0-09-929870-8
The Ice King, New English Library 1986, ISBN 0-450-06110-8 (als Michael Scot mit Allan J. Scott)
A Spell of Empire: The Horns of Tartarus, Orbit 1992, ISBN 0-7088-8360-5 (mit Allan J. Scott)
The Lord of Middle Air, Gollancz 1994, ISBN 0-575-05780-7
Der Herr der Dämmerung, Goldmann 1998, Übersetzerin Susanne Walter, ISBN 3-442-24713-6

Sachbücher

Fantastic People: Magical Races of Myth and Legend, Galahad Books 1980, ISBN 0-88365-464-4
The Hammer and the Cross: The Conversion of the Vikings, Alder Publishing 1981, ISBN 0907162002 (mit Allan J. Scott)
First Byte, 1983

Handlung

Der zwölfjährige Waisenjunge Alv lebt in dem Fischerdorf Asenby mehr schlecht als recht als verachteter Kuhhirte und Leibeigener, als die Piraten der gefürchteten Ekwesh angreifen. Er erspäht ihre Schiffe zuerst und alarmiert das Dorf. Gerade noch rechtzeitig kann der lokale Bannsänger des Häuptlings bewirken, dass die „Seemauer“ errichtet wird – mehrere Ketten, die die Hafeneinfahrt versperren.

Doch die Piraten haben für diesen Fall vorgesorgt und ihren eigenen Magier mitgebracht. Der stellt sich als wesentlich mächtiger heraus; die Barriere versinkt wieder nutzlos im Wasser, so dass die Piraten ungehindert angreifen können. Der Überfall ist kurz, aber äußerst blutig. Alv befindet sich unter den Sklaven. Sein Überleben verdankt er nur einem feinen Herrn, der ganz anders aussieht als die anderen Barbaren. Der Schmiedemeister Mylio nimmt ihn als Lehrling an und in das Land Nordeney mit.

Die Reise ist lang und gefahrvoll, doch schließlich erreichen Mylio, Alv und die anderen Lehrlinge das Gebirge. Am späten Abend, als die Sterne bereits leuchten, erblickt Alv zu seinem Erstaunen ein fahles Leuchten jenseits des Bergpasses, an dem der Turm des Schmiedemeisters liegt. Das Leuchten, so zeigt ihm Mylio begeistert, stammt vom Großen Eis, das sich nur 150 Meilen entfernt über den ganzen Norden erstreckt. Es hat bereits das Reich Morvan unter sich begraben und rückt immer weiter vor: ein Amboss aus Eis, der die Welt neu schmieden werden, flüstert Mylio begeistert zu Alv.

Mylios Turm

Alv lernt in der großen Bibliothek Mylios erstmal Lesen und Schreiben, doch eine ganze Wand des Raumes ist ihm streng verboten. Folglich streng sich Alv mächtig an. Er ist keine Dumpfbacke aus Asenby, sondern ein Abkömmoling des Volkes aus dem Norden, dem die Schmiedekunst und die zugehörige Magie im Blute liegen. Sobald er Geselle ist, will er der nördlichen Bibliothekswand ihre Geheimnisse entreißen. Als er 19 Jahre alt ist, blickt er insgeheim auf Ingar, den neuen Gesellen des Meister hinab, der viel älter ist als er. Doch Alv verbirgt seine Verachtung hinter den guten Maniren, die er seinem Herrn abgeguckt hat.

Eines Tages verlangt Mylio das erste von mehreren Gesellenstücken, anhand derer Alv beweisen soll, was er gelernt hat. Das erste soll ein wunderschöner, goldener Armreif sein, wie er einem jungen Mann auf Freiersfüßen wohlanstehen mag. Wie von fremder Hand geführt ziseliert Alv geheime Zeichen in die Schlangenlinien des Armreifs, doch ahnt er nicht, was sie bedeuten mögen. Jedenfalls ist er gerade dabei, das Schmuckstück zu polieren, als sein Leben eine bedeutsame Wendung nimmt.

Louhi und Kara

Schon immer sind feine Herrschaften und Kaufleute zum Turm des Schmiedemeisters herausgekommen und wieder mit edlen Stücken, Waffen und Informationen gegangen. Doch die stolze Reiterin, die nun autoritär den Turm anruft, ist etwas völlig anderes. Alv ruft aufgeregt das Haus zusammen, um die fein gekleidete Herrin zu empfangen. Louhi, grummelt Ingar. Die bleiche Dame mit dem schneehellen Haar wird selbst vom Schmiedemeister mit einer tiefen Verbeugung beehrt, und Alv wundert sich gehörig. Sie verlangt, ihn unter vier Augen zu sprechen.

Alv interesseirt viel mehr das dunkelhaarige Mädchen an Louhis Seite. Kara steht schüchtern vor dem Kamin, und Alv versucht sie ein wenig aufzumuntern. So viel Verzweiflung sieht er in ihren grünen Augen, das er sie einfach zum Lächeln bringen muss. Er verspricht ihr seine Hilfe, komme was wolle, und zum Zeichen ihrer Verbundenheit schenkt er seinen neuen Armreif. Diesen schiebt sie sogleich außer Sicht.

Träumt er oder streifen sich ihre Lippen wirklich zum Abschied, als Louhi zurückkehrt und nach Kara verlangt? Alle sind froh, dass die Herrin wieder verschwindet, doch Alv denkt noch ruhelos über Kara nach. So ruhelos, dass er den Meister nachts aus dem Haus gehen hört und ihm unauffällig folgt. Mylio trifft sich also nachts mit Schattenwesen aus dem Wald, soso, das ist ja interessant. Wer mögen sie wohl sein?

Helm und Schwert

Als nächstes Gesellenstück soll Alv seinem Meister einen ganz besonderen Helm schmieden – einen Tarnhelm, der seinen Träger unsichtbar werden und als etwas anderes erscheinen lässt. Doch vollendet der Meister das Werkstück selbst, indem er eine Maske anbringt. Abschließende Arbeit des Gesellen in spe soll ein Schwert werden. Dafür darf Alv erstmals auf Schriften der verbotenen Literatur in der Nordwand der Bibliothek zurückgreifen, allerdings nur auf bestimmte Stellen. Monatelang brütet er darüber, bis er eine klare Vorstellung von seinem Werk hat und sich an die Arbeit macht.

Doch er darf natürlich die Hilfe des anderen Lehrlings Roc und des Gesellen Ingar erbitten. Als der Meister für zwei Tage verreist, macht sich Alv ans Werk. Roc betätigt den Blasebalg und Alv hämmert, bis die Stränge Metall zu einem Kernstück verschmelzen. Nur die Außenkanten soll er nicht anbringen, obwohl sie die Stärke des Schwertes ausmachen. Ohne dass es Ingar merkt, setzt sich Alv über das Verbot des Meisters hinweg und lässt sich von ihm die restlichen Bannsprüche zitieren, bevor er sie mit magischem Singsang in das Metall webt, das schon bald fertig ist.

Die Folgen des Frevels

Als Alv und Roc ihrem Kollegen das fertige Meisterstück zeigen wollen, entdecken sie ihn jedoch tot in seinem Bett. Unter Alvs Berührung zerfällt er zu Staub. Beide sind schwer geschockt. Das ist also der Preis für Alvs Übertretung. Nachdem der Meister das Schwert und dessen Schöpfer konsterniert betrachtet hat, lacht er wieder einmal wild auf, doch er erschlägt Alv nicht auf der Stelle. Da läutet eine Glocke, und Mylio eilt zum Tor. Die Geelgenheit könnte nicht günstiger sein: Alv und Roc raffen Vorräte zusammen und flüchten, bevor es sich Mylio anders überlegt.

Von einem Grat aus überblicken sie die Begegnung ihres Meisters mit den Besuchern, die Alv für Schattenwesen hielt. Mit entsetzten Augen wird er Zeuge dessen, was sein Schwert vermag. Ohne dass dessen Träger auch nur einen der Menschen berühren muss, fallen sie schmerzverzerrt nieder, als hätte sie eine Keule getroffen. Alv hält es nicht aus und warnt die übrigen, die sich in Sicherheit bringen. Sie revanchieren sich, indem sie die beiden Flüchtigen durch Tunnel im Gebirge meilenweit fortbringen und an einem sicheren Platz absetzen. Wer sie sind, soll Alv erst viel später herausfinden: Angehörige des uralten Duergar-Volkes aus den Bergen.

Im Südland

Auf dem Weg in den Süden muss Alv bestürzt feststellen, dass seine Schmiedefähigkeiten sehr gelitten hat. Eine seelische Wunde, hervorgerufen durch die Schuld an dem Tod der von seinem Schwert getöteten Duergar, hindert ihn an seiner Entfaltung. Als er in den Salzmarschen eines Flussdeltas eine Schmiede einrichtet, widerfahren ihm jedoch seltsame Dinge. Als eine Kutsche vorüberfährt, erblickt er flüchtig seinen Armreif an einer der zwei Damen, die gen Süden nach Kerbryhaine fahren. Er findet im Delta ein uraltes Schlachtfeld und darin die schwarze Klinge eines immer noch scharfen Schwertes, dem er ein Heft und einen Knauf schmiedet: Seine alte Magie ist zurückgekehrt, und fortan nennt er sich Elof, der Alleinseiende, der Schmied. Er ist nicht mehr der Wechselbalg Alv.

Der schwarze Reiter

Das Allerseltsamste ist jedoch der schwarze maskierte Reiter auf seinem riesigen Schlachtross, der ihn morgens aus dem Schlaf reißt. Er verlangt, dass Elof seinem Pferd ein neues Hufeisen verpasst. Dies gelingt unter seltsamen Umständen, aber ein Schmied muss bescheiden sein. Als Lohn wirft ihm der Krieger ein Metallstück zu, doch zwei Raben schnappen es ihm weg. Auf der Jagd nach seinem Lohn gerät Elof tief in die Marschen un schließlich an die Küste. Hier trifft er auf Korsaren, die die plündernden Ekwesh überfallen, wenn sie an der Küste vorüberfahren. Der Schwertkämpfer Kermorvan stammt aus dem Süden und macht Elof zu seinem Freund und lehrt ihn nicht nur fechten, sondern auch die Geschichte der Welt.

Mit einem von Elof reparierten Kriegsschiff ziehen die Korsaren in den Krieg gegen die Ekwesh-Piraten. Und so kommt es, dass Elof einen alten Bekannten wiedertrifft, den er seit Asenby nicht mehr gesehen hat. Er hat mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen…

Mein Eindruck

Dieser der spannende, actionreiche Auftakt zur Trilogie „Der Winter der Welt“. Für seine Welt entwarf der Autor nicht nur die obligatorische Landkarte, sondern auch ein eigenes Universum, komplett mit Geschichte, Mythologie, Götterhimmel, Völkerschaften und allem, was dazu gehört. Hierin folgt er offensichtlich dem erfolgreichen Vorbild J.R.R. Tolkiens, der bis 1976 nur als Autor von zwei seltsamen Büchern mit den Titeln „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ einer jugendlichen Leserschaft bekannt war. Die kleine Fangemeinde entstand aber erst 1966 mit der (unerlaubten) Veröffentlichung der amerikanischen Taschenbuchausgabe, welche unter Studenten reißenden Absatz fand: „Gandalf for president!“

Diese Lage änderte sich mit den Jahren 1977 bis 1980 schlagartig, denn 1977 wurde der Welt durch die Veröffentlichung des „Silmarillion“ schlagartig klar, dass das, war in den zwei genannten Büchern stand, nur einen winzigen Bruchteil aus einem riesigen kosmischen Entwurf darstellte (allerdings des lesbarsten Teil!). Mittelerde war nunmehr nur ein von Völkerschaften besiedelter Kontinent auf Arda, doch das Segensreich Valinor, zu dem Das Letzte Schiff segelt, ist mindestens ebenso groß. Eine kompletter Götterhimmel, ein ewiger Streit unter den Göttern sowie die daraus folgenden, Jahrtausende währende Widrigkeiten für Mensch, Elb und Zwerg – all dies erstand erst im „Silmarillion“. Wenig später schuf Ralph Baksi die erste Zeichentrickverfilmung des „Herrn der Ringe“. Die Fantasy begann zu boomen. Mit den „Unfinished Tales“ (1980, „Nachrichten aus Mittelerde“) sowie den „Lost Tales“ (1983, „Verschollene Geschichten“) vertiefte Christopher Tolkien das in „Silmarillion“ begonnene Fundament.

Die Zeit war reif für zahlreiche Fantasyzyklen, von denen „Thomas Covenant the Unbeliever“ von Stephen R. Donaldson und „Die Chronik der Großen Schwerter“ von Tad Williams zweifellos die qualitativ gelungensten Exemplare sind. (Letztere wird endlich ab 2010 von Klett-Cotta neu aufgelegt.) Michael Scotts „Winter der Welt“, 1986 gestartet, traf damals voll den Nerv der Zeit, richtete sich aber an ein junges, aber erwachsenes Publikum. Zwar sind die Völkerschaften ähnlich – Menschen, Elben, Zwerge, Götter, sogar ein Waldvolk – doch die Konflikte werden nicht auf Teenagerniveau gelöst, sondern auf der Grundlage moralischen Verantwortbewusstseins und sittlicher Reife.

Elof hat mit dem magischen Schwert ein großes Übel in die Welt gebracht, wie er schon am ersten Tag seiner Flucht erkennen muss. Er ist teils Techniker, teils Künstler, teils Magier und noch etwas anderes, das in seinen Genen liegt. Er ist in diesem Band zwar erst ein Lehrling, bringt es aber im nächsten Band „Die Schmiede im Wald“ zum Meister. Ganz klar ist sein Vorbild Wieland der Schmied aus den nordischen Sagen. Bei Tolkien ist ebenfalls von den Schmieden die Rede: Sie schufen die magischen Ringe. Darunter „ein Ring, sie alle zu knechten“. Diesem Einen Ring entspricht das magische Schwert, das Elof erschafft, aber dann an den zwielichtigen Schmiedemeister Mylio abgeben muss. Mylio ist der wahre Sauron – und er kann der Verlockung der Macht, die das Schwert darstellt, nicht widerstehen.

Immer wieder hört Elof auf seinen Fahrten von den Überfällen der Ekwesh, die von Mylio verführt und angetrieben werden, bis sie, vier Jahre nach Elofs Flucht aus Mylios Turm, schließlich das Südreich Bryhaine angreifen, mit einer mächtigen Invasionsflotte. Da es sich um die Heimat Kermorvans, Elofs Freund handelt, müssen sie Bryhaine zu Hilfe eilen. Leichter gesagt als getan, denn sie sitzen im Reich der zwergenhaften Duergar, versteckt unter den Bergen, fest. Der Anführer der Duergar, Andvar, hat sie am Leben gelassen, als man sie einfing, doch sie müssen zwei Jahre Dienst leisten, bevor sie gehen dürfen.

Am Tag des Abschieds entkommen sie dem Angriff zweier Drachen, denn inzwischen hat Elof eine weitere magische Waffe geschmiedet: die Eiserne Faust, einen Panzerhandschuh, der nur der Verteidigung dient. Zusammen mit der jungen Duergarschmiedin Ils gelingt ihnen die Flucht vor den Drachen und gelangen durch das Reich des Waldgottes Tapiau nach Bryhaine. Gerade noch rechtzeitig für den Showdown mit Mylio, denn die Stadt Kerbryhaine, die aussieht wie Minas Tirith, hat bereits ihren äußersten Verteidigungsring eingebüßt.

In Kerbryhaine findet Elof endlich seine geliebte Kara wieder, kann sie jedoch nicht befreien. Silberne Ketten der Magie binden sie, doch wegen des magischen Armreifs ist sie nicht unter den Schatten von Mylios Macht gefallen. Und die mysteriöse Louhi beherrscht sowohl Kara als auch Mylio. Welches Geheimnis hinter dieser Zauberin verbirgt, wird Elof wohl erst im nächsten Band erfahren. Doch zuvor muss er es mit seinem ehemaligen Meister und dessen Schwert aufnehmen, das Angst und Schrecken in die Herzen aller, auf die es gerichtet wird, schlägt…

Die Götter wirken mit, und das ist so, wie es Tolkien, der seinerseits ja den nordischen Vorbildern der Sagas und Eddas folgte, vorgezeichnet hat. Der Herr der Raben ist ganz klar Odin bzw. Wotan, doch es gibt auch Götter im Meer und im Wald. Die Kernfrage wird allerdings im Titel angedeutet: Welcher Gott lässt das Eis von Jahr zu Jahr weiter vorrücken? Denn mit dem Eis kommen seltsame Kreaturen in die Länder des Sommers: Schneetrolle, Drachen und solche Wesen, die noch weniger Substanz haben. Dieses Geheimnis muss spätestens im letzten Band der Trilogie gelüftet werden.

Die Übersetzung

Der sprachliche Stil ist von außerordentlich hoher Qualität, wie ich zu meiner Freude feststellte. Irene Bonhorst, die Übersetzerin, hat sich große Mühe gegeben. Der Verlag hat die Trilogie offenbar mit einem beträchtlichen Budget ausgestattet, so dass nicht nur die Landkarten, die Titelbilder und die umfangreichen Anhänge in den Bänden enthalten sind, sondern eben auch die Übersetzung glücken konnte. Sogar die zahlreichen Lieder sind enthalten. Wenn da bloß nicht die Heyne-typischen Druckfehler zu verschmerzen wären, könnte man den Text als perfekt bezeichnen.

Anhang

Der Anhang umfasst nicht weniger als 35 Seiten. Da es sich angeblich um eine „Chronik“ handelt – immer wieder mischt sich der Chronist ein wenig ein, wenn er von Elofs Taten berichtet – darf auch ein kleines Lexikon nicht fehlen. Folgende Sektionen hat das Lexikon:
1) Das Land und der Lange Winter
2) Die Völker
3) Die Sprachen
4) Die Schiffe
5) Flora und Fauna
6) Religion, Götter und das Schmiedehandwerk als Religionsausübung
7) Die Chronik

Eine Art Personalliste wäre allerdings verkehrt gewesen, denn manchmal ertappte ich mich dabei, ein wenig verwirrt angesichts der vielen Namen gewesen zu sein. Aber die Landkarte hilft ein wenig, wenigstens die Orts-Namen richtig zu sortieren.

Unterm Strich

Michael Scott Rohan ist nicht Tolkien, aber er wäre es gerne. Ob das gut und sinnvoll ist, kann sich der Leser durchaus mal fragen. So fehlt Rohan beispielsweise die ganz klare Sprachenorientierung und der linguistische Erfindungsreichtum des Oxford-Professors. Aber er weist die gleiche Begeisterung für das Erzählen, das Dichten und Singen auf, und dies verleiht seiner Geschichte den nötigen Schwung, der den Leser einfach mitreißt. Die Szenen wechseln flott und bauen aufeinander auf, so dass eine Entwicklung zustande kommt und erkennbar wird: Erst wenn Elof sie durchlaufen hat, ist er bereit, die ultimative Aufgabe zu bewältigen, nämlich die Zerstörung seines eigenen Schwertes und der Sieg über seinen Meister. Dafür muss er bereit sein, sein Leben in die Waagschale zu werfen.

Andererseits kann man sich frage, ob es sinnvoll ist, Tolkiens Muster zu folgen. Jeder weiß, dass Tolkien der im Britannien des späten 19. und frühen Jahrhunderts verfolgten und unterdrückten Minderheiten der Katholiken angehörte. Seine Sicht auf Erlösung, Schuld, Vergebung, Liebe und Frauen war eine ganz spezifische, die heute nicht mehr viele Anhänger hat, aber immer noch – mehr oder weniger unterbewusst in Jacksons Verfilmung – unters Volk gebracht und dort aufgenommen wird.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Elof und Mylio nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind, nämlich die des technisch tätigen Handwerkers. Doch während für Mylio die Werkstücke nur der Vergrößerung seiner Macht dienen, die in der Invasion des Südlandes gipfelt, stellt das Schmieden für Elof eine Art der Religionsausübung dar. Daher singt er auch immer Banngesänge in seine Werkstücke. Es ist Mylio, der sie dann durch „den letzten Schliff“ pervertiert.

Diese Aussage kann auch heute auf die Gedankenwelt des technischen Menschen angewandt werden. Wir haben versucht, uns die Schöpfung durch Technik untertan zu machen, nun schlägt die Schöpfung durch den Klimawandel zurück. Manche hoffen noch, dass es das Klima gnädig mit uns meinen wird, aber ich würde mich nicht darauf verlassen.

Hinter Mylio stehen mehrere Mächte, eine davon die geheimnisvolle Louhi, die andere ist das Eis, das vordringt und den Langen Winter bringt. Können Elof und seine Gefährten die Welt vor diesem kalten Grab bewahren? Das ist die spannende Frage, die hoffentlich im zweiten und dritten Band beantwortet wird. Ich werde weiter darüber berichten, denn der erste Band hat mich sehr gut unterhalten.

Wer sich für Tolkiens Bücher begeistern kann, der wird auch Die Trilogie „Der Winter der Welt“ sehr interessant und unterhaltsam finden. Spannend und magiereich ist sie allemal. Und wer würde Elof nicht ein Wiedersehen mit seiner geliebten Kara wünschen, die von der mysteriösen Louhi entführt worden ist?

Taschenbuch: 526 Seiten.
O-Titel: Anvil of Ice, 1986
Aus dem Englischen von Irene Bonhorst.
ISBN-13: 9783453072527

www.heyne.de

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