Moss, Tara – Freiwild

Immer mehr Studentinnen verschwinden spurlos vom Campus der |University of British Columbia|. Vermisstenmeldungen vergilben und werden vergessen. Dann werden drei Frauenleichen im Bergwald gefunden: Noch ist die Nachricht vom Nahatlatch-Serienmörder nicht in den Gazetten, doch Detective Andy Flynn und seine Kollegen vom |Vancouver Police Department| ahnen, dass der Frauenjäger bereits auf sein nächstes Opfer an der Uni lauert. Und hier studiert auch Andy Flynns Ex-Geliebte, das Supermodel Makedde Vanderwall….

_Die Autorin_

Tara Moss arbeitet als Fotomodell und Schauspielerin. Die gebürtige Kanadierin – vermutlich aus Vancouver – ist inzwischen australische Staatsbürgerin. In Australien spielt auch ihr erster Roman: „Der Fetisch-Mörder“. Darin tritt Makedde Vanderwall zum ersten Mal auf, und in „Freiwild“ wird des Öfteren auf die entsprechenden Geschehnisse verwiesen.

Es ist zwar nicht unbedingt nötig, „Der Fetisch-Mörder“ zu kennen. Aber ich fand es unbefriedigend, nicht über über die wichtigsten Fakten dieses ersten Falles informiert zu werden. So bleibt beispielsweise unklar, wie Makeddes Mutter Jane eigentlich ums Leben kam. Wir können es nur aus Makeddes Albträumen erschließen, doch die sind natürlich eine sehr subjektiv gefärbte Informationsquelle.

_Handlung_

Makedde Vanderwall, blond, jung, groß wie eine Amazone und schön wie der Sonnenaufgang – sagen alle -, verbirgt unter ihrer hübschen Schale schwere Sorgen. Wie ihr Vater und ihre Schwester ihr vorhalten, sollte sie unbedingt mehr Schlaf bekommen. Aber wie denn, wenn im Schlaf die Albträume lauern?

Makedde wäre im australischen Sydney beinahe das Opfer eines Serienkillers (s. o.) geworden, wenn nicht Detective Andy Flynn sie in letzter Sekunde gerettet hätte. Leider half er der Schönheit, aber nicht ihrer Mutter – für die kam jede Hilfe zu spät. Seitdem hat Makedde einen massiven Schuldkomplex, nicht nur ihrer verblichenen Mutter, sondern auch Andy gegenüber, dem sie nichts schuldig sein will. Zu einer Therapeutin will sie aber nicht. Noch nicht.

|So weit, so schlecht.|

Ein Jahr später versucht sie, ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen und forscht und büffelt für ihre Doktorarbeit in forensischer Psychologie. Deshalb besucht sie auch einen wichtigen Expertenkongress an ihrer Uni in Vancouver. Zu ihrem maßlosen Erstaunen taucht ihr ehemaliger Geliebter Andy Flynn ebenfalls hier auf, denn er begleitet einen der Redner, den Experten Robert Harris aus der FBI-Zentrale, um dessen Vortrag zu hören. Und vielleicht auch ein wenig, um Makedde wiederzusehen. Andy ist immer noch schwer in die Blondine verknallt, hält sich aber vornehm zurück. Doch als es notwendig wird, sie vor erneuter Gefahr zu warnen, kommt er deshalb beinahe zu spät.

Denn an der Uni von British Columbia verschwinden im Abstand weniger Monate Studentinnen spurlos. Erst kurz vor Andys Ankunft wurden von Hunden drei verwesende Leichen junger Frauen gefunden, tief im Bergwald von Nahatlatch. Allen hatte man in den Rücken geschossen. Harris ist wütend: „Nur ein Feigling tut so etwas.“

Doch der Jäger ist schon wieder auf der Lauer, und wir haben das Privileg, ihm bei der „Arbeit“ über die Schulter zu schauen. Sein neuestes Opfer ist die Studentin Debbie Melmeth, die von ihrem Freund sitzengelassen wurde und sich nun über ein wenig tröstende Gesellschaft freut. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, mit Rohypnol bewusstlos gemacht und in eine Berghütte verschleppt zu werden. Dort gibt es ein böses Erwachen, denn ein Schuss in den Rücken wartet auch auf sie, nachdem der Killer sie gejagt hat.

Erst als sich Makedde mit dem gut aussehenden Bruder des Killers einlässt, gerät auch die Blondine ins Visier des Serienkillers. Ob Andy sie auch diesmal rechtzeitig vor dem Ende bewahren kann?

_Mein Eindruck_

Warum schreiben Topmodels Kriminalromane? Können sie nicht einfach wie andere Berufsgenossinnen Interview um Interview geben und danach die nächste Party besuchen? Brauchen sie auch noch Bücher, um sich zu vermarkten? Offensichtlich doch. Und was läge für eine gut verdienende Frau mit schriftstellerischen Ambitionen näher als einen Krimi zu schreiben? Schließlich werden Kinderbücher nur von den Royals geschrieben und solchen, die sich dafür halten – Madonna zum Beispiel. Profis schreiben Krimis.

Und wenn es schon ein Krimi sein soll, dann hat sich Frau Moss sicherlich mal im Markt umgesehen und sofort gemerkt, dass die wichtigsten Zutaten dafür ein unglaublich schönes Opfer und ein ebenso unglaublich skrupelloser Serienkiller sind. Dieser sollte jedoch nicht irgendein 08/15-Serienkiller nach Schema F sein, sondern der Moss-Schurke weist das wichtigste Merkmal auf, das ihn zu etwas Besonderem macht: eine psychologische Macke.

Nun kann der Laie natürlich behaupten, dass alle Serienkiller eine Macke haben müssen, wenn sie das tun können, was sie tun. Aber zum Glück ist dieses Thema genau der Bereich, mit dem sich die angehende forensische Psychologin Makedde Vanderwall befasst: die Psychologie eines pathologisch kranken Hirns. Mehr soll nicht verraten werden, sonst gibt’s einen Spoiler. Nur so viel: Auch die geistige Erkrankung des Killers ist zur Zeit sehr in Mode. Und als wäre das nicht genug der kriminellen Zutaten, hat er auch noch einen eineiigen Zwillingsbruder.

Als Folge dieser Stapelung von wirkungsvollen Ingredienzien rätselt der Leser eine ganze Weile herum, wer denn nun von all den zahlreichen Kandidaten der echte Täter ist. Daher kann die Autorin die Spannung um dieses Rätsel auch bis zum Schluss aufrechterhalten.

|Schnickschnack|

Wäre nicht die Schilderung der problematischen Psychologie der Heldin, so ließe sich der gesamte Roman auf 200 Seiten abhandeln. Da die Kapitel doch recht kurz sind, wäre die geeignete Fachkraft dafür James Patterson. Aber da nun mal die Autorin Tara Moss heißt, kommen Dinge darin vor, von denen sie am ehesten etwas verstehen dürfte: Foto-Shootings, Make-up-Sitzungen, Familientreffen, Selbstverteidigungskurse, Barbesuche, mehr oder weniger gelungener Sex in mehr oder weniger bewusstem Geisteszustand sowie jede Menge wissenschaftlich klingende Buchtitel, -zitate und -autoren.

|Endlich Action|

Der halbe Roman ist schon für Makeddes chaotisches Seelenleben draufgegangen, als endlich etwas Fahrt in die Handlung kommt. Die Polizei von Vancouver hat die Frauenleichen gefunden, analysiert und einen ersten Verdächtigen auf den Lügendetektor geschnallt. Doch leider ist die Heldin immer noch in größerer Gefahr, als Schlampe abgestempelt zu werden – welch grässliches Schicksal, vor allem offenbar in Vancouver – als vom Serienkiller ins Visier genommen zu werden.

Daher werden nun größere Geschütze aufgefahren und kleinere Kapitel-Brötchen gebacken. Und siehe da! Endlich kommt Leben in die Handlung, die Action beginnt anzurollen, und das Finale kommt am Horizont in Sicht. Wird der verschmähte Ex-Lover die Heldin retten? Oder wird sie sich rechtzeitig ermannen, Schlampe Schlampe sein lassen und dem Killer kräftig eins auf die Mütze geben? Nichts Genaues weiß man nicht, und das Ende soll auch unter keinen Umständen verraten werden.

_Unterm Strich_

Fans anregenden Krimistoffs dürfen hier gerne zugreifen. Sie werden inhaltlich sicherlich nicht überfordert werden, und das erforderliche Zeitkontingent dürfte zwölf Stunden wohl kaum überschreiten. Ideales Lesefutter also für Langstreckenflüge zu Fotoshootinglocations auf den (immer noch nicht abgesoffenen) Malediven oder den Jungferninseln (amerikanische oder britische, je nach Belieben und Männerbedarf).

Allen anderen Krimifans ist sicherlich schon gehaltvollere Krimikost geboten worden. Sie können an diesem Fastfood-Angebot beruhigten Gewissens vorübergehen. Doch wem „Der Fetisch-Mörder“ gefallen hat, wird sicher die Fortsetzung mit dem psychopathischen Waldschrat nicht verpassen wollen.

|Die Übersetzung|

Für Übersetzerin Christine Heinzius war es sicherlich die größte Herausforderung an dieser Arbeit, all die wissenschaftlichen Buchtitel in verständliches Deutsch zu übertragen. Der Rest dürfte wohl ein Klacks gewesen sein. Dennoch blieb mir die Frage nicht erspart, worum es sich bei einem „alkoholfreien Mineralwasser“ handeln könnte (S. 147). Sind nicht alle Mineralwässer alkoholfrei? Vielleicht handelt es sich aber um ein Club Soda, also um ein kohlensäurehaltiges Mineralwasser mit einer Zitronenscheibe drin. Da ist kulturelles Hintergrundwissen gefragt.

Auf Seite 298, kurz vor Erreichen der Ziellinie, stolperte ich über einen Anachronismus – es sei denn, die Sorge um die Ehre einer Frau gehört noch heute zum kanadischen Nationalsport. Die tödliche verwundete Psychiaterin Ann Morgan denkt an jene unselige Zeit zurück, „als sie glaubte, ihre Ehre noch retten zu können“. Schlampe oder nicht Schlampe, das ist hier die Frage. Wen’s interessiert. Die wahrscheinlichste Erklärung für diesen Schnitzer ist wohl, dass es sich um einen Druckfehler handelt: Es müsste statt „Ehre“ wohl „Ehe“ heißen. Dann wird auch für Nichtkanadier ein Schuh draus.