Novik, Naomi – Drachenbrut (Die Feuerreiter Seiner Majestät 1)

Drachen gehören seit jeher zum Standardrepertoire der Fantasyliteratur. Uralt, weise, mächtig und tödlich, Hüter von Horten voller magischer Schätze, wohlwollend oder blutrünstig, und stets faszinierend. Die amerikanische Autorin Naomi Novik (* 1973) jedoch macht Drachen zu intelligenten, sprechenden und treuen Verbündeten der Menschen, und versetzt sie in die Zeit der Napoleonischen Kriege. Als „Die Feuerreiter Seiner Majestät“ sichert das Luftkorps gemeinsam mit der Royal Navy die englische Luft- und Seeüberlegenheit im Ärmelkanal und verhindert so die Invasion durch Napoleons Truppen.

Dem englischen Kapitän Will Laurence ist das Kriegsglück hold: Es gelingt ihm, eine französische Fregatte zu kapern, deren Besatzung sich trotz hoffnungsloser Lage verbissen zur Wehr setzt. Der Grund ist ihre seltene und wertvolle Fracht: ein Drachenei, das kurz vor dem Schlupf steht. Dies bringt Laurence in arge Nöte, denn ein Drache muss nach seiner Geburt sofort gebunden und angeschirrt werden. Doch das bedeutet, einen seiner Offiziere an das Luftkorps zu verlieren. So wichtig und unverzichtbar Drachen für die Sicherheit Englands auch sind, ist der Dienst im Luftkorps wenig geachtet und eine wahre Lebensaufgabe, weshalb kein Gentleman sich um diese zweifelhafte Ehre reißt. Doch der kleine Drache schlüpft noch auf dem Schiff, und er erwählt Laurence …

Dies bedeutet für Laurence den Verzicht auf eine glänzende Zukunft in der Marine, ebenso den Verlust seiner Verlobten. Sein Vater zeigt sich ebenfalls ungehalten. Doch findet er in dem von ihm |Temeraire| (die |HMS Temeraire| deckte Lord Nelsons |Victory| in der Schlacht von Trafalgar) getauften Drachen einen wundersamen und intelligenten Gefährten, weit mehr als ein nützliches Tier, zu dem er bald tiefe Zuneigung und Liebe empfindet. Gemeinsam mit Temeraire wird er vom britischen Luftkorps zum Drachenreiter ausgebildet, der viel zu früh seine ersten Luftkämpfe mit französischen Drachen bestehen muss. Auch wenn Temeraire nicht ganz das Kampfgewicht der größten britischen Drachen erreicht, ist er etwas ganz Besonderes, denn er ist ein chinesischer Drache vorerst unbestimmter Art – wie sich später herausstellt, ein Geschenk des chinesischen Kaiser an Napoleon persönlich. Temeraire kann seine Fähigkeiten bald eindrucksvoll zur Schau stellen, denn Verrat und Intrige führen zu einer gefährlichen Situation: Die Invasion Britanniens droht, und es ist an Lord Nelson und den Feuerreitern Seiner Majestät, diese Bedrohung abzuwenden.

_Ein Offizier und Gentleman und sein edler Drache_

Naomi Novik setzt zwei Schwerpunkte in „Drachenbrut“: Die Beziehung zwischen Temeraire und Will Laurence sowie die soziale Sonderstellung des Luftkorps in der konservativen britischen Gesellschaft nehmen den Großteil des Romans ein, Luftkämpfe in der Art früher Jagdflieger als „Helden der Lüfte“ finden sich erst gegen Ende des Romans. Trotz der oft heftigen Kämpfe wird die Brutalität des Krieges weitgehend ausgeblendet, Bodenangriffe feuerspeiender Drachen findet man nicht, stets kämpfen sie gegen andere Drachen, während ihre Besatzungen den anderen Drachen zu entern versuchen und ihn beziehungsweise seinen Kapitän mit vorgehaltener Pistole zur Aufgabe zwingen.

Will Laurence ist ein echtes Musterbeispiel eines britischen Offiziers. Treu und pflichtbewusst, mutig und tapfer sowie mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden versehen, ist er der geborene Held. Sein Drachen steht ihm da kaum nach: Temeraire gehört zu den intelligentesten Drachen überhaupt, zudem zeichnet er sich durch grenzenlose, uneingeschränkte und rührende Liebe und Treue zu Laurence aus. Diese Beziehung ähnelt der zwischen Flipper, Lassie und ihren menschlichen Partnern, hat aber auch aufgrund der Sprachfähigkeit und Intelligenz Temeraires durchaus etwas von einer perfekten Ehe/Partnerschaft, welche den Reitern meist aufgrund des intensiven Pflege- und Zuwendungsbedarfs ihrer gigantischen Schützlinge verwehrt ist.

Diese Mischung erscheint merkwürdig, aber Temeraire und Laurence sind zweifellos eines der liebenswertesten und faszinierendsten Gespanne, über das ich je gelesen habe. Interessant ist auch die Stellung der Drachenreiter in der britischen Gesellschaft: Sie werden als Sonderlinge betrachtet, der enge Umgang mit einem Tier wird vom Adel sehr skeptisch gesehen, was des öfteren Laurence‘ Groll erregt. Untereinander pflegen die Drachenreiter einen lockereren Umgangston als in der Marine, dennoch gibt es auch bei ihnen – und bei ihren Drachen – feste Hierarchien und recht komplexe Umgangsformen und Etikette, die dem Roman einen Hauch von Stil und Klasse eines vergangenen Zeitalters verleiht.

_Große Drachen, kleine Drachen_

Eine ausführliche Drachenkunde darf in diesem ersten Band der Tetralogie um die Feuerreiter Seiner Majestät natürlich nicht fehlen. So haben die Briten mit den mächtigen Königskupfer-Drachen zwar die größten Drachen, mit entsprechender Tonnage (sie werden entsprechend in der Art von Linienschiffen im dichtesten Getümmel eingesetzt), aber es fehlt ihnen an feuerspeienden Drachen, wie sie die Franzosen oder Spanier zum Beispiel mit dem Flamme-de-Gloire besitzen. Das britische Luftkorps dagegen kann mit den Langflüglern auftrumpfen, schnellen und säurespeienden Drachen mittlerer Größe, die gewöhnlich auf weibliche Reiterinnen bestehen – der Grund, warum es im Luftkorps auch Pilotinnen gibt, was Laurence aufs Tiefste verwundert, denn das gefährliche Drachenreiten ist in seinen Augen alles andere als „Lady-like“.

Temeraire selbst ist ein nicht genau klassifizierbarer Sonderfall; er besitzt mehr Krallen an den Klauen als europäische Drachen und ist somit ein chinesischer Drache, dessen besondere Fähigkeiten vorerst verborgen bleiben. Neben ungewöhnlich hoher Intelligenz und Sprachbegabung ist er auch ein exzellenter Flieger und kann in der Luft auf der Stelle stehen, was sonst nur kleineren Sturzflüglern (eine Art Sturzkampfbomber) vorbehalten ist. Kleinere Graulinge und Winchester-Drachen werden meistens zu Kurierflügen eingesetzt; viele französische Drachen sind gewöhnlich nachtaktiv und deshalb gegenüber Lichtblitzen empfindlich.

_Die Helden der Lüfte_

Eine gehörige Suspension of Disbelief ist bei der etwas arg romantisierenden Kriegsführung mit Drachen nötig: Die Drachen fliegen in Formationen am Himmel, und obwohl es „Bomber“ gibt, liegt Naomi Noviks Augenmerk ausschließlich auf den Luftkämpfen zwischen Drachen und ihren Besatzungen. Die Drachen selbst sind recht empfindlich – ein Scharfschütze kann einen Drachen mit einem gezielten Schuss auf Entfernung töten, deshalb tragen sie eine Art Kettenpanzerung, aber einer Kanonenkugel kann kein Drache widerstehen. Auf direkte und wohl eher brutale Beschreibungen der Wirkung eines feuerspeienden Drachen auf Schiffe oder eines Säureregens auf ungeschützte Soldaten am Boden lässt sich Naomi Novik nicht ein; der Tod eines Drachen ist auch die absolute Ausnahme, mehr als schwer verwundet und unter Tränen wieder gesundgepflegt wird hier kein Drache. Sehr verwunderlich ist auch, warum diese oft hochintelligenten Geschöpfe so sehr die Nähe des Menschen suchen und in seinen Kriegen auf verschiedenen Seiten kämpfen. Die Treue eines Drachen zu seinem Reiter, und in den meisten Fällen umgekehrt ebenso, ist absolut.

_Fazit:_

Laurence und Temeraire sind einfach faszinierend. Ich hätte nicht erwartet, dass eine wie beschrieben etwas schwer zu verdauende Verbindung der Kriege des napoleonischen Zeitalters mit Drachen mich so fesseln könnte. Die Faszination des Romans entsteht aus der Verbindung von Stil und Klasse britischer Offiziere mit einem absolut faszinierenden gefährlichen und überaus fähigen Schoßtierchen, womit ich Temeraire keinesfalls gerecht werde. Meine einzigen Kritikpunkte sind die recht braven Verharmlosungen und Verniedlichungen kriegerischer Auseinandersetzungen sowie die Frage, ob die Faszination, einen Drachen als Freund und Gefährten zu haben, auf Dauer unterhalten kann. Naomi Novik bedient hier gezielt Träume nach einem faszinierenden (Tier-)Gefährten. Als historisch exakt würde ich diese Saga, wie so oft behauptet wird, auch nicht bezeichnen, bereits im ersten Band weicht Novik, abgesehen von den Drachen, erheblich von historischen Tatsachen ab, insbesondere bei der Schlacht von Trafalgar.

„Drachenbrut“ hat mir trotz dieser Kritikpunkte ausgezeichnet gefallen; das ungewöhnliche Szenario ist ungemein reizvoll, voller ungewöhnlicher und interessanter Charaktere, die mir oft ein wenig zu perfekt und liebenswert erschienen. Ein Subplot über einen Kapitän, der seinen Drachen nur aufgrund seiner Herkunft bekam und ihn schlecht behandelt, zielt in die andere Richtung und drückt auf die Tränendrüse des Lesers.

Auch Regisseur Peter Jackson („Der Herr der Ringe“, „King Kong“) ist bekennender Fan von Temeraire: Seine Produktionsfirma hat die Rechte erworben, er selbst bezeichnet die Verfilmung als groß angelegtes Projekt – „groß“ lässt aus seinem Munde einiges erwarten! Eine angemessene Darstellung der innigen Beziehung zwischen Temeraire und Laurence dürfte sich als große Herausforderung erweisen.

In der Folge wird sich die Serie schnell in Richtung eines noch exotischeren Handlungsorts bewegen: China. Der chinesische Kaiser ist nicht allzu glücklich darüber, dass sein wertvolles Geschenk in die Hände eines gewöhnlichen britischen Marineoffiziers gefallen ist …

Offizielle Homepage der Autorin:
http://www.temeraire.org/

Deutsche Fanseite:
http://www.temeraire.de/

Website des Verlags:
http://www.cbj-verlag.de