Pelecanos, George P. – King Suckerman

Am Anfang drei Fragen: Gibt es wirklich einen Film, der „King Suckerman“ heißt? Spielt Sean Combs („P. Diddy“) darin eine Hauptrolle? Was hat dieser Krimi damit zu tun? Antworten kommen bald, zuvor noch einige Basis-Infos:

„King Suckerman“ ist 1997 als sechster Roman des amerikanischen Autors George P. Pelecanos erschienen und wurde 2000 als deutsche Übersetzung bei |Dumont| veröffentlicht (als |Dumont Noir|–Taschenbuch Nr. 16).

_George P. Pelecanos_

Wie der Name schon vermuten lässt, ist er griechischer Herkunft, allerdings in Washington DC geboren (1957) und dort auch aufgewachsen. Er lebt immer noch dort, heute indes mit Frau und drei Kindern in Silver Springs (formal Maryland, aber eigentlich ein Teil von Washington). In seiner Jugend hat er viel Basketball gespielt (mit 16 sogar in der Freizeitmannschaft, die die Stadtmeisterschaft gewann). Nur logisch, dass da fast jedes seiner Bücher auch ein Basketball-Nebenthema hat.
Als Krimi-Autor fühlt er sich (wie so häufig) von Hammet und Chandler angeregt, wichtigste Inspirationen waren ihm zu Beginn seiner Laufbahn allerdings James Crumley und Kem Nunns „Tapping the Source“. Von seinen Kollegen mag er besonders Michael Connelly und Dennis Lehane (beide wirklich sehr zu empfehlen).
Pelecanos ist nicht bloß Krimi-Schreiber. Er hat mal Schuhe verkauft, leitete eine kleine Ladenkette für Unterhaltungselektronik und später auch die Produktionsfirma Circle Films, die u. a. sämtliche der frühen Filme der Coen-Brüder produziert hat – „Blood Simple“, „Raising Arizona“, „Miller’s Crossing“ und „Barton Fink“. Pelecanos war es auch, der John Woo (u. a. „Face/Off“) nach Amerika holte. Heute verdient er sein Geld zu etwa gleichen Teilen mit Krimis und mit Fernsehen. Er veröffentlicht ungefähr ein Buch pro Jahr und ist Produzent der recht erfolgreichen TV-Serie „The Wire“ auf HBO.

_Washington DC, Sommer 1976_

Die 200-Jahr-Feier der USA steht an. Es ist heiß. In den Kinos läuft gerade ein weiterer Blaxploitation-Film los, „King Suckerman“ (fiktiver Titel). Aus dem tiefen Süden kommt ein seltsames Verbrecher-Häuflein nach DC, um einen größeren Drogendeal zu machen: Wilton Cooper, schwarz, ultrahart, Berufsverbrecher, ultraböse. Bobby Roy Clagget, ein unterbelichteter dürrer weißer Bengel, der am liebsten ein richtig harter böser Neger wäre und gerade den Besitzer eines Autokinos abgeknallt hat (weil der ihn so komisch anglotzte). Dazu Ronald und Russell Thomas, zwei schwarze Brüder an der Grenze zwischen massivem Schwachsinn und Tollwut, mordgeübt, mordlustig, mordbereit.

Hier sind sie nun in DC und holen sich Informationen bei einem lokalen Dealer, der sich nebenbei auch noch als Hehler betätigt. Cooper und Clagget treffen ihn, und treffen dabei auch auf zwei andere Gäste, die eher zufällig da sind. Das sind die wesentlichen Helden, beide Ende zwanzig:
Marcus Clay, groß, schwarz, ehemaliger Basketballer, in Vietnam gewesen, jetzt Eigentümer eines Plattenladens („Real Right Records“). Er liebt die Musik von Curtis Mayfield, seine Freundin Elaine, seinen 72er Buick Riviera und immer noch den Basketball. Außerdem kann er hart zuschlagen, aber nur, wenn es sein muss.
Dimitri Karras, sein bester Freund seit Kindertagen, auch groß und Hobby-Basketballer, Grieche (dritte Generation). Karras war mal auf dem College, hat sogar Kurse dort gehalten, doch seit einigen Jahren beschäftigt er sich vorwiegend mit den Frauen und arbeitet nebenher noch ein wenig als kleiner Drogendealer, verkauft Hasch und Tabletten an College-Kids. Nicht dass er deswegen auf der Seite des Bösen stünde.
Heute sind sie beide hier, um wieder mal ein wenig Stoff zu holen, Marcus ist nur dabei, weil sie gemeinsam noch zum Freizeit-Basketball fahren wollen.

Es kommt zum Streit mit Cooper und Claggett. Wenn die beiden mit ihren grenzdebilen Schießfreunden das Drogengeschäft erledigt haben (zusammen mit einer ganzen Rockerbande), dann wollen sie zurückkommen und auch Clay und Karras erledigen. Es wird viel Blut geben. Am Ende einen großen Showdown während des 200-Jahr Feuerwerks. Marcus und Dimitri, gestützt durch die Hilfe einiger alter und neuer Freunde, werden überleben – nicht ohne Verletzungen.

Eine harte Geschichte, dichte Atmosphäre, viel Blut und Gewalt. Einige kleine Nebenplots, die auf andere Bücher Pelecanos‘ verweisen. Tief verwurzelt in der Story die Moral: Freundschaft, Familie und Eigentum sind lebenswichtig und zu schützen, egal was an sittlichen Verfehlungen sonst so anfällt. So gesehen eigentlich recht konservativ, wie so ziemlich jeder gute „hard boiled“-Krimi. Dazu aber auch viel Musik der Zeit, coole Autos und, ganz wesentlich, interessant gebrochene Charaktere. Diese Leute, die Guten vielleicht etwas eher als die Bösen, wirken glaubhaft. Insgesamt liest sich „King Suckerman“ sehr flüssig und schafft es, mich als Leser von Beginn an zu fesseln. Nein, diese Story lässt sich nicht so einfach weglegen (und das Buch hat nicht zu Unrecht einige Preise gewonnen).

_Zum Schreibstil_

„King Suckerman“ bietet |Creative Writing| der Oberklasse (auch wenn Pelecanos das nie ausdrücklich gelernt hat). Schnell, direkt, plastisch, fast schon filmisch. Die filmische Struktur wird immer wieder deutlich, häufig springen den Leser beinahe fertig ausgearbeitete kleine Filmszenen an. Ich denke beim Lesen: Das Ding muss doch schon verfilmt sein, und einen Soundtrack müsste es doch auch geben …

Ganz wichtig für den Genuss dieses Krimis (wie der anderen Pelecanos-Bücher) sind die präzisen und profunden Milieukenntnisse. Ob das die Schilderung der Umgebung ist, der Kleidung, der Musik, der Bewegungen, alles stimmt bis ins Detail. Ganz besonders gilt das für den Dialog. Und hier offenbart die deutsche Übersetzung dann doch erhebliche Schwächen. Ich muss zugeben, diese Schwächen erst richtig gesehen zu haben, nachdem ich mir im Anschluss an „King Suckerman“ andere Bücher von Pelecanos auch mal im Original durchgelesen habe (es gibt ja längst nicht alles von ihm auf Deutsch).
Sämtliche Figuren werden da glasklar durch ihre Sprechweise charakterisiert, nicht bloß die schwarze Ghettosprache wird sauber abgebildet, bis in die letzte Nebenfigur stimmen Akzent und Wortwahl (soweit ich das mit amerikanischen Verwandten und mehrjähriger Ostküsten-Erfahrung beurteilen kann). Hier kommt das Deutsche einfach nicht nach, irgendwelche deutschen Sprachmuster einfügen zu wollen, wäre auch fatal. Auch die immer wieder eingewobenen Songtexte und Basketball-Referenzen verlieren durch die Übersetzung doch deutlich an Energie. Das ist schade, denn die enorme Farbigkeit von Pelecanos‘ Schreibe kommt so insgesamt nur etwas matt herüber. Also, meine Empfehlung (selbst wenn die Englisch-Kenntnisse nicht |so| perfekt sein mögen): Möglichst im Original kaufen. Trotzdem ist die Übersetzung von Bernd Holzrichter solides Handwerk. Und für den Einstieg eignet sich eins der |Dumont|-Bücher durchaus.

_Und was war jetzt mit dem Film?_

April 1998. Sean Combs (da noch „Puff Daddy“) ist auf dem Höhepunkt der Verkaufszahlen seiner Plattenfirma |Bad Boy| angekommen. Aber sein Ego ist zu groß, um sich nur mit einer Rolle als Plattenproduzent und Gelegenheits-Rapper bescheiden zu wollen. Modeschöpfer will er werden, und Filmstar. Die erste „Sean John“-Modelinie lässt er entwerfen – und er sichert sich die Rechte für die Verfilmung von „King Suckerman“. Oliver Stone soll den Regisseur geben. Für sich selber reserviert Puffy die Rolle des Marcus Clay (eigentlich erstaunlich, wo er doch eher kleinwüchsig ist).
Das von Pelecanos gelieferte Skript wird mehrfach umgeschrieben, doch eigentlich liegt es nicht am Skript, dass aus dem Film bis auf weiteres nichts wird: Der Herr Combs ist einfach kein Schauspieler (um es mal zurückhaltend zu sagen). Immerhin hat es mit der Mode funktioniert, die überteuerte „Sean John“-Konfektion läuft seit Jahren außerordentlich gut.
Schade um den Film jedoch. Dieses Buch hätte eine gute Verfilmung nicht bloß verdient – es bietet sich ganz klar dazu an, immer noch.

_Was geschah |nach| „King Suckerman“?_

George Pelecanos hat mittlerweile ein halbes Dutzend weiterer Bücher veröffentlicht. Vom direkten Nachfolger „The Sweet Forever“ liegt bereits eine deutsche Übersetzung vor (als „Eine süße Ewigkeit“ bei |Dumont Noir|). Die wichtigsten Charaktere aus „King Suckerman“ tauchen wieder auf, es ist 1986, Marcus Clay hat mittlerweile vier Plattenläden und Dimitri Karras ist sein BMW-fahrender Geschäftsführer – mit einem deutlichen Kokainproblem. Es gibt allerlei dramatische Verwicklungen mit jugendlichen Drogendealern und korrupten Polizisten, die ich hier nicht weiter verraten will. Stattdessen eine klare Kaufempfehlung.
Auch „Shame the Devil“, Anfang 2000 erschienen, greift auf Clay und Karras zurück, spielt aber wieder zehn Jahre später, 1996 – und ist meines Wissens bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt (dafür aber auf Französisch als „Funky Guns“ erhältlich). Das gilt auch für sein aktuelles Buch, „Hard Revolution“, in dem er Clay und Karras mal alleine lässt. Stattdessen besucht er einen anderen seiner Serienhelden, den schwarzen Privatdetektiv Derek Strange, als jungen Polizisten im Jahre 1968. Bin mal gespannt …

Als Einstieg in die Welt des George P. Pelecanos ist allerdings „King Suckerman“ kaum zu schlagen. Dass er nebenbei noch die auslaufende Blaxploitation-Welle und das schwarze Amerika der Mittsiebziger sauber aufzeichnet, das sind nur Nebenargumente: Hier ist einer der besten amerikanischen Autoren für „hard boiled“–Krimis am Werk – und er schreibt trotz verzeihlicher kleiner Abschweifungen ganz vorzüglich. Dieser Krimi ist spannend, kraftvoll und auf zugängliche Weise echte Literatur.

Also nochmals meine eindringliche Empfehlung: Go get it!