Peter Prange – Eine Familie in Deutschland

Die große Familiengeschichte in Zeiten der Entscheidung

Seit Generationen leben die Isings im Wolfsburger Land, fernab der Welt und doch mitten in Deutschland. Alles verändert sich für die Familie, als auf Hitlers Befehl eine gigantische Automobilfabrik entstehen soll, um den „Volkswagen“ zu bauen. Kinderärztin Charly und Filmproduzentin Edda, Autoingenieur Georg und Parteisoldat Horst – sie alle müssen sich entscheiden: Mache ich mit? Beuge ich mich? Oder widersetze ich mich?
Mut, Verzweiflung, Verrat und Liebe im Zeichen des Nazi-Regimes: bewegend schildert Bestseller-Autor Peter Prange die deutsche Jahrhundert-Tragödie und den Weg einer Familie vom Tag der Machtergreifung bis zum Kriegsbeginn. Er erzählt uns von unserer Geschichte. (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke:

„Zucker schadet? Grundverkehrt! Zucker schmeckt, Zucker nährt!“ – Der Reklamespruch und Slogan seiner Fallerslebener Raffinerie ist dem Zuckerbaron Hermann Ising bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Den Familienbetrieb, den sein Großvater gegründet hat, führt er mit Ehefrau Dorothee stolz weiter. Als er im Jahr 1933 zum Richtfest des neu errichteten Wohnhauses einlädt, ist es ein freudiges Ereignis mit Freibier und Schmalzbroten, zu dem der halbe Ort gerne vorbeikommt.

Die vier (erwachsenen) Kinder des Paares könnten unterschiedlicher nicht sein: Die Mädchen studieren beide in Göttingen – Charlotte ist ehrgeizig und auf dem besten Weg, eine gute Medizinerin zu werden, während ihre ältere Schwester Edda sich mit ihrem Romanistikstudium ein wenig schwertut. Georg ist als begabter Ingenieur in dem Konstruktionsbüro eines Freundes beschäftigt – sehr zum Leidwesen seines Vaters allerdings fernab der niedersächsischen Heimat. An eine Übernahme des elterlichen Zuckerbetriebes denkt der Erstgeborene leider nicht und widmet sich vielmehr der Entwicklung von Automobilen. Einzig Sohn Horst ist in der Nähe der Eltern geblieben und arbeitet in der Raffinerie mit. Mit seiner Frau Ilse verbindet ihn eine glühende Begeisterung für die Nationalsozialisten und beide sind in der Ortsgruppe aktiv, Wen wundert es da, dass sie ihr erstes Kind direkt nach dem Führer „Adolf“ nennen?
Bei Hermann und Dorothee lebt außerdem der kleine Nachzügler Willy, der noch die gesamte Aufmerksamkeit seiner Mutter beansprucht und von dem, was um ihn herum geschieht, nicht viel mitbekommt.

Zwar ist die Machtergreifung der Nationalsozialisten noch nicht lange her, Veränderungen im Leben und in der Gesellschaft sind dennoch schon deutlich spürbar, die vor allem Juden, Kommunisten und Andersdenkende betreffen. Charlys Freund Benjamin Jungblut, ein Architekt, der die jüdischen Wurzeln sichtbar im Namen trägt, kann bereits ein Lied davon singen. Diskriminierungen und offene Ausgrenzungen sind an der Tagesordnung und nehmen immer mehr zu. Selbst innerhalb der Familie kommt es zu derlei Konflikten. Horst, der seine Berufung innerhalb der neuen Parteistrukturen gefunden hat und nach Macht strebt, kann den jüdischen Freund der Schwester kaum tolerieren. Vater Hermann hält es damit weitaus pragmatischer: Klar ist er Mitglied in der Partei und hat sich sogar zum Amt des Ortsgruppenleiters überreden lassen. Anders als seinem Sohn Horst bedeuten ihm die Belange seiner Familie und der Raffinerie jedoch wesentlich mehr als Linientreue zu Führer und Partei.
Schließlich hat die Familie eine gewichtige Verbindung zur Berliner Politik, denn Dorothees Bruder Carl ist dort als Jurist und Staatsrat dicht an Hermann Göring. Sein Rat wird auch von den Kindern der Isings mitunter gerne gehört und schließlich ist es kein geringerer als Carl, der Charly zur Hochzeit mit Benjamin rät, um der Beziehung eine Chance zu geben.

Ein Automobil, das sich jeder Bürger leisten kann – von diesem Volkswagen träumt nicht nur Adolf Hitler, der sogar den Bau eines Autobahnnetzes in Deutschland vorantreiben will. Auch Georg Ising ist mit seinem Freund und Arbeitgeber Josef Ganz Feuer und Flamme für diese Idee. Gemeinsam planen die beiden begabten Konstrukteure, wie dieses Fahrzeug realisiert werden kann. Doch schon bald gibt es zunehmend Probleme: Ganz, zwar ein begnadeter Ingenieur, ist Jude und den Nazis ein Dorn im Auge. Die Freundschaft der Beiden wird auf eine harte Probe gestellt, als Ganz sich gezwungen sieht, das Land zu verlassen.

Währenddessen werden die Pläne zum Bau einer riesigen Automobilfabrik, in der der Volkswagen gebaut werden soll, immer konkreter. Aufgrund der guten Lage und infrastrukturellen Anbindung hat sich die Berliner Regierung das Fallerslebener Land als Ort dafür ausgeguckt. Da es mit einem Fabrikgelände nicht genug ist, soll in direkter Nähe eine ganze Stadt entstehen, die als Wohnort der zahlreichen Arbeiter dienen soll.
Die Ländereien in der Gegend gehören überwiegend dem Grafen Schulenburg, aber auch die Raffinerie der Isings liegt in der Nähe. Für Hermann Ising unvorstellbar, dass sein Lebenswerk einem derartigen Projekt weichen soll. Auch der Graf ist zunächst nicht interessiert daran, seine Ländereien zu verkaufen. Doch können sie sich wirklich auf Dauer dem widersetzen, was der erklärte Wunsch des Führers ist?

Horst Ising ist hingegen schon lange begeistert von den Plänen der Nationalsozialisten. Schließlich träumt er davon, als künftiger Lagerleiter, die Arbeiter zu beaufsichtigen und auch der Posten des Leiters der Ortsgruppe, die dort neu entstehen könne, wurde ihm bereits versprochen. Ausgerechnet in der eigenen Familie steht er aber weiterhin mit der Linientreue weitestgehend alleine da und kann nicht nachvollziehen, welchen Umgang zum Beispiel seine Schwestern pflegen. Die Eine plant eine Hochzeit mit einem Juden, während die Andere mit einem Kommunisten liiert ist. Das kann Horst so nicht auf sich sitzen lassen!

Die jüdische Familie Bernstein ist schon seit langer Zeit mit den Isings befreundet. Der Berliner Fabrikant lebt mit Frau und Tochter im Wedding. Die junge und reichlich umtriebige Gisela nimmt den Leser mit auf ihre Ausflüge in das Berliner Nachtleben, von denen allerdings ihre Eltern nichts ahnen. Doch die Naziherrschaft geht auch an dieser Familie nicht spurlos vorbei – auch sie bekommen immer mehr davon zu spüren und sehen sich schließlich sogar gezwungen, ihre Firma und ihre Wohnung aufzugeben.

Eine Flucht ins Ausland scheint bereits für viele Juden der letzte Ausweg. Doch selbst das wird von den Nationalsozialisten mit zunehmenden Auflagen erschwert. Nur wer es sich noch leisten kann, die eigens eingeführte Reichsfluchtsteuer zu bezahlen, hat überhaupt eine Chance dazu.

Die Ereignisse spitzen sich dramatisch zu, als es im November 1938 zur sogenannten Reichskristallnacht kommt, in der viele Juden unsagbares Leid erfahren müssen. Wer bis dahin ausgehalten hat, denkt spätestens jetzt über eine Flucht aus Deutschland nach. Doch für viele ist es bereits fast zu spät dafür.

Edda, die älteste Tochter der Isings, hat es nach einem Schicksalsschlag schließlich nach Berlin verschlagen, wo sie durch ihren Onkel Carl Bekanntschaft mit der bekannten Filmemacherin Leni Riefenstahl macht. Die jungen Frauen kommen sich schnell näher und fortan ist Edda als Lenis Produktionsleiterin mit ihr unterwegs. Riefenstahl ist nicht nur eine gefeierte Künstlerin, sie ist außerdem nah am Führer und seinen mächtigen Männern. Keines ihrer Filmprojekte könnte ohne deren finanzkräftige Unterstützung gelingen und Leni weiß sich entsprechend zu präsentieren. Was allerdings niemand weiß: mit Edda Ising verbindet sie mehr als nur eine Freundschaft. Doch gelten gleichgeschlechtliche Beziehungen zur Zeit des Nationalsozialismus als abnormal und sind absolut unerwünscht.

Daheim in Fallersleben wundern sich Eddas Eltern zwar darüber, dass die Tochter noch immer keinen Mann gefunden hat. Allerdings sind für Hermann und Dorothee andere Sorgen momentan viel präsenter: der Nachzügler Willy scheint nicht altersgerecht entwickelt und ein böser Verdacht schleicht sich ein. Kann Tochter Charly, die inzwischen einen Job in der Göttinger Klinik hat, ihrem Bruder helfen? Oder ist sie als Ehefrau eines jüdischen Mannes nicht zunehmend mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt?

Peter Pranges Roman ist in drei Teile gegliedert: 1. „ Das Richtfest 1933/1934“, 2. „Stadt des KdF-Wagens 1937/1938“ und 3. „Volksmobilmachung 1939“
Jeder thematische Abschnitt ist wiederum in zahlreiche, zum Teil recht kurze Kapitel untergliedert, die aus abwechselnden Perspektiven in der dritten Person erzählt werden.
Der Roman spielt größtenteils im Ort Fallersleben im Wolfsburger Land, aber auch in Göttingen und zum Teil in der Hauptstadt Berlin.
„Eine Familie in Deutschland – Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ bildet den Auftakt zu einem Zweiteiler, dessen Nachfolgewerk bereits im Herbst 2019 im Fischerverlag erscheinen soll.

Mein Fazit:

Der Roman spielt in einem der dunkelsten Abschnitte der deutschen Vergangenheit und Autor Prange hat sich selbst bei der Entstehung des Buches immer wieder die Frage gestellt, wie er selber sich zu dieser Zeit verhalten hätte bzw. was wohl aus ihm geworden wäre. Das finde ich interessant und gerade in der heutigen Zeit wichtig. Regt es doch dazu an, Dinge zu hinterfragen, statt alles hinzunehmen. Vor diesem Hintergrund würde ich den Roman sogar zur Lektüre in der Schule empfehlen!

Auf Grundlage einer tollen Familiensaga hat Prange ein authentisches historisches Zeitbild geschaffen, in das eine Vielzahl von Persönlichkeiten und Gegebenheiten gut und schlüssig eingebettet wurden. Der Roman ist unterhaltsam und zugleich lehrreich, stimmt nachdenklich und ist gleichzeitig besonders im Schlussteil sehr spannend. Die kurzen Kapitel sind dabei flüssig und gut zu lesen.

Ich warte gespannt auf den zweiten Teil der Geschichte!

Gebundene Ausgabe: 672 Seiten
ISBN-13: 978-3651025561

www.fischerverlage.de

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