Reiner Boller & Christina Böhme – Lex Barker. Die Biographie

In sieben Groß- und 25 Unterkapiteln wird das Leben und Schaffen des Alexander Crichlow „Lex“ Barker jr. vor dem überwältigten Leser ausgebreitet: Diese Biografie umfasst 550 großformatige, auf bestes Kunstdruckpapier gebannte Seiten – kein Buch, das man auf dem Rücken liegend & mit dem Bauch stützend lesen sollte …

Schon Kapitel 1, das die Jahre 1919 bis 1947 erfasst, verdeutlicht eindrucksvoll die Qualität dieses Werkes: Hier wurde gründlich auch dort recherchiert, wo bisher Informationswüsten brach lagen. Lex Barker gab es schon vor seiner Zeit als „Tarzan“. Der scheinbar auf sein blendendes Aussehen zu reduzierende Schauspieler war tatsächlich ein Sohn aus bester und begüterter Familie in New York. Zwar entwickelte er sich beruflich zum schwarzen Schaf, indem er eine lange, wenig erfolgreiche Schauspielerkarriere einschlug, doch da sind auch Barkers Soldatenjahre: Dem freiwilligen Eintritt in die Armee folgten eine makellose Offizierslaufbahn mit Kriegseinsätzen in Nordafrika, Sizilien und Italien, mehrfache schwere Verwundungen und hohe Auszeichnungen für Tapferkeit vor dem (deutschen) Feind.

Ab 1945 versuchte sich der (inzwischen verheiratete) Jungschauspieler in Hollywood. Auch hier folgten schwere Anfangsjahre mit kleinsten Rollen, bis Barker 1948 als Nachfolger von Johnny Weissmueller in dessen „Tarzan“-Rolle sein Durchbruch gelang. Bis 1953 trat er als Herr des Dschungels auf, dann hatte er genug – und seinen Status überschätzt: Auch weiterhin musste Barker kleine Brötchen in B-Movies backen. Auch im Fernsehen konnte man ihn in dieser Zeit sehen (sowie in zwei neuen Ehen mit den Kolleginnen Arlene Dahl und Lana Turner).

Barker folgte dem Beispiel anderer Schauspieler, die in Hollywood nicht zum Zuge kamen, und ging nach Italien. Dort drehte er bunte Fließband-Abenteuer in „historischen“ Kulissen. Höhepunkte dieser Jahre waren beruflich der Auftritt in Federico Fellinis Meisterwerk „La Dolce Vita“ (1959) sowie privat eine (inzwischen vierte) Ehe mit Irene Labhart.

Nachdem die Welle der anspruchslosen Genre-Reißer, die Barkers italienische Jahre kennzeichnen, allmählich auszulaufen begann, folgte der Schauspieler Anfang der 1960er Jahre einem Angebot der CCC-Film nach Deutschland. Für Artur Brauner trat er in Krimis und Melodramen auf – und 1962 zum ersten Mal als Old Shatterhand in „Der Schatz im Silbersee“ nach Karl May. Barker verschmolz mit dieser Rolle und wurde zum Idol von Millionen.

Neben den Karl-May-Filmen drehte er unzählige B-Movies, vor allem Krimis und Abenteuer. Als die Karl-May-Filme in Serie gingen, ließ die Qualität rasch nach. Parallel dazu erfolgte der Niedergang des europäischen Kinos alten Stils in den späten 60er und 70er Jahren. Barker – inzwischen in fünfter Ehe verheiratet mit Maria del Carmen Cervera – musste das erneute Abflauen seiner Karriere erleben. Einem kurzen Quasi-Ruhestand in Spanien folgte der schwierige Versuch eines Neuanfangs in den USA. Anzeichen von Alter und Krankheit verdrängte Barker, bis er 1973 in New York einen Sekundentod durch Herzinfarkt starb.

Ein letztes Kapitel schildert das „Nachleben“ Lex Barkers von 1973 bis heute. Familienangehörige, Freunde und Filmkollegen erinnern sich seiner. Eine ausführliche, kommentierte Filmographie sowie ein Literaturverzeichnis schließen das Werk ab. Eine besondere Erwähnung verdienen die unzähligen Abbildungen, die den „öffentlichen“ wie den privaten Lex Barker zeigen. Viele selten oder nie gesehene Aufnahmen in bemerkenswerter Qualität blähen nicht das Buchformat auf, sondern stellen eine wertvolle Ergänzung des Textes dar.

Lex Barker? Wer war das, mögen vor allem die Jüngeren unter uns fragen. Aber auch die einstigen Fans von „Tarzan“ und „Old Shatterhand“ können sich womöglich nur noch mühsam an den Schauspieler erinnern, der diese Rollen buchstäblich verkörpert hat. Immense Mühe hat sich das Autorenduo gegeben, eine – betrachten wir es nüchtern – zweitrangige Figur der Filmgeschichte zurück ins Rampenlicht zu bringen. Die lange Liste der Barker-Filme mutet über weite Strecken wie die Exhumierung eines Zelluloid-Massengrabs an. Für den Massengeschmack und nach der aktuellen Mode wurden sie gedreht, oft eher heruntergekurbelt.

Genau das macht diese Barker-Biografie so interessant: Sie lässt uns einen Blick in eher unbekannte Bereiche der Filmgeschichte werfen. Hollywood-Glamour ist recht fern, es regiert der Alltag, in dem das Gros der Schauspieler zeitlebens agiert. Selten erfährt man etwas über diese Fließbandarbeiter der Unterhaltungsindustrie. Dabei geht es im Schattenreich der B- und C-Movies höchst interessant zu. Barkers Karriere zeichnet den Weg des Unterhaltungskinos exemplarisch nach. Hätte er länger gelebt, wäre die nächste logische Station das Fernsehen gewesen, welches hüben wie drüben des Atlantiks vielen alten Hollywood-Haudegen ein Gnadenbrot lieferte.

Der Privatmann Lex Barker ist genauso interessant wie sein Werk – ein Lebemann mit intellektuellen Ambitionen und Ehrgeiz, der nie recht zufrieden war mit seiner Laufbahn, die ihm Ruhm und Erfolg „nur“ in Europa brachte. Fünf Ehen sind eine stolze Zahl für einen Mann, der kaum älter als 50 Jahre wurde. Was genau Barker umtrieb, können auch Boller & Böhme nur ansatzweise herausarbeiten. Dabei haben sie sich ungewöhnlich (und vorbildlich) viel Mühe gegeben und akribisch bisher selten oder nie angezapfte Quellen erschlossen. Barkers Familie/n, Freunde und Kollegen haben sie befragt und viel in Erfahrung gebracht, nach dem vermutlich noch niemals gefragt wurde, denn wie gesagt: Wer war Lex Barker, was gilt er heute?

Dass dies einst ganz anders war, verdeutlichen die zahllosen Zitate aus der zeitgenössischen Presse. Für die war Lex Barker ein gefundenes Fressen und in seiner großen Zeit immer für eine Schlagzeile gut. Auch aus diesem Fundus schöpfen die Autoren, was ein etwas düsteres Licht auf ihr Werk wirft: Wer mag Barker-„Infos“ Glauben schenken, die aus Dumpfpostillen à la „Bravo“ stammen? Vertreter der „Yellow Press“ tauchen jedoch im Anmerkungsapparat in erschreckender Häufigkeit auf.

Insgesamt überwiegt bei weitem das Bild einer umfassend recherchierten Biografie, deren Umfang durch Quantität und Qualität des vorliegenden Materials bestimmt wurde. 550 Seiten: Die wäre Lex Barker vermutlich keinem der großen, auf den raschen Bestseller-Durchlauf geeichten Verlage Wert gewesen. Der Berliner |Schwarzkopf & Schwarzkopf|-Verlag, der in seinem fabelhaften Filmbuch-Programm auch die dunklen Winkel der Kinowelt ausleuchtet, hat diese freie Nische glanzvoll besetzt. Das daraus resultierende Werk hat buchstäblich seinen Preis. Den Filmfreund sollte das nicht abschrecken: Man erhält einen entsprechenden Gegenwert, wobei die außergewöhnlichen Fotos – etwa 400 s/w-Bilder, dazu eine 24-seitige Strecke mit Farbfotos – eine weitere Erwähnung verdienen.

Gebundene Ausgabe: 580 Seiten
Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
Besprochene uflage:  Juni 2003