Reiner Boller / Julian Lesser – Tarzan und Hollywood

Ein kluger Mann & sein Affenmensch

Tarzan, der Held des Urwalds, wurde gleich zweimal geboren, wie wir nach der Lektüre dieses Buches wissen. Zunächst erfolgte sein literarischer Urschrei, ausgestoßen 1912 in der Oktobernummer des Magazins „The All-Story“. Die Luft dazu verdankte er Edgar Rice Burroughs, einem eher fleißigen als fähigen Schriftsteller, der aber schlau genug war, die Möglichkeiten zu erkennen, die ihm sein Dschungelheld bot – vor allem in finanzieller Hinsicht.

So war Burroughs ganz Ohr, als sich das noch junge Hollywood bei ihm meldete. 1918 war es bereits soweit: Tarzan (alias Elmo Lincoln) tummelte sich in Pappkulissen zwischen grauenhaft schlecht maskierten ‚Affen‘-Darstellern. Das Publikum war begeistert, auch wenn es im Stummfilm nicht Tarzans markantes Röhren hören konnte.

Als der Ton die laufenden Bilder endlich einholte, dauerte es nicht allzu lange, bis dem abgeholfen wurde. Weil dies in den Metro-Goldwyn-Meyer-Studios geschah, wurde dabei an Aufwand nicht gespart. Dies war der Moment, in dem Tarzan sein (erstes) ‚Gesicht‘ bekam, das sich seinen Fans bis heute eingeprägt hat: „Tarzans klassische Abenteuer mit Johnny Weissmuller & Co.“ begannen.

Johnny zwischen dünn & dick

Dieser Johnny Weissmuller WAR nicht nur Tarzan. Er stellte auch das Bindeglied zwischen der MGM-Ära (1933-1942) und den Jahren unter der Ägide des unabhängigen Produzenten Sol Lesser (1942-1948) dar. Zwölfmal mimte Weissmuller den Affenmenschen, dann wurde er als zu alt und zu teuer ausrangiert.

Die Lebensgeschichte Johnny Weissmullers (1904-1984) nimmt die Seiten 162 bis 208 ein. Sie ergänzt die Tarzan-Biografie vortrefflich. So erfahren wir von des Schauspielers harter Jugend (Tarzan stammt – ein Nachbar Draculas – ursprünglich aus den europäischen Karpaten.) und seinem Aufstieg zum Ausnahme-Leistungssportler von Olympiaformat, dessen Leistungen Weissmuller einen vom Tarzan-Ruhm unabhängigen Platz in den Geschichtsbüchern garantieren. Die Hollywood-Jahre werden ohne verklärenden Zuckerguss geschildert; Weissmuller war ein Star auf tönernen Füßen, allein aufrechtgehalten von der Publikumsresonanz. Im Studio hatte er nie viel zu sagen aber hart zu arbeiten.

Als Weissmullers Leinwandpräsenz altersbedingt zu schwinden und sein Gewicht zu steigen begann (und er mehr Geld forderte), wurde er fallengelassen. Miese Rollen in ebensolchen Filmchen säumten seinen allmählichen Abstieg. Geschäftliches Ungeschick und ein turbulentes Privatleben (mindestens fünf Ehen; weitere werden vermutet) ließen das Weissmuller-Vermögen schwinden, Alkohol kam ins Spiel. In späteren Jahren fällte ein Schlaganfall den ehemaligen Helden und ließ ihn grausam verlöschen.

Pionier mit harten Ellenbogen

Die Sol-Lesser-Phase der Tarzan-Filme ging derweil weiter. Lex Barker ersetzte Weissmuller und wurde zum neuen Idol der Jugendvorstellungen. Als auch er meuterte, kam Gordon Scott, dann (1958) war der Zeitpunkt gekommen, an dem Produzent Lesser selbst das Handtuch warf: Tarzan ‚ging‘ nicht mehr im Kino. Dies sollte nicht von Dauer sein, aber die klassische Tarzan-Ära war damit vorbei.

Die Verfasser blenden nun von Tarzan um auf „Sol Lesser – Hollywood-Filmpionier“ und weiten den Blick auf die Filmmetropole in ihren frühen, wilden Jahren, als es tatsächlich noch Selfmademen gab, die es vom Tellerwäscher zum Millionär brachten. Sol Lesser gehört auf jeden Fall zu ihnen. Sein Sohn Julian steuert wertvolle Erinnerungen an den Vater bei, der seinen Teil beitrug, die Zelluloidstadt zu prägen.

Julian selbst stand seinem Vater schon früh zur Seite und sammelte eigene Erfahrungen im wenig glamourösen Alltag hinter der Kamera. Erfolge und Fehlschläge, Streitigkeiten mit Kollegen und Schauspielern sowie immer wieder der betont nüchterne Umgang mit der Ware Film zeichnen wiederum ein von Glitzerstars gänzlich freies Bild.

Eine ausführliche Filmografie und ein Literaturverzeichnis schließen das Werk ab, das eine Fülle selten oder niemals zuvor gesehener (schwarz-weißer) Ausschnittfotos, Promotionsaufnahmen, Plakate und privater Schnappschüsse zeigt. Präsentiert werden sie auf speziellem Bilddruckpapier, das sie außerordentlich wirkungsvoll zur Geltung bringt.

Darstellung ohne solides Gerüst

Mit gleich vier Vorworten setzt „Tarzan und Hollywood“ ein. Den berechtigten Stolz der Verfasser auf ihr Werk in allen Ehren: Eines liest sich abschreckender als das andere. Zu sagen hat niemand der um ihr Wort Gebetenen Gehaltvolles. Unfreiwillig entlarvend fällt Danton Burroughs Lobrede auf den Großvater aus, in der jede zweite Zeile von der Zufriedenheit darüber kündet, wieviel Geld Tarzan seinem Clan eingebracht hat.

„Tarzan und Hollywood“ ist eigentlich nur der halbe Titel. Auch der Untertitel zielt im Grunde am Thema vorbei. Es geht um wesentlich mehr als um „Die klassischen Tarzan-Filme von Produzent Sol Lesser“. Tatsächlich ist dieses Buch der nur mühsam zwischen zwei starken Deckeln gebändigte Versuch, das Unmögliche zu schaffen: die Rekonstruktion der Tarzan-Story und die Biografie eines Hollywood-Filmproduzenten. (Vergessen wir für den Moment, dass es eigentlich zwei Produzenten-Biografien sind; es ist kompliziert genug.)

Es gab Tarzan vor Sol & Julian Lesser, und es gab Sol & Julian Lesser vor und nach Tarzan. Alle Aspekte sollen in diesem Buch berücksichtigt werden, das vielleicht ein überzeugenderes Gliederungsgerüst bekommen hätte, stünden die die Biografien von Vater und Sohn im Mittelpunkt. Die Tarzan-Story wäre darin ein zentrales Kapitel aber nicht das inhaltliche Zentrum. Freilich würde ohne das Reizwort „Tarzan“ im Titel wohl kein Leser zu diesem Buch greifen; was die verschachtelte Kapitelabfolge verständlich macht.

Eine Lektion in Sache Gebrauchskino

Inhaltlich gibt es keinen Grund zum Maulen. Jedes Thema, dem sich die Verfasser widmen, ist penibel recherchiert. In staubigen Archiven wurde gewühlt, Sekundärliteratur gewälzt. Die wenigen noch lebenden Zeitgenossen wurden aufgespürt und befragt. Kritiken von einst zitiert (vielleicht ein wenig zu ausführlich und zahlreich) und Interpretationen von heute gegenübergestellt. Der Kontrast ist oft erstaunlich. Wir erkennen: Früher war beileibe nicht alles besser. Besonders die deutsche Filmkritik ging oft mit einem Bierernst an die Tarzan-Filme heran, der eine realistische Wertung ausschließen musste.

Denn Tarzan-Abenteuer waren Popkorn-Kino und sollten nie etwas anderes sein. Ihre Herstellungsgeschichte (und dieser Ausdruck ist hier bewusst gewählt) spiegelt das deutlich wider. Möglichst kostengünstig sollten sie sein und möglichst viel Geld einspielen. Dem wurde jeglicher Anspruch untergeordnet. (Falls dieses Wort während der Dreharbeiten überhaupt je gefallen ist.)

Nicht Geldgier trieb hier die Beteiligten, sondern schlichte Marktzwänge: „Tarzan und Hollywood“ leistet auch in der Darstellung dieses oft zugunsten der ‚Filmkunst‘ gern vernachlässigten Aspekts Vorbildliches. Julian Lesser nutzt die Gelegenheit, den Standpunkt des Produzenten zu verdeutlichen, der den Film auch und vor allem als Ware betrachtet, die gehandelt werden muss. Man mag ihm Glauben schenken oder nicht, auf jeden Fall ist es interessant, diese Sichtweise kennenzulernen: Sie ist US-amerikanisch, d. h. einfach & brutal: „Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Kinos. Jeder Produzent muss um die vorhandenen Kinos kämpfen. Hilfst du einem anderen Produzenten oder Studio, verringert sich automatisch deine eigene Chance … Jeder Produzent muss Wege finden, andere Produzenten einzuschüchtern …“ (S. 331)

An der Oberfläche geblieben

Hollywood wird also durchaus als Haifischbecken erkannt. Andererseits bleibt die Kritik ausgerechnet dort verhalten, wenn es um die porträtierten Zeitgenossen selbst geht. Verständlich ist es schon: Bollers Co-Autor ist der Sohn von Sol Lesser, was einerseits dessen Biografie mit Hintergrundwissen und rarem Fotomaterial bereichert. Auf der anderen Seite ist Lesser jr. parteiisch. Für ihn kommt der große Sol gleich hinter Gott. Dem muss sich Boller notgedrungen anschließen. Dabei gibt es mehr als genug Andeutungen dafür, dass mit Sol Lesser nicht nur geschäftlich, sondern auch privat schlecht Kirschen essen war. Julian Lesser kann sich manche bittere Erinnerung nicht verkneifen. Da blieb offenbar vieles unverarbeitet im Leben mit dem oder besser im Schatten des übermächtigen Vaters. Der Mann kam von ganz unten und legte niemals Ellenbogenschützer an.

Auch die Biografien der Tarzan-Darsteller bleiben ein wenig zu oberflächlich dort, wo es um weniger angenehme Charaktereigenschaften geht. Dies ist nicht der Ruf nach schmutziger Wäsche, sondern der Ausdruck einer durch die generelle Qualität des Textes geweckten Begehrlichkeit nach vollständiger Information. Johnny Weissmuller war Alkoholiker, das erfahren wir durch die Blume. Wieso sein Privatleben auch sonst ein Fiasko war und ob der Studio-Frust seinen Teil dazu beitrug, müssen wir uns jedoch zusammenreimen. Auch auf Lex Barkers Weste gibt es einige Flecken. Wenigstens die Tatsache als solche sollte Erwähnung finden.

Aber die Bilder! Ihre Qualität und ihre Vielfalt kann gar nicht laut genug gelobt werden. Es sind nicht die für Filmbücher von heute berüchtigten, weil typisch gewordenen grobkörnig/pixeligen, unscharf aufgeblasenen, lieblos zusammengestoppelten, tausendfach gesehenen, möglichst viel Text verdrängenden Aufnahmen! Stattdessen bilden Text und Abbildungen eine Einheit, ergänzen und erläutern einander.

Vor allem aber weckt dieses Buch den Wunsch, die hier so kundig und liebevoll vorgestellten Tarzan-Filme endlich einmal wiederzusehen. Keine Reaktion unterstreicht zu guter Letzt so gut wie diese das Vergnügen, das dieses Buch seinen Lesern bereitet!

Gebunden: 416 Seiten
http://www.schwarzkopf-verlag.net

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