James Powlik – Tod aus der Tiefe

In der Tiefsee mutiert eine Lebensform heran, die jegliches Leben grässlich beenden kann. Mutige Wissenschaftler warnen, doch feige Politiker und gierige Geschäftsleute sorgen dafür, dass sich der Unterwasser-Schrecken pandemisch ausbreiten kann … – Katastrophen-Thriller der Mittelklasse; sämtliche Klischees werden abgearbeitet, in Sachen Originalität bleibt das Garn steril: Lesefutter auch für schläfrige Augen.

Das geschieht:

In den Gewässern um Vancouver Island vor der Westküste der kanadischen Provinz British Columbia entdecken Muscheldiebe während eines nächtlichen Tauchgangs einen durchsichtigen, an eine Plastikplane erinnernden Teppich. Da er sich auf dem Rückweg zur Oberfläche durchstoßen lässt, denken sie nicht mehr an ihr Erlebnis – bis ihnen Haut und Fleisch von den Knochen schmelzen.

Jenseits der Küste kreuzt das Forschungsschiff „Exeter“. Dort wundert sich Wissenschaftler William Brock Garner: Tief unter der Meeresoberfläche ist die von ihm entwickelte „Medusa-Kugel“, eine hochentwickelte Chemo- und Biosonde, auf eine riesige Zone bar jeglichen Lebens gestoßen, was gegen alle bekannten Naturgesetze verstößt. Garner bleibt nicht die Zeit für Nachforschungen. Ihn erreicht eine dringliche Nachricht seiner Ex-Frau, der Meeresbiologin Carol Nolan: Marc Junckers, Carols Stiefbruder, ein sehr guter Freund Garners und ebenfalls Ozeanograph, ist einer mysteriösen Krankheit zum Opfer gefallen, die ihn bei lebendigem Leibe verbluten ließ.

Dr. Ellie Bridges ist eine junge Ärztin, die in der Unfallstation des Krankenhauses von Port Alberni auf Vancouver Island arbeitet. In schneller Folge sterben fünf Menschen unter bizarren Umständen auf ihrem Operationstisch. Die Krankenhausverwaltung würde Ellie gern als Sündengeiß opfern. Verzweifelt versucht sie auf eigene Faust die rätselhaften Todesfälle zu klären.

Garner und Carol warnen vor einer möglichen Vergiftung des Meeres, die auf eine bisher unbekannte Planktonart zurückgehen könnte. Doch eine Sperrung würde die Region wirtschaftlich empfindlich schädigen. Behörden und Fischer weigern sich daher, den Empfehlungen der besorgten Wissenschaftler zu folgen. Sie fühlen sich dabei im Recht, da sie Rückendeckung von einer wahren Forscherlegende erhalten: Professor Charles Harmon ist vermutlich DER Fachmann für einzellige Meeresorganismen, und er sieht zur Sorge keinerlei Anlass. Deshalb kann die Tragödie zur Freude des Lesers ihren gruseligen Gang nehmen …

Kleine Keime mit multimedialer Wirkung

Ob der frühere Wissenschafts-Journalist Richard Preston wohl ahnte, was er in Gang setzte, als er 1994 den Tatsachen-Thriller „The Hot Zone“ veröffentlichte, der in Deutschland den verheißungsvollen Untertitel „Tödliche Viren aus dem Regenwald““verpasst bekam und damit sehr schön die Richtung wies, in die die Killerkeim-Karawane fürderhin ziehen sollte? Seither ‚weiß‘ jeder Leser, was „Ebola“ bedeutet, wie moderne Seuchen entstehen und dass sie sich womöglich über die ganze Welt verbreiten können.

In der Tat begann sich die Unterhaltungsindustrie umgehend des Themas zu bemächtigen. Mit der Angst lässt sich viel Geld verdienen, denn solange diverse exotische Krankheiten nur hin und wieder ein paar Pechvögel in beruhigender Ferne platzen lassen, nimmt der mit der Gnade der Geburt in einem der reichen Industriestaaten dieser Welt gesegnete Westler neben Dracula, dem Frankenstein-Monster oder dem Werwolf gern unheimliche Viren in den Kanon liebgewonnener Gruselgestalten auf.

Nach „Hot Zone“ griffen die Killer-Viren multimedial an. Im Kino stand Wolfgang Petersens „Outbreak – Lautlose Killer“ (1995) am Beginn einer endlosen Kette meist hanebüchener Filme und TV-Serien, die den Schrecken aus dem Mikrokosmos immer wieder neu heraufbeschworen. Auf dem Buchmarkt ging es ähnlich virulent zu. Besonders mancher Wissenschaftler, der es leid war, für einen Hungerlohn Reagenzgläser zu schwenken, witterte plötzlich Morgenluft bzw. die Möglichkeit, Fachwissen in klingende Münze umzuwandeln.

Drehbuch zur viralen Apokalypse

Es ist ja offensichtlich leicht: An irgendeinem „Lost Point“ der Erde – in einer tiefen Höhle, hoch in den Lüften oder eben unter der Meeresoberfläche – dämmert seit grauer Vorzeit ein (womöglich noch per Meteorit aus dem Weltall angereister) Virus vor sich hin. Dann kommen – meist aus dem Ausland – dumme Menschen, die ausgerechnet an genau dieser Stelle eine Raketenstation, einen Supermarkt oder sonst etwas Nützliches errichten möchten, stören den Virus und erleben ihr blaues (bzw. meist blutrot-eitergelbes) Wunder.

Wackere Wissenschaftler finden heraus, was geschehen ist, und warnen, aber böse Politiker/Wirtschaftsmagnaten/Militärs werfen ihnen eigennützig Knüppel zwischen die Beine und bringen brave Bürger, Kinder und junge Hunde in Gefahr, bis ihnen das Handwerk gelegt werden kann; meist beschert das Virus den Schurken noch spektakulär ein Ende, das sie verdienen, bevor es sich in Wohlgefallen auflöst.

Auch James Powlik, den spärlichen biographischen Angaben auf dem Vorsatzblatt zufolge bisher Meeresbiologe, möchte sich offensichtlich ein paar Dollar nebenbei verdienen. Das oben skizzierte Drehbuch übernimmt er eins zu eins und polstert es mit ozeanographischem Fachwissen auf. Damit übertreibt er es ein bisschen, aber es klingt immer sehr überzeugend, was er über das Meer zu sagen hat. Im Positiven wie im Negativen macht sich die Sorgfalt des Schriftsteller-Debütanten bemerkbar, der eine gute Idee hat, bei ihrer Umsetzung aber noch ein wenig ungelenk ist. Dennoch hält sich Powlik gut über Wasser. Vielleicht ist es seine offene Art, eine einfache Geschichte wahrlich nicht neu, aber größtenteils unterhaltsam zu erzählen, die den Kritiker friedlich stimmt. Auf diesem Niveau – aber nur auf diesem! – kann Powlik überzeugen.

Helden, Schurken, Monsterfutter

Die Rollen in seinem Spiel hat er klar definiert. So finden wir u. a. den vom Leben gezausten, aber unwiderstehlichen Helden, seinen trinkfesten, ihm fast ebenbürtigen besten Freund, die schöne, trotzdem kluge und beinahe gleichberechtigte Heldin, den schmierigen, korrupten, zu jeder ökologischen Schandtat bereiten Geschäftsmann, den verknöcherten Gelehrten, der nicht begreifen will, dass seine Zeit vorbei ist, und als Statisten allerlei bärbeißige Fischer, dämliche Touristen und unterdrückte Indianer, denen Manitu natürlich längst geflüstert hat, was im Wasser umgeht, nur dass er sich leider sehr unbestimmt ausdrückt und letztlich auch keine Hilfe darstellt … Nicht ganz ins Raster passt die tapfere Ärztin, die als „love interest“ wie als wissenschaftliche Handlangerin des Helden eigentlich überflüssig ist, werden beiden Funktionen doch von der Heldin gut ausgefüllt.

Seinem Monster hat sich Powlik natürlich mit besonderer Hingabe gewidmet – und das ist auch gut so. Auf die Idee, die Welt von Killer-Plankton heimsuchen zu lassen, kann wahrscheinlich nur ein Meeresforscher kommen. Erfreulicherweise klingt sie aber bescheuerter, als sie umgesetzt wurde. Sensationell neu ist dieser „Tod aus der Tiefe“ natürlich trotzdem nicht.

Der SF- und Horrorfreund erinnert sich sogleich an den guten alten Blob, der schon 1958 zum ersten Mal als Säure verspritzender Wackelpudding aus dem All die nordamerikanische Provinz heimsuchte. Liebevoll verwandelt Powlik mit seiner Hilfe eine lange Reihe unwichtiger Statisten (s. o.) in blutiges Mus und spart dabei – selbstverständlich unter strenger Wahrung der wissenschaftlichen Fakten! – nicht mit Details.

Der leidige Drang zur Predigt

Leider, leider kann sich Powlik nicht vom Cousteau-Effekt freimachen: Gar furchtbar vergeht sich der Mensch an Mutter Natur über und unter Wasser. Andererseits hasst er es, sich unter die Nase reiben zu lassen, welches Schwein er ist. So mischen diejenigen, die wissen, wie diese Welt allmählich vor die Hunde geht, in ihren Hiobsbotschaften Fakten mit Fun und hoffen, dass wenigstens ein paar ökologische Weisheiten in Otto Normalverbrauchers dschungelcampverkleistertes Kleinhirn durchsickern.

Auch Powlik möchte diese Gelegenheit beim Schopf ergreifen und merkt nicht, wie er ins Predigen verfällt, statt seine Geschichte zu erzählen. Solche Passagen erkennt man daran, dass sie sich bei der Lektüre problemlos überspringen lassen, ohne die Handlung dadurch ins Stocken geraten zu lassen. Den Unterhaltungswert dieses Buches als ideale Lektüre z. B. für einen Urlaubstag am Strand (den man dann allerdings wohl nicht mehr in Richtung Wasser verlassen dürfte …) mindert dies aber nicht.

P. S.: Selbstverständlich kehren Brock & Co. zurück: In „Meltdown“ durchqueren sie die polaren Nordens Kanadas auf der Suche nach illegal gelagerten und leider undicht gewordenen Fässern mit radioaktivem Abfall. Wieder gibt es einige eindrucksvolle Krankheitsbilder – der Titel deutet es bereits an – und viel Technobabble vor vorzüglich geschilderten Landschaftskulissen, aber ansonsten bleibt Powlik beim bewährten Schema und erzählt „Tod aus der Tiefe“ einfach noch einmal. Anschließend gelang es ihm offenbar doch, eine feste Stelle zu ergattern; als Schriftsteller ist Powlik jedenfalls seit 2000 nicht mehr aktiv geworden.

Taschenbuch: 511 Seiten
Originaltitel: Sea Change (New York : Raggedtooth Productions, Inc./Delacorte Press 1999)
Übersetzung: Heinz Zwack
http://www.ullsteinbuchverlage.de

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