Roald Dahl – Sophiechen und der Riese (The BFG)

Classic Fantasy: Ein Borstenbuckler für den Fleischfetzenfresser

Und dann war er da! Acht Meter groß. Seinen schwarzen Umhang trug er so elegant wie ein vornehmer Herr. Die dünne Trompete hatte er immer noch in der Hand. Die Zofe kreischte. Die Königin seufzte. Und Sophiechen winkte. (Verlagsinfo)

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, illustriert von Sir Quentin Drake.

Der Autor

Roald Dahl wurde am 13. September 1916 in Llandaff bei Cardiff in Wales als Sohn norwegischer Eltern geboren. Sein Vater war Schiffsausrüster. Der 1916 geborene Dahl schrieb sich schon als Achtjähriger im Tagebuch seinen Schulfrust von der Seele. Nach dem Besuch der Public School Repton absolvierte Dahl eine kaufmännische Lehre bei der Shell Oil Company in London, die ihn 1936 nach Tanganjika schickte. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meldete er sich freiwillig und wurde Pilot der Royal Air Force. Im Alter von 23 Jahren flog er als Pilot Kriegseinsätze und wurde über der Libyschen Wüste abgeschossen. Mit einem Bericht über diesen Absturz begann seine Schriftstellerkarriere.

Nach einer schweren Verwundung wurde er bis Kriegsende als stellvertretender Luftwaffenattaché an die britische Botschaft in Washington versetzt. Anschließend lebte Dahl abwechselnd in den USA und in England als Drehbuchautor, Publizist und freier Schriftsteller. Roald Dahl starb am 21. November 1990 in der Nähe von London.

Als Vater von fünf Kindern wusste Roald Dahl sehr genau, was kleine Leser fasziniert – und wurde als Kinderbuchautor weltbekannt. Er baute seine Kindheit in die Geschichten ein, ersann skurrile Dinge wie fliegende Pfirsiche. In „Charlie und die Schokoladenfabrik“ erinnert er sich an Cadburys, in der Nähe seiner Schule gelegen. Mit der Figur der Großmutter in „Hexen hexen“ setzte er seiner aus Norwegen stammenden Mutter und ihren Trollgeschichten ein Denkmal.

Handlung

Sophiechen lebt im Waisenhaus in London, umgeben von anderen Waisenkindern und sehr strengen Betreuerinnen. Es ist eine Vollmondnacht, als die Achtjährige die riesige dunkle Gestalt entdeckt, die, in einen schwarzen Umhang gehüllt, von Haus zu Haus huscht. Zuerst hat sie Angst, aber etwas an dem Gebaren des Riesen macht sie neugierig. Sie entdeckt, dass er mit einem trompetenähnlichen Ding etwas in das Zimmer von Schlafenden pustet. Was kann das bloß sein, fragt sie sich – da wird sie auch schon entdeckt.

Entführt

Der Riese packt sie aus dem Zimmer und steckt sie in einen Beutel. Mit Riesenschritten eilt er zu seinem Zuhause, das sich in einer geräumigen Höhle befindet, deren Zugang mit einem großen Felsen blockiert ist. Sophiechen bekommt schreckliche Angst, dass er sie jetzt bei lebendigem Leib verspeisen werde. Aber er beruhigt sie, dass er so etwas Schreckliches nie tun würde – ganz im Gegensatz zu den anderen Riesen, die hier in Riesenland leben. Sophiechen begreift, dass ihr Entführer ein guter Riese ist und nennt ihn fortan GuRie (oder „BFG“ im Original). Dass die anderen Riesen aber Kinder fressen und dafür allnächtliche Expeditionen unternehmen, findet sie gar nicht gut.

Traumbringer

Dann fragt sie ihn nach seiner seltsamen Tätigkeit, bei der sie ihn erwischt hatte. Er erzählt ihr, dass er mit seinen riesigen Ohren viele Laute und Geräusche erlauschen könne, die für Menschenohren unhörbar seien: Käferbrummen, Mäuserascheln und vieles mehr. Aber was hat er da in seinen Millionen von Einmachgläsern, die in den Regalen an den Wänden stehen, will das Mädchen wissen. Es sind Träume, vertraut er ihr an. Unglaublich! Es gibt natürlich gute und schlechte Träume, und alle hätten ihre jeweils eigene Farbe. Und es seien diese Träume, die er mit der „Trompete“ in die Köpfe seiner „Klienten“ blase. Ach so, alles klar. Aber woher bekommt er diese Träume? Träumt er sie selbst, will Sophiechen wissen. Keineswegs, antwortet er. Als nächstes zeigt er ihr, woher er die Träume habe.

Schabernack vom Riesenpack

Dafür ist eine kleine Führung ins Traumland nötig. Nachdem der GuRie einen der Menschenfresser-Riesen überlistet hat, packt er die mit heiler Haut davongekommene Sophie in seine Westentasche, holt seine Trompete, etliche Einmachgläser und bricht auf. Dafür muss er aber das Lager der doppelt so großen Menschenfresser-Riesen umgehen. Deren Anführer entdeckt ihn und schneidet ihm den Weg ab. Nachdem er seinen Spaß mit dem GuRie gehabt hat, trollt er sich wieder, und weiter geht die Reise.

Traumland

Auf einer sehrt feuchten, nebligen Bergwiese macht der GuRie endlich halt, Sophiechen kann fast nichts erkennen, so neblig ist es. Aber der GuRie holt einfach sein Schmetterlingsnetz heraus und öffnet seine Einmachgläser. Alles fertig. Er kann die Träume schweben hören, dann fängt er sie mit dem Schmetterlingsnetz ein und stopft seinen Fang in eines der Gläser. Die bringt ihm Sophiechen eins nach dem anderen, und er verschraubt jedes fest. Ganz besonders den letzten Traum, denn der ist ein widerwärtiger Borstenbuckler, der jedem Leberwesen Albträume verursachen würde. Der Albtraum leuchtet dunkelrot wie die Hölle. Was für ein Fang! Da kommt dem GuRie eine exzellente Idee!

Ein Borstenbuckler für den Fleischfetzenfresser

Mit seiner Trompete bläst er dem schlafenden und schnarchenden Fleischfetzenfresser den Borstenbuckler direkt in den Verstand. Schon bald machen sich grauenhafte Laute des Grausens aus dem Maul des Oberriesen hinaus in die Welt, und Sophiechen in ihrem Westentaschenversteck schaudert es. Der Oberriese wirft sich von Albträumen geplagt hin und her, aber dabei stört er die anderen Riesen aus dem Schlaf auf. Um sich für die Knüffe und Püffe zu revanchieren, verhauen sie ihrerseits den Oberriesen, der wiederum zurückschlagt. Im Handumdrehen ist die schönste Prügelei im Gange.

Heimlich, still und leise schleichen sich der GuRie und Sophiechen an den prügelnden Riesen vorbei in seine Höhle und verschließen sie. Es gibt vieles zu besprechen, und angesichts der tausenden von Träumen fällt Sophiechen ein nahezu genialer Plan ein, um die Kinder fressenden Riesen loszuwerden. Denn die werden auch diese Nacht wieder losziehen, um sich Kinderchen einzuverleiben. Sie und der GuRie müssen die Queen persönlich für ihren Plan gewinnen. Sophiechen ist sicher, dass die Queen ihrem Volk Schutz vor den Riesen gewähren wird. Aber gilt dieser Schutz auch für gute Riesen?

Mein Eindruck

Nach eigener Auskunft brauchte der Autor sehr lange und geschlagene 600 Seiten, um diesen Roman fertigstellen. Seinen Lektoren in GB und USA schrieb er, er sei ausgelaugt. Umso froher war er, als der junge Lektor sich die Mühe machte, das Manuskript ganz genau durchzulesen und seitenweise Verbesserungsvorschläge zu machen. Der Autor übernahm sie fast alle, besonders die Sache mit den Segelohren des GuRie.

Aber als der britische Lektor nur zwölf Illustrationen genehmigen wollte, ging der Autor auf die Barrikaden: Quentin Blakes Illustrationen sollten so häufig wie möglich auftauchen. Glücklicherweise setzte er sich durch, und so ist aus dem BFG-Buch zugleich ein Bilderbuch geworden, das jedes Kind versteht. 1989 kam der erste Zeichentrickfilm heraus, und 2016 folgte Steven Spielbergs noch besser gelungener Real- & CGI-Film.

Der Autor hat das Buch seiner mit sieben Jahren verstorbenen Tochter Olivia gewidmet. Ähnlich wie in „Matilda“ kommt mit Sophie eine starke Mädchenfigur vor, die zunächst von den menschenfressenden Riesen bedroht wird – was der Leser erst im Nachhinein realisiert – dann aber von dem Traumbringer-Riesen gerettet wird. Die Begegnung mit dem armen, ungebildeten Riesen stößt ihre seelische Entwicklung an und sie wird richtig mutig. Dankbar für ihre Rettung spottet sie nicht über die Ungebildetheit des GuRie, sondern schmiedet Pläne, um ihm zu besserer Bildung zu verhelfen.

Denn dass der GuRie das Herz auf dem rechten Fleck hat, verdeutlicht schon die Tatsache, dass er dass in erster Linie schöne Träume einfängt und sie den guten Kindern ins Ohr pustet. Die Beobachtung, dass der GuRie nur halb so groß ist wie die bösen Riesen, signalisiert den gewaltigen Unterschied zwischen den beiden Sorten von Mega-Monstern. Mit Erstaunen verfolgt Sophie, wie großen Riesen den „kleinen“ Riesen unterbuttern und niedermachen. Im Unterschied zu ihnen muss er Kotzgurken essen statt leckerer „Leberwesen“. Dafür verfügt er aber über Blubberwasser, das ihm zu gewaltigen Fürzen verhilft. (Im Spielberg-Film bilden Kotzgurken und Blubberwasser ein durchgehendes Thema, das den kindlichen Zuschauern viel Freude bereiten dürfte.)

Gobblefunk

Nun aber zu der großartigsten Erfindung des BFG-Schöpfers: Gobblefunk.

In „The BFG“ trieb Roald Dahl seinen sprachlichen Erfindungsreichtum auf die Spitze. Sein Opfer war der arme BFG, der keine Schule besucht hatte und nie gelernt hatte, sich fehlerfrei auszudrücken. Er erklärt Sophiechen seine Schwäche:

„Die Wörter sind für mich immer eine kitzlige Sache. Deswegen musst du Geduld haben mit mir und nicht an mir herumverbessern. Ich hab dir ja schon vorhin gesagt, ich weiß genau, was ich sagen will, aber irgendwie gehen bei mir manchmal die Wörter durcheinander.“

Das Wort Gobblefunk taucht in „The BFG“ zum ersten Mal auf, als der Riese Sophiechen erklärt, welche „Geschmäcker“ von Menschenopfern die bösen Riesen bevorzugen. Sophiechen kann es nicht lassen, ihn zu korrigieren, worauf der Riese kontert: „Don’t gobblefunk around with words!“. Obwohl der Riese eigentlich damit Sophiechens „Wortgebrabbel“ bezeichnet, wird das Wort heute verwendet, um sein ulkiges Kauderwelsch zu bezeichnen. (Wikipedia.de)

Das Vokabular

Wenn der Leser das Buch aufschlägt, wird er als Erstes mit den grausigen Fantasienamen der bösen Riesen konfrontiert. Sie setzen sich aus zwei Wörtern zusammen. Eines bezeichnet meist eine brutale Aktion, zum Beispiel „Würger“ oder „Kauer“, das andere Wort gibt das Objekt des grausamen Geschehens an, zum Beispiel „Fleischfetzen“ oder „Blut“. So ergeben sich Namen wie „Fleischfetzenfresser“ und „Kinderkauer“.

In den Dialogen des guten Riesen, vor allem mit Sophiechen, aber auch mit der Königin, ihren Bediensteten und Militärs, zieht Roald Dahl alle Register seiner Sprachschöpferkunst. Hier eine kleine Auswahl (aus der Wikipedia.de: eine Tabelle):

Kategorie Beispiele englisch Beispiel deutsch (bzw. deutsche Übersetzung)

Worterfindungen

trogglehumper (Albtraum) Borstenbuckler
snozzcumbers Kotzgurken
whizzpoppers Furzelbäume
chiddler Kind

Versprecher

human beans statt human beings Leberwesen statt Lebewesen
elefunt statt elephant Edelfant statt Elefant
Your Majester statt Your Majesty Ihre Majonnäse statt Ihre Majestät
your humbug servant statt your humble servant Ihr verlorsamster Diener statt Ihr gehorsamster Diener

scrambled dregs statt scrambled eggs gemixter Abschaum statt Rührei

Falsche Redensarten

to twiddle someone’s leg statt to pull someone’s leg jemanden auf den Arm nehmen
two rights is not making a left statt two wrongs don’t make a right doppelt falsch und doch nicht richtig

Buchstabenvertauschung

jipping and skumping statt skipping and jumping hüpfen und springen
catasterous disastrophe statt disastrous catastrophe desaströse Katastrophe

Verballhornungen:

bellypopper statt helicopter Pups-Räuber statt Hubschrauber

Kofferwörter:

delumptious aus delicious und scrumptious köstlich und lecker

Gleichanlautende Wörter:

fast as a fizzlecrump fix wie eine Flitzbombe

Falsche Endungen

hippodumplings statt hippopotamuses: Flusspferde
crockadowndillies statt crocodiles: Krokodile
babblement statt babble: Geschwätz

Eines seiner hübschesten Wortspiele gelang Roald Dahl mit dem Namen von Charles Dickens, einem seiner Lieblingsschriftsteller. Sophiechen fragte einst den Riesen, der nie eine Schule besucht hatte, wie er das Schreiben erlernt habe. Der Riese erklärte ihr, er habe hunderte Male „Dahl’s Chickens’“ Roman „Nicholas Nickleby“ gelesen und sich so als Autodidakt seine Kenntnisse erworben.

Einige „dahleske“ Wörter wurden 2016 zu Roald Dahls 100. Geburtstag in den „Olymp“ des Oxford English Dictionary erhoben. Im gleichen Jahr erschien der „Oxford Roald Dahl Dictionary“, ein Spezialwörterbuch über das Dahlsche Sprachuniversum. (Wikipedia.de)

Die Übersetzung

S. 28: „Du redest Quatsch und, Quark.“ Das Komma ist überflüssig.

S. 87: „Allah karrte Essen.“ Kein Fehler, sondern die Übersetzung des GuRie für „à la carte essen“. Das nur als Beispiel für die einfallsreiche Übersetzung.

Unterm Strich

Dieses wunderbar einfallreiche und witzige Kinderbuch ist mit jeder Seite Gold wert. Das entführte – in Wahrheit gerettete – Mädchen erfährt in den Armen des GuRie eine Liebe und Zuneigung, die ihr zu einer inneren Stärke verhilft. Der BFG ist keine autoritäre Vaterfigur, gewährt aber Schutz. Sophie geht mit ihm eine Art Solidargemeinschaft ein, denn sie müssen sich beide gegen die menschenfressenden Riesen durchsetzen. Das hilft ihnen nur begrenzt. Um zu siegen, wenden sie sich an die mächtigste Person im ganzen Land, die Queen, und geben ihr einen sehr guten Grund, ihnen gegen die bösen Riesen zu helfen.

Die Befehlshaber der Luft- und Landstreitkräfte, die die Queen anfordert, sind leider Pfeifen und Feiglinge. Offenbar ist der Autor kein Freund des Militärs. Es bedarf des Mutes der gemeinen Soldaten, um es mit den Menschenfresserriesen aufnehmen zu können: Die sind ja immerhin 16 Meter hoch! Alles findet ein gutes Ende. Doch das Ende, das Spielbergs Verfilmung umsetzt, hat mir noch viel besser gefallen.

Der Film

Überhaupt stellt „The BFG“ eine phantasievollere Umsetzung von Dahls Buch dar und ist uneingeschränkt zu empfehlen. Auch wegen der erweiterten Rolle des Blubberwassers bei Hofe. Die Szenen sind noch witziger und drastischer als im Buch. Gut möglich, dass dem Regisseur die ungekürzte Manuskriptversion (600 statt 245 Seiten) vorlag. Und dass Gobblefunk unsterblich ist, versteht sich von selbst.

Taschenbuch: 245 Seiten
O-Titel: The BFG, 1982;
aus dem Englischen von Adam Quidam, d.i. Hermann Gieselbusch.
ISBN-13: 9783499205828

www.rowohlt.de

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