Su Turhan – Kruzitürken. Ein neuer Fall für Kommissar Pascha

Ein Mann torkelt schwer verwundet, doch von der auf sich selbst konzentrierten Einwohnerschaft Münchens unbemerkt, mitten im Szeneviertel Schwabing seinem Tod entgegen. Damit wird es in Su Turhans drittem deutsch-türkischen Krimi schon auf der ersten Seite vielversprechend spannend und blutig. Außerdem macht eine Bauchtanzshow während ihrer internationalen Tournee in München Halt und verspricht interessante Einblicke in die türkische Kultur. Doch Kommissar Zeki Demirbilek, besser bekannt unter dem Namen Kommissar Pascha, ist vom Ausschlachten seines türkischen Erbes durch solche Shows oder gar durch Tänzerinnen europäischer Herkunft wenig begeistert. Daher hat er auch nicht vor, seinen Sohn, der bei der Show als Gastmusiker auftritt, zu hören. Der gewaltsame Tod zweier Tänzerinnen führt ihn schließlich trotzdem ins Theater und damit befindet er sich sofort mitten drin in einem Geflecht aus Lügen, Leidenschaft, dem Spiel mit der Sexualität, Drogen und natürlich der Aufklärung dieser verzwickten Morde.

Doch Demirbilek kämpft in den 82 kurzen Kapiteln von „Kruzitürken“ nicht nur an der beruflichen Front mit der Aufklärung von Kriminalfällen, sowie dem Kompetenzgerangel im Revier und der Angst um die Auflösung seiner „Sondereinheit Migration“, sondern auch seine Familienprobleme machen ihm wie in den zwei Vorgängerbänden „Kommissar Pascha“ (2013) und „Bierleichen“ (2014) schwer zu schaffen. Seine Kollegin und zugleich Schwiegertochter geht mit seinem ersten Enkelkind schwanger, was für alle ein Grund zur Freude sein sollte, doch hängt der Haussegen zwischen ihr und seinem Sohn mächtig schief, denn hier reibt sich einmal mehr die westliche Selbstverständlichkeit der Selbstbestimmung der Frau an dem türkischen Beschützerinstinkt, sowie der Vorstellung von einer patriarchalischen Familienstruktur. So muss Kommissar Pascha hilflos zusehen, wie er scheinbar nicht nur als Ehemann, sondern nun ebenfalls in seiner traditionellen Vaterrolle versagt. Die Trennung von seiner Ehefrau hat er immer noch nicht verwunden und klammert sich trotz der Aussicht auf eine neue Liebe hartnäckig an den Wunsch, seine Ex-Frau in Istanbul zurückzuerobern, um solchermaßen die Familie zusammenhalten zu können.

Dieses vielfältige Beziehungsgeflecht innerhalb der Familie aber auch unter den Arbeitskollegen gibt dem Roman trotz der kriminalistischen Haupt- und Nebenhandlungen eine witzige und menschliche Komponente. Die Spannung resultiert im Roman vor allem aus dem Versteckspiel der Verdächtigen mit Falschaussagen und jeder Menge Fährten, die scheinbar ins Leere laufen, bis sich am Ende doch alles zusammenfügt und die Morde aufgeklärt werden. Dabei schwebt auch Kommissar Pascha einmal mehr in Lebensgefahr, als ihn eine Drogenspur wie auch in den ersten Bänden der Serie nach Istanbul führt, das wohl Demirbileks heimliche Heimat des Herzens bleiben wird, auch wenn er sich in München wohl fühlt.

Eine interessante Lesart des Romans eröffnet sich aus interkultureller und sexueller Sicht. In „Kruzitürken“ – von Zekis Chef zweimal als doppeldeutiger Fluch benutzt – werden verschiedene Spielarten der Sexualität angesprochen. Bereits der orientalische Tanz wird mit seiner erotischen Komponente wie die orientalisch angehauchte Möblierung der Wohnung einer Zeugin kritisch weniger als türkisch denn vielmehr als eine individuelle Version des Orients charakterisiert. Ganz klar wird die türkische Tradition dieses ausdrucksstarken Tanzes, der erhebliche Körperbeherrschung und Disziplin verlangt, von den deutschen Frauen im Roman benutzt, um dem anderen oder auch dem gleichen Geschlecht den Kopf zu verdrehen. Hier fehlt jedoch ein wenig die Ausgewogenheit der Darstellung, denn orientalischer Tanz erfreut sich auch aus anderen Gründen wie z. B. dem Spaß an der Bewegung zu Musik oder dem Training der spezifisch weiblichen Muskulatur an Beliebtheit.

Sexuelle Beziehungen sind jedoch im Roman wenig traditionell. Verschiedene Konstellationen werden, abgesehen natürlich vom sexuellen Missbrauch Minderjähriger, ganz selbstverständlich dargestellt, auch wenn sie selten glücklich enden. Doch da selbst die Beziehung, die der traditionellen Vorstellung von Familie an nächsten kommt, am Ende zerbricht, lässt der Roman den Leser mit dem Gefühl zurück, dass nicht nur die deutschen Türken ihre Traditionen loslassen und sich den Gegebenheiten der Zeit anpassen müssen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass „Kruzitürken“ der bisher beste Roman der „Kommissar Pascha“-Reihe ist, da er auf allen Ebenen dicht gewebt und damit immer wieder überraschend ist und, weil der Autor interkulturelle Probleme dieses Mal nicht wie im vorhergehenden Roman „Bierleichen“ auf dem Silbertablett präsentiert, sondern eher subtil einflicht. Es scheint, der türkisch-deutsche Schriftsteller und Regisseur Su Turhan („Ayla“, 2010) habe sich jetzt eingeschrieben. Daher darf man sich auf den im Nachwort angekündigten vierten Band freuen, in dem der Schriftsteller seinen im Privatleben im Moment sehr gebeutelten Kommissar hoffentlich etwas mitfühlender behandelt, denn – ehrlich – der Arme hat auch mal einen Lichtblick verdient.

Taschenbuch
336 Seiten
ISBN: 978-3426515327

www.droemer-knaur.de

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