Suzy McKee Charnas – Der Vampir-Baldachin

Ein charmanter Vampir wie du und ich

Dr. Weyland soll ein Vampir sein, der seit langer Zeit unter den Menschen gelebt hat? Die Psychotherapeutin kann es nicht glauben. Doch als er seine – umfangreiche und merkwürdige – Lebensgeschichte erzählt, beginnt sie seinem Charme zu verfallen…

„The Vampire Tapestry“ gilt als einer der besten Vampir-Romane überhaupt. Er wurde für den Nebula Award nominiert, und der dritte Teil des Romans, mit dem Titel „Der Einhorn-Gobelin“, gewann diesen Preis auch 1981.

Die Autorin

Suzy McKee Charnas (* 22. Oktober 1939 in New York City) ist eine US-amerikanische Science-Fiction-, Horror- und Fantasy-Autorin. Sie hatte sich vor der Veröffentlichung dieses Buches bereits als feministische Science-Fiction-Autorin einen Namen gemacht: mit einem feministischen Zyklus.

1) „Walk to the end of the world“ (1974, dt. als „Tochter der Apokalypse“ bei Knaur)
2) „Motherlines“ (dt. als „Alldera und die Amazonen“ ebenfalls bei Knaur).
3) „The Furies“ (1994 )
4) „The conqueror’s child“ (1999)

Ihr Debütroman „Walk to the End of the World“ erschien 1974. Es ist der erste Band einer inzwischen vier Bände umfassenden Romanserie, der Holdfast Chronicles, die in einer postapokalyptischen Welt angesiedelt sind. Holdfast ist eine nach der Katastrophe der „Verwüstung“ (Wasting) entstandenen Gemeinschaft, in der homosexuelle Männer über versklavte Frauen herrschen, denen die Schuld am Zusammenbruch der Zivilisation zugeschrieben wird.

Die Protagonistin entkommt im zweiten Band „Motherlines“ dieser Knechtschaft und findet eine andere Kultur, geprägt von geklonten Frauen, die auf dem Rücken ihrer Pferde ein freies und sorgloses Leben führen. Der dritte Band „The Furies“ behandelt den Konflikt der beiden Kulturen, der mit der Eroberung von Holdfast zwar vorerst beendet, aber nicht gelöst ist. Eine mögliche Lösung deutet sich dann im vierten Band „The Conqueror’s Child“ an, für den McKee Charnas 1999 mit dem James Tiptree, Jr. Award ausgezeichnet wurde.

Neben den Holdfast-Romanen schrieb sie noch „Sorcery Hall“, eine Fantasy-Romantrilogie für Jugendliche, mehrere zum Subgenre der Vampirgeschichte gehörige Romane und Erzählungen sowie ein Drama, und eine Reihe von Kurzgeschichten, die auch in mehreren Sammelbänden erschienen.

Außerdem war sie mehrfach Instruktorin bei den Clarion Writers Workshops für angehende Science-Fiction-Autoren (1984–2004) und bei der Taos Writers School (1993–1996). (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Der Roman besteht aus fünf miteinander verknüpften Erzählungen, in denen ein Vampir unserer Tage sein Unwesen treibt. Er nennt sich Dr. Edward Weyland, Ph.D., und ist ein brillanter Anthropologe meistens. Und charmant ist noch dazu, besonders zu den Damen. Aber das muss er auch sein, wenn er seinen ungeheuren Hunger stillen will an den makellosen Hälsen schöner Frauen.

Denn Dr. Weyland ist ein Vampir, der mitten in der hektischen, komplexen Welt des modernen Amerika lebt, also ein Mensch wie du und ich. Immer wieder muss er sich schnell verändernden Situationen anpassen, wenn er weiterhin erfolgreich auf die Jagd gehen will, denn eigentlich ist das schnelllebige 20. Jahrhundert nicht die unbedingt ideale Zeitepoche für einen Vampir. Zu viele Gefahren, auch psychologische, lauern auf ihn.

Und daher muss Dr. Weyland häufig seinen Standort wechseln. Von den Hörsälen der Universität über die Ritualmessen der New Yorker Okkultisten bis hin zu dem bunten Treiben an der Oper von Santa Fé führen ihn seine Beutezüge, bis das unersättliche Raubtier selbst zum Gejagten wird.

Gefahr auf zwei Beinen

Dr. Weyland lernt eine Psychotherapeutin kennen, die sich natürlich zunächst strikt weigert, die Wahrheit über sein langes Leben anzuerkennen, hält ihn vielmehr für das Opfer einer Psychose und macht sich daran, ihn zu ‚heilen‘. Mit der Zeit jedoch muss sie ihn als Vampir anerkennen, als ein Fremdwesen, einen unsterblichen Einzelgänger, der für immer vor den Verfolgern fliehen muss.

Dabei ist Weyland äußerst bescheiden: Er verlangt von den Menschen nichts außer ihrem Blut. Doch seine Achtung vor der bemerkenswerten Psychotherapeutin und Frau wächst, und er ist in der Lage, ihre Liebe zu erwidern. Ihre Romanze ist nur kurz, denn um in dieser Welt überleben zu können, muss er eine neue Identität annehmen und verschwinden.

Mein Eindruck

Meistens sehen wir Dr. Weyland durch die Augen anderer, und es ist Charnas‘ bemerkenswerte Leistung, einen Vampirroman geschrieben zu haben, der mehr an der Vielfalt der Reaktionen anderer Menschen auf das Monster interessiert ist als an diesem selbst. Charnas erzählt in einer sparsamen, kantigen Weise, doch nicht ohne Humor.

Deshalb ist dies ein weitaus literarischeres, kultivierteres Buch als spätere Werke über Vampire, etwa Kings „Salem’s Lot“ (Brennen muss Salem) oder Anne Rices verfilmter Roman „Interview mit einem Vampir“. Zugleich ist „der Vampir-Baldachin“ (ein „tapestry“ ist eigentlich ein Gobelin/Wandteppich, kein Baldachin) ein packendes und romantisches Lesevergnügen.

Hier gibt es keinen okkulten Hollywood-Schnickschnack wie etwa Knoblauch, Kreuze und Eichenpfähle, wohl aber einen pompösen, lächerlichen Van Helsing. Dem gegenüber erscheint der Vampir als ein romantischer, realistischer Außenseiter, der die Vernunft und die bessere Moral auf seiner Seite hat. Charnas, geboren 1939, kommt das Verdienst zu, den Vampirroman von den Horrorfilm-Klischees entstaubt zu haben. Ihre Kollegin Rice dagegen, eher versiert im Erotik-Genre, glorifiziert die Vampire wieder.

„Der Vampir-Baldachin“ ist ein schönes Buch, das es lohnt, wiederentdeckt zu werden. Vielleicht wird es ja noch von Netflix & Co. in eine angemessen spannende TV-Serie umgesetzt.

Taschenbuch: 335 Seiten
Originaltitel: The vampire tapestry, 1980;
Aus dem Englischen von Thomas Ziegler;
ISBN-13: 9783426057766

www.knaur.de

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