E.-E., Marc-Alastor – Maliziöse Märchen

|Wenn ein klassischer Traum an einer Zaunpassage steht und mit braunem Blatt beantwortet wird, wenn die Erinnerung jemanden in die Verfremdung schiebt, oder wenn die Noten verhohlen über jemanden zu sprechen scheinen, wenn ein Widergänger wieder zu gehen versucht, eine Melancholistin einen Kobold namens Freudlos trifft, einem Prediger von allen Predigern gepredigt wird oder wenn einem venezianischem Glasbläser nur noch die Liebe zu einem gläsernen Ebenbild verbleibt, dann ist Dunkles am Werk gewesen, dann ist die Moral eher eine arge Entstellung ihrer Selbst und, würde der Teufel lesen, so wären ihm diese Märchen gerade recht …|

_Inhalt_

1. Braune Blätter und eine Zaunpassage
2. Erinnerungsschub
3. Das Notengespräch
4. Der Widergänger
5. Die Melancholistin und ein Kobold namens Freudlos
6. Prediger
7. Der Glasbläser

_Erinnerungen, Kopfkino und verbale Melancholie – ein Buch, dessen Texte in das Innerste des Lesers dringt._

Marc-Alastor E.-E. schrieb mir einmal: „Jedes Buch hat seine Zeit!“, und ich kann dem nur zustimmen. Sowohl, es zu schreiben, als auch, es zu lesen! Ich hatte mit Letzterem das Vergnügen, und noch nach Wochen wirkt die verbale Melancholie, die den Seiten des Buches entströmt, in mir nach. Immer noch formieren sich neue Bilder vor meinem geistigen Auge. Wie eine Abfolge einzelner Fragmente, die nach und nach das Gesamte ausmachen.

Zeit ist wesentlich, was diese Texte angeht. Man muss sie ihnen schenken, sie sich für sie nehmen – sie fordern sie dem Leser geradezu ab. Zu Recht, wie ich betonen möchte. Denn sie verdienen sie, weil ihre Besonderheit dem |flüchtigen| Leser verborgen bliebe. Lässt man sich aber auf sie ein, folgt man ihrem speziellen Sprachrhythmus, ihrem düsteren Pfad und huldigt ihnen, treffen sie Nerven, die man längst taub und gekappt wähnte.

_Braune Blätter und eine Zaunpassage_ mag auf den ersten Blick wie ein klassisches Märchen anmuten, sieht man einmal von dem Ausgang ab. Liebe – und was daraus werden kann – ist der augenscheinliche Plot dieser Kurzgeschichte. Und dennoch beinhaltet sie all das, was damit zusammenhängt. Was Liebe auszuhalten vermag, was sie bewirkt, wie sie das Leben bestimmen kann, welche ungeahnten Facetten sie in uns zum Leben erweckt.

Aber da ist auch wie immer die Kehrseite der Medaille, über die ich nichts verraten will, die aber wie der Fluss dieser Märchen natürlich ist. Womit ich bei einem Punkt bin, der ebenfalls anspricht: die Liebe zur Natur, die nicht nur in diesem Märchen erkennbar wird und die meist auch einen Bezug zur Handlung hat.

So hier: Man tanzt mit der Prinzessin durch die hohen Süßgräser der Ebene und trägt somit wie sie die Freude im Herzen, und wenn sich dann die grauen Wolken über dem diesigen Himmel verdichten, begleiten wir die bekümmerte Prinzessin zu ihrem Lieblingsbaum – dem Lorbeer. Eben jenem, der mit ihr leidet, als die Schatten der Liebe über sie fallen, und sein Grün verliert.

_Erinnerungsschub_ lautet der Titel des zweiten Märchens, wie er nicht passender sein könnte, denn es ist eine der sieben Fabeln, die in vielen Lesern wohl eben jenen hervorrufen kann. Es ist auch der surrealistischste Text dieses Buches – und hat vielleicht gerade aus dem Grund die Bezeichnung Erinnerungs|schub| am trefflichsten verdient. Weil die Gesamtheit am nachdenklichsten stimmt und somit besonders in die Tiefe geht. Es lässt einen nicht los, und man fragt sich: warum spricht mich diese Geschichte so an?

Und dann beginnt man sich zu erinnern. An die vermeintlich kleinen Dinge, die man längst aus der Realität der Erwachsenenwelt verdrängt hat. Dank Hinrich, dem Zwölfjährigen, der gegen manche Unbillen ankämpfen muss, die so vertraut anmuten: der Spott der Gleichaltrigen, die blonde Marguerite, die Hinrich für eine falsche Prophetin hält, deren tänzelnden Schritt er aber ebenso bewundert wie ihre schon damenhafte Haltung.

Der Autor vermag es, auf präzise Weise Gefühle zu wecken, die gerade wegen ihrer Widersprüchlichkeit nicht unverfälschter sein könnten. Man leidet mit Hinrich, aber man lacht (ich sogar einige Male laut und wie befreit und frage mich, wann das ein Text das letzte Mal vermocht hat, finde darauf keine Antwort, somit muss es lange her sein) auch über ihn – man lacht nicht herabwürdigend oder schadenfroh, sondern liebevoll vertraut und menschlich erheitert (wenn Hinrich nach einer Demütigung mit seinen Hosen kämpft, die dank Nässe nicht der Erdanziehung trotzen wollen).

Und schon deutet die Gefühlsnadel des Märchenkompasses voll auf mich! Ich kann mich ihnen nicht mehr entziehen – und will es auch nicht. Womit ich wieder bei Hinrich bin. Auf der einen Seite verspürt man Mitgefühl für ihn, mehr noch, man teilt mit ihm seine Tränen über die Schande, die ihm widerfährt und möchte mit ihm zusammen seinen Widersachern das trotzige „Euch komme ich noch!“ entgegenschleudern, auf der anderen erheitert sein Missgeschick, wenn er dasteht in seiner weißen, gerippten Unterhose, der Häme der Anderen ausgesetzt.

Kindheitserinnerungen werden wach, wenn man die kleinen, liebevollen „Nebenbilder“ wahrnimmt, wie sie sich beispielsweise in der Person des Jakob Fälbling darstellen, dem es obliegt, den Kindern zu später Stunde Sand in die Augen zu streuen, damit sie einschlafen. Und man verspürt beim Lesen Wärme in sich aufsteigen, wenn man erfährt, dass Hinrich bemerkt, dass eben jener Jakob Fälbling, |“sicherlich von der Bedeutsamkeit seines Berufsstandes beflügelt, es zuweilen übertrieb. Man konnte mitunter einen Herdbesen gebrauchen, um den Sand aus den Augen zu kehren“.|

Noch etwas wird den Lesern von Marc-Alastor E.-E.s Texten gewahr – auch in diesem Märchen -: (Robert W. Chambers) „Der gelbe König“, lässt ihn nicht los (wie sehr mir das doch aus der Seele spricht!), begleitet ihn imaginär auch in anderen Texten. So schenkt mir dieses Märchen nicht nur Erinnerungs|schübe|, sondern auch das Gefühl literarischer Verbundenheit. Hier ist einer, der schreibt, wie es aus mir herausflösse, wenn es mir vergönnt wäre, ebenso schreiben zu können.

_Das Notengespräch_ ist der weitere Beweis dafür, eine literarische Besonderheit in Händen zu halten. Da ist Cathérine Montvoisin, die Pianistin aus wohlhabendem Hause, von Geburt an mit Ansehen gesegnet: Schon von Kindesbeinen an singt sie mit ihrem zarten Stimmchen, startet ihre ersten musischen Versuche an ihrem Clavichord, die ihre Eltern und deren Gäste immer mehr erfreuen. Doch ebenso eigenwillig, wie Cathérine zur jungen Frau heranreift, so kapriziös ist auch ihre Musik, als ginge das eine nicht ohne das andere.

Bis sich durch einen Schicksalsschlag alles ändert und nach und nach alles in Cathérine „verstummt“. Als sie sich nach Monaten der musischen Enthaltsamkeit wieder in die Welt der Klanggebilde begibt, begreift sie plötzlich, was die Menschen bisher an ihren nonkonformistischen Interpretationen störte, und sie beschließt, ihren inneren Klangwelten einen Rahmen zu geben, der jene auch für andere Menschen erfassbar macht … Alles scheint von dem Moment an einen guten Verlauf zu nehmen, bis Godfrey Frow die Pianistin hofiert.

Mehr möchte ich über dieses Märchen, das einen dramatischen Verlauf nimmt, nicht verraten, aber ein Punkt muss nicht nur wegen des Titels Erwähnung finden, und das sind die Szenen, in denen die Noten vor den Augen der Pianistin „lebendig“ werden, wo sie den Dialog zu ihr suchen, sich neu formieren, aufbegehren, aufdiktieren. Für mich eine der Stellen, die mir ein besonders deutliches „Bild“ schenkte. Ich sehe es vor mir, wie das |es| mit seinem Notenhals das vorlaute |d| umschlingt, höre es förmlich, wie es Einspruch erhebt, sehe, wie sich das |d| mit wild entbranntem Notenfähnchen losreißt, höre es schnauben und lausche ihnen in der nächsten Szene, wie sie über „Vivaldi“ streiten, freue mich förmlich, als sich nun auch das |a|, das |g| und das |f| einmischen.

Was mich an diesem Märchen auch erneut beeindruckt, ist die Recherche, die den Autor in allen seinen Werken auszeichnet und die seine Texten über das persönliche Herzblut hinaus mit zusätzlichem Leben erfüllt. So ist Cathérine Montvoisin keine rein fiktive Person, sondern war eine Hebamme und die Frau eines Handwerkers, die 1680 in Paris auf dem Scheiterhaufen endete, nachdem sie in die Ermittlungen anlässlich einiger Giftmorde im Umkreis des Sonnenkönigs Ludwig XIV geriet. Hier mag es nur die Namensgleichheit sein, dort mögen andere kleine Details einfließen, es mögen nur winzige Prisen sein, aber sie würzen die Texte zu einer raffinierten Komposition.

_Der Widergänger_ ist einer der beiden Texte, die mich am persönlichsten ansprachen. Weniger, weil man in die „Person“ des Widergängers mehrere Charaktere hineininterpretieren kann und sie die Phantasie dankenswerterweise mehrdimensional anregt, sondern weil er Einblick in die menschliche Psyche gewährt – und darin, wie wenig sich Menschen und Gemeinschaften verändern, wenn sie kleingeistig und zögerlich sind.

Der Widergänger bietet vielen Fragen Raum. Wer ist dieser Mann, der nach „langer Reise“ einem Zug entsteigt, in seine Heimatstadt und in die Wohnung seiner Familie zurückkehrt? Der vornehme Herr Oswald von Argtiuw, dessen penetranter Geruch den Taxifahrer, der ihn vom Bahnhof bringt, ebenso entsetzt wie sein monströses Äußeres, das an eine halb verweste Leiche erinnert.

Das Märchen lebt weniger durch die Rückblicke in das Leben des Widergängers, die angesichts der Rückkehr in seine Wohnung in ihm wach werden und somit neue Bilder vor das geistige Auge des Lesers schicken, sondern mehr von der Stimmung, in welcher der Text geschrieben zu sein scheint, die – selbst wenn Vorheriges reine Interpretation ist – er aber an den Leser weitergibt. Bedeutung erhält in der Wohnung die Tafel, an der er so manches Mal den Ärger statt eines guten Mahles in sich hineingefressen hatte – aufgrund der taktlosen und gedankenlosen Reden der Anwesenden (wer kennt |das| nicht?).

Mich sprach jedoch eine andere „Erinnerung“ des Widergängers an, die ich zum Abschluss kommentarlos wiedergeben möchte, weil sie in meinen Augen für sich steht und spricht:

|“Drum zupften seine Finger behutsam an der Vergangenheit und schufen einen kleinen, klaffenden Spalt, durch den er hinunter sehen konnte. Dort lag die Wiese, der Gehweg und die Vorwelt. Es höhlte ihn aus, danieden den Menschen gehen zu sehen. Ein letztes Mal … schwarzes Beinkleid, grauer Mantel, rotes Haar, die Geste, sich eine Haarsträhne mit schief gelegtem Haupt aus dem Gesicht zu streifen, ein herzloser, unbewusster Abschiedswink. Auf diese Weise nahm man alles mit und hinterließ nichts, worüber sich zu denken lohne. Dass es so enden würde, hatte er nie für angängig gehalten, und doch war es womöglich Zeit, gehen zu lassen. Womöglich …“|

Wenn Sie mich fragen könnten und würden: „Welches Märchen ist für Sie das beste?“, wäre ich nicht in der Lage, darauf eine klare Antwort zu geben, da für mich jedes eine eigenständige Note besitzt und andersartige Bilder in mir wachrief. Ich könnte allenfalls sagen, welches der Märchen den nachhaltigsten Eindruck in mir hinterlassen hat.

Und das ist das folgende:

_Die Melancholistin und ein Kobold namens Freudlos_

Der Beginn des Märchens bringt bereits das auf den Punkt, was Larissas Wesenheit ausmacht: |“Es war einmal eine junge Frau, die allen anderen Menschen auf eine abnorme Art und Weise sonderlich erschien, denn sie war bereits zu Kindestagen eine betrübte, kleine Person gewesen, deren Antlitz nie von einem freudigen Lachen oder einem munteren Strahlen erfüllt wurde. Ihr liebenswertes Gesicht war von jeher ein Ebenbild innerer Zufriedenheit und vollkommener Ausgeglichenheit gewesen, doch nimmer sah man Heiterkeit darauf. Natürlich sorgte man sich zunächst um die kleine Dame, die dem Lachen nichts abzugewinnen schien.“|

Doch da ist Adolina, die einzige Freundin Larissas und ihr genaues Gegenteil: |“ein frischer Springinsfeld mit stetiger Ausgelassenheit und bar jeden Ernstes“.| Wie ein Negativ – oder Positiv? – zu Larissa? Das ist eine der Fragen, die das Märchen aufwirft. Ist das Melancholische, wirklich das Beschwerliche? Das Fröhliche, das wahrlich Beschwingte? Was ist hier das Positiv, was das Negativ? Oder liegt die Wahrheit, wie so oft gepriesen, tatsächlich in der Mitte? Larissa lehnt das Glücklichsein ab, flieht vor ihm, und so nimmt ihr Leben seine Entwicklung, mit einem Ende, das es nehmen musste? Entscheiden Sie selbst!

Larissas Wesen war für mich wie ein Blick in den Spiegel; ich ertappte mich dabei, wie ich mit ihr in den Garten stolzierte, um im Schatten der Ulme (da sind sie wieder, die Liebe und der Nähewunsch zur Natur) der stetigen Melancholie zu frönen. Ich blicke ihr über die Schulter, wenn sie Schopenhauer und Nietzsche liest, und fühle eine Wesensverwandtschaft mit ihr.

Wie schon beim „Widergänger“ möchte ich Sie für den weiteren Verlauf in die Obhut des Märchens geben, weil sie am tiefsten ergreifen und aufwühlen, wenn man sich ihnen „überlässt“, und zitiere die Melancholistin in ihrer Sicht über das Glück: |“Glück ist der Moment, in dem du dich in dich selbst einfindest, um aufatmen zu können. Glück ist wie ein Rhythmus, der das Erdenfell und alle Bodenständigen darauf mit ihm vibrieren lässt Glück ist ein Lachen, in das selbst Götter einstimmen würden, weil es so reich, so wahr und so unteilbar rein ist, dass die meisten ihm nur selten teilhaftig werden. Ich kenne das Glück, da ich es oft vorübergehen sah, doch besser noch als das Glück kenne ich die Leere, die danach gekommen ist, das Unverständnis über ihre Verteilung oder den Geiz ihrer Äußerung. Und indem ich dem Glück entsage, bin ich nicht mehr, allein auch nicht weniger als zufrieden. Und diese Zufriedenheit bezieht ihre Kraft aus der Melancholie …“|

_Prediger_

Das Märchen über Tadeusz Spindelsinn, der als Junge von seiner Tante in die Kunst der Photographie eingewiesen wurde, hat erneut eine Parallele zur Natur darin, wie ein Mensch durch sie sensibilisiert und zusammen mit ihr erblühen kann, aber auch den Bezug durch „menschliche Zivilisation“ und „gesellschaftliche Zwänge“ verliert und somit auch immer mehr sich selbst.

Natürlich, das wird keinen Leser erstaunen, der bis zu diesem – dem vorletzten – Märchen vorgedrungen ist, steckt in der Geschichte über Tadeusz viel mehr. Da ist zum Beispiel Vira Dochiella, der er eine besondere Liebeserklärung macht, über deren Ausgang ich schweigen will, ebenso über das Ende des „Predigers“. Es sei nur so viel verraten: Letzteres wird Sie überraschen!

Kommen wir (leider schon) zum letzten Märchen: _Der Glasbläser_, über den ich das Wenigste verraten möchte, vor allem nicht, wie es ihm gelingt, künstlerische Perfektion zu erreichen, weil das – für mich – in einer derart düsteren Reinheit (nein, nein, das widerspricht sich nicht!) erzählt wird, die mir ebenso die Tränen in die Augen trieb wie dem Verblühen der „Königin der Nacht“ beizuwohnen. Was mich an dem Ende des Märchens so sehr fasziniert hat, kann ich leider nicht schildern, das nähme alles vorweg, auch wenn es mich nicht zufrieden stimmt, mir in dem Fall Verschwiegenheit auferlegen zu müssen.

Somit beende ich meine kleine verbale Reise durch die „Maliziösen Märchen“ und hoffe, auch Sie fühlen sich angesprochen, sich oder einem besonderen Menschen dieses außergewöhnliche Buch zuteil werden zu lassen.

Ich habe zu Marc-Alastor E.-E,. nachdem mich seine Märchen wieder „aus ihrer verbalen Wortgewalt ließen“, gesagt, wie sehr ich es bedaure, nicht „mehr“ davon lesen zu können, und er antwortete sinngemäß und auf den Punkt gebracht, dass es dann |des Guten zu viel| gewesen wäre. Zuerst wollte ich – wie es „manchmal“ meine Art ist – protestieren, doch ich spürte zeitgleich zu meinem spontanen Widerspruch, dass er mit seiner Aussage völlig Recht hatte. Weniger ist auch hier auf jeden Fall mehr.

Wenn ich es jedoch recht betrachte, ist „weniger“, im Falle der „Maliziösen Märchen“ selbst in der zutreffenden Aussage unpassend, denn selten haben es Texte vermocht, so viele Erinnerungen in mir wachzurufen, so viele Bilder in meinen Kopf zu schicken und mich so viel Lebendigkeit und dennoch Melancholie „atmen“ zu lassen. Es ist wohl genau das, was an Marc-Alastor E.-E.s Texten so „ergreift“: dieses vermeintlich schwer Verständliche, aber auch die spezielle bildhafte Ausdrucksform, mit der auch jede kleinste Geste, Mimik oder Bewegung bedacht wird und die den Charakteren Leben einhaucht (|Ihr Lachen klang wie das Geläut der Feuerglocke im Spritzenhaus|), und die erkennen lässt, dass hier ein Autor schreibt, genau so, wie es aus ihm herausfließt, genau in der Stimmung, in der er sich selbst befindet, genau |das| sagt, was er zu sagen gedenkt und was von ihm gesagt werden muss – und nicht, was und wie es – dem Zeitgeist unterworfen – gerade „en voque“ ist. Und genau das macht die Texte authentisch, macht sie glaubwürdig und lässt in ihnen „Wertigkeit“ erkennen. Eine Wertigkeit, die auch in ihren dunkelsten Stunden und Szenen „richtig“ ist, selbst wenn sie von Tod oder Schmerz zeugt, weil gerade sie das Leben bedingen.

Und endlich vermochte ich es wieder, Literatur zu lesen. Düstere Phantastik auf hohem Niveau und einem Sprachbild, das Hermann Hesse zur Ehre gereicht hätte. Lässt man sich darauf ein, entsteht ein Magnetismus zwischen Leser und Text, wie der zweier Pole, die sich anziehen und nicht voneinander lassen können. Es ist wie eine Zugfahrt, man steigt ein, und jede Zeile, jedes Bild, das diese Texte in den Kopf zaubern, ist wie eine Station, die einen näher bringt – zu sich selbst!

Man spürt darüber hinaus wieder Freude am Lesen und Dankbarkeit über die geschenkten Stunden, die einen erfüllen, noch lange, nachdem man das Buch zugeklappt, versonnen dagesessen, über den wunderschönen Einband gestrichen und es wieder an einen besonderen Platz gestellt hat. Die Literatur braucht mehr dieser Autoren, dieser Bücher, die Schwingungen erzeugen, die nachhaltig erreichen und Verlage – wie der von Gerhard Lindenstruth -, die sich nicht scheuen, jenseits des Mainstreams Texte zu veröffentlichen, die das sind, was jeder Leser als Kleinod empfinden wird.

Als ich mich von den „Maliziösen Märchen“ löse – bedächtig, beinahe ehrfürchtig -, fühle ich mich so wie der Widergänger – |ich bin wieder draußen, hinausgeflogen aus dem Paradies der schönen Bilder.|

|Verlag Lindenstruth
Düstere Phantastik
Fester Einband, 203 Seiten
ISBN: 9783934273283
Okt. 2006, limitierte Auflage

7 Märchen für Erwachsene,
fulminant illustriert in 7 S/w-Bildern
und mit 7 höchstzweifelhaften Moralen versehen

Limitierte Vorzugsausgabe,
offenes Leinen m. Prägedruck,
4-Farb-Schutzumschlag,
S/w-Illustrationen|

http://www.verlag-lindenstruth.de/

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