Sylvain Neuvel – Giants: Zorn der Götter (Themis Files 2)

Die Entdeckung und Nutzung eines außerirdischen Riesenroboters weckt die Aufmerksamkeit der ursprünglichen Eigentümer. Sie schicken Kampfmaschinen, denen die Erde nichts entgegenzusetzen hat; die Ausrottung der Menschheit ist nur zu verhindern, wenn das eigentliche Motiv des Gegners entschlüsselt werden kann … – Der zweite Teil der „Themis Files“ wird erneut durch E-Mails, Protokolle, Tagebucheinträge usw. ‚erzählt‘, was weiterhin erstaunlich gut funktioniert sowie verbirgt, dass die Story oft auf der Stelle tritt: trotzdem unterhaltsam.

Das geschieht:

Vor 6000 Jahren hatte die Erde außerirdischen Besuch. Dieser tauschte nicht nur Gene mit der einheimischen Bevölkerung aus, sondern ließ auch einen 60 Meter hohen Roboter aus unzerstörbarem Stahl zurück. Er wurde Ende der 1980er Jahre entdeckt und reaktiviert. Die Physikerin Dr. Rose Franklin erforschte den Hightech-Giganten, der den Namen „Themis“ erhielt. Es bedarf zweier besonderer Menschen, die das Gerät aus dem Inneren steuern können.

Nach jahrelanger Arbeit gelingt dies Vincent Couture und Kara Resnik, was sich auszahlt, als sich bestätigt, dass die Erbauer von „Themis“ sind weder ausgestorben, noch haben sie ihren Roboter ‚vergessen‘. Tatsächlich sind einige ihrer Nachfahren auf der Erde präsent. Sie haben Kontakt zur noch jungen „Erdverteidigungstruppe“ (EVT) aufgenommen und warnen vor einer keineswegs friedlichen Rückkehr der Erbauer.

Dies bestätigt sich, als aus dem Nichts ein Riesenroboter auftaucht und die Weltstadt London beinahe völlig zerstört. Sämtliche irdischen Waffen sind wirkungslos, nur dank Themis kann der Angreifer ausgeschaltet werden. Kurz darauf erscheinen neue Roboter. Sie verteilen sich über die Erde und konzentrieren sich dabei auf wichtige Großstädte. Kurz darauf versprühen die Maschinen ein Gas, das die meisten Menschen grausam tötet. Erneut scheitern sämtliche Gegenattacken, der Untergang der Menschheit scheint besiegelt.

Allerdings gehen die Außerirdischen zwar brutal, aber nicht systematisch vor. Die Nachfahren der Erbauer erklären das so: Die Menschheit soll beweisen, dass sie trotz der urzeitlichen ‚Kontamination‘ durch ihre Besucher eigene Intelligenz entwickelt hat. Gelingt es ihnen, die Roboter auszuschalten, ohne auf außerirdische Supertechnik zurückzugreifen, lässt der Feind womöglich von der Erde ab …

Fortsetzung = Problem: Was machen wir jetzt?

Fortsetzungsromane haben es schwer. Dies trifft erst recht zu, wenn der erste Band so heftig eingeschlagen ist wie Sylvain Neuvels „Sleeping Giants“ (dt. „Sie sind erwacht“). Zwar war die Story – Außerirdische haben einen Super-Roboter auf der Erde hinterlassen, den die Menschen zu ‚erwecken‘ versuchen – keineswegs neu, doch sie wurde originell verpackt: Der Autor erzählt seine Geschichte als Folge von „Files“. Die übliche stringente Schilderung bricht er auf und ersetzt sie durch die (nur scheinbar) willkürliche Reihung von Interviews, Tagebucheinträgen oder Gesprächsprotokollen, die zudem aus dem Zusammenhang gerissen sind. Nichtsdestotrotz formen sich diese Fragmente zu einer Story, wenn sich der Leser erst einmal an das Konzept gewöhnt hat.

Freilich ist dies auch der Moment, wo er (oder sie) begreift, wie Neuvel Spannung erzeugt. Daraus resultiert die Erkenntnis, dass der Autor nur mit Wasser kocht. Das Neue hat die Eigenschaft, seinen Status rasch einzubüßen. „Zorn der Götter“ muss als Teil 2 der „Giants“-Reihe mit Schwierigkeiten kämpfen, obwohl Neuvel das Erfolgsrezept des Erstlings weiterhin beherzigt sowie den Handlungseinsatz erhöht.

Genau darin liegt ein Primärproblem: „Zorn der Götter“ ist ein Roman, der vor Action strotzt. Trotzdem tritt das eigentliche Geschehen auf der Stelle. Zudem fehlt ein Überraschungseffekt wie jener, mit dem Neuvel „Sie sind erwacht“ genial simpel einleitete – der Fund einer gigantischen Roboterhand, die eine rasante Schnitzeljagd nach dem Gesamtkörper auslöst. Dies wusste Neuvel mit einer alternativen Weltgeschichte zu kombinieren, die sehr plausibel durchspielte, was ein solcher Fund in der Realität auslösen könnte.

Die ‚Lösung‘: noch mehr Roboter-Power

Nun sind diese Katzen aus dem Sack. Der Roboter ist komplett. Erwartungsgemäß eint sich die Welt selbst unter der Drohung durch außerirdische Invasoren nicht. Weiterhin wollen alte und neue ‚Supermächte‘ über die Geschicke auf Erden bestimmen. „Zorn der Götter“ enthält deshalb zahlreiche Episoden entsprechender Aktionen, die darauf zielen, solche Egoisten in den Besitz des Roboters „Themis“ – plus der beiden Menschen, die ihn lenken können – zu bringen.

Nicht einmal im „File“-Modus wirkt das frisch, zumal sich das Interesse der Leserschaft nun eher auf die Frage konzentriert, was sich außerhalb der Erde zusammenbraut. Neuvel schickt erst einmal weitere Riesen-Roboter, die à la Godzilla diverse Großstädte verwüsten und sich in der Überzahl auch durch „Themis“ nicht stoppen lassen, aber plötzlich in ihrem Zerstörungswerk einhalten.

Die Antwort auf die Frage, wie das zu begründen ist, nimmt viel Raum ein, wobei die Geschichte umständlich zu werden beginnt, statt mit der aus Band 1 bekannten und geschätzten Zielstrebigkeit voranzuschreiten. So wird aus „Zorn der Götter“ der typische Mittelteil einer Trilogie, die der Vorbereitung auf das Finale dient. Die Krise verschärft sich, ohne wirklich an Intensität zuzunehmen. Ständige EVT-Einsätze sollen es bemänteln, sorgen aber eher für Wiederholungen.

Alte und tote Bekannte

Mit Vincent Couture und Kara Resnik gelang Neuvel die Schaffung zweier angenehm widerborstiger ‚Helden‘. Private Probleme und zwischenmenschliche Konflikte sorgen glaubhaft für Schwierigkeiten, die über die Einigung der Welt und den Kampf gegen die Invasoren hinausgehen. Ergänzt wird das Duo durch die ‚wiederbelebte‘ Rose Franklin, von der man nicht weiß, wie menschlich sie noch ist.

Ebenfalls wieder dabei ist „Mr. Burns“, der leut- und redselige, dabei jedoch informationsgeizige ‚Botschafter‘ und Nachfahre der vor sechs Jahrtausenden die Erde besuchenden (oder besetzenden) Außerirdischen. Er schwelgt abermals in Andeutungen und weicht gezielten Fragen gern aus. Auch hier kennen wir das Prinzip und sind allmählich genervt. Womöglich ist es deshalb eine gute Lösung, dass Neuvel den durchaus beliebten Burns umbringt und aus dem Geschehen nimmt.

Er bleibt nicht die einzige Hauptfigur, der es so ergeht. Der Verfasser hofft auf Überraschung und Schreck beim Publikum. Das bleibt allerdings skeptisch, ist doch schon Dr. Franklin von den Toten auferstanden. Bis es (womöglich) zu weiteren ‚Neustarts‘ kommt, rückt Neuvel Eva Reyes in den Vordergrund. Sie ist quasi das Produkt einer (ebenfalls außerirdisch bedingten) unbefleckten Empfängnis und steht zwischen den Menschen und den Aliens, was erwartungsgemäß für neue Konflikte sorgt. Überhaupt bricht das „Themis“-Team, wie wir es in Band 1 kennen- und schätzen gelernt haben, auseinander, um eigene, (noch) nicht unbedingt spannendere Wege zu gehen.

Wohin mag das führen?

Freilich ist dies Klagen auf weiterhin erfreulich hohem Niveau. Neuvel hat mit „Sie sind erwacht“ die Latte schlicht so hoch aufgelegt, das er nun selbst Schwierigkeiten hat, sie mit der Fortsetzung zu überspringen. Dies ist ihm definitiv nicht gelungen, was jedoch keineswegs heißt, dass die Lektüre von „Zorn der Götter“ für Frustration oder Langeweile sorgt. Wenn man sich damit zufriedengibt, dass wirklich spektakuläre Handlungsideen ausbleiben und Bekanntes in größerem Maßstab aufgerollt wird, stellt auch Teil 2 gutes Lesefutter dar, in dem weiterhin witzige und gut ausgedachte Details gefallen können.

Das betrifft vor allem die politischen Realitäten einer irdischen Gegenwart, die Neuvel geschickt und gern boshaft aufgreift und interpoliert, um auf diese Weise einen alltäglichen Irrsinn aufzudecken, an den wir Erdmenschen uns offenbar längst gewöhnt bzw. resigniert haben und ihn hinnehmen.

Teil 3, der den Titel „Only Human“ (dt. „Die letzte Schlacht“) tragen wird, setzt abermals nach einem zehnjährigen Sprung in die Zukunft ein. Man wird sehen, ob Neuvel die Ereignisse zu einem Höhepunkt treibt, um sie damit abzuschließen – zumindest der deutsche Titel weist in diese Richtung -, oder ob es weitergeht im Kampf der Riesen aus dem All gegen die (Polit-) Zwerge auf der Erde.

Autor

Sylvain Neuvel wurde 1973 in Quebec City, Kanada, geboren. Er studierte Sprachwissenschaft an den Universitäten von Montreal und Chicago; letztere verließ er 2003 mit einem Doktorgrad. Dem schloss sich jene bunte Odyssee durch Berufe bzw. Brotjobs an, die den Biografien vieler später erfolgreicher Schriftsteller Würze verleihen sollen. Hauptberuflich arbeitet Neuvel als Übersetzer und Software-Techniker.

„Sleeping Giants“ (‚dt.‘ „Giants“ – Sie sind erwacht), Neuvels erster Roman, entstand bereits 2013. Nachdem kein Verlag das Buch drucken wollte, brachte es der Verfasser im Selbstverlag heraus. Beachtliche Publikumsresonanz und Kritikerlob sorgten dafür, dass 2016 schließlich doch ein Verlag anbiss. Mit „Waking Gods“ hat Neuvel seinen Erstling inzwischen fortgesetzt; weitere Romane sollen folgen und in ihrer Gesamtheit die „Themis Files“ bilden.

Mit seiner Familie lebt Sylvain Neuvel in Montreal.

Paperback: 478 Seiten
Originaltitel: Waking Gods (New York : Del Rey 2017)
Übersetzung: Marcel Häußler
https://www.neuvel.net
http://www.randomhouse.de/heyne

E-Book: 1105 KB
ISBN-13: 978-3-641-16816-2
http://www.randomhouse.de/heyne

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