Michael de Larrabeiti ist Autor von drei Romanen über die Borribles, individualistische Jungs und Mädchen, deren größte Furcht es ist, dass sie, sobald man ihnen die spitzen Ohren stutzt, zu Erwachsenen aufwachsen werden. Im Herbst 2007 hat |Klett-Cotta| die Trilogie komplett in einem Band [neu aufgelegt.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3608937870/powermetalde-21
Das Interview führte Michael Matzer.
_Buchwurm.info:_
Wann kam Ihnen zum ersten Mal die Idee zu den Borribles als Figuren in einer Geschichte?
_Michael de Larrabeiti:_
Das war, als ich meinen Kindern etwas vorlas. Damals hatte ich nur ein einziges Buch, einen Western, veröffentlicht, obwohl ich versucht hatte, fünf oder sechs Jahre lang auch anderes zu publizieren. Na ja, ich hatte andere Jobs, mit denen ich meine Familie ernähren konnte, so etwa als Techniker beim Film oder, in den siebziger Jahren, als Reiseführer in Frankreich – das hielt mich vom Schreiben ab.
Aber dann fragte ich mich, wie ich wohl ein Buch für Kinder schreiben würde. Die meisten Kinderbücher sind auf die Mittelschicht abgestellt, alle sind lieb, sie erleben Abenteuer, als ob sie in den Ferien wären … Und in Reaktion auf diese kuscheligen, gemütlichen Storys meinte ich, dass es doch nett wäre, wenn es eine Geschichte gäbe, die Kinder zeigt, wie sie wirklich sind: als kleine Leute; sie sind streitsüchtig, balgen sich, haben manchmal eine Freundschaft, die entsteht, und sonst mit all den Problemen, die andere Menschen auch haben.
Und es schien mir besser, dass ich eine solche Geschichte vor einem Hintergrund spielen lassen sollte, den ich kannte. Und das war eben die Zeit direkt vor und während des Krieges, als ich in London aufwuchs.
_Buchwurm.info:_
In Battersea?
_Michael de Larrabeiti:_
Ja, Süd-London. Heute ist es eine etwas bessere Gegend, wegen der Preise und allem, aber es gibt dort noch Bereiche, die recht rau sind. Und in den Dreißigern und Vierzigern war in der Nähe der Eisenbahnlinien alles ziemlich zerbombt. Ich war in London während der Luftangriffe und mochte das, es war wunderbar. Weil er so aufregend war, liebten die Kinder den Krieg, die Erwachsenen waren dauernd außer Haus, die Kinder also sich selbst überlassen. Nach den Angriffen pflegte ich rauszugehen und Bombensplitter zu sammeln. Ich war immer vorsichtig, dass so ein Splitter nicht zu heiß war. Es war toll.
_Buchwurm.info:_
Wie alt waren Sie da?
_Michael de Larrabeiti:_
Geboren wurde ich 1934, war also bei Kriegsbeginn sechs. Ich wuchs im Krieg auf.
_Buchwurm.info:_
Sie wuchsen in einem ausgebombten London auf?
_Michael de Larrabeiti:_
Ein paar Mal wurde ich aufs Land geschickt, aber ich hasste es, außerhalb Londons zu sein, weil dort eben der ganze Spaß war, all die Flugzeuge und so.
_Buchwurm.info:_
Gab es da irgendwo Borribles?
_Michael de Larrabeiti:_
Ja, denn, schau, wir waren alle Borribles. Weil wir auf der Straße lebten, sobald wir aus der Schule heimkamen. Das taten die meisten Kinder aus der Arbeiterschicht. Wir hatten viele Abenteuer, beispielsweise in Luftschutzkellern. Das waren unsere Häuser, auch nach dem Krieg. – Wenn man also darauf aufbaute, hatte man einen ganzen Borrible-Stamm.
_Buchwurm.info:_
Was mir bei der Lektüre der drei Bände besonders auffiel, war, dass die Borribles niemals erwachsen werden. Sie werden zwölf Jahre alt, und das war’s. Sie sind gegen Erwachsene, die ihnen die Ohren stutzen, so dass sie ebenfalls erwachsen werden. Was war der Grund dafür, die Borribles so zu gestalten? War das Ihr kritischer Kommentar zu Erwachsenen und der modernen Gesellschaft?
_Michael de Larrabeiti:_
Ich weiß nicht, ich glaube nicht, dass die Gesellschaft besonders modern ist. Mir scheint, dass die besten Geschichten von und über Kinder immer solche sind, in denen eine Art Krieg zwischen Kindern und Erwachsenen geführt wird, ganz bestimmt aber leben sie darin getrennte Leben, und sei es nur im Kopf. Wenn Sie an Huckleberry Finn denken: Sein Abenteuer findet nur zwischen ihm und dem Negersklaven Jim statt. Die Erwachsenen sind der Feind, weil sie Huck einfangen und zurück auf die Schule schicken wollen und den Sklaven zurück in die Sklaverei. In solchen Büchern bedeutet dieser Krieg auch eine Gefahr. Das ist mir viel zu ernst, wirklich, ich dachte nur an das Buch.
_Buchwurm.info:_
Also war Ihr Buch mehr zur Unterhaltung gedacht?
_Michael de Larrabeiti:_
Na, das ist doch natürlich.
_Buchwurm.info:_
Interessieren Sie sich sehr für Namen und die Geschichten zu ihnen?
_Michael de Larrabeiti:_
Ja, das ist sehr wichtig. Ich brauch‘ eine Ewigkeit, um einen Namen auszuwählen.
_Buchwurm.info:_
Die Borribles haben zum Beispiel diese besondere Anrede füreinander: „Du hast einen sehr schönen Namen. Ich bin sicher, es gibt eine tolle Geschichte, die daran hängt.“
_Michael de Larrabeiti:_
Ich spinne die Sache einfach weiter. Dinge, die ich als Kind erlebte, zum Beispiel. Für Kinder war es sehr wichtig, einen Spitznamen zu haben, der einem schmeichelte, nicht einen wie „Schielauge“ oder so. Man wollte einen Namen, der einen Sinn ergab und einen stolz machte. Gewöhnlich bekam man einen Spitznamen, weil man etwas getan hatte, wie etwa, eine Frucht von einem Marktstand zu stehlen.
_Buchwurm.info:_
Die Geschichte darüber wurde dann Teil der Identität.
_Michael de Larrabeiti:_
Der Identität des Kindes, ja. Das ist vielleicht der Grund, warum die Bücher so beliebt sind. Ich bekomme haufenweise Briefe von Kindern: „Oh, das ist genau richtig, ja – wir haben gerade Borrible-Abenteuer gehabt.“ Jedes Kind mag einen eigenen Namen, Abenteuer, das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
_Buchwurm.info:_
In Ihren Borrible-Büchern kombinieren Sie Ihre eigenen Erlebnisse also mit Fantasyfiguren, den Rumbels, Wendels usw.
_Michael de Larrabeiti:_
Das ist nur eine Weiterentwicklung dessen, was man als Kind tut. Wenn du beispielsweise die Straße runtergehst, trittst du nicht auf die Linien zwischen den Gehsteigplatten, denn wenn du auf die Linie trittst, kommt ein Wolf raus und holt dich. Jede Stadt ist unerforscht, wenn man keine Karte davon hat, wohin du also auch kommst, gibt es ein neues Abenteuer. Und eine Stadt zu durchqueren, beispielsweise zum Elephant & Castle (eine Londoner U-Bahn-Station), ist eine Expedition.
Ein Kind lebt in dieser Welt der Phantasie/Fantasy, befindet sich dauernd in ihr und außerhalb. „Geh runter zum Laden und kauf einen Laib Brot, hier ist das Geld!“ – das ist sehr realistisch, du musst runter zum Laden. Aber auf dem Weg dorthin entscheidest du dich vielleicht doch für den anderen Weg und dafür, auf all die Linien zwischen den Gehwegplatten zu treten, nur um zu sehen, ob es da tatsächlich Wölfe gibt.
Und in diesem Abenteuer lebt das Kind. Das ist auch, worin sich mein Buch bewegt. Das Buch ist realistisch und zugleich „fantasy“ und bewegt sich vom einen zum anderen. Ich schreibe und lese keine Fantasy, es ist alles real und wahr.
_Buchwurm.info:_
Betrachten Sie die häufige Gewalt in Ihren Romanen nicht manchmal mit einem kritischen Auge? Wenn wir beispielsweise an die Beschreibung des Kampfes mit Eisenkopf denken …
_Michael de Larrabeiti:_
Flinthead. Toller Name. „Eisenkopf“ ist die Übersetzung?
_Buchwurm.info:_
Ja. Sein Kopf wird mit einem Spaten abgeschlagen, überall spritzt das Blut, die zwei kämpfen da unten im Schlamm usw. Verabscheuen Kinder so was denn nicht?
_Michael de Larrabeiti:_
Sie mögen es!
_Buchwurm.info:_
Erscheint es in ihrer Vorstellungskraft natürlich oder ist es aufregend …?
_Michael de Larrabeiti:_
Also, schau mal, Kinder nicht so blöd, wie die Erwachsenen meinen, und sie kennen den Unterschied zwischen einer Geschichte und dem wirklichen Leben, und sie wissen, dass sie nicht einen Spaten nehmen werden, auf die Straße rausgehen und jemanden, den sie nicht ausstehen können, mit diesem Spaten erschlagen werden. – Und außerdem gibt es in jeder guten Abenteuergeschichte Gewalt. Man lese nur mal „Die Schatzinsel“, „Der Junker von Ballantrae“ (beide von Robert Louis Stevenson) und so weiter.
_Buchwurm.info:_ Märchen …
_Michael de Larrabeiti:_
Das muss man nicht erst sagen. Als ich in der Schule war, haben sie mir „Macbeth“ zu lesen gegeben; jemals gelesen? Abgeschlagene Köpfe, erstochene Leute, das Blut, wenn Macbeth Duncan tötet, aber es war okay, weil es ja Shakespeare war und damit große Kunst! Es ist genau dasselbe.
_Buchwurm.info:_
Lassen Sie uns über die Zukunft reden. Wird es ein viertes Borrible-Buch geben?
_Michael de Larrabeiti:_
Ich glaube nicht. Das heißt, wenn nicht diese Amerikaner, die die Filmrechte gekauft haben, zu mir kommen und sagen: „Wie fänden Sie eine Viertelmillion Pfund? Wir brauchen ein viertes Buch.“ Dann wäre ich schon in Versuchung. Ich habe das Skript für die Fernsehfassung des ersten Bandes geschrieben. Die Filmproduktionsfirma |Working Title| (sie machte u. a . „Mein wunderbarer Waschsalon“ sowie „Sammy & Rosie tun es“) wollten das fürs britische Fernsehen produzieren.
Aber ich will eigentlich andere Sachen machen. Mein nächstes Buch wird ein realistischer Roman über ein Kind sein. An meiner provencalischen Geschichtensammlung „Das Zaubergärtlein“ arbeitete ich etwa zwei Jahre. (Sie erschien 1989, ebenfalls bei |Klett-Cotta|.)
_Buchwurm.info:_
Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch.
_Michael de Larrabeiti:_
Es war mir ein Vergnügen. Hat mir Spaß gemacht, über mich selbst zu reden.
_Biografie von Michael de Larrabeiti_
Michael de Larrabeiti wurde 1934 in London geboren und wuchs im Stadtteil Battersea auf, genau in der Gegend also, wo die Borribles leben.
Er arbeitete als Englischlehrer in Casablanca, als Fremdenführer in Frankreich, als Kameramann in Asien, als Schafhirte in der Provence und studierte zwischendurch in Paris, Oxford und Dublin. Er ist Autor mehrerer Romane und Erzählbände. Mehr Info: http://en.wikipedia.org/wiki/Michael__de__Larrabeiti.
Mit den Borribles erlangte er Ruhm bei jungen und erwachsenen Lesern.
Mehr Info: http://en.wikipedia.org/wiki/The__Borrible__Trilogy und http://de.wikipedia.org/wiki/Borribles.
Die Borribles-Trilogie besteht aus den drei Romanen:
1) »Auf zur großen Rumbeljagd«,
2) »Im Labyrinth der Wendels«,
3) »Die Schleppnetzfahndung«.
|Normale Kinder werden ganz langsam zu Borribles, beinahe ohne es zu bemerken. Aber eines Tages wachen sie auf und es ist geschehen. Es ist gleichgültig, wo sie herkommen, wenn sie nur das haben, was man »schlechte Voraussetzungen« nennt. Ein Kind verschwindet aus der Schule, und es spricht sich herum, dass es einfach unbelehrbar war. Oder es gibt Geschrei im Supermarkt, und ein Kind, auf frischer Tat als Ladendieb ertappt, wird vom Hausdetektiv abgeschleppt. Solch ein Kind wird vielleicht ein Borrible; es versteckt dann seine spitzen Borribleohren unter einer Mütze und lässt sich nie mehr erwischen. Denn erwischt zu werden, ist das Ende für einen Borrible. Borribles sind Ausgestoßene, die in verlassenen Häusern und Fabriken Unterschlupf finden. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Ausgestoßenen genießen sie ihr Leben und würden mit niemandem anderen tauschen.| (Verlagsinfo)
Werke:
* The Borribles (1976, dt. Auf zur Großen Rumbeljagd!)
* The Borribles Go for Broke (1981, dt. Im Labyrinth der Wendels)
* The Borribles: Across the Dark Metropolis (1986, dt. Die Schleppnetzfahndung)
* The Redwater Raid (1972)
* A Rose Beyond the Thames (1978)
* The Bunce (1980)
* Full Marks (1981)
* Jeeno, Heloise and Igamor, the Long, Long Horse (1983)
* The Hollywood Takes (1983)
* Journal of a Sad Hermaphrodite (1992)
* Foxes‘ Oven (2002)
* PRINCESS DIANA’S REVENGE (2006)
Seine offizielle Homepage: http://www.michaeldelarrabeiti.com.
http://www.hobbitpresse.de