Atkins, Charles – Gift

„Schuster, bleib bei deinen Leisten!“, dachte sich wohl Charles Atkins, als er den Thriller „Gift“ schrieb. Der Autor ist Psychiater, und anscheinend liegt es da nahe, sich auch literarisch mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen.

Dr. Peter Graininger ist Psychiater in der psychiatrischen Notfallaufnahme der New Yorker Universitätsklinik. Obwohl er es weit gebracht hat, lässt ihn die Erinnerung an den Unfall, bei dem seine Frau Beth ums Leben kam, immer noch nicht los. Mithilfe seines Sohns Kyle und seines Vaters, der ebenfalls Psychiater ist, versucht er wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Sein alter Studienfreund Ed Tyson, der mittlerweile ein hohes Tier an der Universität ist, hat ihm seinen Posten und auch die Wohnung, in der Peter lebt, beschafft.

Doch das hat Ed nicht nur aus Eigennutz getan. Er verfolgt Pläne, um Peter für eine Sache zu bestrafen, die bereits einige Jahre zurückliegt. Peter hat davon keine Ahnung, als er eines Tages Ann Walsh, Studentin, Gelegenheitsprostituierte und Geliebte von Ed, nach einem Selbstmordversuch behandeln soll. Wenig später wird Ann ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Peter war an diesem Abend bei Ed und seiner Familie zum Essen eingeladen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, muss er feststellen, dass seine Erinnerungen an diese Nacht bei der Verabschiedung an Eds Haustür aufhören. Wo war er danach? Ist der Filmriss eine Nachwirkung des Traumas von Beths Tod oder geht es hier um etwas ganz anderes? Peter merkt schnell, dass er in einem perfiden Spiel gefangen ist …

Es ist nicht nur der Beruf, den Autor und Protagonist teilen. Auf seiner [Website]http://www.charlesatkins.com erläutert Atkins, dass er in „Gift“ auch eine persönliche Tragödie verarbeitet – genau wie Dr. Graininger. Aus dieser Verbindung resultiert eine sehr authentische Hauptfigur, die die Abgründe der menschlichen Seele aus eigener Erfahrung kennt. Immer wieder blendet Peter Erinnerungen an frühere Zeiten ein und gibt sich mehr als einmal der Schwäche hin, sich selbst gehen zu lassen.

An und für sich steht aber die rasante, geradlinige Thrillerhandlung im Vordergrund. Bis auf Peters persönliche Erinnerungen gibt es kaum Abschweifungen. In großen, abgestuften Schritten geht die Geschichte voran. Atkins verzichtet auf großartige Action und Blut oder weitläufige Plots. Er hält die Handlung im kleinen Rahmen, was sie sehr bodenständig wirken lässt. Sie enthält Bewegung, haarsträubende Ereignisse, aber dennoch bezieht sie ihre Spannung mehr aus der leisen, stillen Art und Weise der Manipulation, deren Opfer Peter wird.

Die Handlung besteht hauptsächlich aus einem Strang. Es gibt kaum Nebenhandlungen und auch die Nebencharaktere haben zumeist keine große Aufgabe, wenn sie nicht direkt in die Gesamtgeschichte verwickelt sind. Dadurch wirkt das Buch sehr kompakt, lässt an einigen Stellen aber etwas an Originalität missen. Das flotte Erzähltempo verhindert, dass sich bestimmte Charaktere entfalten können und Atkins Schreibstil ist ebenfalls nicht wirklich bemerkenswert.

Er arbeitet sowohl mit einer Perspektive aus der ersten als auch mit Perspektiven der dritten Person. Der Ich-Erzähler ist natürlich Peter, dem es dadurch besonders gut gelingt, seine traumatischen Erinnerungen zu beschreiben. Die anderen Perspektiven beschränken sich auf wenige Personen und unterscheiden sich untereinander kaum vom Schreibstil her.

Atkins schreibt flüssig und mitreißend. Er benutzt einen gehobenen Wortschatz und schafft es, klare Sätze zu bauen, die sich zu einem fließenden Text verbinden. Während Peters Perspektive durch die starke Subjektivität hervorgehoben wird, wirken die anderen jedoch etwas beliebig. Sie sind zu gleichförmig, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt „Gift“ insgesamt nicht unbedingt, dafür aber erstaunt hochgezogene Augenbrauen während der Lektüre. Der Thriller sprüht nicht vor Originalität, aber der Amerikaner Charles Atkins liefert saubere Handarbeit ab. Besonders positiv sind dabei der gut ausgearbeitete, sympathische Protagonist und vor allem die flotte und schnörkellose Handlung, die eine Menge Spannung aufzubauen vermag.

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