Tony Fennelly – Leichen zum Fest

Ein offensichtliches Kuckuckskind will sich in eine reiche Familie einschleichen. Als es dabei zu einem Mord kommt, betätigt sich eine ehemalige Striptease-Tänzerin wieder einmal als Detektiv … – Schmalzig und ohne roten Faden reiht Autorin Fennelly in ihrem bisher (glücklicherweise) letzten Roman einfach Episoden aneinander, kommt nie auf den Punkt und reizt ihre Leser bis zur Weißglut: ein absolut missratenes Machwerk!

Das geschieht:

Weihnachten in New Orleans, der Metropole des US-amerikanischen Südens: Seit einem Vierteljahrhundert trauert der alte, kranke und verbitterte aber schwerreiche Cyril Jessup um seinen einzigen Sohn Gerald, der in Vietnam umkam. Jetzt steht plötzlich ein junger, ansehnlicher Mann mit Namen Glen Watley vor ihm und behauptet sein Enkel zu sein. Weil dies verständlicherweise besonders bei Jessups Großneffen Andrew, der sich eingedenk des attraktiven Erbes seit Jahren als Faktotum vom Onkel herumstoßen lässt und Konkurrenz gar nicht schätzt, auf Unglauben stößt, hat Glen nicht ein Foto seiner Eltern sowie das Ergebnis einer Labor-Analyse bei sich, die ihn als Träger der Jessupschen DNA ausweist. Jungkrieger Gerald hat seine Tage vor dem letzten Kampfeinsatz offenbar in der anregenden Gesellschaft einer Striptease-Tänzerin verbracht und ihr ein ganz besonderes Andenken hinterlassen.

Glens Geschichte ist abenteuerlich, doch der alte Jessup glaubt ihm bzw. will ihm einfach glauben. Nun soll Glen offiziell in die High Society von New Orleans eingeführt werden. Sein Debüt soll die bekannte Gesellschaftsjournalistin Margo Fortier organisieren. Zufällig ist auch sie auf Glens Erinnerungsfoto zu sehen: Margo arbeitete in jungen Jahren in demselben miesen Striptease-Schuppen wie Glens Mutter.

Einen Schatten wirft indes ein Mann, der Glen auf die Wiedersehensfeier begleitet. Der junge Chazz ist kein Vertrauen erweckender Charakter. Außerdem ist er schwarz, was beim alten Jessup, dessen Weltbild etwa fünfzig Jahre hinter der Gegenwart herhinkt, hässliche Seiten zum Vorschein bringt. Chazz spielt den Galgenvogel aus dem Ghetto ganz offensichtlich, nur: Was könnte sein Motiv sein?

Während der glanzvollen Feier wird ein Mordanschlag auf den alten Jessup verübt. Margo besinnt sich auf ihre schon mehrfach unter Beweis gestellten detektivischen Fähigkeiten. Die werden rasch gefordert, denn schon bald schlägt der Mörder wieder zu, und dieses Mal hat er mehr Glück …

Diese Fünf ist keine Glückszahl

Tony Fennelly gehört zu jenen Schriftstellern, denen der echte Durchbruch versagt blieb. Dass mit „Leichen zum Fest“ ihr achter Roman in Deutschland erschien, steht dazu nicht im Widerspruch: Hier haben wir es mit dem seltenen Fall zu tun, dass ein deutscher Verlag einen Narren an einer US-amerikanischen Autorin gefressen und sogar diejenigen Titel veröffentlicht hat, für die sich in ihrer Heimat kein Verleger fand.

Auch „Leichen zum Fest“ (Nummer 5 der Margo-Fortier-Serie) wurde daher eine Welt-Erstausgabe! Schön für Tony Fennelly, weniger erfreulich für ihre Leser, wie sich bald herausstellt, denn der angebliche Kriminalroman entpuppt sich als plan- und witzlose Zumutung. Der dünne Plot vom bösen Kuckuck, der den alten Geldsack beerben will, ist für die Autorin nur Mittel zum Zweck. Ihr eigentliches Anliegen ist offenbar – wirklich deutlich wird es nie – eine in New Orleans spielende Neuauflage der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, die Spannung mit Herz verbinden soll.

Liefert das eine Entschuldigung für endloses Geschwätz über das Fernsehen, bargeldlosen Zahlungsverkehr, das Phänomen Lady Di, die Clinton-Levinsky-Affäre und ähnliche Nichtigkeiten, die rein gar nichts mit der Geschichte zu tun haben und sie auch nicht weiter bringen? Selbst wenn man diese Passagen als anekdotische Abschweifungen betrachten möchte, sind sie einfach nur langweilig.

Tanzen, schwätzen, langweilen

Weil Fennelly offenkundig keine Ahnung hat, was sie in ihrem neuen Buch eigentlich erzählen will, greift sie auf ihre übliche Reserve zurück und erzählt Margo-Fortier-Striptease-Geschichten aus den Wilden Neunzehnhundertsiebzigern. Im Land der unbegrenzten Komplexe scheint es der Hit in (Milch-) Tüten zu sein, in schummrigen Bars barbusige Schönheiten beim ungelenken Tanz auf kargen Miniaturbühnen zu beobachten. Besonders wichtig ist es US-Amerikanern dabei, eventuell aufkommende erotische Regungen schon im Keim zu ersticken.

Tony Fennelly möchte zusätzlich eine Lanze für besagte Tänzerinnen brechen; sie schildert diese als ganz normale, bodenständige, hart arbeitende, ‚anständige‘ amerikanische Mädchen, die einander schwesterlich im alltäglichen Kampf gegen die groben, unsensiblen Kerle, der Sittenpolizei und die knickrigen Barbesitzer beistehen. Trotzdem setzt sie unverhohlen auf den schwiemeligen „Oh-la-la!“-Effekt der ach so verworfenen Rotlichtszene von New Orleans.

Mehr als einhundert Seiten des Mittelteils plätschern bei dem Versuch dahin, die junge Margo Fortier von 1970 der etablierten Mittfünfzigerin von 1998 gegenüberzustellen. Fennelly konterkariert Margos Handlungen und Gedanken einst und jetzt und möchte dem Kontrast Unterhaltungswert abringen – vergeblich, denn die hölzerne Penetranz, mit der sie die Vergangenheit heraufbeschwört, indem sie ihre Figuren wahllos zu jedem Lebensmittel, das durch ihre Hände geht, den Kaufpreis Anno 1970 nennen lässt, um ihnen dann didaktische Plattheiten über den Vietnamkrieg, die Rassendiskriminierung oder die aufkommende Frauenbewegung in den Mund legt, tötet jede Illusion

Politisch korrekte Holzhammer-Hiebe

Tony Fennelly dreht keineswegs das Rad der Geschichte zurück, sondern reitet auf der Flower-Power-Nostalgie-Welle – und das denkbar ungeschickt. Das ganze Elend fließt in der Figur des Gumbo-Kowalskis Sostenne zusammen. Der animalisch-dampfende Cajun-Macho aus den Sümpfen wurde von der Autorin anscheinend sogar bewusst als Parodie angelegt, doch nichts ist furchtbarer als ein Scherz, über den der Erzähler selbst am lautesten lacht!

Dem endlosen Trauerspiel aufgepfropft werden – angeblich wieder ganz im Geist der Weihnacht – zahlreiche schmalzige Gutmensch-Geschichtchen, die Fennellys unseligen Drang dokumentieren, sich für die geknechteten Minderheiten dieser Welt einzusetzen, wobei es sichtlich Nebensache ist, was diese davon halten mögen. Seid gut zu Schwarzen, Schwulen, Frauen, denn sie sind Menschen wie du und ich; eigentlich sogar die besseren – schön und gut, wenn bei Fennelly solche Appelle nicht stets in unbedarften Holzhammer-Humanismus ausarten würden.

Die Liste der Kritikpunkte ließe sich ohne Schwierigkeiten verlängern, aber es soll genug sein. Interessanter ist abschließend die Frage, wieso „Leichen zum Fest“ trotz der offensichtlichen formalen wie inhaltlichen Mängel vom sonst recht zuverlässig für soliden bis unkonventionellen Krimispaß sorgenden Rotbuch Verlag auf den Buchmarkt gebracht wurde.

Warum, warum?

Dafür muss man wohl eine eigentümliche Mischung aus Geschäftstüchtigkeit, dem Wissen um den deutschen Krimileser als Gewohnheitstier und dem Hang zu einem naiven Weltverbesserungs-Prophetentum verantwortlich machen. Vier Margo-Fortier-Bände hatten zuvor ihr Publikum gefunden, weshalb davon ausgegangen werden konnte, dass auch Nummer fünf unabhängig vom Unterhaltungswert ansehnliche Verkaufszahlen schreiben würde.

Darüber hinaus galten Fennellys Romane einst irgendwie alternativ und politisch korrekt – mit Minderheiten-Bonus (siehe oben)! Den Ritterschlag als mutige Stimme der Geknechteten hatte sie aus solcher Sicht spätestens dann erhalten, als ihr böse kapitalistische Verleger Ende der 1980er Jahre angeblich den Ankauf weiterer Matt- Sinclair-Thriller – das war Fennellys erster Serienheld – verweigerten, weil die vom Aids-Schreckgespenst vergrätzten Amerikaner keine Krimis mit einem schwulen Detektiv mehr lesen mochten. Schande über diese Heuchler! – und Verpflichtung wie Ehrensache für einen einst dem linksintellektuellen Kampf gegen das Establishment geweihten deutschen Verlag, hier in die Bresche zu springen!

Da ist es natürlich ketzerisch, die Frage zu stellen, ob besagte Verleger in den USA nicht primär deshalb die Finger von neuen Fennelly-Werken ließen, weil sie nüchtern erkannten, was der Rotbuch-Verlag hartnäckig ignorierte: Fennelly-Krimis sind einfach – mit Verlaub gesagt – beschissen …

Autorin

Tony Fennelly – das ist Antonia M. Fennelly Catoire, geboren am 25. November 1945 in einer Kleinstadt des US-Staates New Jersey. Gern wird in biografisches Abrissen auf ihre wilden Jugendjahre hingewiesen, wobei Jobs als Verkäuferin von Damenunterwäsche sowie Stripperin – tatsächlich arbeitete sie als Kellnerin – nie fehlen.

Einem bald abgebrochenen Europa-Aufenthalt folgten Studienjahre in New Orleans; Catoire wollte Schauspielerin werden, entschied sich dann jedoch zu schreiben. Zwischen 1976 und 1985 entstanden acht Kriminalromane, die sämtlich abgelehnt wurden. Erfolgreich wurde Catoire als „Tony Fennelly“ mit „Glory Hole Murders“ (dt. „Mord auf der Klappe“), dem ersten Band einer Serie um den schwulen Privatdetektiv Matt Sinclair; er wurde 1986 von den „Mystery Writers of America“ für einen „Edgar Allan Poe Award“ als bester Krimi des Jahres nominiert. (Gewonnen hat ihn Jonathan Kellerman mit „When the Bough Breaks“; dt. „Breakout“)

1992 begann Fennelly mit einer neuen Reihe um die Ex-Stripperin und Privatdetektivin Margo Fortier, die in den USA wenig Resonanz fanden und deren letzter Band nur noch in Deutschland erstveröffentlicht wurde. Fennelly besann sich ihres Studium; seit 2010 trat sie in mehreren Kinofilmen und TV-Serien auf.

Taschenbuch: 245 Seiten
Originaltitel: Home Dead for Christmas (2000)
Übersetzung: Bettina Zeller
www.rotbuch-verlag.de
www.tonyfennelly.com

Der Autor vergibt: (0.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)