Tornow, Wolfgang – Sei HARTz. Das Märchen von der Arbeitslosigkeit

„Sei HARTz“ ist ein satirischer Roman über das Thema Arbeitslosigkeit, die der Autor Wolfgang Tornow durch eigene Erfahrung und Gespräche mit 200 Betroffenen kennen gelernt hat. Zugleich ist das Buch in der zweiten Hälfte auch eine gelungene politische Parodie auf Zustände, die eigentlich schon eine Realsatire darstellen. Auf Bedenken, ob man über eine ernste Sache wie Arbeitslosigkeit einen Unterhaltungsroman wie etwa einen Krimi schreiben dürfe und ob den dann jemand lesen wolle, antwortet der Verfasser mit einem nicht zu widerlegenden Argument: „Es gibt wesentlich mehr Arbeitslose als Ermordete samt ihrer Mörder zusammen.“

_Die Geschichte_

Der durch ein Rationalisierungsprogramm im Himmel arbeitslos gewordene Liebesgott Amor rafft sich noch mal zu einem guten Werk auf und bringt in Kartoffelhausen Wolle und Tamara zusammen. Aber die Kobolde gönnen Amor diesen Erfolg nicht, und so wird das junge Glück bald von Wolles Arbeitslosigkeit überschattet. Wolle muss nun mit weniger Geld auskommen, schreibt erfolglose Bewerbungen und erlebt die bürokratische Unfähigkeit des Kartoffelhausener Arbeitsamtes. Dadurch leidet auch die Beziehung zwischen Wolle, der sich durch finanzielle Hilfen seiner Freundin gedemütigt fühlt, und Tamara, die in der schwierigen Lage krampfhaft alles richtig machen will und bei Rückschlägen überdramatisiert, immer stärker.

Aber es kommt noch schlimmer: Der Teufel, dessen Unternehmen Hölle auch nicht mehr so gut läuft, muss einen Nebenjob annehmen und wird Chef der Kartoffelanstalt für Arbeit. Wolle besucht nun ein Bewerbungstraining und EDV-Kurse für das Sanduhr-Anzeige-Programm (SAPperlot, hier kennt jemand die Organisationsprobleme moderner Handelsunternehmen.). Er ergreift Billigjobs, die seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung mindern, heuert bei einer Zeitarbeitsfirma an und wird durch die ständigen Rückschläge immer gleichgültiger und bitterer. Die Arbeitsanstalt fährt stets neue propagandistische Aufmunterungsprogramme („Von den Kosten der professionellen Vermarktung dieser Kampagne hätten 25.000 Krankenschwestern ein ganzes Jahr leben können.“). Die Regierung gibt derweil die eigene Währung auf und öffnet die Grenzen zum Ostkartoffelreich, wodurch sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch weiter verschärft („Hätten wir die Braut nicht erst einmal kennen lernen sollen, anstatt sie gleich zu heiraten?“).

Amor, motiviert durch seinen Volltreffer, baut inzwischen eine Karriere von der Scheinselbständigkeit über den Vorruhestand bis in den hingebungsvoll praktizierten Alkoholismus auf. Und dann hat Satan seinen großen Auftritt vor den Dämonen und den Kobolden … Doch mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

_Das Buch_

Das Buch beginnt etwas schwach. Seitenweise erleben wir das frisch verliebte Paar Tamara und Wolle, und Arbeitslosigkeit ist nur insofern ein Thema, als dass sie die Beziehung der beiden belastet. Wenn ausführlich beschrieben wird, wie engagiert sich Wolle in seine zunächst noch vorhandene Arbeit kniet und wie glücklich er mit seiner Tamara ist, kann man eine persönliche Vergangenheitsbewältigung des Autors, der übrigens Wolfgang heißt, vermuten. Der bürokratische Kampf um die Erstattung von Bewerbungskosten durch das Arbeitsamt wird nur erzählt. Wieso keine Szenen und Dialoge? Es sollte doch eine satirischer Roman und kein Bericht werden.

Aber etwa ab dem 5. Kapitel steigert sich die Geschichte deutlich. Endlich kommt Tornow zum Thema, und nun gelingen ihm Episoden, die mich trotz des ernsten Hintergrundes der Geschichte immer wieder laut lachen ließen. Wolle erlebt konfuse Manager, die unfreundliche Unfähigkeit des Arbeitsamtes und später die freundliche Unfähigkeit der Arbeitsagentur und ein System, das ihm immer wieder Stöcke zwischen die Beine wirft, wenn er selbst die Initiative ergreifen will. Dass aber in der Episode über seinen Minijob als Telefonist ein Fall von Kindesmissbrauch für ein paar Kalauer herhalten muss, ist völlig daneben.

Absolute Höhepunkte der Geschichte sind die Ansprachen des Dozenten im Bewerbungskurs und des neuen Arbeitsvermittlers in der Agentur sowie Wolles Erlebnisse als Zeitarbeitskraft in Firmen, die von Unternehmensberatungen fast kaputt optimiert worden sind. An diesen punktgenauen Treffern erkennt man die Recherchearbeit Tornows. Und wie erwähnt, funktioniert die Geschichte gegen Ende auch noch als politische Satire, wenn sie kaum noch verschlüsselt den Wahnsinn der Wirklichkeit schildert.

_Fazit_

Abgesehen vom etwas langatmigen Anfang ist „Sei HARTz“ ein gelungenes und empfehlenswertes Buch über ein heikles Thema. Wolfgang Tornow hat Mut bewiesen, indem er über etwas so Unangenehmes wie Arbeitslosigkeit, worüber viele nichts mehr hören mögen, geschrieben und dabei sicher auch einige eigene schmerzhafte Erfahrungen berichtet hat. Ein ungewöhnliches Buch über ein ungewöhnliches Thema.
Vor weiteren Auflagen, die „Sei HARTz“ auf jeden Fall zu wünschen sind, wäre aber eine gründliche Lektorierung angesagt. Arbeitslosigkeit ist schrecklich. Der Einzige, dem man dieses Schicksal wünschen mag, ist der frühere Deutschlehrer des Autors, der seinem Schüler die Zeichensetzung und den Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ nicht richtig beigebracht hat.

Wer mehr über das Buch wissen möchte, sollte die Webseite http://www.seiHARTz.de besuchen, auf welcher der Autor ausführliche Informationen über sein satirisches Märchen bereithält.