Cornwell, Patricia – fünfte Paar, Das

_Der Killer hinterlässt eine Karte_

Bei dem Serienmord an vier jungen Pärchen tappen Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta und die Polizei immer noch im Dunkeln. Die Leichen wurden jeweils erst Monate nach der Tat gefunden, und die Opfer gaben nicht mehr viel von den Umständen ihres Todes preis. Bis dann ein fünftes Paar ermordet im Wald liegt – und das tote Mädchen ist ausgerechnet die Tochter von Staatsanwältin Pat Harvey, die sich im Kampf gegen Drogen einen Ruf erworben hat. Stehen also politische Motive im Vordergrund der Mordserie? (Verlagsinfo)

|Die Autorin|

Patricia Cornwell, 1956 in Miami geboren, war Polizeireporterin und Computerspezialistin am Gerichtsmedizinischen Institut von Virginia, bevor sie zu schreiben begann. Mit den Thrillern um ihr literarisches Alter Ego, die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta, wurde sie zur „erfolgreichsten Thrillerautorin der Welt“ (Der Spiegel). Cornwell lebt allein in Richmond / Virginia und in Malibu / Kalifornien. (Verlagsinfo)

Mehr Info: http://www.patriciacornwell.com

|Die Sprecherin|

Franziska Pigulla war Moderatorin bei n-tv, SAT.1 und bei der BBC in London. Als eine der bekanntesten Sprecherinnen synchronisiert sie Gillian Anderson aus „Akte X“, Demi Moore, Fanny Ardant und Sharon Stone. Auch als Erzählerin bei „Galileo“-Dokumentationen ist sie regelmäßig im Off zu hören. Für |HoCa| hat Pigulla bereits mehrere Romane vorgetragen:

– Blinder Passagier
– Das letzte Revier
– Das fünfte Paar (früherer Titel: „Herzbube“)
– Brandherd
– Die Dämonen ruhen nicht

Weitere Cornwell-Hörbücher: Wer war Jack the Ripper? – Portrait eines Killers; Die Tote ohne Namen.

Aufgenommen wurde das Hörbuch von True Muze in Hamburg. Regie führte Vlatko Kucan, der Text wurde von Gisela Mathiak gekürzt.

_Handlung_

Der 31. August ist ein Samstag, aber Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner in Richmond, Virginia, arbeitet trotzdem und hofft auf ein geruhsames Wochenende. Daraus wird allerdings nichts, denn der Polizist Pete Marino ruft sie an. Schon wieder ist ein Liebespärchen verschwunden, und das ist jetzt schon das fünfte in der Serie. Man fand den Wagen auf einem Rastplatz an der Autobahn Interstate 64. Alle fünf Paare fand man im Umkreis von 80 km um Williamsburg. Doch bislang war Kay nicht in der Lage, an den skelettierten Leichen die Todesursache festzustellen. Das ändert sich mit dem fünften Paar.

Der Jeep Cherokee gehörte Deborah Harvey, der Tochter der Staatsanwältin Pat Harvey, einer sehr mächtigen Kämpferin gegen die Drogenmafia, die man die „Drogenzarin“ nennt. Deborahs Freund Fred Cheney wird ebenfalls vermisst. Beide waren Studenten. Kay überlegt, dass der Wagen schnell gefunden werden sollte, aber von den Insassen fehlt jede Spur, sogar Debbies Handtasche. Die Suchhunde finden nichts.

Benton Wesleys Anwesenheit bedeutet, dass das FBI seine Finger in diesem Fall drin hat und die Ermittlungen steuert. Tatsächlich vergattert Wesley Kay und Marino zu größter Verschwiegenheit. Aber Staatsanwältin Pat Harvey will natürlich das genaue Gegenteil, denn sie möchte wissen, was mit ihrer Tochter passiert ist. Denn Harvey hat viele Feinde in der Drogenszene, und Wesley weist auf mögliche politische Hintergründe einer Entführung hin. Er hält es sogar für möglich, dass Pat Harvey durchdreht. Dabei wird Harvey als die nächste Vizepräsidentin gehandelt.

Kay erinnert sich an ihre Freundin Abbiie Turnbull, die in Williamsburg Polizeireporterin war, bevor sie zur „Washington Post“ ging. Abbie weiß alles über die Pärchenmorde, doch in letzter Zeit ist es still um sie geworden. Ein Anruf ergibt, dass sie in der Redaktion versetzt wurde und außerdem vom FBI überwacht wird, seit sie sich zum CIA-Ausbildungszentrum „Camp Peary“ verirrt hatte. Aber jetzt hat Abbie einen Buchvertrag, um eine heiße Story über die Mordserie veröffentlichen zu können. Kays Ex-Freund Mark James warnt Kay vor der Besessenheit, mit der sich Abbie dieser Story widmet.

Es wird Januar, bis Jäger – wie stets zuvor – die beiden Leichen im Wald finden. Sie sind skelettiert und ohne Kopf, aber immerhin findet Kay eine Kugel, die in Debbies Lendenwirbel steckt. Ein ungewöhnliches Geschoss, das normalerweise nur von Polizisten und Söldnern benutzt wird. Außerdem fehlen an Debbies Händen Fingerknochen: Sie hat sich verzweifelt gewehrt, bevor sie getötet wurde. Wahrscheinlich mit einem Messer, denn in ihrem Zeigefingerknochen ist eine tiefe Kerbe mit gezackten Rändern – ein Jagd- oder Kampfmesser hinterlässt solche Spuren. Wie immer fehlen den Toten Schuhe und Strümpfe, und am Fundort sind Zigarettenstummel zu finden.

Aber dass ein wichtiges Detail fehlt, erfährt Kay weder durch die Polizei noch durch das FBI, sondern durch Abbie: Bislang lag bei allen Leichen eine Spielkarte als Signatur: der Herzbube. Warum fehlte er beim fünften Paar? Kay findet heraus, dass Special Agent Benton Wesley die Karte an sich nahm und seitdem ein falsches Spiel mit ihr treibt. Warum?

_Mein Eindruck_

Fast jeder in diesem immens spannenden Fall hat eine eigene Agenda und verfolgt seine Pläne auf Kosten aller anderen. Nicht nur das FBI scheint sich verschworen zu haben, wie Pat Harvey in einer TV-Pressekonferenz behauptet, sondern auch Abbie. Doch Abbie wird wiederum das Opfer ihres Kollegen Clifford Ring, der, in Diensten des FBIs Schmähartikel schreibend, sich an Abbie heranmacht, um ihre Rechercheergebnisse zu klauen.

Dadurch sieht sich nun auch Kay Scarpetta in ein ungünstiges Licht der beruflichen und privaten (!) Inkompetenz gerückt, das sie wütend macht: eine geschiedene Frau, die aus dem Sündenpfuhl Miami kommt und an Leichen rumschnippelt – darf man so einer Frau trauen? Wenn es nach Leuten wie Clifford Ring geht, offenbar nicht. Plötzlich kriegt auch ihr Boss Dr. Sessions Fracksausen und bedeutet ihr, er werde ihr trotzdem gegen FBI, Presse und Pat Harvey beistehen. Kay weiß genau, dass die eigentliche Bedeutung seiner Worte lautet, er werde sie als Bauernopfer benutzen, um sich und seinen Stuhl zu schützen.

Doch Kay lässt sich nicht irritieren, und spannt Marino ein, um Hinweisen auf frühere Verbrechen nachzugehen, die schon fünf Jahre lang zurückliegen. Ausgerechnet im friedlichen Williamsburg stößt sie auf einen Doppelmord an zwei lesbischen Frauen, der alle Züge eines missglückten Pärchenmords trägt – inklusive fehlender Schuhe und Strümpfe. Warum hat niemand diesen Mord mit den anderen Taten in Verbindung gebracht, fragt sie sich. Es muss wohl daran liegen, dass so viel Zeit verging, bis sich der Killer wieder zu frischen Taten aufmachte. Wo ist das FBI, wenn man es braucht?

Benton Wesley erwähnt die Ausbildungsmethoden, die das CIA für seine Agenten einsetzt. Dazu gehört nicht nur die Verkleidung als harmloser Zeitgenosse, sondern auch die Schulung in Überlebenstechniken und das Anlegen von so genannten „Mordzonen“, also geeigneten Gegenden für das Töten von Menschen. Die Wälder um Williamsburg sind offenbar eine solche Mordzone. Ein sehr beunruhigender Gedanke, findet Kay.

Es kommt zu einer verhängnisvollen Entwicklung, als Kay ihre Erkenntnisse Abbie anvertraut und diese Pat Harvey informiert. Bevor Kay richtig reagieren kann, machen sich Abbie und Harvey auf den Weg, um den inzwischen gefundenen und mangels Beweisen wieder freigelassenen Hauptverdächtigen zu „besuchen“. Beide führen Schusswaffen mit sich …

|Schwächen|

Es gibt zwei Szenen, die für einen solide recherchierten Thriller ziemlich ungewöhnlich sind und den Glauben des Lesers herausfordern, dass es hier mit rechten Dingen zugeht. Die erste solche Szene ist die Konsultation eines Mediums, der „Hellseherin“ Hilda Ozimek in South Carolina. Sowohl Kay als auch Pete Marino kehren von dieser Sitzung tief erschüttert zurück. Wenn man es ihnen nur abnehmen könnte.

Die zweite Szene ist noch weitaus unwahrscheinlicher. Der DNS-Vergleichstest von Blutspuren, die der verhaftete Hauptverdächtige hinterlassen hat, ist widersprüchlich. Die Proben stimmen nicht überein. Um zu belegen, dass es sich dennoch um ein und denselben Blutspender handelt, bemüht die Autorin einen ziemlich exotischen Trick: Knochenmarksübertragung. Mehr soll nun aber wirklich nicht verraten werden.

|Die Sprecherin|

Wieder einmal macht Franziska Pigulla aus einem passablen Krimi der Cornwell ein Hörerlebnis, an das man sich noch gerne erinnert. Dabei ragen mehrere Figuren heraus, die sie ausgezeichnet charakterisiert. Abbie Turnbull ist offensichtlich eine völlig gestresste Journalistin, die Kette raucht und sich hustend und schniefend auch mal bereit findet, über ihre Gefühle zu sprechen und sich zu entschuldigen, wenn sie nicht gerade flüsternd im Verfolgungswahn schwelgt. Wenn sie angesäuselt klingen soll, nuschelt Pigulla allerliebst.

Mehrere ältere Herrschaften treten auf. Hilda Ozimek klingt heiser und drückt sich sehr zögerlich aus. Das Gleiche gilt für Mr. Joyce, dessen Hund von unserem Killer kaltblütig erschossen wurde, als „Dammit“ ihn beim Auskundschaften einer „Mordzone“ störte. Der alte Mr Joyce hat eine tiefe, raue Stimme, und seine Sätze brauchen schon auch mal einen gehörigen Anlauf, bevor sie aus seinem Mund kommen.

Gegen Schluss gibt es noch einmal ein Schmankerl: Kay hört sich Abbies Aufnahme ihres Gesprächs mit dem Hauptverdächtigen an: Schreie, Schüsse, Chaos. Das ist ein kleines akustisches Drama, das Pigulla inszeniert, ohne dabei zu übertreiben. Umso stärker ist die Wirkung auf den Hörer.

_Unterm Strich_

„Das fünfte Paar“ ist ein spannender, aber nicht ganz perfekter Thriller aus Cornwells Schreibwerkstatt. In zwei Szenen wird der Glaube des Lesers bzw. Hörers beträchtlich strapaziert. Wer den Glauben dadurch verliert, dürfte den Roman in die Ecke feuern ob dieser Zumutung. Aber ansonsten verwöhnt uns die Autorin mit einem sauber recherchierten Fall, der harte Kritik an käuflichen Medien, rücksichtslos abhörenden FBI-Agenten und brutal niedergemachten Politikern übt. Seltsamerweise spielt die Kritik am Täter kaum eine Rolle – wieder mal ein Spinner, der etwas kompensieren muss, um sich als perfekter Soldat zu beweisen.

Franziska Pigulla macht die spannende Geschichte zu einem Genuss für die Ohren, indem sie die Figuren lebensnah sprechen lässt. Diese emotionale Darstellung ist nicht jedermanns Sache, aber mir gefällt sie, weil sie so außergewöhnlich ist und einfach zu einem Drama dazugehört.

|Originaltitel: All that remains, 1992
Aus dem US-Englischen übersetzt von Georgia Sommerfeld
329 Minuten auf 5 CDs|