Meyer, Kai / Schlüter, Jörg / Illerhaus, Ulla – Der Brennende Schatten

_Nixenkampf mit dem Leviathan_

Venedig, 1830. Magie ist alltäglich, Stadtgardisten reiten auf steinernen Löwen durch die Gassen. Arcimboldo, der 15-jährige Lehrling eines Spiegelmachers, findet am Ufer der Lagune die schwer verletzte Meerjungfrau Unke. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in die Tiefen der See – durch die Ruinen versunkener Reiche, in die Welt der grausamen Meerhexe … (Verlagsinfo)

Der Brennende Schatten“ ist das Vorspiel zu „Die Fließende Königin“, dem ersten Band der Trilogie „Merle und die Fließende Königin“ (s. u.).

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die Fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet.

Die Trilogie „Merle und die Fließende Königin“:

1) Die Fließende Königin
2) Das Steinerne Licht
3) Das Gläserne Wort

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1)

_Die Inszenierung_

Die Sprecher und ihre Rollen:

Peter Fitz: Erzähler
Laura Maire: Unke
Florian Seigerschmidt: Arcimboldo
Martin Bross: Umberto
Mechthild Großmann: Meerhexe
Maximilian Hilbrand: Kapitän Christo
Ernst August Schepmann: Prof. Burbridge
u. v. a.

Der WDR produzierte dieses Hörspiel im Jahr 2005. Für die Musik und Komposition zeichnet Rainer Quade verantwortlich, als Toningenieure arbeiteten Markus Haßler und Benno Müller vom Hofe, Regie führte Jörg Schlüter. Dramaturgie und Redaktion gehen auf das Konto von Ulla Illerhaus.

Mehr Infos: http://www.wellenreiter.la

_Handlung_

|Prolog.|

Im Reich der Meerhexe gibt es einen Eindringling: eine unbekannte Meerjungfrau. Diese nennt sich Unke und hat ein Geschenk für die mächtige alte Herrscherin. Sie äußert einen ungewöhnlichen Wunsch: Sie will die Beine einer Menschenfrau haben. Sehr seltsam, findet die Meerhexe, und ihre Nixen wundern sich. Unke gibt als Grund an, dass sie sich in einen Menschenjungen verliebt habe. Mit dem wolle sie zusammen sein, aber das gehe nicht, wenn sie noch einen Fischschwanz besitze, ihren Kalimar. Denn die Menschen verfolgen bekanntlich alle Meerjungfrauen, warum auch immer.

Die Meerhexe wendet ein, dass der Junge Unke trotz ihrer Menschenbeine nicht küssen würde, denn sie besitze immer noch ihr Haifischmaul. Das solle sie mal ihre Sorge sein lassen, meint Unke. Na schön, willigt die Meerhexe ein, aber unter einer Bedingung (lies: der Haken beim Deal): Nachdem ihr Unke ihren Schuppenschwanz überlassen habe, werde sie diesen nach einer gewissen Zeit und nach Gutdünken auffressen. Dann werde Unke ihr Leben verlieren. Unke ist damit einverstanden. Die Nixen bedauern diese arme Irre unendlich. Muss Liebe schrecklich sein.

|Haupthandlung.|

Arcimboldo ist im Jahr 1830 der 16-jährige Lehrling eines venezianischen Spiegelmachers, sein bester Freund Umberto ist Lehrling eines Webers. Da hört Arcimboldo das Klagen einer Meerjungfrau, und sein Herz befielt ihm, ihr zu helfen. Doch Umberto warnt ihn davor, sich mit einem solchen verbotenen Geschöpf einzulassen. Doch diese Meerjungfrau hat Beine, sie ist eine Frau! Arcimboldo verliebt sich gleich in ihre großen blauen Augen, die von schwarzem Haar umrahmt werden. Trotz ihrer Beine scheint sie sehr wackelig zu gehen.

Umberto haut ab, als er die Löwen der Stadtwache grollen hört, und auch Arcimboldo beeilt sich, mit der jungen Frau wegzukommen. Ein alter Dieb bringt die beiden in ein Versteck am Wasser, dann holt er Kerzen sowie eine Maske aus Glas für Unke. Damit könne sie ihr Haifischmaul verdecken und sich in der Öffentlichkeit zeigen. Wenn man sie aufspürt, werde man sie foltern, denn die Venezianer fürchten, dass das Meervolk ihre Stadt erobern will. So ein Unsinn! Schließlich gebe es ja unter dem Ozean ausgedehnte Kulturen.

Arcimboldo begeht einen Fehler, als er Umberto von Unke erzählt, aber zu spät merkt er, was er angerichtet hat. Erneut muss er Unke verstecken. Sie erzählt ihm von der Meerhexe und ihrem gefährlichen Wächter, dem Leviathan. Sie will zurück, um ihren Kalimar wiederzuholen, bevor die Herrscherin ihn verspeist. Arcimboldo will Unkes Freund sein und will mitkommen.

Die Zeit läuft für Unke und Arcimboldo ab, als die Nixe seinem Freund Umberto in die Arme läuft. Umberto will sie sofort melden. Mit Hilfe des alten Diebes kann Unke entkommen. Die beiden Menschen besorgen einen antiken Tauchhelm, der über magische Eigenschaften verfügt, denn er stammt aus den subozeanischen Kulturen. Als Arcimboldo mit Unke in die Lagune taucht, spendet ihm der Helm nicht nur Atemluft, sondern auch Wärme.

|In die Tiefe|

Nixen bringen die beiden Abenteurer in die Ruinen auf einer versunkenen Insel. Hier erhalten sie Rat von der alten, weisen Iolande. Es führe kein Weg daran vorbei, die Meerhexe durch einen Lärm abzulenken, so dass Unke in die Höhle der Herrscherin eindringen und ihren Kalimar zurückholen könne. Doch was ist mit dem Wächter, dem Leviathan? Dieser kämpft, so berichtet Iolande, seit neuestem mit einem unbekannten Eindringling, dem Brennenden Schatten. Dieser schwarze Koloss erstrahle von innen heraus, so dass er wohl von Feuer erfüllt sei. Vielleicht würde dieser Eindringling Leviathan ablenken. Aber dann müssten sie schon sehr viel Glück haben.

Um den großen Lärm zu erzeugen, können Arcimboldo und Unke eine der Turmglocken der versunkenen Kirche abnehmen und in den Abgrund stoßen. Trifft sie auf dessen Boden auf, so sollte das Dröhnen ausreichen, die Meerhexe schier um den Verstand zu bringen. Zusammen machen sich alle ans Werk. Doch als die Glocke bereits unterwegs in die Tiefe ist, taucht der Brennende Schatten und hält genau auf Arcimboldo und Unke zu …

_Mein Eindruck_

Der Autor wurde gefragt, ob er nicht eine Vorgeschichte zu „Die Fließende Königin“ schreiben könne, und als darüber nachdachte, erschien es ihm einleuchtend, etwas darüber zu erzählen, wie es zu der Feindschaft zwischen Arcimboldo und Umberto kam. Der Grund war ihre gegensätzliche Reaktion auf das Erscheinen der Meerjungfrau Unke in Venedig.

An diese Ausgangsposition knüpft der Autor mehrere recht bekannt vorkommende Geschichtenmotive an, die in ihrer neuartigen Kombination für eine recht unterhaltsames Hörspiel sorgen. (Im Druck ist diese Erzählung angeblich noch nicht zu haben.) Da der Autor von vornherein Fantasy-Elemente wie etwa gehende und brüllende Steinlöwen sowie Meerjungfrauen zusammenbringt, dürfte wohl klar sein, dass auch mit weiteren phantastischen Motiven zu rechnen ist. Ich werde ein paar davon aufzählen, doch wer sich die Spannung erhalten möchte, sollte diesen Abschnitt überspringen.

|Quellen|

Der Verweis auf die verschwundenen „subozeanischen Kulturen“ ist ein klarer Hinweis auf Atlantis und alle ähnlichen versunkenen Reiche wie etwa das pazifische Inselreich Mu (auf das mitunter japanische SF-Filme referieren). Auch bei H. P. Lovecraft findet sich eine derartige Erzählung („Der Tempel“, 1925). Daher dürfte es wohl kaum verwundern, dass in den Tiefen des Meeres ein Unterseeboot auftaucht.

Es ist die „Calliope“ unter Kapitän Christo, gechartert von einem Franzosen und bevölkert von unternehmungslustigen Archäologen, die in der Tiefe einen – wer hätte das gedacht? – alten Tempel der Subozeaner suchen. An Bord ist ein lebendiger Sphinx namens Kalphater, dessen Herr und Meister ein ägyptischer Priester namens Matuul ist. Welche Geheimnisse diese beiden verbergen, lässt natürlich einem Naseweis wie Arcimboldo keine Ruhe. Das führt zu einigen Verwicklungen.

Jedem SF-Kenner dürfte klar sein, wo das Vorbild für die „Calliope“ zu finden ist: in der „Nautilus“ Kapitän Nemos, die sich der Franzose Jules Verne ausdachte, allerdings wesentlich später als 1830. Immerhin aber hat die „Calliope“ höchst moderne Verteidigungsanlagen an Bord, nämlich Treibminen. Diese setzt sie gegen den Wächter der Meerhexe ein, den Leviathan, auch dies ein mythisches Wesen.

Der Besuch bei der Meerhexe ist die nächste Station unseres Heldenpaares, und wie diese Begegnung geschildert wird, erinnert sie stark an eines meiner Lieblingsmärchen: „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“. Wie oben angedeutet, will Unke ihren Schuppenschwanz zurückerlangen, damit die Meerhexe sie nicht mehr töten kann. Dummerweise hat die Herrscherin eben diesen Kalimar nah an ihren Körper gedrückt, und so ist es eine sehr kitzlige Sache, ihn zu stibitzen – genau wie im genannten Märchen die drei goldenen Haare.

Schließlich erfüllen die beiden Helden jedoch zusammen mit der „Calliope“ ihre ewige Rolle, indem sie das Wasserreich von der grausamen Herrscherin befreien, der Meerhexe. Diese wird nämlich von den unterdrückten Untertanen, den Nixen, zerrissen. So grausam können Märchen sein. Auf Unke und Arcimboldo warten jedoch sowohl sonnige als auch aufregende Tage.

_Die Inszenierung_

Hier waren echte Profis am Werk, und das sollte man natürlich von einer Produktion des Westdeutschen Rundfunks auch erwarten können. Dort werden bekanntlich hervorragende Hörspiele produziert.

Die Performance wird nicht so sehr von den Sprechern geprägt, die zwar alle kompetent sind, aber nicht irgendwie auffallen, sondern vielmehr durch die Geräusche. Man stelle sich bitte einen normalen Kinofantasyfilm vor, inklusive aller Geräusche und Soundeffekte, und bekommt dann ungefähr eine Vorstellung davon, wie aufregend es in diesem Hörspiel zugeht. Dies ist wahrhaftig Kino für die Ohren.

Vom kleinsten Klirren einer Tasse im Vordergrund bis hin zu den dröhnenden Explosionen im Hintergrund ist die ganze dreidimensionale Klangpalette abgedeckt. Im Finale ist dies recht dramatisch mit anzuhören, denn der Zuhörer sitzt ja mittendrin. Natürlich lösen diese „lauten Momente“ auch wieder leise Szenen ab, die dann vor allem durch Blubbern gekennzeichnet sind, wie man das eben unter Wasser erwarten darf.

Einen Sonderfall bilden die mythischen Wesen, seien es die Löwen von San Marco oder der Leviathan. Hierfür mussten sich die Sounddesigner etwas Neues einfallen lassen. Die Löwen erscheinen nun zugleich majestätisch, aber auch furchteinflößend (besonders für eine Nixe auf der Flucht). Der Leviathan muss ein Gebrüll ausstoßen, das nicht nach Löwe im Freiluftgehege klingt, sondern nach Gebrüll unter Wasser. Und die Meerhexe verrät durch ihre sehr tiefe, raue Stimme, dass sie keineswegs menschlich ist, sondern fast schon ein Ungeheuer.

|Musik|

Von Musik ist erstaunlich wenig zu hören, was wohl an den dominierenden Geräuschen liegen mag. Außer am Anfang und am Schluss hält sich Musik sehr zurück. Der Ausklang wird von Harfe, Violine, Flöte und einem Streichorchester bestritten, alles in allem eine sehr romantische Kombination, die zur Harmonie des Happyends passt.

_Unterm Strich_

Das Hörspiel, das der WDR produzierte, bietet für Kai-Meyer-Fans eine akustisch sehr gelungene Zugabe zum bekannten Zyklus „Merle und Die Fließende Königin“. Das Hörspiel konnte mich mit Romantik, Dramatik und ungewöhnlichen Einfällen gut unterhalten, so dass ich mich zuweilen wie in einem Kinofilm fühlte.

Allerdings frage ich mich, ob der hohe Preis von rund 17 Euro wirklich gerechtfertigt ist. Nun, man erhält dafür immerhin auch ein Booklet mit einem persönlichen Text von Kai Meyer geliefert sowie mit einem schönen Grafikdesign (das sich auch dem Steckkarton wiederfindet).

Was nun der Brennende Schatten ist? Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Aber die Antwort steckt in meinem Text.

|Der Brennende Schatten, 2005
102 Minuten auf 2 CDs|
http://www.wellenreiter.la
http://www.luebbe-audio.de

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