Varesi, Valerio – Nebelfluss, Der. Commissario Soneri sucht eine Leiche

Der italienische Krimi ist ja seit jeher berüchtigt, unter anderem auch, weil er sich durch eine Kompromisslosigkeit und manchmal auch eine Brutalität der Hauptfiguren auszeichnet, wie man sie auf diese authentische Art und Weise nur selten geboten kommt. Doch der italienische Krimi steht auch für eine Menge Eigensinn und folglich auch ganz eigenwillige Charaktere, so wie es beim hier rezensierten Roman „Der Nebelfluss“ von Valerio Varesi der Fall ist, dem ersten Roman dieses Autors.

Varesi wurde 1959 in Turin geboren und widmete sich sehr bald dem Thema Journalismus. Mit einer Arbeit über Kierkegaard promovierte er und schaffte es schließlich in die Redaktion der „Repubblica“. „Der Nebelfluss“ ist der Beginn seiner Schriftstellerkarriere und brachte ihm die Nominierung für einen der wichtigsten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, ein.

_Story:_

Wieder einmal Hochwasser am Po, wie so oft im Herbst. Doch dieses Mal steht der Fluss so hoch wie selten zuvor, weshalb die Dörfer in der näheren Umgebung evakuiert werden müssen. Nur die alten erfahrenen Schifffahrer widersetzen sich den Anweisungen des Präfekten und sehen nicht ein, ihren Stütztpunkt, den Circulo Nautico, zu verlassen.

Eines Abends werden sie dabei Zeugen einer eigenartigen Begebenheit. Das Schiff des fast achtzigjährigen Anteo Tonna läuft trotz der schweren Bedingungen mitten in der Nacht aus. Und obwohl das Licht in der Führerkabine noch an ist, kann man weit und breit keine Menschenseele auf dem Schiff sehen. Auch die unkonventionelle Art, mit der das Schiff ausläuft, will gar nicht zum erfahrenen Kapitän passen und gibt den Anwesenden im Circulo Nautico Rätsel auf. Nach einer dramatischen Fahrt kommt das Schiff schließlich an einer Sandbank zum Stillstand, und obwohl die Carabinieri keinen Mann mehr an Bord finden, ist es fast unmöglich, dass das Schiff ohne Steuermann sicher unter die Brücken und durch die sonstigen Hindernisse hindurch navigieren konnte.

Einen Tag später wird in einem nahe gelegenen Ort eine Leich entdeckt. Ein Mann ist aus dem Fenster gestürzt, und die Polizei vermutet zunächst einen Selbstmord. Die Spuren am Tatort lassen jedoch darauf schließen, dass der Verstorbene ermordet wurde. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass es sich hierbei um den Bruder des verschwundenen Schiffsmannes Tonna handelt …

Commissario Soneri steht vor einem Rätsel. In welchem Zusammenhang steht das Verschwinden des einen Bruders mit dem Tod des anderen? Und welche Chance besteht, dass Anteo Tonna nach seinem Verschwinden überhaupt noch unter den Lebenden weilt?

Soneri geht der Sache auf den Grund, stößt dabei aber auf eine Mauer des Schweigens. Die alten Männer, die sich in der Gegend herumtreiben, stören sich an der Schnüffelei des Commissarios, wollen ihm bei seinen Ermittlungen nicht weiterhelfen. Erst als dieser herausfindet, dass es sich beim Tatmotiv um eine Geschichte aus längst vergessener Zeit handeln könnte und das politische Treiben der Nachkriegszeit manchen der Herrschaften immer noch durch den Kopf schwirrt, beginnt er durch die konfusen Vorgänge durchzublicken. Infolgedessen taucht Soneri in die Welt von versteckten Faschisten, fanatischen Alt-Kommunisten und Menschenschmugglern ein und beginnt, die Puzzlestücke für das große Rätsel Stück für Stück zusammenzusetzen.

_Bewertung:_

Valerio Varesi kennt sich gut aus in der Pogegend, denn er erzählt die Geschichte mit sehr viel Liebe zum Detail und listet dabei eine ganze Reihen von Fakten auf, ohne dass die Geschichte ihren Erzählcharakter verlieren würde. So gelingt es ihm auch spielend, dem Roman von Beginn an die nötige Authentizität zu verleihen, und es dauert maximal zehn Seiten, da glaubt man selbst schon, der Fluss bzw. das Hochwasser würden im eigenen Keller hausen. Sehr gelungen!

Von der recht kühlen Atmosphäre mal abgesehen, hat Varesi aber auch eine kluge und spannende Handlung konstruiert, in die immer wieder neue Details einfließen können, welche wiederum für stetig neue Wendungen sorgen. So baut Varesi die einzelnen Teile der Geschichte stückweise auf und rollt den Strang in aufeinanderfolgenden Episoden auf. Das hat aber leider auch den Nachteil, dass ,diverse wichtige Einzelheiten erst recht spät im Roman auftauchen und so einige zuvor geschilderte Themen unwichtig erscheinen lassen.

Trotzdem weicht Varesi nie von der eigentlichen Handlung ab und legt so auch ein relativ flottes Erzähltempo vor. Simpel geschrieben, aber effektiv und kurz ausgeschmückt – dieser Devise hat Varesi sich angenommen und liegt damit zweifelsohne auf Erfolgskurs, die Spannungskurve gibt ihm dabei schließlich recht.

Was mir persönlich sehr gut gefällt, sind die einzelnen Schwenks in die Vergangenheit mit ihrem Bezug zur Gegenwart. Der Autor erzählt quasi zwei Geschichten und erklärt die vergangene mit der gegenwärtigen und umgekehrt. Hier hätte man die Angelegenheit inhaltlich lediglich noch etwas besser ausschmücken sollen, denn auch im Hinblick auf die Vergangenheit wünscht man sich als Leser des Öfteren detailliertere Einzelheiten zur politischen Lage Italiens in der Nachkriegszeit. Aber gut, Varesis Aufgabe ist es nicht, zu informieren, sondern zu unterhalten, und diesbezüglich hat der Schriftsteller und Redakteur einen fabelhaften Job hingelegt, nicht zuletzt aufgrund des authentischen Transfers und der perfekt eingefangenen, eigenwilligen italienischen Gemüter (speziell die etwas zickige Freundin des Commissarios, aber auch der Hauptcharakter und seine alten Gegenspieler).

Krimifans kommen also auf ihre Kosten und finden in „Der Nebelfluss“ exzellente und kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch, Italien-Begeisterte hingegen sollten in dieser Geschichte ein weiteres literarisches Muss entdecken.