Bernward Schneider – Endstation Reichskanzlei

Eine Gestapoagentin – das ist Greta Jenski, eine ehemalige Tänzerin, die in einem geheimen Berliner Edelbordell als Bardame arbeitet und im Auftrag der Gestapo die Kunden aushorcht. Aber Greta fungiert in Wahrheit als Doppelagentin, die im Auftrag ihres Geliebten Michel Greinz für einen fremden Geheimdienst spioniert. Mitte April 1945 – der „Russe“ steht vor den Toren der Reichshauptstadt – zieht sich auch für sie die Schlinge um den Hals immer enger zu. Ist Selbstmord tatsächlich der einzige Ausweg für Greta?
(Verlagsinfo)


Der Roman von gut 300 Seiten kommt bis zur Seite 126, dem Beginn des neunten Kapitels, ohne Kriminalfall aus. Zwar gibt es Zyankali-Tote, Agenten- und Doppelagentenspielchen, Gedanken über Mord und Selbstmord, über Verfolgung und ausweglose Situationen, ein Treffen sogar mit Adolf Hitler im Reichskanzleipark, aber nichts, was dem Roman das Prädikat »Kriminalroman« einbringen dürfte. Eher ist es ein augenscheinlich gut recherchierter Historischer Roman aus dem Berlin kurz vor dem Fall, die Russen rücken auf die Stadt vor, die Bevölkerung ist Angst und Schrecken ausgesetzt und versucht trotzdem, ein möglichst normales Leben zu leben. Geschichten um die Gräueltaten der vorrückenden Russen machen die Runde – wie es unter diesen Umständen überhaupt jemand geschafft hat, den Krieg zu überleben und sich nicht spätestens mit Einrücken der Russen selbst zu entleiben, ist ein Wunder menschlichen Überlebenswillens.

Die folgenden drei Kapitel kann man mit einigem Recht als Krimihandlung ansehen, denn hier wird die Protagonistin in ein verzweifeltes Aufbäumen der Staatspolizei verwickelt, das sich für die Betroffenen als sinnloser Versuch, irgendeine staatshuldnerische Ordnung aufrecht zu erhalten, als Einbahnstraße, als regelloses Spiel um die Art der Hinrichtung darstellt. Damit wirft Schneider ein weiteres Schlaglicht auf die Zustände kurz vor dem Ende, geht allerdings nicht weit genug angesichts der immer wieder betonten körperlichen Vorzüglichkeit der Protagonistin. Innerhalb von 80 Seiten löst sich dieser scheinkriminalistische Faden wieder auf und geht in das zentrale Endzeitszenario in der Reichskanzlei über, wo laut Titel die Entscheidung zu fallen hat.

Spätestens nach Kapitel 15 ist endlich klar, dass es sich im Hintergrund doch um eine intrigante und undurchsichtige Krimigeschichte handelt. Verrat und Mordlust schweben über dem Geschehen, durch das die Protagonistin mehr unbeabsichtigt und zufällig stolpert. Allerdings nicht planlos, denn ihr fester Entschluss ist, zu Überleben, und dieses Ziel verfolgt sie aktiver, als andere Frauen ihrer Umgebung es angehen. Dabei lässt Schneider sie oft ihre Weiblichkeit als ihre Waffe wirken, durch die sie immer wieder an neue Informationen gelangt und sich so langsam ein Bild erschließt, dessen Hintergründe dem Leser aber noch verborgen bleiben.

Etwas anstrengend und stilistisch ungeschickt ist die Vielzahl an inneren Fragen, die man im Kopf der jungen Frau antrifft und die den Leser auf die Ungereimtheiten und die Weichenstellungen für den weiteren Verlauf stoßen sollen. Hier wünsche ich dem Autor eine Weiterentwicklung und den Mut, diese Fragerei zugunsten von Handlung zu streichen. Viele dieser Themen, die die Frau sich selbst als Frage vorlegt, lassen sich auch anders erschließen.

Fraglos ist das Buch unterhaltsam und spannend, vor allem dem Ende zu. Schneider versteht es, das Gefühl für die Endzeitstimmung in Berlin zu vermitteln, wenn er an einigen Stellen auch etwas zaghaft vorgeht. Auf der anderen Seite schildert er die Strategie der Protagonistin, ihr Leben zu sichern und an Informationen zu kommen, geschickt und gefühlvoll, ohne dabei in Details zu geraten, die ihm auf der brutalen Seite des Buches ja auch abgehen. So entsteht ein stimmiges Bild des Romans für sich, der zum Ende hin noch einmal ordentlich Fahrt aufnimmt und zur Auflösung aller Rätsel führt.

Das ist dann trotz aller Pluspunkte für die Unterhaltung gleichfalls ein Minuspunkt, denn das Szenario, in dem wir mit der Lösung konfrontiert werden, ist aufgrund der Situation von zweifelhafter Glaubwürdigkeit. Dies formt Schneider mit großer Kunst zurecht und schafft es, die Stimmung der Situation so zu straffen, dass man als Leser gefesselt ist und das Unwirkliche vergisst, zumal es in einer anrührenden Tragik endet. Die Schwachpunkte in der Auflösung der Intrigen bleiben allerdings bestehen, denn sie bilden zwar eine lückenlose Erklärung, lassen jedoch inmitten der Handlung eine hintergründige Tragweite vermuten, die sich dann nicht erfüllt und die großangelegte Intrige zu groß erscheinen lässt – zu groß für das Ziel, bei dem es sich nur um einen einfachen Menschen handelt.

Insgesamt bietet der Roman einige spannende, unterhaltsame Stunden und entwirft einmal mehr das Szenario des Ende des Dritten Reichs, diesmal aus der Sicht einer unpolitischen, einfachen Person. Als Kriminalroman würde ich ihn trotz der Intrigen und Verwicklungen nicht bezeichnen, eher als Historischen Roman.

Taschenbuch, 309 Seiten
ISBN-13: 9783839217009
ORIGINALAUSGABE

Gmeiner-Verlag

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