Lee Child – Way Out (Jack Reacher 10)

Jack Reacher, der Militärcop mit dem Ehrenkodex

Eigentlich wollte er nur einen Kaffee trinken – doch dann wird Jack Reacher Zeuge einer Geldübergabe. Frau und Tochter eines Millionärs sind verschleppt worden. Steckt wirklich nur eine Entführung mit Lösegeldforderung dahinter, oder hat es mit den schmutzigen Machenschaften des ach so besorgten Edward Lane zu tun, der sein Vermögen als Vermittler für Söldner gemacht hat? Reachers Instinkt für krumme Sachen ist geweckt. Er nimmt sich der Sache an – und gerät zwischen ungeahnte Fronten … (dt. Verlagsinfo)

Der Autor

Lee Child wurde in den englischen Midlands geboren, studierte und arbeitete dann viele Jahre als TV-Produzent. Heute lebt er mit Frau und Tochter im US-Bundesstaat New York. Mit seinen Jack-Reacher-Thriller hat er sich eine große Lesergemeinde erobert und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Anthony Award. Aktuelle Infos: http://www.fantasticfiction.co.uk/c/lee-child/

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Hours (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. A Wanted Man (2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Never Go Back (2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Personal (2014)

Handlung

Das Greenwich Village in Downtown Manhattan ist ein hübscher Fleck Erde. So hübsch, dass es sich Jack Reacher, der ehemalige Militärpolizist in einem der Cafés an zwei Tagen hintereinander gemütlich macht. Dieser Fehler wird ihm fast zum Verhängnis.

Am ersten Tag beobachtet er einen ziemlich selbstsicher wirkenden Amerikaner, wie er über die Straße einem Luxusauto geht, den Schlüssel ins Schloss steckt, die Tür öffnet, einsteigt und losfährt. Das Besondere daran geht Jack erst viel später auf. Aber erstens war der Wagen verbotenerweise vor einem Hydranten geparkt und zweitens benutzte der Kerl nicht die Fernbedienung. Seltsam, denn jeder Wagen dieser Klasse hat doch sicherlich eine Fernbedienung, oder?

Am zweiten Tag fragt ein anderer Mann nach dem Mann, der in das Auto stieg. Dieser Frager ist ganz offensichtlich ein Soldat, denn seine Blicke wandern ständig in die Winkel seines Blickfelds. Special Forces, fragt sich Reacher. Auf jeden Fall ein Typ mit Beharrungsvermögen, denn so oft Reacher ihn auflaufen lässt, so oft setzt er wieder nach. Er verspricht eine angemessene Belohnung, wenn Reacher ihn begleite. So lernt Reacher Edward Lane kennen.

Lane nennt sich „Sicherheitsberater“, hat aber weitere sechs Exsoldaten um sich versammelt, die ihm bedingungslos ergeben sind. Das hier sieht eher wie eine Spezialtruppe aus, die für jede denkbare Drecksarbeit zu haben ist. Kein Wunder also, dass Lane in Geld nur so schwimmt. Tatsächlich hat er es in einem Tresorschrank gebunkert. Der Wagen vor dem Hydranten, den der erste Mann wegfuhr, gehört natürlich ihm. In dem Wagen befand sich eine Million Dollar – Lösegeld für seine entführte Frau Kate und seine Tochter Jade, sagt Lane.

Reacher macht Lane klar, dass seine Spezialtruppe nicht ausreicht, um die Kidnapper zu fassen, und bietet seine Dienste an. Er tut es weniger für Lanes Geld, das nicht zu verachten ist, als vielmehr für die Frau und das Mädchen. Für Lane ist es nicht die erste Entführung. Vor fünf Jahren wurde seine Frau Anne gekidnappt und getötet. Den Kidnapper habe er erwischt, sagt er. Nun scheint sich alles zu wiederholen. Der Unterschied: „no cops“. Denn die hätten seinerzeit alles vermasselt.

Es dauert nicht lange, bis die Entführer ihre nächste Geldforderung stellen. Die Stimme ist durch einen Verzerrer so verstellt, dass sie wie die eines sehr tiefen Männerbasses klingt. Amerikanisch, denkt Reacher. Immerhin lebt Kate noch. Das Spiel wiederholt: Lane zahlt, steckt die Geldtasche in einen Luxusschlitten, dieser wird weggefahren und verschwindet spurlos. Kein Wunder, dass nun Reacher selbst unter Verdacht gerät. Dass dies absurd ist, kann er leicht vermitteln. Wäre er sonst gestern freiwillig mit Mr. Gregory mitgekommen?

Lane und seine Männer residieren im Dakota House, wo Yoko Ono immer noch lebt und vor dem John Lennon 1980 erschossen wurde (sein Mörder sitzt immer noch hinter Gittern). Reacher bemerkt vor dem Haus eine Frau, die ihn beobachtet und schließlich anspricht. Patti Joseph wohnt im Haus gegenüber. Sie ist Anne Lanes jüngere Schwester und gibt sich die Schuld an Annes Tod. Die wollte weg von Lane, der sie wie eine Leibeigene behandelte, daher habe er sie umbringen lassen. Patti arbeitet mit Brewer vom NYPD zusammen und bekommt ab und zu Infos von dem Polizisten. Brewer gibt Reacher die Nummer einer Privatdetektivin mit mehr Informationen.

Diese attraktive Lady namens Lauren Pauling gibt sich ebenfalls die Schuld an Annes Tod. Denn Lauren war beim FBI – und ist immer noch an dem rätselhaften Fall dran. Sie berichtet, bei Annes Leiche sei eine Spielkarte gefunden worden: die Drei der Keulen. Das sagt niemand etwas, auch Reacher nicht. Aber nun erfährt er, was Lane wirklich tut: Er macht die verdeckte Drecksarbeit, mit dem Pentagon nicht in Verbindung gebracht werden will. Vor allem in Afrika, wo Lane zwei seiner Männer verlor, Knight und Hobart. Knight war Annes Chauffeur. Na, so ein Zufall aber auch, denkt Reacher.

Während Patti Joseph das Dakota House im Blick behält, setzt sich Reacher mit Pauling auf die Fährte der Entführer. Denn zwei Dinge sind ihm mittlerweile klar: Erstens konnte ein Komplize des Mannes, der in das Auto vor dem Hydranten stieg, alles ganz genau beobachten, muss also dort ein Zimmer mit erhöhtem Blickwinkel gehabt haben.

Und zweitens stimmt an der ganzen Entführung etwas von Anfang an nicht: Niemand hätte Kate vor dem riesigen Kaufhaus Bloomingdale’s, wohin ein gewisser Taylor sie zu ihrem täglichen Einkaufsbummel hingefahren hatte, so abpassen können, dass er rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre, um sie und ihren Wagen zu entführen. War es ein Insider-Job? Und ist der Mann, den man im Hudson River treibend gefunden hat, wirklich ihr Fahrer Taylor?


Mein Eindruck

Diesmal arbeitet der Autor mit dem Prinzip der Verdopplung: zwei entführte Ehefrauen, zwei verschwundene Chauffeure, zwei geheimnisvolle Entführer, zwei Afrikaeinsätze, zwei verschwundene Afrika-Söldner, zwei Schwestern (Anne und Patti), nochmal zwei Geschwister mit Anhang (Taylor und seine Schwester Susan), zwei Großstädte (New York City und London), zwei Staaten (USA und Großbritannien).

Jack Reacher hat dementsprechend viel Mühe, den Überblick zu behalten und zieht reihenweise falsche Schlüsse. Selbst noch dann, als ihn die Spur des Entführers nach England führt, befindet er sich immer noch im Irrtum – und liefert so Kate Lane ihrem psychopathischen Mann erneut aus. Erst in der allerletzten Sekunde erkennt er seinen fundamentalen Irrtum und gibt Lane eine falsche Ortsangabe, die diesen ein wenig aufhalten soll. Das verschafft Reacher und seiner geliebten Lauren Pauling einen hauchdünnen Vorsprung, um Kate, Jade und ihren „Entführer“ vor Lanes Kommen zu warnen. Denn Lane nimmt die „Gerechtigkeit“ wie immer stets selbst in die Hand…

Draußen auf dem flachen Land von Norfolk, wo einst die Wikinger wüteten, kommt es zu einem nächtlichen Showdown zwischen Reacher und Lanes Söldnertruppe. Wozu der durchgeknallte Lane fähig ist, weiß Reacher von Hobart, einem der beiden Söldner, die in Afrika gefangengenommen und gefoltert wurden – dank des Verrats ihres Auftraggebers.

Eine der Absichten des Autors bestand wohl darin, dem (erwachsenen) Leser zu berichten, was Söldnertruppen in aller Welt anrichten, wie viele Millionen sie verdienen und welche Gräueltaten sie begehen. Die Söldner arbeiten nach dem Prinzip: „Wer am meisten zahlt, ist mein Dienstherr.“ Folglich wechseln sie ständig die Fronten, etwa zwischen Regierungstruppen und Rebellen. In gewissem Sinne ist auch der Islamische Staat (IS) eine Söldnertruppe, nur dass diese sich das Mäntelchen des Islam und des heiligen Kriegs umgehängt hat. Aber sie zahlt bestens, finanziert von anderen Auftraggebern, und an Nachwuchskriegern mangelt es folglich nicht.

Die Gräueltaten, die sie begehen, stehen denen von Rebellen und Regierungstreuen in nichts nach. Hobart ist das lebende Beispiel dafür: Ihm wurden binnen vier Jahren beide Hände und beide Füße abgehackt, jedes Jahr zum „Geburtstag“ ein Glied. Kein Wunder, dass Lane also ein Psychopath geworden ist, und das merken seine Ehefrauen auf die harte Tour. Anne wollte ihn verlassen und musste dafür büßen, aber was ist mit Kate? Das darf hier nicht verraten werden.

Unterm Strich

Es ist ein interessanter, aber mühseliger Weg, auf den der Autor den Leser mitnimmt: eben der „hard way“. Auf diesem Weg ändern sich die Loyalitäten und Ziele des Ermittlers, je nachdem wie sich seine Erkenntnisse über den ganzen komplizierten Fall ändern. Aber es bedeutet auch, dass es keinerlei Auseinandersetzungen gibt, bis der „hard way“ an sein logisches Ende gelangt: irgendwo in der englischen Provinz, wo sie am einsamsten ist. Man muss sich also bis zu den letzten 50 Seiten gedulden, um etwas Action zu sehen.

Mir war das zu lang, genauso wie die ewigen Beschreibungen von Orten wir London und Greenwich Village. Zwar ist es die Pflicht des Chronisten, seine Schauplätze zu schildern, aber in London war ich schon so oft, dass ich mir zahlreiche Seiten sparen konnte – eine echte Erleichterung. Denn Childs Prosastil ist nicht gerade kunstvoll. Ganz im Gegenteil: Kaum einer seiner Sätze weist einen Relativsatz auf. Und von irgendwelchen Einschüben wagt der Leser gar nicht zu träumen, denn sie würden ja die grammatikalische Monotonie der Syntax stören.

Alle Sätze sind nach dem gleichen simplen Muster aufgebaut: Subjekt, Verb, Objekt, und möglichst kurz und knackig. Das wäre einschläfernd, wenn die Lektüre dadurch nicht beschleunigt würde und die Action im Vordergrund stünde. So ungefähr dürfte sich die Prosafasssung eines Drehbuchs lesen. Dass der Autor seinen eigenen Helden auch noch als „unbesiegbar“ lobt, hat mir dann den Rest gegeben.

Reacher ist nicht gerade ein Sympathiebolzen, ganz im Gegenteil. Er ist über zwei Meter zehn groß, also alles andere als von Tom Cruises Statur, der ihn im Film „Jack Reacher“ verkörperte. Er latscht in abgetragenen Klamotten herum, gibt anderen Männern stets Kontra und kriegt jede Frau herum, die er mag und die nicht bei Drei auf dem Baum ist. Lauren Pauling dient eher dazu, ihm ständig Fragen zu stellen, die er dann souverän beantworten kann. Aber sie stellt auch seine eigene Söldnerhaftigkeit infrage und wird so für wenigstens eine Szene zu einer moralischen Instanz.

Der Grund, warum Reacher trotzdem so großen Erfolg als Serienheld hat, ist seine eigene moralische Unbestechlichkeit, seine Hilfe für Benachteiligte und natürlich die Frauen. Er ist der seltene Fall eines Amerikaners, der über ein Gewissen verfügt und der einem Ehrenkodex folgt, nämlich dem der Militärpolizei. Das ist eine Bruderschaft, aber auch ein Vermächtnis. Es erlaubt ihm, die Hilfe anderer Militärpolizisten in Anspruch zu nehmen, aber auch, sich in Soldaten – egal ob aktiv oder außer Dienst – einzufühlen.

Und die Soldaten wissen, was sie von einem Militärpolizisten zu erwarten haben. Dass er keiner Organisation angehört, erlaubt es ihm, als Outsider seine eigenen moralischen Maßstäbe zu behalten, zu verteidigen und gegenüber Leuten durchzusetzen, die gegen diese verstoßen. Einer dieser eheren Kodexgrundsätze lautet: Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie Nichtkombattanten (vulgo: „Zivilisten“). Wie der IS jeden Tag verdeutlicht, sind diese Prinzipien inzwischen veraltet – und darum umso wertvoller. Daher ist auch kein Ende der REACHER-Serie abzusehen: Sein Ehrenkodex ist heute gefragter und gefährdeter denn je.

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Hard Way (10 Reacher)
Aus dem US-Englischen von Wulf Bergner
ISBN-13: 978-3442372096

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