Lee Child – Der Bluthund (Jack Reacher 22)

Drogenschnüffler wider Willen

Der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher entdeckt zufällig bei einem Pfandleiher einen Abschlussring der Militärakademie West Point. Warum trennt sich jemand von einer so hart errungenen Trophäe? Einem Impuls folgend beschließt er, die ursprüngliche Besitzerin aufzuspüren und ihr diese Auszeichnung zurückzubringen.

Doch der Ring ging bereits durch viele Hände, und plötzlich befindet sich Reacher im Netz einer kriminellen Organisation mit Verbindungen in die höchsten Kreise der Gesellschaft. Ein Preis wird auf seinen Kopf ausgesetzt, Killer heften sich an seine Fersen. Es gibt eben Leute, mit denen man sich nicht anlegen sollte – zum Beispiel mit Jack Reacher! (Verlagsinfo)

Der Autor

Lee Child wurde in den englischen Midlands geboren, studierte und arbeitete dann viele Jahre als TV-Produzent. Heute lebt er mit Frau und Tochter im US-Bundesstaat New York. Mit seinen Jack-Reacher-Thriller hat er sich eine große Lesergemeinde erobert und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Anthony Award. Aktuelle Infos finden sich in der Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Lee_Child

Die Jack Reacher Reihe

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Stunden (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. Der Anhalter (A Wanted Man, 2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Die Gejagten (Never Go Back, 2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Im Visier (Personal, 2014)
20. Keine Kompromisse (Make Me, 2015)
21. Der Ermittler (Night School, 2016)
22. Der Bluthund (Midnight Line, 2017)
23. Past Tense (2018)
24. Blue Moon (2019)
25. The Sentinel (2020) (zus. mit Andrew Child)

Erzählungen

Der Einzelgänger (No Middle Name, 2017)

Handlung

Michelle Chang, seine Gefährtin aus „Make Me“, hat Reacher den Laufpass gegeben und ist nach Seattle zurück. Von Milwaukee aus nimmt Reacher den erstbesten Bus gen Westen. Während der ersten Pause spaziert er durch die Straßen eines Kaffs und entdeckt zu seinem Erstaunen im Schaufenster eines Pfandleihers einen Absolventenring der Militärakademie West Point, die er einst selbst besuchte. Vier verdammt harte Jahre der Schleiferei. Es ist der Ring einer zierlich gebauten Frau, gekauft im Jahr 2005, mit den eingravierten Initialen S.R.S. Der Pfandleiher rückt nach einigem „Überreden“ den Namen Jimmy Rat heraus. Auch Jimmy Rat braucht einiges an handfester „Überredung“, um den Namen Arthur Scorpio auszuspucken.

Rapid City, South Dakota

Arthur Scorpio ist schon eine ganze Nummer größer als Jimmy Rat und wurde von diesem natürlich vorgewarnt, wer da anrückt: „Bigfoot“. Scorpio, Besitzer eines Wachsalons, in dem keiner etwas wäscht, befindet sich im Fadenkreuz der lokalen Kripo, die ihm bisher leider nichts anhängen konnte. Das sagt Detective Gloria Nakamura Reacher ins Gesicht, bevor er Scorpio besucht. Stattdessen hängt da noch ein Privatdetektiv aus Chicago herum, den Nakamura ebenfalls warnt.

Kaum ist der Schlapphut verschwunden, laden Scorpios Leute Reacher zu einer kleinen Spazierfahrt ein. Sie endet damit, dass die beiden Revolvermänner tot daliegen und Reacher dem Gangster droht, ihn in eine der Waschmaschinen zu stecken. Scorpio spuckt ebenfalls einen Namen aus. Während Reacher dem Hinweis folgt, unterlässt es Nakamura auf Befehl ihres Vorgesetzten, die Straftat im Waschsalon zu verfolgen.

Laramie, Wyoming

Scorpio hat gelogen. Der Ort „Mule Crossing“ ist schon lange aufgegeben, und den Mann „Seymour Porterfield“ ist seit anderthalb Jahren tot, Opfer eines unnatürlichen Todes, wie es Sheriff Connelly elegant ausdrückt: Nach Wochen im Wald sei die Leiche nur anhand des Gebisses und eines Hausschlüssels zu identifizieren gewesen. Der alte Mann, der noch in Mule Crossing lebt, schickt Reacher zum Fahrer des Schneepflugs, der alle hier im Tal kennt. Doch Billy ist auch nicht zu Hause.

Allerdings liegt auf Billys Schreibtisch ein Handy mit einer Voicemail von Arthur Scorpio: Der Gangster warnt Billy vor dem „Incredible Hulk“, der im Anrücken ist. Reacher wundert sich, dass die Ganoven nur noch Comic-Helden kennen. In einem Schrank findet er einen Schuhkarton mit rund 10.000 Dollar in kleinen Scheinen. In einem zweiten Schuhkarton häufen sich Goldkettchen, Ringe und – tatsächlich – auch Jahresabgangsringe aus Akademien wie West Point. Verdammt!

Aber Seymour Porterfield hat im Tal ebenfalls ein Haus, und als Reacher es besichtigt, taucht auch wieder der Privatschnüffler aus Rapid City auf: Bramall, ehemals FBI. In das Haus wurde eingebrochen, was ihnen einen exzellenten Vorwand liefert, es dem Einbrecher nachzutun. Sie finden Hinweise darauf, dass Porterhouse keineswegs der einsame Junggeselle war, als den ihn seine Nachbarn beschrieben: Frauensachen liegen noch herum. War S.R.S. hier? Durch einen Anruf in West Point weiß Reacher, dass es sich um Serena Rose Sanderson handelt, eine hochdekorierte Afghanistan-Veteranin, die zwei Jahren zuvor aus dem Dienst schied und seitdem nicht mehr gesehen wurde.

Zwillinge

Wie klein die Welt doch ist: Serena Sanderson ist die Zwillingsschwester von Bramalls (verheirateter) Auftraggeberin Jane Mackenzie. Just als das Duo eine weitere Nachbarin befragt, bekommt Bramall die Nachricht, dass sich Mrs. Mackenzie selbst auf den Weg gemacht habe, um von Laramie aus das einstige Elternhaus zu besuchen. Vielleicht habe sich Serena ja dort versteckt. Reacher ist von Jane Mackenzie entzückt: eine rothaarige Schönheit mit einem Teint wie Porzellan. Serenas Ring passt ihr wie angegossen. Eigentlich kein Wunder.

Zusammen setzt sich das Trio auf Serenas Fährte und macht schon bald (relativ) angenehme Gesellschaft mit einem Drogenfahnder der Regierung. Das neue Hinweis-Stichwort lautet „Oxycodon“. Das helle Porzellangesicht von Mrs. Mackenzie wird noch eine Spur bleicher. Ihre Schwester – eine Drogensüchtige?

Mein Eindruck

Jack Reacher hat ja bei seinen ziellosen Wanderungen in den USA und anderswo schon einiges gesehen, aber in Wyoming, dem Rocky-Mountain-Bundesstaat, war er noch nie. Jeder denkt gleich an Cowboys, Rancher und Indianer, aber was hier in Wahrheit abgeht, ist etwas ganz anderes: ein Drogenkrieg.

Dieser Krieg erfasst alle und jeden, ganz besonders aber jene, die dem Militärpolizisten Reacher (und seinem Schöpfer) besonders am Herzen liegen: die Militärangehörigen. Serena Rose Sanderson wurde nach vier Dienstzeiten in Afghanistan und Irak mit einer schweren Verwundung ehrenhaft und vielfach dekoriert entlassen. Doch nun will sie nicht gefunden werden.

Angefixt

Diese Befunde laufen auf eine harsche Kritik des Autors an gewissen Praktiken des US-Militärs hinaus. Susan und ihr Freund Porterfield wurden nämlich erst in den Feldlazaretten der Army süchtig. Sie bekamen erst Morphium und andere Opiate, später konnten sie ohne die Opioide Oxycodon und Fentanyl nicht mehr leben. Serena braucht alle zwei Stunden ein Pflaster, das sie sich unter die Zunge schiebt, damit das Zeug sofort wirkt. Aber was der Autor der Army vorwirft, ist nicht nur das systematische Süchtigmachen von Soldaten, sondern deren Vernachlässigung und anschließende Strafverfolgung – alles im Namen des Gesetzes. Etwas stimmt hier nicht. Und es kommt noch mehr.

Nachschub

Es sind schleimige Leute wie Arthur Scorpio (nomen est omen), die für den Nachschub und seine logistische Verteilung in die Bergstaaten sorgen. Dahinter steckt aber ein weiteres Versagen der Regierungsbehörden: Eigentlich sollten die Nachschubquellen nach all den vielen Razzien und Schließungen von Drogenfabriken versiegt sein. Sind sie aber nicht. Denn: Die Pharmakonzerne haben selber keinerlei Interesse daran, ein derart lukratives Geschäft wie mit Oxycodon abzusägen, sondern produzieren und verteilen unter der Hand weiter. Arthur Scorpios Aufgabe besteht darin, die Datenbanken der Hersteller so zu frisieren, dass das Fehlen großer Drogenmengen nicht bemerkt werden kann. Die Verteilung erfolgt dann zwischen Rapid City und Laramie an einem Autobahnkreuz mit Raststätte (man stelle sich die raststätte Burgau an der A8 hoch zwei vor).

Natürlich reicht es Reacher und Co. nicht, nur Serena Sanderson zu finden und sie zum Mitkommen zu bewegen, damit sie in eine Entzugsklinik geht. Er muss auch noch Leuten wie Scorpio das Handwerk legen. Auf diese Weise ist immer für ordentlich Action gesorgt, aber so richtig vom Hocker haute mich das nicht.

Unterm Strich

Ich habe diesen Thriller in nur wenigen Tagen gelesen, ja, konnte ihn kaum noch aus der Hand legen. Auf seine eigene unnachahmliche Weise erzählt der Autor die Geschichte folgerichtig und faszinierend von Kapitel zu Kapitel. Diesmal hat er sich zu einer milden Form des mehrfachen Blickwinkels hinreißen lassen, damit nicht alles nur von Reachers Warte aus gesehen wird. Gloria Nakamura hat ein Auge auf Arthur Scorpio. Ein Fahrer, den Scorpio angeheuert hat, liefert uns seine Gedanken. Diverse Rückblenden entführen in die Vergangenheit und lockern die Story zusätzlich auf. Es steht also zu befürchten, dass Child auf seine alten Tage noch zu einem modernen Erzähler wird.

Frauen

Wieder einmal musste ich bewundern, was für ein gutes Händchen Reacher für Frauen hat. Er kann nicht nur Michelle Chang und Gloria Nakamura für seine Sache einspannen, sondern auch Michelle Chang, mit der er regelmäßig schläft. Dass er Jane Mackenzie für seine Suche nach ihrer Zwillingsschwester Serena gewinnen kann, dürfte wohl kaum verwundern, dass sie sich ihm anbietet, schon eher. Eine besonders harte Nuss ist hingegen Serena alias „Rose“ Sanderson selbst. Sie hat ihre eigenen Beschützer und leitet möglicherweise ihren eigenen Drogenring. Das wird nicht so ganz klar. Aber zuzutrauen wäre es der Veteranin auf jeden Fall.

Kritik

Es bleibt spannend bis zum Schluss, doch auf dem Weg zum Showdown hat Reacher Zeit, die Hintergrundgeschichte herauszufinden. Hieraus ergibt sich die doppelte Kritik des Autors am US-Militär und der US-Regierung. Das ist eine nachvollziehbare Aussage der Geschichte – und das alles nur aufgrund eines zufällig gefundenen Abschlussrings der West Point Academy, der dem Pfandleiher gerade mal 40 Piepen wert war.

Hardcover: 447 Seiten
Originaltitel: The Midnight Line, 2017
Aus dem Englischen von Wulf Bergner
ISBN-13: 9783764507220

www.heyne.de

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