Wang, Annie – Peking Girls

Zeit, über den Tellerrand zu schauen. Und nein, ich erwähne an dieser Stelle nicht die WM. Es ist auch so mal an der Zeit, sich anderen Kulturen zu widmen.

Wieso nicht mal ein wenig in China reinschnuppern? Schließlich bekommt dieses Land auf dem Buchmarkt herzlich wenig Beachtung, dafür, dass dort so viele unserer täglichen Bedarfsgüter hergestellt werden. Annie Wang möchte das mit ihren „Peking Girls“ ändern und konzentriert sich dabei auf die Upper-Class im heutigen China, das nach der Lektüre dieses Buches noch weit oberflächlicher und materialistischer scheint als die Vereinigten Staaten.

Wir erleben das Peking der Neuzeit dabei durch die Augen von Niuniu, einer Heimkehrerin, die es nach ihrem Studium in Amerika zurück zu ihren Wurzeln zieht. Der eigentliche Grund für ihren Umzug ist allerdings ihre zerbrochene Beziehung zu einem chinesischstämmigen Amerikaner, was jedoch im Buch kaum eine Bedeutung hat.

Überhaupt sollte man sich bei der Lektüre nicht auf eine großartige Handlung freuen. Annie Wang, die Kolumnen für die China Morning Post schrieb, verzichtet beinahe vollständig auf einen wirklichen Plot und skizziert anhand von kurzen Episoden mit zumeist amüsanter Pointe eine Gesellschaft, in der es wichtig ist, das teuerste Auto zu fahren und die richtigen Schönheits-OPs zu haben. Die Betrachtung durch Niunius westlich gefärbte Brille ist ein geschickter Schachzug, denn natürlich lässt sie es sich nicht nehmen, die Situationen zu kommentieren oder anhand einer subjektiven Darstellung ins Lächerliche zu ziehen.

Aus diesem Zweck hat Wang ihrer Protagonistin, die als Journalistin arbeitet, einen Freundeskreis zur Verfügung gestellt, der alle Bereiche abdeckt. Beibei ist Geschäftsleiterin einer erfolgreichen Staragentur und nimmt sich, obwohl verheiratet, regelmäßig jüngere Liebhaber; Lulu hat eine unglückliche Beziehung zu einem bindungsunwilligen Mann, der heimlich verheiratet ist; die in England aufgewachsene CC fühlt sich in China ebenfalls nicht wohl und hat außerdem einen Mann, der fremdgeht. Das scheint in China nichts Unnatürliches zu sein, denn anscheinend geht jeder fremd bis auf Niunius Freundin Mimi, die sich als Anwältin für sozial Benachteiligte einsetzt und eine Traumehe führt. Sie ist so etwas wie der positive Gegenpol zu all den Verheirateten, die untreu sind, den Zicken, den Machtgeilen, die immer auf die richtigen Beziehungen setzen, Leuten wie Beibei, die versuchen, ihre Stars mit möglichst vielen Intrigen an die Spitze zu bringen … Desweiteren erfahren wir, wie China zum Westen steht, wie man in China am besten überlebt und inwiefern sich die westliche und die moderne chinesische Kultur unterscheiden und wie paradox das teilweise ist.

Wenn es etwas gibt, das den Kauf von „Peking Girls“ wirklich rechtfertigt, dann ist es das pralle Wissen, das Frau Wang in ihrem „Roman“ unterbringt. Sie schafft es auf eine leicht amüsante, aber nur selten wirklich humorvolle Art, ihre Episoden herüberzubringen, und arbeitet die relevanten Fakten punktgenau heraus. Sie braucht dazu nur wenige sprachliche Mittel. Ihr ich-perspektivischer Schreibstil erinnert zum Teil an Tagebucheinträge. Er ist knapp und prägnant und verzichtet auf schmückendes Beiwerk. Zumeist reichen wenige erläuternde Sätze und die leider sehr gestelzt klingenden Dialoge, um das sehr umfassende Bild eines Landes im Umbruch zu vermitteln. Die Sprache ist sehr klar, sehr sauber und vor allem sehr harmlos. Wer erwartet, dass Annie Wang Tabus bricht wie ihre chinesische Kollegin Wei Hui, deren drastischer Roman „Shanghai Baby“ in ihrer Heimat verboten wurde, wird enttäuscht. Die Ankündigung auf dem Klappentext, „Maos Enkelinnen zwischen Sex, Konfuzius und Prada“, erfüllt sich nicht. Das Wort „Sex“ wird so gut wie nie in den Mund genommen, höchstens anhand von schwammigen Beschreibungen umrissen. Auch die Sprache ist frei von Kraftausdrücken und dreckig geht es in diesem Buch erst recht nicht zu.

Die einzelnen Episoden sind sehr kurz und zumeist unspektakulär. Gleiches gilt für die so genannte Handlung. Erst am Ende geht es weniger um Alltagsdinge als um Niunius Leben, was dann schon etwas enttäuschend ist, wenn das Buch als Roman vermarktet wird.

Mit diesem Manko geht einher, dass die Personen, allen voran die Protagonistin und Ich-Erzählerin, sehr austauschbar und oberflächlich wirken. Wirkliche Gefühle spielen kaum eine Rolle und die wenigen Charaktermerkmale, die aufgezeigt werden, bleiben normalerweise in einem sehr trivialen Rahmen. Dadurch wirkt Annie Wangs Debüt noch mehr wie eine Ansammlung kleiner Episoden aus dem Alltagsleben Pekings denn wie ein Roman, der nicht nur die Äußerlichkeiten einer Kultur, sondern auch die „Innerlichkeiten“ darstellt, also die Art, wie die dort lebenden Menschen mit den Äußerlichkeiten umgehen oder wie sie in ihren Gefühlen und Gedanken dadurch geprägt werden.

Wer Insiderwissen über das moderne Peking erwerben möchte statt einer tief gehenden Romanhandlung und wer sich damit zufrieden gibt, mit meist zusammenhangslosen Episoden mit wenig literarischer Güte, dafür aber mit einer gewissen, unterschwelligen Amüsiertheit serviert zu bekommen, möge zugreifen. Liebhaber von Romanen mit wirklichen Geschichten sollten allerdings lieber die Finger von „Peking Girls“ lassen, denn ihre Wünsche können in diesem Buch nicht befriedigt werden.

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