John Sandford – MordLust

Das geschieht:

Constance Bucher, eine alte Lady aus noch älterem Geldadel der Doppelstadt Minneapolis/St. Paul, wird zusammen mit ihrer Hausangestellten erschlagen und ausgeraubt. Der soziale Status der Toten bringt die Behörden auf Trab; Lucas Davenport, Ermittler des Staatskriminalamts Minnesota, übernimmt den brisanten Fall, der viele Rätsel aufgibt, wurde doch zusammen mit kostbarem Schmuck allerlei Dachkammer-Trödel gestohlen, der sich indes bald als antiquarisch wertvoll erweist: Offensichtlich waren die Einbrecher einschlägig vorgebildet.

In der Tat sind Leslie Widdler und seine Ehefrau Jane anerkannte Experten für wertvolle Altertümer. Pikanterweise wurden ausgerechnet sie von der Polizei als Berater im Mordfall Bucher engagiert. Davenport versorgt das Paar nichtsahnend mit aktuellen Infos über die Ermittlungen und wird im Gegenzug mit falschen Auskünften in die Irre gelockt.

Doch Davenport ist ein hartnäckiger Fahnder und bereitet den Widdlers bald große Sorgen, denn er kommt einer ganzen Kette ihrer Verbrechen auf die Spur, die mit dem Bucher-Fall in Zusammenhang zu bringen sind: Ältere und sehr vermögende Damen kamen gewaltsam zu Tode, und aus ihrem Besitz verschwanden Antiquitäten.

Während Davenport noch im Dunkeln tappt, macht sich bei den Widdlers Angst breit. Sie versuchen Beweise zu vernichten, agieren unvorsichtig, erregen Aufsehen. Ein Fehler führt zum nächsten, ein Mord muss begangen werden, um eine allzu neugierige Zeugin auszuschalten. Die Widdlers rettet nur, dass Davenport durch einen alten, noch offenen Fall abgelenkt ist, aber es ist abzusehen, dass er dennoch bald alle Teile für dieses Mordpuzzle zusammen hat. Nun ist sich jeder der Widdlers selbst der bzw. die Nächste, das Chaos erreicht seinen Höhepunkt, und Davenport selbst gerät ins Visier des panischen Paars …

Katz-und-Ratten-Jagd

17 Fälle der meist vertrackten Art hat Lucas Davenport bisher gelöst; eine stolze Zahl, die aber erst richtig beeindruckt, weil er bzw. sein geistiger Vater John Sandford keine Altersmüdigkeit zeigen. Sicherlich gab es in der Serienvergangenheit weniger gelungene Abenteuer, und da Sandford die Reihe fortsetzt, wird das auch zukünftig geschehen. Doch immer wieder überrascht der Autor mit Romanen wie „MordLust“, die stabil geplottet, mit interessanten Figuren besetzt und mit der Handwerkskunst des selbstbewussten Schriftsteller-Routiniers geschrieben sind.

Einmal mehr legt Sandford eine Mischung aus „Whodunit“ und „Howdunit“ vor. Mit der Frage nach dem Täter muss sich Davenport herumschlagen, während die Leser bereits früh über die Identität desselben (bzw. derselben) aufgeklärt sind (weshalb es kein Spoiler ist, wenn an dieser Stelle Schurke und Schurkin bei den Namen genannt werden). Für den Verfasser bedeutet diese Konstruktion eine besondere Herausforderung: Ihm muss es gelingen, die Suche nach Tätern, die wir kennen, mit Spannung zu versetzen. Andererseits birgt die Herausforderung auch eine vielversprechende Möglichkeit: Die Jagd lässt sich mit den zunehmend verzweifelten Bemühungen der Mörder, sich in Sicherheit zu bringen, konterkarieren.

In der Tat gelingt Sandford das Kunststück, zwei Handlungsstränge parallel laufen zu lassen und so zu verzahnen, dass die Verbindungen zunächst nur dem Leser, nicht aber Davenport auffallen, ohne diesen dadurch als begriffsstutzig zu brandmarken. Stattdessen zieht der Autor das Tempo stetig an und fügt den Strängen immer mehr Verbindungssprossen ein, bis bei Davenport endlich – aber nicht gar zu spät – der Groschen fällt und die mühsam in Erfahrung gebrachten Informationsstückchen sich zum großen Erkenntnismosaik fügen.

Der Wolf und die beiden Wiesel

Mit der Doppelung der Handlung sichert sich Sandford die Möglichkeit, quasi einen neuen Blick auf Lucas Davenport, eine Person, über die wir scheinbar längst alles wissen, zu werfen. Wir sehen ihn durch die Augen der Wibblers und lernen ihn dabei wieder kennen: Davenport ist der geborene Jäger, intuitiv, trotzdem geduldig und vor allem ein Mann, der seinen Job liebt – kein Wunder, dass die Wibblers, zwei gestandene Serienkiller, allmählich die Nerven verlieren. Sie haben als Berater der Polizei quasi Logenplätze für diese Ermittlungsvorstellung. Ahnungslos setzt Davenport sie sogar selbst in Kenntnis über den Stand der Fahndung. Sie müssen feststellen, dass er ihnen immer näher rückt, weil er einfach gut ist. Dies setzt die turbulenten und gewaltreichen Aktionen in Gang, die das letzte Romandrittel prägen und in einem spektakulären, Sandford-typisch leicht überzogenen Finale münden.

Serienkiller können als Duo ‚arbeiten‘, wie die Kriminalgeschichte belegt. Eher ungewöhnlich aber dramaturgisch effektvoll ist es, sie eine funktionierende Ehe führen zu lassen. Freilich darf man Sandford auch hier nicht auf den Leim gehen: Die Wibblers sind Räuber und Mörder, aber sie sind voreinander durchaus auf der Hut. Als es misslingt, Davenport auf eine falsche Spur zu locken oder gar auszuschalten, geht es nur noch darum, wer wen den Verfolgern schneller zum Fraß vorwerfen kann. Die raubtierähnliche Dynamik dieser Beziehung und ihr Talent als durchtriebene Intriganten macht die Wibblers zu interessanten Figuren, an deren Geschick man durchaus Anteil nimmt.

Ein Mann, der weiß, was er kann

„Lässig“ ist vielleicht ein ungewöhnliches Adjektiv, um einen Roman zu charakterisieren. Gemeint ist keineswegs, dass Sandford die Zügel schleifen lässt. Im Gegenteil: Er hat seinen Helden, seine Serie und sein Publikum so gut im Griff, dass er sich Insider-Gags und kleine Abschweifungen gestatten kann. In einem früheren Band war dies beispielsweise eine Liste von Davenports 100 Lieblingshits, die dieser im Verlauf der Handlung immer wieder kommentierte und mit Freunden besprach und die Sandford dem Roman als Anhang beifügte.

Dieses Mal gönnt Sandford sich und den Lesern eine gut portionierte Dosis trockenen bis schwarzen Humors, der sich nicht plump in die Handlung mischt und diese gar dominiert, sondern unauffällig aber sorgfältig dort integriert wird, wo er passt und zur Geltung kommt. Besonderes Vergnügen bereiten u. a. hübsche Spitzen, die sich gegen geltungssüchtige Reporter, publicitygeile Politiker oder True-Crime-Autorenkollegen richten.

Eher sarkastisch wird Sandford, wenn er die Eskapaden eines nur scheinbar ehrbaren Senators schildert, der minderjährige Bettgespielinnen bevorzugt und an eine Lolita mit geschäftstüchtiger Mutter gerät. Mit allen durch zwei Bush-Regierungen zementierten politischen Privilegien will der gelinkte, geile Greis sich aus der Affäre tricksen, lügen und drohen, aber in Lucas Davenport trifft er einen Gegner, der keine Skrupel hat, sich ähnlicher Methoden zu bedienen, die in diesem Fall gezielte Indiskretionen an eine immer hungrige Klatschpresse beinhalten.

Nie hintergründig aber immer unterhaltsam vergehen für den Leser 450 Seiten wie im Fluge. Mancher Scherz streift hart die Grenze der Geschmacklosigkeit oder verletzt sie sogar, aber das ist ein Preis, den man als leidgeprüfter Leser für den Verzicht auf „political correctness“ bereitwillig zahlt – und sich auf die Fortsetzung dieser lang laufenden aber nie langweiligen Thriller-Serie freut!

Autor

John Sandford, geboren 1944 als John Camp im US-Staat Iowa, studierte zunächst Geschichte, leistete dann seinen Militärdienst in Korea und ging anschließend an die Universität zurück. Mit einem „Master’s Degree in Journalism“ in der Tasche arbeitete Camp zwischen 1970 und 1978 für die „Miami Herald Tribune“, wo er Seite an Seite mit seinen inzwischen ebenfalls als Thriller-Autoren zu Bestsellerruhm gekommenen Kollegen Carl Hiaasen und Edna Buchanan arbeitete. Seine journalistische Laufbahn gipfelte Mitte der 80er Jahren eindrucksvoll im Gewinn des Pulitzer-Preises für eine Artikelserie, die ein Jahr im Leben einer modernen Farmer-Familie beschrieb.

Einige Jahre später begann Camp Romane zu schreiben – gründlich wie stets debütierte er gleich mit zwei Büchern, von denen „Rules of Prey“ („Die Schule des Todes“), veröffentlicht unter dem Pseudonym „John Sandford“, den ersten Auftritt von Lucas Davenport schilderte. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ließ Camp/Sandford pro Jahr einen weiteren Davenport-Roman folgen (die im amerikanischen Original übrigens immer das Nomen „Prey“ – gleich „Opfer“ oder „Beute“ – im Titel tragen).

Seine flott geschriebenen Romane um den Polizisten Lucas Davenport erobern seit Jahren regelmäßig die Bestsellerlisten. Neben seiner Leidenschaft für Archäologie und Geschichte, die er in den letzten Jahren auch auf echten Ausgrabungen auslebt, liebt Sandford die Natur, geht gerne Fischen, spielt Klavier, und fotografiert leidenschaftlich gern. Der Autor lebt heute mit seiner Frau, die er nach einer freundschaftlichen Scheidung inzwischen ein zweites Mal geheiratet hat, in der Nähe von Minneapolis.

Taschenbuch: 447 Seiten
Originaltitel: Invisible Prey (New York : G. P. Putnam’s Sons/Penguin Putnam, Inc. 2007)
Übersetzung: Ellen Schlootz
www.randomhouse.de/goldmann
www.johnsandford.org

eBook: 1029 KB
ISBN-13: 978-3-6410-4051-2
www.randomhouse.de/pageundturner

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