Lee Child – Die Hyänen (Jack Reacher 24)

Reacher, die Ein-Mann-Armee

Jack Reacher reist ziellos in einem Greyhound-Bus durch die USA. Da beobachtet der ehemalige Militärpolizist, wie ein alter Mann, der gerade aus dem Bus gestiegen ist, überfallen wird. Reacher wäre nicht Reacher, wenn er tatenlos zusähe – er greift ein. Das Opfer ist verletzt, will ihn aber auf keinen Fall in diese Angelegenheit hineinziehen.

Doch Reacher konnte noch nie wegsehen, wenn Schwächere Hilfe brauchten. Und so gerät er zwischen die Fronten zweier Mafia-Clans, die brutal um die Herrschaft über ihre Stadt ringen. Anfangs sehen die Verbrecher in dem Fremden noch keine Bedrohung. Doch dann erkennen sie, dass sie einem Mann wie Reacher noch nie begegnet sind. (Verlagsinfo)

Der Autor

Lee Child verdankt seine Karriere als Krimiautor einer eher unangenehmen Lebenssituation: 1995 wurde ihm wegen einer Umstrukturierung sein Job beim Fernsehen gekündigt. Der Produzent so beliebter Krimiserien wie „Prime Suspect“ („Heißer Verdacht“) oder „Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) machte aus der Not eine Tugend und versuchte sich als Schriftsteller. Was selbst wie ein Roman klingt, entspricht in diesem Fall der Wahrheit: Bereits mit seinem ersten Thriller um den Ermittler Jack Reacher landete Child einen internationaler Bestseller. Er war zugleich Auftakt der heute mehrfach preisgekrönten „Jack-Reacher“-Serie. Child, der 1954 in Coventry in England geboren wurde, ist heute in den USA und Südfrankreich zu Hause. (Amazon.de)

Die Jack Reacher Reihe

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Stunden (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. Der Anhalter (A Wanted Man, 2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Never Go Back (2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Personal (2014)
20. Make Me (2015)
21. Night School (2016)
22. Midnight Line (2017)
23. Past Tense (2018)
24. Blue Moon 82019)

Erzählungen

No Middle Name (2017)

Handlung

Der trampende Ex-Militärpolizist Jack Reacher sitzt mal wieder im Überlandbus, als er ein sich anbahnendes Verbrechen beobachtet. Er hilft dem alten Mann, der einen dicken Umschlag mit Geld bei sich trägt, gegen einen jungen Räuber und kommt mit ihm ins Gespräch. Wer trägt am hellichten Tag derart viel Geld spazieren? Doch Shevick ist verletzt und muss noch eine Meile nach Hause humpeln, also bietet Reacher ritterlich seinen Geleitschutz an. Er ist eben ein Cop.

Wie sich herausstellt, muss Shevick das Geld bei einem Kredithai abliefern, um seine Schulden abzubezahlen. Schulden, die er auf sich genommen hat, um seiner krebskranken Tochter in der Chemotherapie zu helfen. Einer Tochter wiederum, die von ihrem Arbeitgeber, einem Jungunternehmer aus Kalifornien, im Stich gelassen wurde. So kommt eins zum anderen, und die Spirale der Verschuldung dreht sich immer weiter.

Nicht, wenn es nach Reacher geht. Er folgt der Spur des Geldes und stößt bald auf jede Menge Kriminelle. Es ist eine namenlose Stadt im Südwesten der USA, und zwei kriminelle Banden aus der Ukraine und Albanien haben sie unter sich aufgeteilt. Demarkationslinie ist die Center Street, die die Stadt ungefähr in zwei gleiche Hälften teilt. Die Polizei wird natürlich geschmiert, und der Posten des Polizeipräsidenten ist derzeit vakant; die Ankunft seines Nachfolgers wird jeden Tag erwartet. Bis dahin herrscht das Faustrecht der Straße.

Als Reacher sich durch die Unterstützung Shevicks einmischt und dabei zwei Knochenbrecher ausschaltet, entfacht er ungewollt einen Bandenkrieg. Da er nun selbst für Shevick gehalten wird, findet er heraus, dass erst seit wenigen Monaten die Qualität der Unterdrückung drastisch zugenommen hat, verursacht durch die Hightech-Informatik eines gescheiterten IT-Unternehmers. Es ist der ehemalige Arbeitgeber von Shevicks Tochter. Aus Irgendeinem Grund hat er sich mit den Ukrainern zusammengetan. Hatte auch er Schulden?

Reachers Weg ist vorgezeichnet: Er tut sich mit mehreren aufrechten Bewohnern der Stadt zusammen, um den Zuständen ein Ende zu bereiten. Doch das verspricht erst Erfolg, wenn er das elektronische Netz zerreißen, das der Jungunternehmer über die ganze Stadt ausgebreitet hat: Alle Gangster kommunizieren mobil mehr oder weniger in Echtzeit miteinander. Sie reichen sogar Reachers Foto untereinander weiter.

Sobald Reacher & Co. die Albaner abgefackelt und die Ukrainer ausgeräuchert haben, besteht das ultimative Ziel das schwer bewachte „Adlernest“. Doch um dies zu vollbringen, braucht er sehr kompetente Leute – und eine schlaue Freundin, die eine ganz besondere List ersinnt…

Mein Eindruck

Die Action schaukelt sich zusammen mit der Spannung allmählich hoch. Schließlich kommt es zum Grande Finale, oben im Adlernest, wo die „Spinne im Netz“ (Tolkien hätte sie Kankra genannt) ihre gerechte Strafe ereilt. Insoweit ist also der Ablauf von den meisten Vorgängerbänden her vertraut. Auch die Liebesgeschichte mit der jungen Kellnerin Abby gehört zu den obligatorischen Standards. Reacher ist ein Mann, der Frauen mag – er ist der Sohn einer Französin. Und die Frauen mögen ihn – er ist ein zwei-Meter-Kerl, der „Geborgenheit“ quasi fest eingebaut hat und frei Haus liefert.

Das Netz aus Schulden

Was diesen Band besonders macht, ist nicht etwa die schiere Überzahl an Gegnern, die in unbekannten Sprachen kommunizieren und die Stadt beherrschen. Nein, es sind die Schuldner, die Shevicks, und das Netz aus Schulden, in dem sie gefangen sind. Der alte Mann hat gerade einen Oldtimer verkauft, der noch eine Weile gefahren wäre, und damit 22.000 Dollar erlöst. Die soll er nun einem Albaner oder was auch immer übergeben. Diesen Job übernimmt Reacher.

Nun bleiben Shevick noch etwa zehn Tage bis zur nächsten Rate: eine weitere fünfstellige Summe. Soviel Zeit bleibt Reacher, um aufzuräumen. Sheviks Frau versetzt ohne sein Wissen den letzten Familienschmuck – für mickrige 80 Dollar. Nun sind sie fast pleite. Reacher merkt, dass es nichts nützt, ihnen das Netz der Schulden aufzuzeigen und dagegen zu protestieren. Diese Menschen sind gebrochen und lassen sich widerstandslos ausbeuten. Sie opfern nicht nur Hab und Gut für ihre geliebte Tochter, sondern wohl bald schon auch ihr Leben, wenn Reacher nicht einschreitet. Der Autor prangert hier das globale Schuldensystem an, von dem nicht nur die großen US-Banken profitieren. (David Graeber hat zu diesem Thema ein ausgezeichnetes Buch geschrieben.)

Zwei Seiten des Kapitalismus

Liebe und Opferbereitschaft sind als Gründe zwar schön und nobel, doch sie können tödlich wirken. Jemand muss für die Misere der Shevicks die Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung liegt nicht etwa bei der Tochter, die ja auch nur ein Opfer ist, sondern bei ihrem Arbeitgeber, der ihre Krankenversicherung missachtet hat. Diese Versicherung hält sich nun an den Eltern der Krebskranken schadlos, und zwar bis zum letzten Penny. Es ist ein Ausbeutersystem von A bis Z, ein Haifischbecken, das sich vornehm „Kapitalismus“ nennt.

Bemerkenswert, dass der Autor sich der sogenannten „kleinen Leute“ annimmt, um Reacher einen Grund zu geben, gegen deren Misere vorzugehen. Auffällig ist aber auch die völlige Abwesenheit der Polizei. Man könnte sich ins Chicago der Al-Capone-Zeit versetzt fühlen. Ist der Autor auf einmal Sozialist geworden? Das nun wohl doch nicht. Er hat seine Villa in Südfrankreich nicht mit dem Schreiben von Sozi-Propaganda verdient…

Perfektion des Kapitalismus

Die Albaner und Ukrainer haben das Schuldenprinzip zur Perfektion gebracht und eine ganze Stadt zur Schuldengeisel genommen. Mafiös treiben sie überall Prozente, Kommissionen und „Schutzgeld“ ein. Wer wie Abby aufmuckt, bekommt eine üble Lektion erteilt, die er oder sie nicht mehr vergisst. Das einzige, was hilft, ist eine rechtschaffene Ein-Mann-Armee, die für Law & Order sorgt. Die Methoden sind diskussionsfähig. Was mir am Ende der Schlacht aber überhaupt nicht gefiel, ist die Selbstjustiz, die Reacher übt. Dazu mag er in den Augen mancher Leser zwar ein moralisches „Recht“ haben, verfügt aber über keinerlei Legitimation.

Unterm Strich

Ich habe diesen Thriller in nur wenigen Tagen gelesen, denn er ist zunehmend spannend, abwechslungsreich und gespickt mit einigermaßen interessanten Figuren. Die Actionszenen wechseln sich mit sozialer Interaktion ab, und der Autor gibt sich Mühe, gerade die Shevicks mit einer Lebensgeschichte und Psychologie auszustatten, die plausibel als auch anrührend wirkt. Das dürfte nicht nur bei weiblichen Lesern gut ankommen.

Gleichzeitig prangert er die kaltherzige Ausbeutung der amerikanischen Bevölkerung durch Ausländer aus Albanien und der Ukraine an. Will er „Make America great again!“ in die Tat umgesetzt sehen? Wohl eher nicht. Denn wenn die „kleinen Leute“, die ja Trump gewählt haben, nicht von ihrer neuen Regierung geschützt, sondern vielmehr im Stich gelassen werden, so ist das ein Argument, das gegen Trump spricht.

Die Mafiosi jedenfalls agieren weit effizienter als jede Bundes-Bürokratie: Sie haben einen Ehrenkodex – und Echtzeit-Kommumnikation. Das macht sie zu einer schlagkräftigen, eingeschworenen Gemeinschaft. Als solche sind sie jederzeit zu einem Krieg gegen die „Konkurrenz“ bereit. Und dieser Krieg findet neben Reachers Privatfehde auch statt, mit entsprechenden Bodycount (es wird ganz genau mitgezählt und nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ verfahren).

Gebunden: 416 Seiten
Originaltitel: Blue Moon, 2019
ISBN-13: 978-3764508043

www.penguinrandomhouse.de/Verlag/Blanvalet/1000.rhd

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