Lee Child – Die Gejagten (Jack Reacher 13)

Hetzjagd mit Intrigenspiel

Jack Reacher betritt den Stützpunkt seiner ehemaligen Einheit bei der Militärpolizei und ahnt nicht, was ihm bevorsteht. Er ist nach Virginia gereist, um seine Nachfolgerin Major Susan Turner kennenzulernen. Doch wenig später wird klar, was für ein großer Fehler es war, einen Militärstützpunkt zu betreten. Denn wie jeder ehemalige Soldat der USA ist Reacher Reservist. Prompt erhält er seinen Einberufungsbefehl und wird außerdem des Mordes angeklagt und verhaftet. …

Reacher gelingt die Flucht aus dem Gefängnis, doch seine wichtigste Frage bleibt zunächst ungeklärt: Wer versucht ihn auf diese Weise kaltzustellen? (Verlagsinfo)

Hinweis:
Die bibliografischen Angaben im Taschenbuch sind falsch. Das Original ist weder „The Affair“, noch erschien es 2011 und erst recht nicht ist es Band 16. Vielmehr handelt es sich um Band 18: „Never Go Back“ aus dem Jahr 2013. Nur eins stimmt auf dem Einband: der Klappentext und die Info, dass dies die Vorlage zum Film „Kein Weg zurück“ mit Tom Cruise“ sei.

Der Autor

Lee Child verdankt seine außerordentliche Karriere als Krimiautor einer eher unangenehmen Lebenssituation: 1995 wurde ihm wegen einer Umstrukturierung sein Job beim Fernsehen gekündigt. Der Produzent so beliebter Krimiserien wie „Prime Suspect“ („Heißer Verdacht“) oder „Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) machte aus der Not eine Tugend und versuchte sich in den USA als Schriftsteller.

Was selbst wie ein Roman klingt, entspricht in diesem Fall der Wahrheit: Bereits mit seinem ersten Thriller um den Ermittler Jack Reacher landete Child einen internationalen Bestseller. Er war zugleich Auftakt der heute mehrfach preisgekrönten „Jack-Reacher“-Serie. Child, der 1954 in Coventry in England geboren wurde, ist heute in den USA und Südfrankreich zu Hause. (Amazon.de)

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Hours (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. A Wanted Man (2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Never Go Back (2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Personal (2014)
20. Make Me (2015)
21. The Night School (2016)

Handlung

Major Susan Turner, Reachers Nachfolger bei der Militärpolizei in Rock Creek, hat Reacher auf seinem Einsatz in South Dakota geholfen. Sie lieferte Informationen – und weckte sein männliches Interesse mit ihrer sexy Stimme. Außerdem steht Reacher auf couragierte Frauen mit Verstand, wie seine Mutter, die Widerstandshelferin, eine war (siehe Band 8). Also will er sie besuchen, sobald er in Virginia eintrifft.

Kaum hat er ein Motelzimmer bezogen, macht er sich auf den Weg zum Hauptquartier des 110th, doch fast alle Gesichter sind nach 13 Jahren seit seinem Abschied ausgetauscht worden. Allerdings auch das von Susan Turner. Statt ihrer sitzt da ein Light Colonel, der sich Morgan nennt. Dieser rätselhafte Typ verdonnert Reacher, da dieser Reservist ist, zum Wiedereintritt in die Army, genauer gesagt, in die MP. Dienstantritt sei am nächsten Morgen um acht Uhr.

Ach ja, und da war noch eine Kleinigkeit: Reacher werde derzeit wegen Mordes gesucht. Vor Jahren schlug Reacher in L.A. einen Waffendealer nieder, der angeblich inzwischen verstorben sei. Reacher bekomme deshalb einen Anwalt. Dieser stellt sich als Captain Sullivan heraus, ihres Zeichens eine linientreue Offizierin. Endlich erfährt Reacher, der sich leicht veräppelt fühlt, auch, was aus Susan Turner geworden ist: Auch sie wurde einer lächerlichen Anklage ausgesetzt – sie soll eine Bestechungssumme von 100.000 US-Dollar angenommen haben. Als ob sie so etwas nötig hätte!

Und als ob das noch nicht genug wäre, kreuzt mit Captain Edmonds eine weitere Anwältin auf, die Reacher als Rechtsbeistand gestellt wird. Die Army ist wirklich fürsorglich. Diesmal hat Reacher eine Vaterschaftsklage am Hals, die die Mutter seiner 14-jährigen Tochter Samantha Dayton angestrengt haben soll. Offenbar will jemand, der im Hintergrund die Fäden zieht, auf Nummer sicher gehen, dass Reacher kaltgestellt wird. Aber was hat er nur angestellt?

Die Antwort auf diese Frage kann ihm offenbar nur Susan Turner liefern. Durch diverse Quellen bringt er heraus, dass die Majorin in einer Zelle Fort Dyer in der Nähe der Hauptstadt schmachtet. Angeblich wolle sie Reacher nicht sehen. Macht nix! Er redet mit einem Rechtsprofessor namens Moorcroft, der verspricht, sich für Turners Verlegung einzusetzen. Wenig später kreuzt ein Kommissar der Stadtpolizei auf, um Reacher festzunehmen – er habe den Überfall auf Moorcroft zu verantworten, der zu Moorcrofts Einlieferung in die Intensivstation führte. Die Militärpolizei vom 75. Regiment meldet höherrangige Rechte an, und so wird Reacher eingebuchtet. Jemand will wirklich sichergehen, dass er aus dem Verkehr gezogen wird.

Aber Reacher sagt sich: Jedes Risiko ist auch eine Chance, und jede Münze hat eine Kehrseite. Um die Chancen von 50:50 zu erhöhen, sorgt er dafür, dass er nur wenige Zellen von Susan Turner entfernt eingesperrt wird. Nun stimmt schon mal der Ort, fehlt noch der richtige Zeitpunkt. Reacher verlangt, Sullivan zu sprechen, dann Edmonds, schließlich bekommt Turner von ihrem eigenen Ersatzanwalt Besuch – die perfekte Kombination, um einen Ausbruch zu wagen.

Nur eine Viertelstunde später „organisieren“ Reacher und Turner sich Edmonds‘ Wägelchen und mogeln sich mit den Identitätsnachweisen der diversen Anwälte aus dem Gelände von Fort Dyer. Was gibt es Besseres, als neben einer schönen, klugen Frau in die Freiheit zu düsen, denkt Reacher. Nun müssen sie nur noch ihren vier Häschern entkommen, die sich bereits an ihre Fersen heften…

Mein Eindruck

Natürlich ist Afghanistan an allem schuld. Major Susan Turner hat zwei ihrer Männer im Hindukusch auf die Sache nach einem anderen Mann geschickt, doch diese beiden Sucher haben sich seit 48 Stunden nicht mehr zurückgemeldet. Da Morgan nicht da ist (dreimal darf man fragen, warum), genehmigt Interims-Major Reacher die Suchaktion mit Hubschraubern und allem. Die Agenten wurden mit 9mm-Kugeln in den Kopf geschossen – nicht gerade die übliche Methode der Taliban. Vielmehr ist eine 9mm-Kugel die Munition der US-Armee. Sie gerieten in einen Hinterhalt, damit ein Verbrechen nicht entdeckt wurde.

Doch was hat das mit Major Turner zu tun, fragt sich Reacher. Die Lady hat zwar Mühe, sich an den Report zu erinnern, der zur Aussendung der beiden Agenten führte, doch dann erinnert sie sich an zwei Buchstaben und eine Zahl. Dies ist die Registrierungsnummer für einen einheimischen Mann. Doch wer würde schon mit einem zweitrangigen Afghanen zusammenarbeiten, der einen zweifelhaften Ruf genießt? Nicht die reguläre Army, wohl aber Leute in Washington, die an dem Truppenabzug verdienen wollen – bis heute.

Die Gejagten

Fortan kämpfen Reacher und Susan Turner, die über kurz oder lang ein Liebespaar werden, an zwei Fronten. Es ist erst ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel, das sie über Virginia über West Virginia nach Pittsburgh und schließlich Los Angeles führt. Ihre vier Verfolger, über die die wackere Edmonds sie auf dem Laufenden hält, begleiten sie, was es leichter macht, sie erstens außer Gefecht zu setzen und sie zweitens um ihre Preziosen zu erleichtern: Bargeld, Kreditkarten, Ausweise – perfekt.

Ein Schläger mit dem bezeichnenden Namen „Shrago“ ist der letzte Mann, der ihnen schließlich noch Schwierigkeiten bereiten könnte. Man stellte Ving Rhames mit verstümmelten Ohren vor – Shrago war ebenfalls in Afghanistan, fiel aber den Frauen der Taliban in die Hände. Seitdem hat der Exsoldat einen Sparren locker und ist besonders auf Frauen nicht gut zu sprechen. Er führt sie durch seine Anrufe zu seinen beiden Auftraggebern, die auf die schönen Decknamen „Romeo“ und „Juliet“ hören. Doch wer sind diese hochrangigen Militärs, fragen sich Reacher und Turner, und womit verdienen sie ihr schmutziges Geld?

Zwischenspiel mit Tochter

Zwischendurch gerät die Hetzjagd in langsameres Fahrwasser, als Reacher seine angebliche Tochter Samantha kennenlernt. Er erkennt weder sie noch ihre Mutter, die blonde Kellnerin im Diner an der Ecke des Viertels. Aber auf einmal quellen in Reacher Vatergefühle hoch und ein Beschützerinstinkt bringt ihn dazu, Sam zu verraten, dass das FBI ihr Haus ebenso bewacht wie die Militärpolizei. Sam kennt alle Spionagethriller, und findet die ganze Sache wahnsinnig aufregend. Zwischen all den detailgenauen Beschreibungen kommt also ab und zu ein wenig trockener Humor auf.

Diese Beschreibungen sind das stilistische Markenzeichen des Autors. So mancher Leser, der intelligent ist, ist davon genervt, aber der Wahnsinn hat Methode: Der Autor stellt einerseits seine eingehende Sachkenntnis unprätentiös unter Beweis (wenn nicht sogar zur Schau), andererseits lässt er den Leser damit stets im Dunkeln darüber, was als Nächstes passieren könnte. Die Spannung hört nie auf, auch wenn die Einlösung des Spannungsbogens nicht immer die Erwartungen erfüllt. Das bedeutet aber mitunter nur, dass der Spannungsbogen etwas länger als erwartet ist, so wie bei dem Showdown mit Shrago. Dieser erfolgt nicht (SPOILER!) in schon L.A., sondern erst in Washington, D.C.

Und wer sich hinter dem „Liebespaar“ aus Shakespeares Tragödie verbirgt, bekommt Reacher zwar heraus, doch diesen Exponenten des Militärs beizukommen, erfordert etwas eindrucksvollere Hebel als Cash, Kredit und Kommunikation. Mehr darf hier nicht verraten werden.

Fehler im Original

Da mir die Übersetzung nicht gefallen hat, griff ich zum Original und konnte mich nicht beklagen. Allerdings mischt Reacher seine Metaphern auf Seite 463 auf höchst dubiose Weise. Er sagt ständig „This is not brain surgery“ oder „rocket science“, um Verstandesanstrengung oder Raffinesse zu bezeichnen. Doch diesmal sagt er „rocket surgery“. Ich möchte mal die Chirurgie an einer Rakete in der Praxis sehen. Die Stelle lautet in der Übersetzung: „Diese Sache ist nicht sehr raffiniert eingefädelt.“ Was absolut korrekt und sehr elegant ist.

Unterm Strich

Ich habe den Thriller in nur wenigen Tagen gelesen. Zugfahrten oder Flugreisen sind dafür ideale Gelegenheiten. Action wird mit Sinnlichkeit, Romantik und rätselhaftem Intrigenspiel kombiniert, um die typische Reacher-Mischung zu ergeben. Ich bezweifle allerdings, dass die Verfilmung dem Buch penibel gefolgt ist: Es passiert einfach zu wenig, und ich habe im Trailer fast nur Actionszenen gesehen.

Dennoch: Für einen Reacher-Triller bietet das Buch genügend Anreize. Die Übersetzung war mir allerdings zu trocken, denn ich vermisste den typischen hartgesottenen und staubtrockenen Reacher-Humor. Die Übersetzung durch den zweifelsohne sehr kompetenten Übersetzungsveteranen Wulf Bergner war mir allerdings zu ernst und zu eindeutig – die ganze Doppelbödigkeit des Stils, des Humors und der Handlung vermisste ich (zumindest auf den ersten 40 Seiten, bevor ich aufgab). Und warum dauert es vier Jahre, bis ein US-Thriller übersetzt werden kann?

Taschenbuch: 448 Seiten
Info: Never go back, 2013
Aus dem US-Englischen von Wulf Bergner
www.randomhouse.de/Verlag/Blanvalet

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