Lee Child – Der Janusmann (Jack Reacher 7)

Cop-Action: Showdown mit dem toten Mann

Vor sechs Jahren quittierte Jack Reacher, damals Spitzenermittler der US-Militärpolizei, den Dienst. Er tauchte unter – unerreichbar, unauffindbar. Doch dieses eine Mal kommt der rastlose Einzelgänger freiwillig aus der Deckung. Durch puren Zufall ist er einem Mann begegnet, den er seit zehn Jahren für tot gehalten hat. Die Narben auf dessen Stirn erinnern Reacher an sein furchtbarstes Erlebnis, und er weiß: Noch immer geht von dem Janusmann eine tödliche Gefahr aus … (Verlagsinfo)

Der Autor

Lee Child verdankt seine außerordentliche Karriere als Krimiautor einer eher unangenehmen Lebenssituation: 1995 wurde ihm wegen einer Umstrukturierung sein Job beim Fernsehen gekündigt. Der Produzent so beliebter Krimiserien wie „Prime Suspect“ („Heißer Verdacht“) oder „Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) machte aus der Not eine Tugend und versuchte sich als Schriftsteller. Was selbst wie ein Roman klingt, entspricht in diesem Fall der Wahrheit: Bereits mit seinem ersten Thriller um den Ermittler Jack Reacher landete Child einen internationalen Bestseller. Er war zugleich Auftakt der heute mehrfach preisgekrönten „Jack-Reacher“-Serie. Child, der 1954 in Coventry in England geboren wurde, ist heute in den USA und Südfrankreich zu Hause. (Amazon.de)

1) Größenwahn (Killing Floor, 1997)
2) Ausgeliefert (Die Trying, 1998)
3) Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999)
4) Zeit der Rache (Running Blind/The Visitor, 2000)
5) In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001)
6) Tödliche Absicht (Without Fail, 2002)
7) Der Janusmann (Persuader, 2003)
8) Die Abschussliste (The Enemy, 2004)
9) Sniper (One Shot, 2005)
10) Way Out (The Hard Way, 2006)
11) Trouble (Bad Luck and Trouble, 2007)
12) Outlaw (Nothing to Lose, 2008)
13) Underground (Gone Tomorrow, 2009)
14) 61 Hours (61 Hours, 2010)
15) Wespennest (Worth Dying for, 2010)
15.5. Second Son (2011)
16. The Affair (2010)
16.5. Deep Down (2012)
17. A Wanted Man (2012)
17.5. High Heat (2013)
18. Die Gejagten (Never Go Back, 2013)
18.5. Not a Drill (2014)
19. Personal (2014)
20. Make Me (2015)
21. The Night School (2016)

Handlung

Jack Reacher, der ehemalige Militärpolizist, stößt eines Abends vor der Oper auf einen toten Mann. Auf einen Mann, den er zehn Jahre zuvor selbst tötete, irgendwo an der stürmischen Pazifikküste. Doch nun steht Quinn wieder vor ihm, angetan mit Mantel, Seidenschal – und womöglich einer Pistole in der Manteltasche. Er besteigt einen dunklen Cadillac, um sich chauffieren zu lassen. Reacher merkt sich das Nummernschilder und bittet einen Exkollegen, das Kennzeichen zu prüfen. Wenige Stunden später klopft es an seiner Hotelzimmertür.

Die Agenten

Ein rundlicher, älterer Mann und eine attraktive junge Frau – beide vom Justizministerium, behaupten sie. Eliot und Duffy sind hinter dem Mann her, der ihren Mann, Quinn, jagt: Reacher. Als ehemaliger Cop weiß Reacher genau, wie er Hochstapler und Betrüger entlarvt, doch diese beiden Agenten scheinen es ehrlich zu meinen. Vielleicht können sie ihm helfen – wenn er ihnen hilft. Sie wollen Zachary Beck schnappen, der in der Gegend nördlich von Boston vermutlich nicht nur mit Teppichen handelt, sondern wohl auch mit Rauschgift. Beck hat einen Sohn namens Richard, der bereits einmal Opfer einer Entführung geworden ist und ein Ohr verloren hat.

Reacher und die Undercover-Truppe von Eliot und Duffy entwerfen einen Plan, mithilfe einer vereitelten Entführung Richard Becks in die Höhle des Löwen zu gelangen. Natürlich würde ihm der erleichterte Vater Richards dankbar sein und Reacher als Leibwächter einstellen, nicht wahr? Falsch gedacht. Leider hat dieser Plan mehr Löcher als ein Schweizer Käse. Mit Reachers Hilfe wird er x-mal revidiert, bis nach zehn Tagen die Chose endlich steigen kann.

Der Überfall

Richard Beck kommt aus der Kunstakademie, wo er studiert, wird von zwei Leibwächtern abgeholt und zum Wagen gebracht, wo er sich in Sicherheit wähnt. Sofort fährt ein alter Pickup los und stellt sich quer vor Richards Wagen, zwei abgerissene Typen springen heraus, zücken ihre kleinen Uzi-Maschinenpistolen und feuern ins Wageninnere. Die Leibwächter sind auf der Stelle tot. Die Angreifer zerren Richard zu ihrem Wagen, während weitere Sheriffs, die für die Akademie arbeiten, anrollen. Jetzt tritt Reacher in Aktion. Am Ende sind fünf Menschen tot und Reacher braust mit Richard Beck davon.

Das Haus am Meer

Reacher hat einen Polizisten umgelegt. Kein Wunder also, dass er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen will. Doch Richard „überredet“ ihn, so schnell wie möglich nach Hause zu bringen, wo er den Geburtstag seiner Mutter feiern will. Reacher lässt sich widerwillig breitschlagen, tauscht den Wagen gegen einen geklauten Maxima ein und düst 200 Meilen hoch nach Portland, Maine, um den Jungen abzuliefern.

Das herrschaftliche Haus samt Nebengebäuden ist bewacht wie eine Festung. Ein harmloser Teppichhändler soll hier wohnen? Unwahrscheinlich, konstatiert Reacher. Kerle wie Schränke, bis oben hin mit Steroiden vollgepumpt, stehen Wache, ein Metalldetektor tastet alle Besucher auf Waffen ab. Mrs. Beck begrüßt Reacher, zart gebaut wie ein Vögelchen, aber mit guten Manieren. Sie weist Reacher sein Zimmer zu, das zu seiner Verwunderung nicht von innen abschließbar ist, wohl aber von außen. Der Hausherr werde ihn um acht begrüßen, heißt es.

Undercover

Reacher zieht seinen rechten Schuh aus und nimmt den Absatz ab. Darin befindet sich eine kleine Sendeeinheit für Kurztexte. „Ich bin drinnen“, sendet er an Duffy. Doch dann fängt der Ärger erst an. Zachary Beck stellt sich als äußerst misstrauischer Zeitgenosse heraus. Bewacht von einem der Leibwächter fordert er von Reacher, dass er durch eine Runde Russisches Roulette seine Loyalität unter Beweis stellt. Er lädt den Revolver selbst mit einer Patrone und überreicht sie Reacher.

Um Beck vollständig von seiner Loyalität – als gesuchter Copkiller – zu überzeugen, gibt es nur einen Weg. Reacher hebt die Waffe an seine Schläfe und drückt den Abzug…

Mein Eindruck

Anstatt wie üblich einen Berg von Lügen abzutragen, entdeckt Reacher diesmal selbständig, dass er die Lage der Dinge völlig falsch verstanden hat. Und das ist vor allem die Schuld von Agentin Duffy und ihrem Team. Bei Beck geht es nämlich nicht um Drogen, wie sie sagte, sondern um Waffen: Beck ist ein Waffenschieber. Das Ulkige an dieser Erkenntnis ist nicht so sehr das Faktum, sondern der Umstand, dass Reacher diese Erkenntnis beim Abendessen mit der Familie Beck erlangt. Also, mir würde dabei schlecht werden. Reacher aber hat einen Magen aus Stahl – und ebensolche Nerven. Und dann kommt Reacher die Erkenntnis, dass Duffy ein kleines Problem hat: Sie ist hier eigentlich gar nicht zuständig. Nicht ihr DEA sollte hier operieren, sondern die ATF-Behörde. Stellt sich die Frage: Wie kann sie ihm jetzt noch nützen?

Der große Unbekannte

Eine zweite Realitätsverschiebung betrifft die Position, in der sich Beck befindet. Als ihm Paulie, der Riese am Tor zum Grundstück, sagt, er arbeite nicht für Beck, den Hausherrn, wird Reacher allmählich klar, dass die Familie Beck selbst ein Opfer ist. Paulies Behandlung von Mrs. Beck als einer Sexsklavin macht dies nur zu deutlich. Doch welches Druckmittel hat der wahre Gauner in der Hand, um im Hause Beck die Strippen zu ziehen? Es ist natürlich Richard, der Sohn: Er hat ihn fünf Jahre zuvor schon einmal entführen lassen und ihm ein Ohr abgeschnitten, das er dann als „Beweis“ an den Vater schickte.

Parallele Vergangenheit

Reacher hat eine Ahnung, wer der große Unbekannte im Hintergrund ist: Francis Xavier Quinn, ein ehemaliger Militärgeheimdienstler. Doch Quinn ist tot, oder? Er hat ihn zehn Jahre zuvor selbst getötet. Schlechte Arbeit, Reacher, nicht wahr? In einer auf faszinierende Weise parallel geführten Handlung geleitet der Autor den Leser und seinen helden in jene Zeit vor zehn Jahren zurück, als sich Reacher in Dominique Kohl, seine Ermittlerin, verliebte – und sie durch Quinn verlor. Mal abgesehen von dem tragischen Ende dieser Affäre, die er selbst zu verantworten hatte, erinnert sich Reacher nun mehrfach an die erstaunlichen und beunruhigenden parallelen jenes Falles zum Fall Beck. Dem Leser stellt sich sofort die Frage: Wird Reacher die gleichen Fehler wiederholen?

Action

Das macht die Lektüre dieses Reacher-Bandes (Nr. 7) ungewöhnlich spannend – spannender jedenfalls, als es die Schilderung reiner Action jemals zustandebringen könnte. Solche Action bekommt der Fan durchweg geboten, von der oben geschilderten Eröffnungsszene – die sich ironischerweise als Fake herausstellt – bis zum explosiven Finale. Dieses verläuft zum Glück mit etlichen Hindernissen. Nicht nur muss der Held einem sehr nassen Tod in der gierigen See vor der Küste entgehen (habe ich einfach überblättert: war mir einfach zu detailliert geschildert), sondern er muss auch dem Lauf einer Beretta entgehen, die ihm ausgerechnet sein Schützling Richard Beck an den Kopf hält. Doch der junge Richard hat eine andere Priorität, wenn es um das Leben seines Vaters geht.

Die verschwundene Agentin

Duffys Hauptmotiv neben der Festnahme Becks ist das Wiederfinden der verschwundenen Agentin Teresa Daniels alias Teresa Justice. Zweimal findet Reacher den Namenszug JUSTICE eingeritzt in den Fußboden von improvisierten Zellen, doch jedes Mal kommt er zu spät. Ein Katz-und-Maus-Spiel wird erkennbar, in dem er den Kürzeren zu ziehen droht. Dass seine Gegenspieler eine ganze Reihe von Quinns Schergen und Partnern sind, hindert ihn nicht daran, es mit ihnen aufzunehmen. Mehr als ein Genick bricht unter seinen Fäusten. Das letzte, eindrucksvolle Bollwerk ist dabei der Riese am Tor: Paulie. Dieser Kampf hat geradezu epische Dimensionen, was Gewalteinsatz und Länge anbelangt.

Doch wo steckt Teresa Daniels? Sie ist nicht in Portland, Maine, weder im Hafen, im Motel, noch im Lager. Die Zeit wird extrem knapp, als die beiden Leibwächter, die Beck zum Schutz seines Sohnes abgestellt hatte (wir erinnern uns an die Anfangsszene), sich befreien können und auf den Weg zu Becks Anwesen machen. Die Art und Weise, wie Reacher sie stoppen kann, erweist sich als genial. Doch das beantwortet nicht die Frage, warum sich Teresa Daniels nicht meldet. Sie trägt nicht ohne Grund den Namen Justice. Darum geht es in der Suche nach ihr: Gerechtigkeit. Doch wie ist sie zu erlangen, fragt uns der Autor (und die Figuren stellen diese Frage an Reacher).

Wo also dient eine versteckte, gefangen gehaltene Agentin namens Justice? Die Antwort ist ganz einfach: Quinn hat sie als Sonderposten in den anstehenden Waffendeal mit den Irakern eingebaut – als unfreiwillige Braut-Dreingabe. Teresa ist das genaue Gegenbild zu Dominique Kohl – und doch auch wieder nicht: Wenn Reacher Teresa verliert, hat er symbolpsychologisch gesehen die geliebte Dominique zweimal verloren – durch seine Naivität bzw. Unfähigkeit. Und die Frau Justice steht für ihre Heimat: die Vereinigten Staaten.

„Guns, we need guns“ (Neo in „The Matrix“)

Warum der Originaltitel „Persuader“ (Überreder) lautet, wird nach etwa zwei Dritteln der Handlung klar. „Persuader“ ist der Spitzname einer Pumpgun, deren Munition Ziegelwände durchschlagen und zum Einsturz bringen kann. Diese Zimmer-Flak ist, kein Wunder, die bevorzugte Waffe von Drogenhändlern, wenn es darum geht, missliebige Konkurrenz auszuschalten.

Auch sonst ist das Waffenarsenal, das in diesem Roman aufgezählt und eingehend nach Vorzügen und Nachteilen abgewogen wird, nicht von schlechten Eltern. Von der handlichen 22er für die Handtasche bis zur Antiflugzeug-Rakete ist alles dabei. Als Deutscher ist man fast schon froh, dass die Heckler & Koch Maschinepistole MP5 in diesen Vergleichen so gut wegkommt. Am besten drückt man diesen Waffenkatalog der aktuellen Verteidigungsministerin in die Hand. Sie plant, das bewährte Maschinengewehr G36 von H&K zu ersetzen. Lee Child hätte zu dieser verrückten Idee einiges zu sagen.

Unterm Strich

Dieser siebente Reacher-Band ist der ideale Einstieg in die Serie. Alles, was Reacher ausmacht, ist hier in einer spannenden und berührenden Doppel-Handlung integriert: die Action, die in der ersten Szene beginnt und im Finale gipfelt; die Werte, die Reacher verkörpert, wenn es um Gerechtigkeit (Justice) geht; die Zuneigung, die Reacher zu tüchtigen und attraktiven Frauen wie Duffy und Dominique Kohl empfindet; und die vielfache Umkehrung der Realität, die Reacher wahrnimmt und die wir ihm einfach abnehmen müssen. So wird aus jedem Reacher-Roman eine unterhaltsame Achterbahnfahrt. Ich konnte das Buch jedenfalls nicht mehr aus der Hand legen und schaffte es in nur zwei tagen.

Taschenbuch: 480 Seiten
Info: Persuader, 2003
Aus dem US-Englischen von Wulf Bergner
www.randomhouse.de/Verlag/Blanvalet

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