„Das Gambit der Kaiserin“ ist der zweite Teil der neuen Trilogie „Der verschlungene Pfad“ von Chris Wooding und zeigt fast noch eindrucksvoller als beim ersten Band [„Die Weber von Saramyr“, 1546 welch talentierter Schriftsteller sich hinter diesem Titel verbirgt. Allein die Art und Weise, wie Wooding Landschaften beschreibt, Emotionen in Worte packt und Verstrickungen sich langsam zusammenfügen lässt, zeigt wahre Größe. Dass er darüber hinaus aber auch noch eine Welt kreiert hat, aus der man, sobald man sich in ihr eingefunden hat, gar nicht mehr entfliehen kann, dafür kann ich ihm nur aus vollem Herzen danken.
Nach so vielen Fantasy-Reihen im Stile eines Tolkien ist es Wooding gelungen, dem Genre unter anderem durch die Hinzaunhme von Stilelementen der fernöstlichen Kultur eine ganz neue Farbe zu verleihen und es in jeglicher Hinsicht zu bereichern. Andererseits muss man aber auch betonen, dass das hier beschriebene Land Saramyr ein äußerst brutales ist und als solches auch mit all seinen Einzelheiten dargestellt wird. Diesbezüglich ist die Trilogie dann auch ziemlich harter Tobak, aber das wissen erfahrene Leser ja schon vom ersten Buch. Nichtsdestotrotz ist Teil zwei, „Das Gambit der Kaiserin“, noch eine Spur härter und definitiv schwerer verdaulich, deswegen aber absolut nicht minder genial.
_Story:_
Fünf Jahre sind seit jenem schicksalhaften Tag vergangen, an dem die Geblütskaiserin und ihr verlogener Gatte infolge eines Staatsstreiches ums Leben kamen und ihre ausgebürtige Tochter von den Anhängern der Libera Dermach in Sicherheit gebracht wurde. Fünf Jahre, in denen allmählich Ruhe in Saramyr eingekehrt ist, in denen der rote Orden sich für den großen Kampf gegen die furchterregenden Weber wappnen und vorbereiten konnte, aber auch fünf Jahre, in denen ganz unbemerkt weitere Intrigen gesponnen wurden, die sich später noch als die langfristig geplante Verwirklichung einer großen Verschwörung herausstellen sollen.
Die Geschichte beginnt mit einer längeren Reise, die Kaiku und Mishani auf einen anderen Kontinent unternehmen, wo sie einen Späher treffen und zurück nach Saramyr schmuggeln sollen. Nach einigen Unklarheiten begegnet Kaiku schließlich dem gesuchten Mann namens Saran und verhilft ihm zur Überfahrt.
Im Schloss angekommen, hat Saran wichtige Neuigkeiten, die er auf seiner langen Reise sammeln konnte. Unter anderem hat er über die Jahre eine Theorie über die Entstehung der Hexensteine aufstellen können, an deren Wahrheitsgehalt die Libera Dermach und der rote Orden zwar noch zweifeln, die aber schlüssiger kaum sein könnte. Derweil ist Kaiku bewusst geworden, wie sehr sie sich zu Saran hingezogen fühlt – bis sie schließlich den wahren Grund für seine Anziehungskraft entdeckt …
Nicht viel später verschwindet die Person, die Kaiku auf dem fremden Kontinent kennen gelernt hat, und Kaiku ist wieder von Selbstzweifeln geplant. Gleichzeitig entdeckt sie aber neue Stärken an sich und lernt nach und nach, ihr Kana, die von ihr entfesselte Energie, zu kontrollieren und sinnvoll einzusetzen.
Währenddessen gehen in den Festen des Kaisers merkwürdige Dinge vor sich. Geblütskaiser Mos, der nach dem Tod seines Sohnes Durun an die Macht gekommen ist, wird Opfer heimtückischer Pläne. Immer mehr wird er von Eifersucht geplagt und bezichtigt seine geliebte Frau schließlich, dass ihr noch ungeborenes Kind von einem anderen Mann gezeugt wurde. Zu spät merkt er, dass dies eine weitere Intrige der Weber ist, hinter der sich der neue Webfürst Kakre verbirgt. Dieser schmiedet mit seinen Gefährten jedoch noch weitaus schlimmere Pläne. Während die Libera Dermach sich gänzlich von der Umwelt abgeschirmt und die versteckt und für tot gehaltene Tochter der ehemaligen Geblütskaiserin Anais auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet hat, haben die Weber ganz unbemerkt eine Armee von ausgebürtigen Monstern gezüchtet, mit Hilfe derer sie ihren finalen Zug um die Macht in Saramyr bestreiten wollen. Und in dem Moment, in dem die Armee sich in Bewegung setzt, scheint sie niemand mehr aufhalten zu können …
_Bewertung:_
Wie auch schon das erste Buch, so ist „Das Gambit der Kaiserin“ gespickt mit vielen untergeordneten Handlungen, die erst einmal ganz unabhängig voneinander stattfinden, sich aber zum Ende hin mehr und mehr ergänzen und zu einem großen Ganzen zusammenwachsen. Selten habe ich erlebt, dass ein Autor es vermag, mich mit seinem Schribstil, vor allem aber mit den zahllosen Andeutungen und versteckten Hinweisen so geschickt bei der Stange zu halten, dass selbst ein Buch mit über 700 Seiten in kürzester Zeit durchgeackert wird. Das ist einfach ganz große Klasse, was Chris Wooding hier erschaffen hat!
Nachdem er im ersten Band quasi die ganzen Rahmenbedingungen abgesteckt hat, bleibt ihm im zweiten Teil entsprechend viel Raum, noch weiter als ohnehin schon in die Tiefe zu gehen und die Geschichte mit all ihren Nebenarmen wachsen zu lassen. Und sie wächst und gedeiht, spinnt sogar noch weitere Unterhandlungen zurecht und entwickelt eine Spannung, der man sich kaum noch entziehen kann.
Immer wieder tauchen infolge eines unerwarteten Verrats neue Wendungen in der Geschichte auf, dann wieder springt Wooding zum nächsten Szenario und lässt eine Andeutung zum Schluss eines Kapitels fast hundert Seiten ungeklärt, bis sich das Ganze dann schlussendlich wieder wie ein erst noch unvollständiges, schließlich aber logisches Puzzle zusammenfügt – und das immer und immer wieder, ohne dass man Gefahr läuft, den Überblick zu verlieren.
Doch Wooding hat nicht nur ein weiteres mitreißendes Epos verfasst, er erreicht primär durch die Schilderungen der teils zwischenmenschlichen, teils abnormalen Grausamkeiten die Emotionen seiner Leser und weiß sie zu bewegen. Einzigartig, wie er fast schon nüchtern über die Bruatlität der Weber berichtet, die grausame Vergangenheit der Protagonisten schildert oder aber einen wichtigen Charakter ganz plötzlich aus der Handlung ausscheiden lässt. Allein dies würde schon als Grund ausreichen, dieses Buch weiterzuempfehlen, doch ehrlich gesagt fallen mir da noch unzählige weitere Rechtfertigungen ein.
Mein Fazit ist daher eindeutig: Ich bin erneut schwer begeistert vom aktuellen Werk Woodings und kann es kaum noch abwarten, bis sich mit dem bislang noch nicht erschienenen dritten Teil der Kreis schließt. Erhabener und mitreißender kann man die moderne Fantasy kaum gestalten!