Babendererde, Antje – verborgene Seite des Mondes, Die

_Einst bevölkerten_ sie den amerikanischen Kontinent, bevor die Europäer kamen: die Indianer. Es gibt sie auch heute noch, aber von Wild-West-Romantik ist wenig zu spüren. Die wenigsten leben noch in Tipis und in Einklang mit der Natur. Meistens sind sie kaum von den europäischen Amerikanern zu unterscheiden, unter denen sie nicht nur damals, sondern auch noch heute zu leiden haben.

Die Jugendbuchautorin Antje Babendererde zeigt in ihrem Buch „Die verborgene Seite des Mondes“, wie die Indianer heute leben. Im Mittelpunkt steht Julia, die zur Hälfte Deutsche und zur Hälfte Indianerin ist. Als ihr Vater John stirbt, bricht eine Welt für sie zusammen, denn im Gegenteil zu ihrer Mutter war ihr Vater stets für sie da und hat sie an seinen indianischen Wurzeln teilhaben lassen. Daraus hat sie sich ein idealistisches Bild aufgebaut, doch als sie nach seinem Tod endlich ihre Familie in Amerika kennenlernt, wird dieses schnell zerstört. Ihre bereits alten Großeltern erhalten eine verfallene Ranch in der Wüste von Nevada aufrecht, obwohl die Repressalien der amerikanischen Regierung dies fast unmöglich machen. Ada, Julias Großmutter, ist eine bekannte Freiheitskämpferin, doch privat ist sie eine ruppige Person, die Julias Mutter Hanna die Schuld daran gibt, dass John die Ranch im Stich gelassen und ihr nach Deutschland gefolgt ist. Deswegen trifft Julia auch erst mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal ihre Großeltern.

Auf der Ranch herrschen eine Menge Spannungen. Mit der Zeit merkt Julia, dass ihr Vater ihr lange nicht alles erzählt hat, was mit seiner Vergangenheit zu tun hat. In ihre Trauer mischen sich Wut und Unverständnis. Sie fühlt sich nicht sonderlich wohl auf der Ranch, doch als sie den stillen Simon kennenlernt, ändert sich das. Simon, ein Einzelgänger, der sich wegen seines Sprachfehlers schämt, gibt sich anfangs eher abweisend, doch es gelingt Julia, ihm näherzukommen. Sehr nahe, um ganz ehrlich zu sein. So nahe, dass es die beiden in ungeahnte Gefahr bringt …

_Von Jugendbüchern_ ist man eine Menge gewohnt. Viele dieser ‚Werke‘ sind kitschiger Herzschmerz vor einer kaugummirosafarbenen Kulisse. Nicht so der vorliegende Roman von Antje Babendererde. Die Autorin widmet sich einem ernsten Thema: der Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner durch die amerikanische Regierung. Allerdings wird sie dabei nicht zu politisch. Sie lässt immer wieder interessante Informationen einfließen, beschreibt im Allgemeinen aber mehr den Alltag von zähen Kämpfern wie Julias Großeltern. Sie malt ein farbiges, sehr detailreiches Bild vom Ranchleben und übergeht dabei nichts. Sie erzählt von indianischen Kindern, die behindert zur Welt kommen, weil sie in einem atomverseuchten Gebiet geboren werden. Sie erzählt von Drogensucht und Alkoholismus, der Hoffnungslosigkeit, den schlimmen Zuständen, jungen Müttern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder behandeln sollen – und sie erzählt eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern, die beide ihr Päckchen zu tragen haben.

Julia ist ein nettes, manchmal etwas naives Mädchen. Sie hat in ihrem bisherigen Leben nur wenig Leid gesehen und der Tod ihres Vaters bedeutet einen starken Einschnitt für sie. Die Reise nach Amerika öffnet ihr die Augen und lässt sie wachsen. Babendererde hat Julia nicht besonders originell gestaltet, aber das sollte man ihr verzeihen, denn dafür ist das Mädchen sehr sympathisch und unglaublich lebendig. Sie ist das nette Mädchen von nebenan, das die Autorin als nachdenklich und überhaupt nicht oberflächlich darstellt. Ihre Ausarbeitung ist bewundernswert gelungen.

Gleiches gilt für den siebzehnjährigen Simon, der sich mit Julia die Erzählperspektive des Buchs teilt. Im Gegensatz zu ihr ist er in Armut und unter sehr harten Umständen aufgewachsen. An ihm zeigt sich, wie sich eine solche Vergangenheit auf das Verhalten und auch auf die Psyche niederschlägt. Simon denkt selten an sich selbst und ist menschenscheu. Seine Stotterei isoliert ihn noch mehr von anderen Menschen und die Tiere sind seine einzigen Freunde – bis Julia kommt. Sie hilft dem Jungen mit ihrer unbekümmerten Art, und Babendererde stellt sehr anschaulich und mit viel Gefühl dar, wie er sich verändert. Die Stille und die Trauer, die in ihm stecken, werden unglaublich stark dargestellt, sind stellenweise sogar poetisch angehaucht.

Die Autorin zeigt mit ihrer tragischen Geschichte auch die dunklen Seiten des Lebens auf. Sie begeht allerdings nicht den Fehler, sich auf die Liebesbeziehung der beiden Protagonisten zu verlassen, sondern baut zudem einige kurze Handlungsstränge ein. Diese sorgen für ein gewisses Maß an Spannung, sind aber nicht überladen, sondern sehr sorgfältig dosiert. Sie bringen Bewegung in die Geschichte und runden das Buch ab, das in einer klaren, gut lesbaren Sprache verfasst ist. Babendererde verzichtet auf rhetorischen Schnickschnack und bleibt oft sehr nüchtern, beobachtend. Sie geht allerdings auch stark auf die Gefühle und Gedanken der Protagonisten ein und verwendet an diesen Stellen häufig eine etwas poetischere Sprache. Gerade Simon denkt immer wieder in Metaphern, was sehr gut zu seiner nachdenklichen Persönlichkeit passt.

_In der Summe_ ist Antje Babendererde ein unglaublich atmosphärisches und schön erzähltes Buch gelungen. Sie verklärt das heutige, harte Leben der Indianer nicht, lässt aber Platz für Gefühle. Neben der romantischen Seite des Buches beschreibt sie aber auch den Freiheitskampf von Ada und ihrem Volk, ohne darüber zu urteilen. Somit ist „Die verborgene Seite des Mondes“ mehr als ein kitschiger Mädchenroman. Dafür ist die Geschichte zu seriös, zu tiefgehend und vor allem zu interessant. Es kommt schließlich nicht jedes junge Mädchen in den Genuss, wie Julia nach Amerika zu fliegen und auf einer echten Ranch zu leben.

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http://www.antje-babendererde.de/

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