Richard Stark – Das große Gold [Parker 21]

Nach einem ‚Arbeitsunfall‘ fährt Berufsgangster Parker ins Gefängnis ein. Umgehend organisiert er einen Ausbruch, doch als er wieder draußen ist, läuft bei einem Juwelenraub schief, was nur schief gehen kann … – Noch tiefer in der Bredouille steckend als sonst, behält Parker seine moralfreie Nonchalance und geht eiskalt seinen Weg, während Hindernis um Hindernis sich vor ihm auftürmt: spannend, wortkarg, einfach gut.

Das geschieht:

Der Einbruch in mit wertvollen Medikamenten gefülltes Lagerhaus endet für Parker und seine Bande denkbar unglücklich: Sie landen im Stoneveldt Detention Center, einer Anstalt für Häftlinge in Untersuchungshaft. Parker versteckt sich hinter einer falschen Identität, die keinesfalls auffliegen darf, da seine Karriere als Berufsverbrecher, der bisher durch die Maschen der Justiz schlüpfen konnte, sonst beendet wäre. Bevor er vor Gericht gestellt und anschließend in ein „richtiges“ Gefängnis verlegt wird, will Parker deshalb ausbrechen.

Über seinen Pflichtverteidiger stellt Parker den Kontakt zu einem verlässlichen Kontaktmann her. Ed Mackay wird für ein Gelingen der Flucht sorgen, sobald er „draußen“ ist. Hinter den Mauern schaut Parker sich nach brauchbaren Spießgesellen um. Er findet seinen Zellengenossen Williams sowie Tom Marcantoni – harte Männer, die eine lebenslange Gefängnisstrafe fürchten müssen und bereit sind, das Risiko eines Ausbruchs einzugehen. Doch Marcantoni stellt eine Bedingung: Wenn die Flucht gelingt, sollen Parker und Williams einen Juwelenraub mit ihm durchziehen.

Widerwillig schlägt Parker ein. Immerhin glückt der Ausbruch reibungslos. Zudem wirkt Marcantonis Plan narrensicher. Zwar wird der begehrte Schmuck in einem uralten Zeughaus der US-Army aufbewahrt, doch vor Jahren hat Marcantoni einen unbekannten Geheimgang entdeckt. Den nutzt die neu formierte Bande, um ins Innere vorzudringen. Doch das Pech bleibt Parker treu: Der Rückweg ist versperrt, und die Einbrecher sehen sich plötzlich in einem Haus gefangen, das wie eine Festung gebaut wurde. Jetzt ist guter Rat teuer, denn die Zeit und die Polizei, die auf den Straßen nach den Ausbrechern fahndet, drängen. In höchster Not wird ein Plan geschmiedet, doch der zeigt in der Umsetzung gefährliche Lücken …

Job mit hohem Risiko

Nicht zum ersten Mal muss Parker die Erfahrung machen, dass gute Leute auch in seinem Milieu schwer zu finden sind. Als hart arbeitender Berufsverbrecher ist er in dieser Hinsicht schon oft enttäuscht worden. Bisher führte das zu misslungenen Coups und aufregenden Fluchten; mehrfach fing sich Parker sogar eine Kugel ein oder musste andere Verletzungen überstehen. Dieses Mal kommt es jedoch zum Super-GAU: Parker wird gefasst und kommt hinter Gitter!

Genau das wollte und musste er vermeiden, denn sein Erfolg beruht, neben der Professionalität als Verbrecher, auf seiner Anonymität. Mit großem Aufwand schlägt Parker einen Bogen um alles, das ihn ins Getriebe des Systems saugen könnte. Im digitalen 21. Jahrhundert ist das eine echte Herausforderung geworden, doch Parker zahlt gern jeden Preis für seine Namenlosigkeit. Nur ihr verdankt er dieses Mal die Möglichkeit, seinem Gefängnis zu entkommen, weil seine Häschern schlicht nicht ahnen, welcher dicke Fisch ihnen da ins Netz gegangen ist.

Das kann nur gelingen, weil Parker ungeachtet der brisanten Situation die Nerven behält. Er nimmt es, wie es kommt, denn Professionalität ist auch im Gefängnis der Schlüssel zum Erfolg, der hier das Entkommen bedeutet. Parker wartet ab, taxiert seine Mitgefangenen, die Wärter, die Polizeibeamten, die ihn vernehmen, sucht nach Schwachstellen im Alltagsgefüge des Gefängnisses. Schnell hat einen Plan entwickelt, der sich an den Realitäten orientiert. Sämtliche Risiken sind nicht ausgeschaltet, aber Parker minimiert sie.

Drückt dem Bösewicht die Daumen!

Der Mensch tendiert dazu, um den Schwächeren zu bangen, der sich anschickt, einem übermächtigen Gegner die Stirn zu bieten. Das schließt sogar diejenigen Zeitgenossen ein, die sich wie Parker den Zorn des Gesetzes völlig zu Recht zugezogen haben. Offenbar projiziert man sich automatisch in die Rolle des Opfers, das man deshalb gern dabei beobachtet, wie es sich der Falle entwindet. (Anders denken natürlich jene Leser, die bereits von einem der Parkers dieser Welt ausgeraubt wurden …)

Je aussichtsloser die Flucht, desto reizvoller wird der Versuch, es trotzdem zu versuchen. Der normale Leser wird im Gefängnis jede kriminelle Initiative verlieren und sich dem System unterordnen. Parker denkt nicht eine Sekunde so. Er sieht in den Schranken, die ihn zurückhalten sollen, vor allem die Möglichkeiten. Intelligenz und Entschlossenheit sind stärker als Stahlgitter: Wird das so clever umgesetzt wie von Richard Stark, ist das stets ein sicherer Garant für Spannung.

Zumal dieses Mal Ort und Zeit nicht nur einmal gegen Parker sind. Gleich dreimal gilt es, sich selbst oder andere Gefangene zu befreien. Geschickt schürt Stark die Spannung, indem er die Handlung durch Abläufe bereichert, die Parker nicht kontrollieren kann. Im Hintergrund stellen scheinheilige Bürger, skrupelarme Polizisten und simple Verräter ihre Fallen auf. Ein Rädchen greift ins andere, und die Maschinerie, die Parkers Schicksal besiegelt, scheint schnell so rund zu laufen, dass ein Entkommen ausgeschlossen scheint.

In der Ruhe liegt die Kraft

Aber so denkt erneut nur der von der Situation überforderte Amateur-Straftäter. Parker setzt einen Fuß vor den anderen und bleibt geduldig. Hindernissen stellt er sich, wenn sie auftauchen, statt sich vorab verrückt zu machen. Rückschläge gehören zu seinem Leben. Deshalb ist ihm klar, dass er selbst nach einer gelungenen Flucht nicht frei ist: Er hat sich der Unterstützung von Männern versichert, die für ihre Leistungen einen Preis fordern werden. Als Profi kalkuliert Parker dies ein; er denkt gar nicht daran, seine Partner zu betrügen.

Dabei geht es ihm keineswegs um Verpflichtung oder gar Freundschaft, denn so ist Parker nicht gestrickt. Stattdessen kalkuliert er eiskalt: Wenn er jetzt nicht bei seinen Kumpanen bleibt, werden sie ihn später ignorieren, sollte er ihre Hilfe dringend benötigen. Nur das hält ihn bei der Stange, den Parker interessiert sich letztlich nur für Parker. Ein sozial kompetenterer Mann wie Williams erkennt das und wünscht sich sogar, wie Parker zu sein, den seine Teflon-Persönlichkeit zum ideal funktionierenden Verbrecher aufwertet.

Die Spannung steigt, wenn sich sämtliche Geschicke gegen die Gauner zu verschwören scheinen. Mit perfider Beiläufigkeit sorgt Verfasser Stark dafür, dass der Leser sich wie selbstverständlich auf Parkers Seite schlägt, obwohl dieser nicht nur flüchtet und raubt, sondern auch mordet und Zeugen einschüchtert. Der Reiz liegt wohl in der unglaublichen Zielgenauigkeit, mit der Parker sich auf jede noch so hoffnungslose Situation einzurichten versteht.

Auf seine Weise ist Parker außerdem konsequent. Seine neuen Spießgesellen mobilisieren eigene Kontakte, um sich über ihn zu informieren. Was sie erfahren, stimmt mit dem überein, was der Leser über Parker weiß: Er ist ein Profi, auf den man sich bedingungslos verlassen kann; sollte man ihn allerdings zu linken versuchen, wird er brutal zurückschlagen. Verrat nimmt Parker nicht unbedingt persönlich, sondern er ahndet ihn, um ein Zeichen zu setzen. Damit wird sogar der Mord an einem Verräter zur Investition in die Zukunft: Marcantoni denkt nicht daran, Parker zu betrügen.

Aller schlechten Dinge sind drei

Auf seine beinahe zen-buddhistische Ruhe muss Parker sich dieses Mal, wie gesagt, stärker denn je stützen. Seit jeher leiden seine Unternehmen unter der Tücke des Objekts. Nüchtern unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet ist Parker kein besonders erfolgreicher Verbrecher. Er kommt zurecht, aber oft zahlt er drauf. „Das große Gold“, das der deutsche Titel fälschlich in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, ist für Parker wertlos, obwohl er es schon in den Händen hält. Stattdessen kann er froh sein, wenn er sein nacktes Leben rettet.

Der Originaltitel „Breakout“ beschreibt viel exakter, worum es in diesem 21. Parker-Abenteuer geht: Dreifach variiert steht der trickreiche Kampf um die Freiheit im Mittelpunkt der Handlung. Parker zieht sämtliche Register seines kriminellen Handwerks und offenbart ein erstaunliches Repertoire, das offene Gewalt ebenso einschließt wie psychologisches Geschick.

Geschildert wird das komplexe und geschickt entwirrte Geschehen im typischen Stark-Stil, d. h. in trügerisch simplen Worten und Sätzen. Der Verfasser scheint mit jedem Wort zu kämpfen. Tatsächlich teilt er uns präzise mit, was wir wissen müssen, und erspart uns das im modernen Krimi üblich gewordene Geschwafel. Hin und wieder wechselt Stark die Erzählperspektive; plötzlich erleben wir Parker aus der Sicht der Menschen, die mit ihm zu tun haben. Das verstärkt seine Außenseiter-Stellung, während wir gleichzeitig unauffällig mit zusätzlichen Informationen versorgt werden, für die nun eine Weile die in den Fokus geratenen Figuren geraten. Parker bleibt dabei verschlossen wie eine Auster.

Ob er unter seiner Schale überhaupt ein „normales“ Seelenleben verbirgt, bleibt auch dieses Mal (zum Glück) wieder offen. Mit dem nächsten Bruch beginnt Parker wieder am Nullpunkt. Die wirre deutsche Veröffentlichungsgeschichte der „Parker“-Thriller verdeutlicht das unfreiwillig: Obwohl die Bände unter Missachtung der chronologischen Reihenfolge erscheinen, macht sich dies nicht negativ bemerkbar, da Parkers Biografie so wenige Fixpunkte kennt. In Erwartung weiterer unterhaltsamer Abenteuer dringen wir daher gern tiefer in Parkers kriminelle Vergangenheit vor.

Autor

„Richard Stark“ ist einer von mehreren Künstlernamen des Thriller-Profis Donald Edwin Westlake (geb. 1933 in Brooklyn, New York), der sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen zu machen begann. So hoch war sein literarischer Ausstoß, dass er unter diversen Pseudonymen veröffentlichte. 1960 erschien sein erster Roman. „The Mercenaries“ (dt. „Das Gangstersyndikat“); er ließ Westlakes Talent für harte, schnelle Thriller deutlich erkennen.

Bereits 1962 betrat Parker, ein eisenharter Berufskrimineller, die Bildfläche. „The Hunter“ (dt. „Jetzt sind wir quitt“/“Payback“) verfasste Westlake als Richard Stark. „Richard“ borgte sich der Autor vom Schauspieler Richard Widmark, „Stark“ suggeriert – völlig zu Recht – die Machart dieses Romans. Bis in die 1970er Jahre veröffentlichte „Richard Stark“ neben seinen vielen anderen Romanen – zu erwähnen ist hier vor allem seine berühmte Reihe um den erfolglosen Meisterdieb Dortmunder – immer neue Parker-Romane, bevor er die Reihe abbrach, um sie nach 22-jähriger Pause (!) 1997 wieder aufzunehmen.

Neben dem Schriftsteller Westlake gibt es auch den Drehbuchautor Westlake. Nicht nur eine ganze Reihe seiner eigenen Werke wurden inzwischen verfilmt. So inszenierte 1967 Meisterregisseur John Boorman das Parker-Debüt „The Hunter“ als „Point Blank“. Lee Marvin – der allerdings den Rollennamen „Walker“ trägt – und die fabelhafte Angie Dickinson spielen in einem Thriller, der zu den modernen Klassikern des Genres zählt. (1999 versuchte sich Brian Helgeland an einem Remake.) Westlake selbst adaptierte für Hollywood Geschichten anderer Autoren. Für sein Drehbuch zu „The Grifters“ (nach Jim Thompson) wurde er für den Oscar nominiert.

Nach einer fünf Jahrzehnte währenden, höchst produktiven und erfolgreichen Schriftsteller-Karriere dachte Westlake keineswegs an den Ruhestand. Auf einer Ferienreise traf ihn am Silvestertag des Jahres 2008 ein tödlicher Herzschlag. An sein Leben und Werk erinnert diese Website, die in Form und Inhalt an seine Romane erinnert: ohne Schnickschnack, lakonisch und witzig, dazu informativ und insgesamt unterhaltsam.

Taschenbuch: 288 Seiten
Originaltitel: Breakout (New York : Mysterious Press 2002)
Übersetzung: Rudolf Hermstein
www.dtv.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Schreibe einen Kommentar