Im Kriegsjahr 1943 wird ein blutjunges US-Landei Baseball-Profi. Danny Boyle kämpft gegen Vorurteile, persönliche Probleme sowie spielerische Rückschläge und wird dabei allmählich erwachsen, wobei ihm ein besonderer Teamkamerad und Freund hilft: Frankensteins Monster … – Ungewöhnlicher „Coming-of-Age“-Roman, dessen Autor selbst für Laien spannend von einer besonderen Episode der Baseball-Geschichte erzählt und dem das Kunststück gelingt, das genannte ‚Monster‘ völlig überzeugend darin unterzubringen: seiten- und inhaltsstarkes Lesefutter!
Das geschieht:
Danny Boles wuchs vaterlos in Tenkiller, einem unendlich tief im Hinterland des US-Staates Oklahoma gelegenen Nest, auf. Im Sommer des Jahres 1943 ist er 17 Jahre alt und wartet auf seinen Einberufungsbescheid: Der II. Weltkrieg tobt, und in den USA sammelt sich ein gewaltiges Heer junger Soldaten für den Sturm auf Nazi-Europa und den japanisch besetzten Pazifikraum.
Allerdings leidet Danny unter vor allem psychisch bedingter Sprachlosigkeit, was ihn untauglich machen könnte. Außerdem ist er ein Naturtalent als Baseballspieler. 1943 pausieren die meisten Mannschaften, weil viele Spieler einrücken mussten. Dennoch werden weiterhin Turniere ausgetragen, denn Baseball lenkt sowohl Zivilisten als auch Soldaten vom Kriegsalltag ab.
Jordan McKissic, ein vermögender, einflussreicher Geschäftsmann aus dem Südstaat Georgia und außerdem ein fanatischer Baseball-Manager, heuert Danny für sein Team an. Die „Highbridge Hellbenders“ zählen zur Unterliga, sind aber für ihren Kampfgeist bekannt. Sollte es Danny gelingen, sich hier zu profilieren, könnte er es in die Oberliga schaffen.
Der Weg dorthin ist allerdings steinig. Nicht alle Teamspieler nehmen den Neuen freundlich auf. Das Training ist hart, die Spiele unter glühender Sommersonne eine Strapaze. Doch Danny beißt sich durch. Er lernt schnell und erweist sich als echter Gewinn für das Team. Zudem kann Danny auf die Unterstützung seines Zimmernachbarn zählen, denn Henry „Jumbo“ Clerval, ein missgestalteter Gigant, erweist sich als freundlicher Zeitgenosse. Dennoch ist Danny entsetzt, als er heimlich in Clervals privaten Unterlagen stöbert und herausfindet, wer dieser tatsächlich ist: Frankensteins Monster höchstpersönlich!
König der Ungeheuer im Spiel der Spiele
Selbst wenn man lange und intensiv nachdenkt, wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf eine ähnlich schräge Idee kommen: Michael Bishop schreibt über historischen Baseball und setzt parallel dazu die Geschichte vom Frankenstein-Monster fort! Dieses wurde bekanntlich (= wie von Mary Shelley 1818 in „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ beschrieben) vom besessenen Wissenschaftler Viktor Frankenstein aus Leichenteilen zusammengesetzt und mit Hilfe elektrischer Energie zum Leben erweckt. Damit begann eine unselige (Leidens-) Geschichte, denn sobald ihm der eigentliche Schöpfungsakt gelungen war, hatte Frankenstein genug von seinem ‚Kind‘, das er sogar zerstören wollte.
Dabei entpuppte sich das ‚Ungeheuer‘ trotz seiner schaurigen Gestalt als intelligentes, gefühlvolles Wesen, das sich nach Liebe und Freundschaft sehnte und nur in mörderische Wut ausbrach, weil es immer wieder voller Schrecken und Hass zurückgewiesen wurde. Schließlich zog sich die Kreatur in die Arktis zurück, wo sie noch einmal auf Frankenstein traf, der dabei den Tod fand. Der Roman endete mit der Ankündigung des Wesens, sich zusammen mit der Leiche Frankensteins auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Tatsächlich kam es anders, wie Michael Bishop nunmehr enthüllt. Die Kreatur entdeckte ihren Lebenswillen und begann mit dem weiterhin komplizierten, von Rückschlägen markierten Versuch, einen Platz zwischen den Menschen für sich zu finden. Dass sie dabei ein Talent für das Baseballspiel entdeckte, ist eine bizarre Wendung, die man als Leser akzeptieren und mitvollziehen sollte, da eine logische Begründung faktisch unmöglich ist.
Freundlicher Riese in unfreundlichen Zeiten
Das ist aber kein Problem, wenn man sich auf Bishops Geschichte einlässt, in der die Historie des Frankenstein-Monsters nur einen der Handlungsstränge darstellt. „Brüchige Siege“ gehört zu den Romanen, die ihre enorme Seitenstärke tatsächlich benötigen. Der Autor hat viel zu sagen, weshalb es keinen Leerlauf gibt, was gerade in der modernen Phantastik leider keine Selbstverständlichkeit ist. Bishop schwelgt also auch in der Baseball-Historie und erzählt dabei vom jungen Danny Boles, der in kurzer Zeit zum Mann reift und dabei keineswegs nur freudige Erfahrungen macht.
Der „Coming-of-Age“-Roman gehört zum Fundament der Literatur, wobei gleichgültig ist, ob es sich um ‚richtige‘ oder um triviale Literatur handelt. Die Jugend ist spätestens ab 15 Jahren ein Abenteuer – manchmal ein Triumphzug, oft ein echter Höllentrip, weshalb es nicht wundert, dass so viele Schriftsteller sich dieser Lebensphase widmen. Dass „Brüchige Siege“ so nachhaltig wirkt, liegt einerseits daran, dass Bishop darüber hinaus nicht nur seine Hauptfiguren, sondern auch das übrige Figurenpersonal ungemein lebendig in Szene zu setzen weiß.
Zusätzlich hat sich der Verfasser unter Druck gesetzt, indem er sein Garn nicht einfach ins Jahr 1943 verlegt, sondern das Jahr 1943 wieder aufleben lässt – eine Herausforderung, die Bishop glänzend meistert. Ihm geht es darum, die Vergangenheit zu rekonstruieren, statt sie – mit Hilfe bekannter Tricks wie das Einstreuen zeitgenössischer Automarken oder den ständigen Griff zur Zigarette – nur plakativ zu stilisieren. Bishop will mehr, was ein Talent und einen Aufwand voraussetzt, das bzw. den viele andere Schriftsteller nicht besitzen bzw. nicht investieren wollen, weshalb es kein Wunder ist, dass Bishop mehrere Jahre über seinem Werk brütete (und dabei auf eigene Kindheitserfahrungen zurückgriff).
Früher war gar nichts besser
Die Handlung spielt in der US-amerikanischen Provinz, die gern als Brutstätte exzessiven Hinterwäldlertums gezeichnet wird. Bishop schafft es, die Klischees von der (historischen) Realität zu trennen. Danny Boles Welt ist klein, was vor allem den kulturellen Horizont betrifft. Dafür gibt es Gründe, die Bishop nicht dozierend auflistet, sondern in eine Handlung einfließen lässt, die jenseits der Baseball-Story und der Frankenstein-Biografie Farbe gewinnt.
Bishop beschreibt eine Welt, in der Armut, Machtmissbrauch, Rassismus oder Unbildung ein Maß erreichen, das uns Leser quasi empört aufschreien lässt. Doch diese Mängel gehören zu Danny Boles Alltag, der von der Weltwirtschaftskrise und ihren Folgen, vom II. Weltkrieg und von einer Historie geprägt wird, die nie Mitleid mit denen hatte, die nicht mithalten konnten im amerikanischen Traum von Reichtum = Glück.
Danny und seine Teamkameraden sind Marionetten ihres ‚Managers‘, der eher ihr Eigentümer ist. „Mr. JayMac“ gibt alles für den Baseball – und fordert alles von den Männern, die für ihn spielen. Wer nicht spurt oder nicht (mehr) genug leistet, fliegt und wird entweder eingezogen und an die Front geschickt oder in eine ungewisse Zukunft entlassen: Armut bedeutet in dieser Zeit, dass man tatsächlich auf der Straße leben muss und verhungern kann. Das soziale Netz hat dort, wo es überhaupt existiert, überaus weite Maschen.
Gänzlich außen vor bleiben die schwarzen Mitbürger, die im US-Süden beileibe keine Minderheit darstellen. „Brüchige Siege“ erzählt nüchtern und deshalb erst recht drastisch von einer Diskriminierung, die gesetzlich und moralisch sanktioniert ist. Selbst der mächtige „Mr. JayMac“ wagt nicht, sich zu Darius, seinem unehelichen Sohn, zu bekennen, den er mit einer schwarzen Geliebten gezeugt hat. Er kann ihn, der ein großartiger Spieler ist, nicht einmal für die eigene Mannschaft spielen lassen, weil dies sowohl verboten ist als auch von der Mehrheit des Teams und den Zuschauern nicht toleriert würde.
Detailschwemme bis in die Nebensätze
„Brüchige Siege“ straft den (ohnehin fälschlich als Negativurteil gesetzten) Begriff „Trivialliteratur“ Lügen. Die Übersetzer erläutern in einem eigenen Nachwort die Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, einen Roman ins Deutsche zu übertragen, der tief in einer Nische der US-Kultur verankert ist, die ohnehin meist in den USA bleibt sowie längst der Vergangenheit angehört. Bishop setzt zeitgenössischen Slang und Dialekte ein, verwendet Ausdrücke, die in Vergessenheit geraten sind. Nur ansatzweise kann dies ins Deutsche transportiert werden, weshalb man den Übersetzern gratulieren darf, dass sie ihr Bestes nicht nur versucht, sondern auch getan haben. Den Zugang erleichtert ein Glossar, das rätselhaft bleibende Worte mit Sinn füllt und erklärt.
Hinzu kommt das Vokabular aus dem Baseball-Mikrokosmos. Hier hat man sich für die Übersetzung der Hilfe eines Fachmanns versichert. Ein zweites Glossar entschlüsselt jene Begriffe, die den Baseball-Laien in den sprichwörtlichen Ochsen vor dem Berg verwandeln. Dass man dennoch oft vor der Fülle seltsamer, fremder Wörter überfordert ist, nimmt man dem Verfasser nicht übel: „Brüchige Siege“ sorgt für Unterhaltung im einem Maß, das jenseits des hohen Unterhaltungsfaktors – und unabhängig davon, dass Bishop es stellenweise übertreibt – verdeutlicht, wie stromlinienförmig bzw. eintönig kommerzielle Trivialliteratur überwiegend ist.
Autor
Michael Lawson Bishop wurde am 12. November 1945 in Lincoln, einer Stadt im Südosten des US-Staates Nebraska, geboren. Der Vater war Berufssoldat und wurde oft versetzt, was der Familie ein unstetes Wanderleben bescherte; so besuchte Bishop beispielsweise den Kindergarten im japanischen Tokyo.
Ab 1963 studierte Bishop Englisch an der University of Georgia. Seit 1969 verheiratet, arbeitete er nach seinem Abschluss als Lehrer; in den 1970er war er Dozent für Englische Literatur an seiner Alma Mater. Zwar verließ Bishop 1974 die Universität, um hauptberuflich als Schriftsteller zu arbeiten, doch er kehrte zeitweilig in den Schuldienst zurück. Zwischen 1996 und 2012 leitete Bishop Kurse für angehende Schriftsteller am LaGrange College in Pine Mountain, Georgia.
Bishops erste Veröffentlichung war die Kurzgeschichte „Piñon Fall“ (dt. „Besucher“), die 1970 im Magazin „Galaxy Science Fiction“ erschien. Fünf Jahre später erschien ein erster Roman („A Funeral for the Eyes of Fire“, dt. „Flammenaugen“). Bishop verzichtete auf die Erklärung typischer SF-Technik, sondern konzentrierte sich auf seine Figuren und ihre Intentionen sowie auf detailfreudig und stimmungsstark gestaltete Handlungsorte, was ihn quasi automatisch zum Favoriten einer eher literarisch ausgerichteten SF-Kritik erhob, die ihm zahlreiche Preise verlieh. Bishop – der außerdem Gedichte schrieb – gab mehrere SF-Kollektionen heraus, schrieb Essays und Rezensionen.
Gebunden: 687 Seiten
Originalausgabe: Brittle Innings (New York : Bantam Books/Bantam Doubleday Dell Publishing Group 1994)
Übersetzung: Hendrik P. u. Marianne Linckens
Cover: doMANSKI (= Peter Domanski)
www.randomhouse.de/heyne
www.michaelbishop-writer.com
Der Autor vergibt: