Bassenge, Ulrich – Walk of Fame (Hörspiel)

_Akustisches Trashkino: Die Darsteller schlagen zurück_

„Pussy Stanton will nach oben, auf den „Walk of Fame“, die legendäre Meile am Hollywood Boulevard. „Walk of Fame“ heißt auch Pussys erster Film: Moskitos, Tsunamis, verschwundene Eingeweideeimer. Nackte Filipinas laufen durchs Bild, bei einem Zombie löst sich der Glibber und dann geschieht noch ein Mord am Filmset von „Racheengel auf der Blutinsel“…
Lieben Sie unkorrekte Unterhaltung, Schmutz und Schund? Finden Sie auch, dass Frauen durch Schmerz erst schön werden? Sehen Sie im Kino auch gerne, wie das Fahrrad in Flammen aufgeht, nachdem es die Böschung heruntergefallen ist? Dann sind Sie hier richtig: „Walk of Fame“ ist die Rache des Hörspiels am Hörbuch. „Walk of Fame“ ist die Rache für alles.“ (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Ulrich Bassenge, geboren 1956 in München, ist Hörspielmacher („Morbus sacer“, „Shashlyk for paik“), Komponist, Musiker, Autor und Regisseur. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Er spielt in mehreren Bands und schrieb Filmmusiken, u. a. für „Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl“ und „Living Buddha“.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Die Rollen und ihre Sprecher:

Pussy Stanton: Tanja Schleiff
Mary Satána: Edda Fischer
Stacy Love: Winnie Böwe
Ida Gomez: Valerie Koch
Teddie Romero, Regisseur: Engelbert von Nordhausen (dt. Stimme von Samuel L. Jackson)
John Miller, Regieassistent: Norman Matt
Harvey Blitz, Produzent: Thomas Piper (dt. Stimme von Alf)
Paul Sherman, Skriptautor: Andreas Pietschmann
Zombies / Mann im Autokino: Alexander Geringas
5 nackte Filipinas / Häftling / Filmvorführer: Juan Carlos Lopez
Audiokommentar: Jörg Buttgereit & Thilo Gosejohann (Experten, weil Trash-Regisseure)
Off-Sprecher: Rainer Schmitt

Regie führte Leonhard Koppelmann, die Musik trug der Autor Bassenge bei, für die Dramaturgie war Martina Müller-Wallraf verantwortlich. Der WDR produzierte das Hörspiel 2007.

Tanja Schleiff, geboren 1973, war bereits während ihres Schauspielstudiums am Schauspiel Leipzig und anschließend am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen tätig, bis sie 1997 Ensemblemitglied des Bayerischen Staatsschauspiels in München wurde. Hier arbeitete sie u.a. mit Roberto Ciulli, Dieter Dorn, Klaus Emmerich und Andreas Kriegenburg. Für ihre darstellerischen Leistungen erhielt sie u. a. den „Bayerischen Kunstförderpreis“ (2000), den „Kurt-Meisel-Preis“ (2001 und 2002) sowie den „Max-Ophüls-Preis“ (2008). Seit 2002 arbeitet sie freischaffend für Film, TV und Theater. Sie spielte u. a. unter der Regie von Heinrich Breloer, Doris Dörrie und Dominik Graf.

Andreas Pietschmann,geboren 1969 in Würzburg, hatte bereits Engagements am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Zürich, bevor er 2000/ 2001 an das Hamburger Thalia Theater wechselte. Im Kino machte er sich durch seine Rollen in FC Venus, Sonnenallee und Echte Kerle einen Namen, während er im Fernsehen von 2004 bis 2006 u. a. in der Kinderserie Vier gegen Z zu sehen war.

Tommi Piper stand schon im Alter von zwölf Jahren vor dem Mikrophon. Der damalige NWDR Hamburg holte ihn für „Kalle Blomquist“ und viele andere Hörspiele in die Aufnahmestudios. Es folgten Schauspielschule in Hamburg und diverse Theaterengagements. Die Zuschauer kennen ihn aus vielen TV-Krimis. Außerdem synchronisierte er Hunderte von Fernsehfilmen und sprach zahlreiche Hörspiele; das Mikrophon ist dabei seine Bühne. (Verlagsinfos)

_“Handlung“_

Eine Fanfare sowie die Schreie einer Frau eröffnen die Szene, an deren Ende der Regisseur Teddy Romero „Gestorben“ ruft und eine Leiche am Boden liegt. Gelächter ringsum. Der Dreh auf den Philippinen muss schon einige Nerven gekostet haben. Aber Pussy Stanton alias Strohmeyer wird von ihrem Agenten entsprechend motiviert. Da sie bislang bloß einen Stunt als Aktrice vorzuweisen hatte, teilte der Produzent Harry W. Blitz sie für den Part der „dummen Blondine“. Diese Rolle ist ihr wie auf den drallen Leib geschnitten. Falls sie überlebt.

C-Klasse-Regisseur Teddy Romero dreht in den 70er Jahren auf den Phlippinen – wegen der niedrigen Kosten: er hat bloß 50.000 Dollar zu verbraten – ein B-Movie mit dem schaurigen Titel „Racheengel auf der Blutinsel“ – the name says it all. Sein verschlagenster Trick besteht darin, alle Schauspieler erst einmal das Drehbuch vergessen zu lassen – dann haben sie nämlich null Peilung und hören nur auf sein göttliches Wort. Dafür darf dann der wahre Drehbuchautor Paul Sherman das x-mal geänderte Drehbuch ständig umschreiben.

Da aber alle echten Namen die erfundenen Namen ersetzen sollen, tritt natürlich auch eine Pussy Stanton auf. Die Story ist ebenso Banane wie simpel: Lesbische Frauenknastis entkommen in einen von Zombies wimmelnden Dschungel, wo sie ständig vergewaltigt werden. Die zwei kommentierenden Filmkritiker sind sich einig: Dies ist klassisches Exploitationkino direkt fürs Auto- und Bahnhofskino. Unterste Schublade.

„Gestorben!“ Wieder ist eine Szene im Kasten, einen 2. Take kann man sich nicht leisten. Und Pussi flucht, heult und klagt. Doch Paul, der Autor, tröstet sie, denn er hat sich in Frau Strohmeyer richtig verliebt. Unterdessen legt Harry W. Blitz auf seiner Produzentencouch Stacy, Pussis Kollegin, flach. Sie wird von seinem Assi von der Couch und aufs Set gezerrt. Die Zeiten sind hart. Dafür darf sie aber zusammen mit den anderen drei Mädels Hunderte von Zombies niedermähen.

Während Mary, die lesbische Nazi-Gefängnisaufseherin, von ihrer glorreichen Zeit in Andy Warhols Factory schwärmt, ertönt ein sehr spitzer Schrei. Stacy fällt einem Unhold zum Opfer, der sich im dunklen Wald zeigt und ihr seinen Dolch in die hübsch gewölbte Brust stößt. John, der Assi, berichtet den anderen von Stacys Ableben. Doch als er die Muster anschaut, entdeckt er auf einem der Streifen das Gesicht des Täters – unglaublich! Es ist kein Mann …

_Mein Eindruck_

Quentin Tarantino hätte sich schlappgelacht, ist er doch selbst einer der größten Fans von Exploitationfilmen. Unzählige Male zitiert er dieses ebenso üppige wie verfemte Genre, das in den 70er Jahre überall blühte. Der Spaghetti-Western ist nur eines der bekanntesten Beispiele. Es gab ja auch Black Exploitation, in der Stars wie Pam Grier spielten – die dann in Tarantinos „Jackie Brown“ zu Ehren kam. Frauenknast, Nazis, Lesben, Mafia und vieles mehr diente als Hintergrund für Billigstfilmchen. Kein Wunder, dass Tarantino als nächstes ein Remake eines Russ-Meyer-Softpornos drehen will.

Die Anspielungen im Film sind vor allem für den Eingeweihten zu verstehen. Dazu lese man einfach die fachkundige Rezension auf Amazon.de. Dass die Philippinen als Kulisse herhalten, ist möglicherweise eine Anspielung auf Coppolas Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“, die in ein wahres Desaster ausarteten und ihn, den „Paten“-Krösus, schier ruinierten. So wundert es nicht, dass eine Riesenwelle vorkommt, fehlt eigentlich nur der obligatorische Taifun.

|Kommentare|

Aber die Filmhandlung ist im Grunde – zum Glück – Nebensache. Der Regisseur, der Produzent, die Darstellerin der Mary geben Interviews, die ebenfalls ironisch gemeint seind (hoffe ich zumindest). Als dritte Ebene fungieren die zwei Filmkritiker, die sich ausnahmsweise ziemlich einig sind, was für ein Schrott dies alles ist und welche erbärmlichen Zuschauerbedürfnisse damit bedient wurden.

|Meta-Ebene|

Aber diese Ebene ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Beurteilung einer uralten Filmkopie aus den siebziger Jahren, die nun in New York City vorgeführt und restauriert werden soll: eben „Racheengel auf der Blutinsel“. Mithin bilden nicht die Kritiker eine Rückblende, sondern die Action, die wir dazwischen hören.

|Epilog|

Die Zeitebene der Kritiker ist (vermutlich) nicht die gleiche Zeitebene wie die des ironischen Epilogs. Pussi geht mit Paul Sherman zur Premiere ins Kino. Doch vor „Racheengel auf der Blutinsel“ laufen noch zwei andere Exploitationfilme, und kann es nicht ausbleiben, dass Pussi und Paul dem mitgebrachten Whisky übermäßig zusprechen.

Pussi will den erbärmlichen Film stoppen und stürmt das Kämmerchen des Filmvorführers. Dieser erkennt sie aus dem Film und stürzt sich aufgegeilt auf sie. Sie und Paul schlagen ihn zu Klump, doch dabei gerät der Film im Projektor in Brand – billiges Nitro! – woraufhin ein Feuer im Kino ausbricht und es zu einer Massenpanik kommt. Die Filmkritiker sind begeistert, als sie davon (im Archiv?) lesen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Tommi Piper als Harvey Blitz, Engelbert von Nordhausen als Teddy Romero (alias Eddie Romero), Tanja Schleiff als Pussi Strohmeyer und Andreas Pietschmann als Paul, der gequälte Autor – sie alle legen einen diebischen Spaß an der Sache an den Tag, denn sie können mal so richtig das Klischee spielen: Pussi die dumme Blondine usw., Teddy den trickreichen Regisseur, und Harvey legt alle „Puppen“ flach. Am besten gefiel mir aber die auf den Hund gekommene, aber knallharte Mary Satána (alias Tura Satana), gesprochen von Edda Fischer.

Jörg Buttgereit und Thilo Gosejohann sprechen die beiden Filmexperten. Beide sind Profis im Geschäft. Buttgereit (Jahrgang 1963) ist Hörspiel- und Filmemacher und mit seinen Horror- bzw. Trashhörspielen „einer der Pioniere dieses Hörspielgenres“, schreib der Verlag. Seine Arthouse-Horrorfilme wie „Nekromantik“, „Schramm“ und „Der Todesking“ sollen in USA und Japan Kultfilme sein. Er hat Filmbücher publiziert und lehrt an Filmhochschulen. Außerdem ist er monatlich als DJ in Berlin unterwegs.

Thilo Gosejohann, Bruder von Comedian Simon, wurde 1971 in Gütersloh geboren. Er sei mit seinen Trashfilmen „Captain Cosmotic“ und „Operation Dance Sensation“ in der Filmszene bekannt geworden und arbeite heute für verschiedene Privatsender als Regisseur, informiert der Verlag.

Die beiden Dampfplauderer aus dem Metier geben Sätze wie „Die Gewalt ist der Platzhalter für den Sex“ und „Frauen werden erst schön, wenn sie leiden“ von sich. Dagegen hält es Teddy Romero mit Hitchcock, der gesagt haben soll. „Schauspieler sind Vieh.“ Kein Wunder also, wenn die Schauspieler am Schluss zurückschlagen.

|Geräusche|

Regieprofi Leonhard Koppelmann und seine Crew haben sich ins Zeug gelegt, um die Geräuschkulisse der Dreharbeiten so dicht wie möglich zu gestalten – also mit allen Schreiben, jedem Schuss, allem Gebrüll usw. Alles in Stereo, versteht sich. Dabei durfte aber der Dia- bzw. Monolog keinesfalls gestört werden.

Dieses Unterfangen ist durchaus gelungen, aber ich hätte mir gewünscht, dass die Szenen nicht bloß ineinander übergehen, sondern als separate Einheit zu erkennen sind. So quatschen die zwei Kritiker zu jeder Gelegenheit ins Geschehen hinein, und die Interviews kommen ebenso unvermittelt. Der Eindruck ist wegen der Disparatheit der Elemente etwas verwirrend. Man muss sich darauf einlassen.

|Musik|

Die Musik wurde wie der Text von Ulrich Bassenge komponiert. Demzufolge gibt es ein paar Songs, etwas Hintergrundmusik sowie In- und Outro, wie sich das gehört. Von der Hintergrundmusik habe ich fast nichts wahrgenommen, aber die Songs haben mir gefallen. Einmal meinte ich Nico von Velvet Underground zu vernehmen: Die Deutsche sang immer falsch, weil sie mit ihrer tiefen Stimme die Töne nicht traf. Aber das gehört natürlich auch mit zur Parodie.

_Unterm Strich_

Eine parodistische Trash-Hommage wie diese eignet sich selbstredend nur für Trashliebhaber. Anhänger der U- & E-Hochkultur haben hier nichts verloren. Doch Tarantino-Fans wird hier ein gefundenes Fressen serviert. In hochkonzentrierter Dosis bekommen sie das Trashkino der Seventies verpasst – und zugleich auch das Heilmittel dazu, nämlich die Kritik und die Selbstironie.

Allerdings hatte ich ein paar Probleme mit der Disparatheit der Elemente. Da wird zusammengezwungen, was nicht zusammengehört, so etwa Action vor und hinter der Bühne, Filmkritikerkommentare und Interviews. Die Zeitebenen sind auch nicht so ganz klar, und ich muss mir meinen Teil dazudenken. Ein zweites Anhören hilft.

|Das Hörspiel|

Der Stereoton lässt die Action im Dschungelcamp-Set von Teddy Romero lebendiger wirken. Die Sprecher füllen ihre Rollen als Darsteller von Klischees mit Gusto aus, wobei mir besonders Edda Fischer als teuflische Mary Satana gefiel.

Jede Menge Geräusche sowie die Musik von Ulrich Bassenge tragen dazu bei, eine sehr dichte akustische Präsentation zu bilden. Man muss sich als Zuhörer ranhalten, um alles mitzubekommen, deshalb ist ein zweites Anhören sehr empfehlenswert.

|Audio-CD mit 53 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 978-3867172790|
[www.randomhouse.de/hoerverlag]http://www.randomhouse.de/hoerverlag

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