Robin Hobb – Die Schamanenbrücke (Nevare 1)

Die Nevare-Trilogie (Soldier Son Trilogy):

Band 1: Die Schamanenbrücke (Shaman’s Crossing)
Band 2: Im Bann der Magie (Forest Mage)
Band 3: Die Stunde des Abtrünnigen (Renegade’s Magic)

Der Lebensweg des jungen Nevare Burvelle wurde bereits durch die Reihenfolge der Geburt bestimmt: Als Zweitgeborener ist er der „Soldatensohn“, dazu bestimmt, in die Kavalla des Königs einzutreten, um die Expansion des Reiches voranzutreiben und seine Grenzen zu schützen. Im Osten hat man die nomadischen Flachländer besiegt und sesshaft gemacht, das Land wurde vom König unter seinen siegreichen Soldaten aufgeteilt und diese wurden in den Adelsstand erhoben, so auch Nevares Vater, ein ehemaliger Soldatensohn.

Nun stellen die Gebirgsketten des Ostens eine neue Herausforderung für die Armee des Königs dar. Die wegen ihrer scheckigen Hautfarbe „Fleck“ genannten Eingeborenen besitzen noch mächtigere Magie als die besiegten Flachländerstämme, und sie kämpfen nicht ehrenhaft, sondern verstecken sich und verbreiten die gefürchtete Fleck-Seuche unter den Soldaten, die ganze Regimenter und Siedlerstädte dahinrafft.

Obwohl der Einsatz der Reiterei in diesem Terrain wenig sinnvoll ist, soll natürlich auch Nevare die Kavalla-Militärakademie des Königs besuchen, denn das ist Tradition, und diese wird bei den aus dem Ritterstand hervorgegangenen Soldatensöhnen großgeschrieben. Leider auch beim alten Adel, dem die königstreuen, aus dem Soldatenstand erhobenen neuen Adeligen im Kronrat ein Dorn im Auge sind, da sie die Machtverhältnisse zu Gunsten des Königs verschieben. Dieser Machtkampf wird bereits auf der Akademie ausgetragen, deren neuer Leiter Oberst Stiet kaum einen Hehl aus seiner Abneigung gegen die Abkömmlinge des neuen Adels macht und sie entsprechend benachteiligt.

Doch bevor Nevare die Akademie besucht, schickt ihn sein Vater für ein Jahr zu dem ehemaligen Kidona-Häuptling Dewara, der, obgleich ein unversöhnlicher Feind, in seiner Schuld steht. Er soll Nevare die Überlebenskünste und Fähigkeiten seines Volks beibringen, doch er hat seine eigenen Pläne. Dewara bringt Nevare mit der Magie seines Volks in Kontakt und will ihn als Waffe gegen die verhassten Fleck, einen gemeinsamen Feind, verwenden. Doch auf der geisterhaften Schamanenbrücke gelingt es der Baumfrau der Fleck, Nevare für ihre Zwecke zu manipulieren und gegen den Kidona einzusetzen. Dewaras Plan scheitert, er schickt Nevare im Eklat traumatisiert nach Hause.

Nevare verdrängt das übernatürliche Erlebnis; er kann es nicht verstehen und einordnen und setzt seine Militärkarriere um einige verwirrende Erfahrungen reicher fort. Erst als eine kleine Gruppe Fleck die Fleck-Seuche in der Hauptstadt Gerniens und der Akademie verbreitet, wird ihm bewusst, dass er noch immer im Bann der Fleck steht. Mit Hilfe seiner exzentrischen Cousine Epiny kann Nevare nicht nur sich selbst, sondern auch viele seiner Freunde retten.

„Nevare“ – die neue Trilogie von Robin Hobb

Die Autorin

Robin Hobb ist der Autorenname von Megan Lindholm. Geboren 1952 in Kalifornien, zog sie mit neun Jahren nach Alaska und studierte Kommunikationswissenschaft. Nach der Hochzeit mit ihrem Mann lebte sie mit ihrem Mann auf der Insel Kodiak, einer kleinen Insel an der Küste. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte. Sie hat vier Kinder und lebt heute in Tacoma bei Seattle.

Wegen ihrer großen Erfolge mit den zwei Weitseher-Zyklen und der Lifeship-Trader-Trilogie ist die Autorin in Deutschland eher unter dem Autorennamen „Robin Hobb“ bekannt, obwohl sie auch jede Menge Bücher als „Megan Lindholm“ veröffentlicht hat, darunter die Windsänger-Trilogie (alle Bände bei Goldmann). Neben ihren bekannten Fantasy-Zyklen um den Weitseher und die Zauberschiffe schreibt sie auch SF und Fantasy, die in der modernen Welt spielt. Für eine ihrer Kurzgeschichten wurde sie für den Nebula Award nominiert.

Die amerikanische Autorin (* 1952) ist dem deutschen Leser bereits durch ihre „Weitseher“-Trilogie um Fitz und ihre Fortsetzung – „Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher“ – bekannt, ebenso für ihre gerade neu aufgelegten „Zauberschiffe“. Die im Original „Soldier Son“ benannte Trilogie behandelt das Leben des jungen „Soldatensohns“ Nevare Burvelle in der Art eines Bildungsromans.

Die Bedrohung durch die Fleck lauert zwar im Hintergrund, zuvor gibt uns Hobb jedoch detailliert Einblick in die Welt Nevares. Dabei orientiert sie sich stilistisch an ihrer „Weitseher“-Trilogie, in der sie ausschließlich aus der Ich-Perspektive ihres Helden berichtet hat. Da somit ein allwissender Erzähler fehlt, muss der Leser sich auf die Informationen verlassen, die Nevare zu hören bekommt. Diese fix an den Helden gebundene Perspektive besitzt natürlich gewisse erzählerische Einschränkungen, allerdings kommt durch sie Hobbs fantastische Gabe der Charakterisierung umso besser zum Ausdruck.

Obwohl das Buch „Die Schamanenbrücke“ heißt, ist diese vorerst von sekundärer Bedeutung. Die Vorstellung der Welt Nevares nimmt viel Raum ein; eine Welt, die an eine Mischung aus wildem Westen und gerade vergangenem Rittertum erinnert. Das Königreich Gernien expandiert, zwar nicht nach Westen, aber nach Osten. Auf See hat man gegen das militärtechnisch überlegene Landsang aufgrund besserer Kanonen, die man bereits fast als Artillerie bezeichnen kann, den Kürzeren gezogen und sich deshalb der Eroberung des Ostens verschrieben. Der Soldatenstand lernte den Umgang mit den ersten Feuerwaffen und legte seine Rüstung ab, man passte sich der Kampfweise der Flachländer („Indianer“) an. Mit deren Schamanismus und Naturverbundenheit kann man jedoch wenig anfangen, von den exotisch mit schwarzen oder braunen Flecken am ganzen Körper gescheckten „Flecks“ weiß man fast gar nichts. Diese Menschenrasse „Flecks“ zu nennen, dürfte ein ironischer Seitenhieb Hobbs an Leser ihrer alten Trilogien um Fitz sein, in welcher die mit einem Tiergefährten verbundenen „Gescheckten“ nicht anders aussahen als andere Menschen auch. Ansonsten scheint sie jedoch nichts miteinander zu verbinden; die Ziele und Interessen der Flecks bleiben in diesem Buch noch sehr vage.

Die Hauptperson und Ich-Erzähler Nevare ist ein kluger junger Mann, der dennoch durch seine konservative Herkunft als Soldatensohn eines ehemaligen Soldatensohnes geprägt ist. In der Art eines Kastensystems wird beim Adel den Söhnen ihre Rolle im Leben fest vorgeschrieben: Der Erstgeborene ist der Erbe des Landguts, der Soldatensohn dient dem König als Krieger, seine Kinder werden vom Erstgeborenen versorgt. Der dritte Sohn wird Priester. Sollte der Erstgeborene sterben, kann der Soldatensohn nachrücken, dasselbe gilt im Fall seines Tods, wobei man wegen der mangelnden kriegerischen Ausbildung der Drittgeborenen meistens auf ein Aufrücken verzichtet. Mädchen werden zum Zwecke von Bündnissen oder aus finanziellen Interessen verheiratet und genießen in der Regel keine weitere Bildung. Die Problematik einer sehr kinderreichen Familie mit sieben oder mehr Söhnen in diesem instabilen System thematisiert Hobb in diesem Buch noch nicht; der Fokus liegt auf der sozialen Umwälzung durch die Erhebung zahlloser Soldatensöhne durch den König in den Adelsstand.

Nevares Reifeprozess während dieses ersten Bandes ist sehr interessant zu verfolgen. Anfangs ist Nevares Wahrnehmung der Welt noch stark durch den übertriebenen Ehrenkodex seines Vaters verzerrt. Die Begegnung mit Dewara ist für ihn ein kultureller Schock erster Güte; er wird von diesem dazu gezwungen, sich „unehrenhaft“ durchzuschlagen und um sein nacktes Überleben zu kämpfen. Zwar ist diese Lektion ganz im Sinne von Vater Burvelle, den Kontakt seines Sohns mit der Magie der Kidona hat er sich jedoch nicht gewünscht. Nevare gerät in den Bann der Fleck, als er deren Baumfrau im Auftrag Dewaras töten soll, in dessen Händen seine Persönlichkeit Wachs war und der ihn in kurzer Zeit zu einem „echten Kidona“ in seinem Sinne formte. Diese Erfahrung zwischen Traum und Realität auf der Schamanenbrücke ins Totenreich wird Nevare lange verdrängen, denn obwohl Magie in seiner Welt nicht unbekannt ist, beschränkt sie sich meistens auf einfache Zauber – wie etwa das Lösen eines Sattelgurts zu verhindern -, was im Laufe der Zeit bei der Kavalla zu wirkungslosem, reinem Aberglauben verkommen ist.

Kein zivilisierter Gernier beherrscht wirklich Magie oder zieht auch nur in Betracht, sich mit solch esoterischen Dingen auseinanderzusetzen. Zu den wenigen, die es dennoch tun, gehören hauptsächlich Damen des höheren Adels, die sich mit Séancen die Zeit vertreiben, was allerdings hauptsächlich auf einen okkulten Spleen der Königin zurückzuführen ist. Auch Nevares Base Epiny gehört zu diesem Kreis. Ihre ehrgeizige Mutter hofft, sie so in die Nähe des Königshofs zu verheiraten. Auch sie ist dem neuen Adel gegenüber feindselig eingestellt, was ihre Ehe zu Nevares Onkel belastet. Dieser ist es auch, der ihm während seiner Zeit an der Kavalla-Akademie die Augen über die große Politik öffnet – etwas, das Nevares Vater als Soldatensohn mit rein militärischer Bildung nie wirklich verstanden hat.

Die Machtspiele an der Kavalla-Akademie strapazieren Nevare zusätzlich zu der harten Ausbildung enorm. Unter seinen Kameraden findet er Freunde wie Spinrek „Spink“ Kester, dessen Vater ein tapferer Kriegsheld war, dessen Familie aber mit dem neu erworbenen Adelsprivilegien nicht zurechtkam und in Armut verfallen ist. Ein anderer ist der dicke Gord, der mathematisch und allgemein intellektuell seinen Kameraden überlegen ist. Er kann so gut rechnen wie die von Erstgeborenen abstammenden Soldatensöhne des alten Adels, die in diesen Disziplinen den Nachkommen des neuen Adels meistens überlegen sind.

Nevare selbst entpuppt sich als schlechter Anführer, auch wenn er dies nicht wirklich wahrhaben will. Seine Begabung scheint eher im praktisch/technischen Pionierwesen und in unkonventionellen Denkweisen zu liegen, was leider seiner Karriere als Soldat fast genauso hinderlich wie seine Abstammung sein dürfte. Allerdings ist er immer noch verbohrt genug, um seine quirlige und willensstarke Base Epiny anfangs als „schwieriges, undamenhaftes, kindisches Wesen“ anzusehen. Es bedarf einiger Streitigkeiten und der Bedrohung durch das Fleck-Fieber, bis Nevare seinen Irrtum erkennt. Epiny ist es auch, die ihm gegen die erneute Heimsuchung durch die Baumfrau während des Fleckfiebers beisteht. Sie ist medial begabt und erkennt den Bann, in dem Nevare steht, und den dieser so lange verdrängt hat. Der ungläubige Nevare muss sein altes Weltbild verabschieden, obwohl er sich nach wie vor weigert, als „weniger ehrenhafter“ Kundschafter anstatt als regulärer Offizier der Armee zu dienen, obwohl das genau seinen Neigungen und Anlagen entsprechen würde.

Fazit

Mit „Nevare“ orientiert sich Robin Hobb stark an ihrer „Weitseher“-Trilogie. Nevare Burvelle ist allerdings ein viel ausgereifterer Charakter als der oft zum „Heulfitz“ mutierte Fitz. Er ist ein junger Mann, der noch vieles lernen muss. Oft erkennt er Widersprüche in seinem Ehrenkodex und seinem Verhalten oder demjenigen seines Vaters; bis er daraus Konsequenzen zieht, dauert es jedoch einige Zeit. Nevare ist ein sehr glaubhafter Charakter, auch bei der Beschreibung der Beziehungen zwischen den Nebencharakteren untereinander und mit Nevare kann Hobb begeistern und ihre ersten Werke übertreffen.

Der Charakter der Geschichte ohne vorerst klar erkennbares „Ziel“ und die Ich-Perspektive könnten für viele Leser ungewohnt und irritierend sein; ich kann aber nur dazu raten, sich darauf einzulassen. Die Erfahrung der von Robin Hobb geschaffenen Fantasywelten ist intensiver und setzt neue Maßstäbe für das Genre an Komplexität und Tiefe. Enttäuschend kann für viele Leser leider das absolute offene Ende sein; Nevares Identitätssuche und der Konflikt zwischen den beiden Rassen werden erst im zweiten beziehungsweise dritten Band abgeschlossen werden.

Das gebundene Buch selbst ist prächtig gestaltet, mit einer Karte Gerniens auf der Innenseite, einem Lesebändchen und dem schönen Originalcover, das Nevares Schwert am Ende der Schamanenbrücke zeigt. Der Künstler hat sich die Freiheit genommen, aus dem Schwert eines Kavalleristen keine Hiebwaffe wie einen Säbel, sondern einen dünnen Degen mit feinem Griff zu machen. Allerdings soll das nicht meine Begeisterung über die Verwendung des originalen Titelbildes der amerikanischen Ausgabe mindern. Ein Lob verdient auch die Übersetzung durch Joachim Pente, die mir sogar etwas besser gefallen hat als die des bisherigen Hobb-Übersetzers Rainer Schumacher.

Gebunden: 676 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen und Karte.
Originaltitel: Shaman’s Crossing, Book One of the Soldier Son Trilogy
Aus dem Amerikanischen von Joachim Pente.
ISBN-13; ‎978-3608938128

http://www.robinhobb.com
http://www.hobbitpresse.de
http://www.klett-cotta.de

Robin Hobb auf Buchwurm.org:

[„Der Ring der Händler“ 281 (Die Zauberschiffe 1)
[„Der Adept des Assassinen“ 229 (Die Legende vom Weitseher 1)
[„Der lohfarbene Mann“ 230 (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher I)
[„Der goldene Narr“ 232 (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher II)
[„Der weiße Prophet“ 1969 (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher III)
[„Der Wahre Drache“ 2020 (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher IV)