Bendikowski, Tillmann – Tag, an dem Deutschland entstand; Der

Im September 2009 jährt sich die Varusschlacht zum zweitausendsten Mal. Schirmherrin wird Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sein. In Kalkriese, wo Archäologen und Geschichtsforscher vermuten, dass es sich um den Ort der legendären Schlacht zwischen drei römischen Legionen unter dem Statthalter Varus und aufständischen germanischen Stämmen unter der Führung Arminius des Cheruskers handeln soll, laufen schon die ersten Vorbereitungen. In der Nähe von Detmold hingegen steht seit 1875 das berühmte, gut 53 Meter hohe Hermannsdenkmal, ein heroisches Standbild, das uns daran erinnern soll, dass Arminius alias Hermann uns von dem römischen Joch befreit hat und ein strahlender, selbstloser Held deutscher Geschichte sein soll.

Doch weder wissen wir mit absoluter Gewissheit die genaue Lokalität der Schlacht, auch wenn in Kalkriese Unmengen von Münzen, Waffen, Rüstungsteile und selbst Knochen mit eindeutigen Kampfspuren gefunden worden sind, noch können wir den genauen Ablauf der Schlacht rekonstruieren. Im Laufe der Jahrhunderte verblasste die Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald und die Quellen des Tacitus und des römischen Konsuls Cassius Dio und damit auch der Mythos von der Befreiung und Einigkeit deutscher Gebiete.

Viele Jahre später, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, wurde aus Arminius dem Cherusker, Hermann, der Befreier Germaniens. Um Arminius ranken sich viele Legenden und Mythen, und gerade zum Varusjahr werden uns noch mehr Geschichten um seine Person und die legendäre Schlacht erreichen.

Dr. Tillmann Bendikowski, Historiker und Journalist, hat sich mit der Konfrontation zwischen dem Statthalter Varus und dem cheruskischen Fürsten Arminius befasst und wirft auch einen genauen Blick auf die Entwicklung des Mythos und der Person des späteren Hermann, der als Sinnbild für die Befreiung und Entstehung Germaniens immer noch über dem Teutoburger Wald sein Schwert in Pose gen Himmel richtet.

_Inhalt_

Im September des Jahres 9 n. Chr. soll es fürchterlich geregnet haben. Wir können das nicht mehr nachweisen, vielleicht handelt es sich nur um eine Ausrede der Berichterstatter, um die Katastrophe angesichts des Verlustes von drei römischen Legionen mit über 20000 Soldaten des Imperiums im fernen Germanien zu erklären. Es fand keine Feldschlacht statt, sondern die römischen Legionen wurden auf dem Weg in ihr Winterlager durch Hinterlist und Verrat in einem zermürbenden Guerillakrieg, der drei Tage anhielt, vernichtend geschlagen.

Was vor 2000 Jahren wirklich geschah, darüber geben antike Quellen nur wenig Auskunft. Das schlechte Wetter dürfte für eine Berufsarmee wie die der Römer vielleicht hinderlich, aber nicht verantwortlich für die Niederlage gewesen sein. Ausschlaggebend war die Person des Cheruskerfürsten Arminius, der lange Jahre in Diensten Roms stand und durch seine militärische Ausbildung der Taktik und Strategie der römischen Militärmacht entgegenwirken konnte. Er kannte alle Schwachstellen der Legionen, und hinzu kamen noch seine geografischen Kenntnisse des zu durchquerenden Gebietes.

Der Sieg des Arminius hatte zur Folge, dass die Römer ihre Eroberungspolitik für Germanien aufgaben, aber auch der Fürst der Cherusker hatte wenig Glück nach seinem anfänglichen Erfolg. Zwar konnte er seine Stellung innerhalb der Fürstengemeinschaft ausbauen, doch auch ihn kosteten die anschließenden Fehden und kleineren Auseinandersetzungen das Leben.

Dem historischen Arminius wurde eine Karriere zuteil, von der viele römische Offiziere nur träumen konnten. Politisch und militärisch wurde er von Varus hoch geschätzt, der als Statthalter Germanien befrieden und reorganisieren sollte. Die germanischen Stämme waren alles andere als einig. Stammesinterne und übergreifende Konflikte waren an der Tagesordnung, und längst waren sich die einzelnen Fürsten nicht einig darüber, wie sie den Römern begegnen sollten. Arminius wusste sehr wohl, welche Strategie ihn persönlich zum Erfolg verhelfen sollte; für jeden Fall sicherte er sich ab und spielte auf beiden Seiten gleichwohl seine Trümpfe aus. Ein nicht ungefährliches Pokerspiel, aber zeitweise, wie man ja weiß, recht erfolgreich.

Germaniens unmittelbarer Nachbar war Gallien und damit ein angrenzendes Sicherheitsrisiko. Die ganze Provinz, die von Julius Cäsar erobert wurde, sollte von den Barbaren geschützt werden, keine andere Aufgabe hatten die Germanen aus römischer Sicht. Für das römische Imperium waren diese Menschen ohne jede Kultur, ohne etwaige Landwirtschaft oder Bodenschätze, und die tiefen, dichten Wälder machten das Land noch unheimlicher. Es gab nichts, was die Römer in Verbindung mit Zivilisation und kulturellem Erbe sahen.

Octavian – Kaiser Augustus – berief Publius Quinctilius Varus zum neuen Statthalter der Provinz Germanien. Mit seinen 55 Jahren war Varus ein erfahrener Politiker und Offizier, der schon in Syrien für „Ruhe“ gesorgt hatte, allerdings mit militärischer Härte und Rücksichtslosigkeit, aber ebenso konnte er durchaus als feinfühliger Diplomat agieren.

Unmittelbar nach der Schlacht war der Ruf des verstorbenen Varus zweifellos in Takt. Erst später wurde sein Ruf zweifelhaft und gezielt diffamiert; angesichts politischer Streitigkeiten wurde ihm posthum persönliches Versagen vorgeworfen. Theodor Mommsen nannte Varus einen Mann von stumpfem Geist und trägem Körper, ohne Begabung und militärische Erfahrung. Fakt ist jedoch, dass Kaiser Augustus die Sicherung der wichtigsten Rheingrenze keinem Nobody anvertraut hätte, sondern jemandem, der schon Erfolge vorweisen konnte.

Nach der Schlacht muss das Gelände kilometerweit von Leichen und Verwundeten bedeckt gewesene sein. Es ist davon auszugehen, dass sich Varus zusammen mit einigen seiner Offiziere ins Schwert stürzte. Gefangene wurden nur von den Germanen gemacht, um sie ihren Göttern zu opfern. Mit einem Freitod konnte man wenigstens noch seine soldatische Ehre retten. Der Kopf des Varus wurde nach Rom geschickt, wo ihm noch eine Bestattung in allen Ehren zuteil wurde.

Das Imperium hatte drei Legionen verloren, ein neuntel seiner militärischen Größe. Augustus sandte seinen späteren Nachfolger Germanicus an die Ufer des Rheins, um die Grenzen zu sichern und gegebenenfalls die gefallenen Kameraden zu beerdigen, was dann auch genauso geschah. Doch auch Tiberius gelang es nicht, das Grenzgebiet zu Gallien zu sichern, zu hoch waren die Verluste, zu hoch das Risiko, sodass die Truppe den Feldzug letztlich nicht mehr befürwortete.

Rom behandelte das Drama um die drei verlorenen Legionen verständlicherweise sehr verschwiegen. Von germanischer Seite war nicht zu befürchten, dass die Niederlage schriftlich dokumentiert wurde, und der römische Senat hatte wenig Interesse am Gegenteil. So fiel dieses Ereignis in einen historischen Winterschlaf.

Erst Jahrhunderte später sollte der deutsche Humanist Ulrich von Hutten bei einem Studienaufenthalt in Rom über die ersten Bücher und antiken Schriften des Tacitus stolpern. Dieser stellte Arminius als den Befreier Germaniens dar, der das römische Reich durch seinen Sieg in den Grundfesten erschütterte. Für von Hutten war das ein willkommenes Geschenk, und er publizierte die Botschaft des Tacitus noch ein wenig heroischer und in einem noch strahlenderen Lichte.

Die Befreiungstat des fürstlichen Cheruskers passte sehr gut ins Gesamtbild Deutschland, und so wurde auch der Name Hermann geboren. Zwischen 1750 und 1850 entstanden mehr als 200 Schauspiele, Opern und Sagen zu diesem Themenkreis. Das Bild der militärischen Macht Roms wurde negativiert, und eine Idealisierung Arminius/Hermanns angestrebt. Die Begeisterung sollte mit dem nationalen Denkmal in Detmold ihren Höhepunkt erreichen. 1875 wurde das Hermannsdenkmal eingeweiht und präsentierte ein willkommenes Symbol für die Zuversicht und das Selbstbewusstsein eines starken Deutschen Reiches.

In den kommenden Jahren wurde es auch zum Symbol für Stärke und Kampfkraft auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges und später auch ein wichtiger Markstein der Nationalsozialisten.

_Kritik_

Dr. Tillmann Bendikowski hat mit „Der Tag, an dem Deutschland entstand“ ein erzählerisch dichtes und verständliches Sachbuch geschrieben. Sieht man rückblickend auf die Varusschlacht, könnte der Eindruck entstehen, dass Arminius den Grundstein für ein Deutschland als geeinigten Staatenverbund gelegt hat. Doch war dieses Ereignis nur ein kleiner Anstoß, der dann den Stein in den nächsten Jahrhunderten ins Rollen brachte, um im Verlauf ganzer Epochengenerationen einen gesamtdeutschen Staat daraus zu schmieden.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste und erzählerisch stärkere Part die Konfrontation vor zwei Jahrtausenden zwischen dem Statthalter Varus und seinem Gegenspieler Arminius präsentiert. Der Verlauf der Schlacht wird vom Autor spannend und anhand gut recherchierter Quellen fabelhaft lesbar wiedergegeben. Der Mythos von Arminius als volksnahem Helden wird dabei analytisch und detailreich infrage gestellt und anhand von Quellennachweisen ausgeräumt, die sich im Anhang nachlesen lassen.

Das Buch versteht sich nicht als Roman, sondern als Sachbuch, das ohne fiktive Erzählungen auskommt. Wissenschaftlich fundiert werden hier Irrtümer, die über Jahrhunderte hinweg selbstbewusst gepflegt wurden, aufgearbeitet und regelrecht seziert. Dass ein relativ junges Deutschland Helden, Ideale und Idole benötigte, um sich angesichts verlorener Kriege das nötige Selbstbewusstsein einzureden, ist nachvollziehbar, aber pathetisch und hat die Realität entsprechend verzerrt. Doch Propaganda war schon immer ein wichtiger Ansatz für jegliches Politikum im Staate. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde Varus als Feindbild mit dem Franzosen, einem unserer „Erbfeinde“, verglichen, und die Rolle des Hermanns spielten in diesem Stück natürlich die deutschen Truppenverbände. Ein Vergleich, der sichtlich hinkt, seinerzeit aber als Bild recht gern aufgegriffen wurde.

Unserem historischen Gedächtnis mag manchmal eine Amnesie ganz gut tun, doch ist es wichtig, dass wir uns unserer Rolle bewusst bleiben und historische Fakten nach Belieben und politischer Windrichtung zu verdrehen versuchen. Nun jährt sich nächstes Jahr die Schlacht des Varus, und an mindestens drei Standorten wird es Kundgebungen, Feiern und Informationsveranstaltungen geben, doch was daraus gemacht wird, wird sich zeigen. Wird Hermann der Cherusker, dessen Denkmal über dem Teutoburger Wald in Detmold thront, wieder zum Wahrzeichen deutschen Heldenmutes mutieren? Oder wird man den antiken Quellen gerecht und bleibt so bei der historischen Wahrheit? Brauchen wir wieder einen „Volkshelden“, zu dem wir aufschauen und mit dem wir uns identifizieren können?

_Fazit_

Die Frage, wie wir im Varusjahr dem Jubiläum begegnen werden, kann auch das Buch „Der Tag, an dem Deutschland entstand“ nicht beantworten, dafür aber viele andere wichtige Fragen; und damit ist das Buch eine wertvolle Bereicherung für die Literatur, die sich jetzt zeitgleich mit der Varusschlacht befasst und noch befassen will. Dr. Tilmann Bendikowski hat mit fundiertem Wissen ein Werk verfasst, das allen empfehlen kann, die in diesem Jahr vielleicht vor dem Denkmal bei Detmold stehen werden oder sich die Fundstücke der Legionäre in Kalkriese anschauen wollen. Ein Stück Geschichte wird erzählt, das nicht übertreibt oder ins Phantastische abdriftet, sondern aufräumt mit einer Heldengestalt, die letztlich ein ganz normaler, auch nur nach Macht strebender Mensch seiner Zeit gewesen ist.

_Der Autor_

Dr. Tillmann Bendikowski, Historiker und Journalist, ist Leiter der Medienagentur Geschichte in Hamburg. Er verfasste Beiträge für Printmedien und Hörfunk, betreut Forschungsprojekte und übernimmt die Realisierung historischer Ausstellungen.

|271 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und 56 Abbildungen
ISBN-13: 978-3-570-01097-6|
http://www.cbertelsmann.de
http://www.hermann2009.de
http://www.arminiusforschung.de
http://www.arminius-varusschlacht.de
http://www.varusschlacht-am-harz.de
http://www.kalkriese-varusschlacht.de

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