Brigitte Blobel – Mörderherz

Daniel Panetta, 52 Jahre alt, verheiratet und Leiter der öffentlichen Bibliothek in Washington, leidet seit mehreren Jahren an immer stärker werdenden Herzbeschwerden. Eines Tages eröffnet ihm sein Arzt Professor Grady, dass seine einzige Chance in einer Herztransplantation liegt. Ohne ein neues Organ hat er vermutlich kein Jahr mehr zu leben. Panettas Name kommt auf die Empfängerliste und ein banges Warten beginnt. Sein Allgemeinzustand verschlechter sich immer weiter, seine Arbeit hat er bereits aufgeben müssen, die Ehe mit seiner attraktiven und erfolgreichen Frau Martha leidet.

Als Panetta die Hoffnung schon fast aufgegeben hat, ist endlich ein Spender gefunden. Panetta übersteht die schwere Operation und erholt sich überraschend gut. Obwohl er weiß, dass der Spender anonym bleiben muss, lässt ihm seine Neugier keine Ruhe. Durch Nachfragen erfährt er immerhin, dass der Tote ein Achtzehnjähriger war, der bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Mehr Informationen kann und darf ihm sein Arzt nicht geben.

Während Panetta sich im Krankenhaus langsam erholt, geht ein spektakulärer Mordfall durch die Presse. Panetta, der sich in der Klinik zusehends langweilt, verfolgt bald alle Berichte in Fernsehen und Zeitung. Ein Ehepaar wurde in seinem Keller auf grausame Weise gefoltert und ermordet. Im Tatverdacht steht der achtzehnjährige Schwarze Othis White, der unmittelbar darauf bei einem Motorradunfall verstarb. Unfallort und Todeszeitpunkt des Jungen passen exakt zum Tod von Panettas unbekanntem Spender. Als Panetta daraufhin auch noch immer wieder FBI-Agenten in der Klinik entdeckt, die über ihn zu reden scheinen, entsteht bei ihm der schreckliche Verdacht, dass er das Herz eines Mörders in sich trägt. Schon bald kann Panetta an nichts anderes mehr denken. Immer wieder befragt er Arzt und Klinikpersonal um Details, doch ihm wird nur geraten, sich von der fixen Idee zu befreien. Als Panetta entlassen wird, stellt er Nachforschungen auf eigene Faust an. Um jeden Preis will er herausfinden, ob sein Spender ein Mörder war und was für ein Motiv er besaß. Immer mehr entfremdet er sich von seiner Frau und seiner Vergangenheit und verstrickt sich in das Leben eines Toten …

Bei dem Namen Brigitte Blobel denkt man in erster Linie an Herzklopfenromane, Probleme heranwachsender Teenager und Liebeskummer. Mit „Mörderherz“ legt sie einen Roman vor, der in eine ganz andere Richtung gehört. Auch hier zeigt sie ihr Können als etablierte Autorin – wenn auch nicht ohne Fehl und Tadel.

Drama statt Thriller

Der Plot verspricht Spannung und die hält er auch bis zum Schluss. Gemeinsam mit der Hauptfigur Daniel Panetta wird der Leser mit einer Ausnahmesituation konfrontiert, die nach und nach immer weitere Kreise nach sich zieht. Dabei kann eine falsche Erwartungshaltung hier für eine Enttäuschung sorgen: In Buchhandlungen steht der Roman gerne in der Thriller-Abteilung, dabei liegt das Hauptaugenmerk mitnichten auf der Klärung des Mordes. Im Vordergrund steht dagegen die psychische Entwicklung des Protagonisten, dessen Leben nie mehr so sein wird, wie es einmal war. Eine Herztransplantation gehört nach wie vor zu den beeindrucksten Leistungen der Medizin. Doch abgesehen von der körperlichen Belastung wirft diese Geschichte die Frage auf, wie ein Betroffener dieses Erlebnis emotional verarbeitet.

Rein körperlich regeneriert Panetta schneller als alle dachten – doch sein Wesen ist nicht mehr das gleiche. Immer wieder quält den Mann die Frage, wessen Herz da nun so kräftig in seiner Brust schlägt, wer sein Leben lassen musste, damit ihm, Daniel Panetta, eine zweite Chance gegeben wird. Die vage Möglichkeit, dass er das Organ eines Mörders in sich trägt, wirft Panetta völlig aus der Bahn. Alle seine Vorsätze von einem neuen, glücklichen Leben werden von dieser fixen Idee überschattet. Die Schwäche, die Panetta sich zuvor immer mehr zurückziehen ließ, schlägt in Aggressivität um. Die Polizei, die Schwestern, die Ärzte und schließlich auch seine Frau Martha sind für ihn Verschwörer, die ihm die Wahrheit über sein Herz nicht verraten wollen. Trotz aller Vernunft kann sich Panetta nicht von seinen Gedanken befreien – er muss wissen, wer sein Spender war. Bis in die Träume hinein verfolgt ihn das brutale Verbrechen und er fühlt, dass er nicht eher ruhen kann, bis er die Hintergründe geklärt hat …

Teil-Identifikation und blasse Charaktere

Automatisch wird der Leser zu einem Verbündeten von Daniel Panetta. So weit weg seine Situation vom Erfahrungshorizont der meisten Menschen auch sein mag, man fühlt dennoch mit ihm und steht auf seiner Seite. Man versteht zwar die Beschwichtigungsversuche seitens der Ärzte und seiner Ehefrau, aber mindestens ebenso gut kann man die Hilflosigkeit und die wachsenden Verzweiflung des Protagonisten nachvollziehen, der ohne Klarheit über sein Herz keine Ruhe finden kann. Aber trotz dieser Ansatzpunkte bleibt die Identifikation eher oberflächlich. Es ist bezeichnend für den Roman, dass seine Hauptfigur fast durchgängig beim Nachnamen angesprochen wird. „Daniel“ ist er nur für seine Frau Martha und enge Freunde, für den Leser bleibt er bis zum Schluss schlicht „Panetta“, was ihm eine unpersönliche Note verleiht. Panetta ist nicht unsympathisch, aber ebensowenig läd sein Charakter zum Mitfiebern ein. Der Leser fühlt so weit mit, dass er das Ende der Geschichte erleben möchte, aber es fehlt der unbedingte Wunsch nach einem Happy-End für Panetta. Wünschenswert wären in erster Linie mehr individuelle Details, die den Menschen Panetta vor des Lesers Augen lebendig und greifbar werden lassen.

Blass bleibt aber in erster Linie Panettas Ehefrau Martha. Sie wird als schöne, ehrgeizige und berufliche erfolgreiche Immobilienmaklerin geschildert, die offensichtlich unter der Krankheit ihres Mannes leidet. Es ist schwer, sie auf eine Seite einzuordnen und so ergibt sich ein unausgegorener Mischmasch. Einerseits ist ihre Distanziertheit verständlich, andererseits wirkt ihre kühle Art unsympathisch. Sehr irritierend ist schon zu Beginn ihre Reaktion auf die geplante Herztransplantation. Nicht die Angst um ihren Mann bestimmt ihre ersten Gedanken, sondern die abschreckende Vorstellung, „das Herz eines Toten“ in ihn einzupflanzen. Dass dieser Gedanke Befremden auslöst, ist verständlich, aber dass das Befremden offenbar im ersten Moment vor der Sorge steht, passt nicht wirklich. Erschwerend hinzu kommen einige Andeutungen, die bis zum Schluss nicht wirklich geklärt werden. Mehrmals hat Panetta seine Frau im Verdacht, ihn zu betrügen, entweder gedanklich oder sogar real. Mehrmals vermutet er eine Liebelei zwischen ihr und dem behandelten Arzt, unterstellt ihr bei einem geschäftlichen Mittagessen ein privates Treffen und wähnt sie auf einer Geschäftsreise sogar im Bett eines anderen Mannes. Marthas Entfremdung ist offensichtlich, doch inwieweit sie ihren Mann betrügt, wird nicht geklärt. Kleine Abzüge gibt es auch für Panettas weiteres Umfeld, das vor allem seine ehemalige Arbeit in der Bibliothek betrifft. Zwar wird ein Abstecher zu seinen alten Kollegen geschildert, aber eine Rolle darüber hinaus spielt im weiteren Verlauf keiner von ihnen. Enttäuschend ist dies vor allem deshalb, weil die Möglichkeit suggeriert wird, dass Panetta Interesse an einer Kollegin bekommt – doch dieser Handlungsfaden wird letztlich nicht mehr aufgegriffen.

Die Stärke des Romans liegt unzweifelhaft in der sich steigernden Spannung und der Frage, ob Panetta in die Paranoia abgleitet oder ob tatsächlich ein „Mörderherz“ ihm ein neues Leben geschenkt hat. Als Leser verfolgt man die traurige Entwicklung eines Mannes, dessen zweite Chance in einem emotionalen Chaos zu versinken droht. Unzählige Hoffnungen hatte Panetta in sein neues Organ gesteckt, ehe er realisieren musste, dass ihm sein neues Glück nicht geschenkt wird. So dankbar er für die Operation auch ist, so viel Leid hat sie über ihn gebracht – und gemeinsam mit ihm muss sich der Leser die Frage stellen, ob und inwieweit das Leben mit dem neuen Herzen ihn glücklicher gemacht hat.

Nüchterner Stil

Der Stil des Buches liest sich weitgehend flüssig, wenn auch eher nüchtern. Die Autorin verwendet eine schnörkellose Sprache mit kurzen Sätzen, was sich auch ohne große Konzentration leicht lesen lässt. Trotz der medizinisch orientierten Thematik werden auch Laien keine Verständnisprobleme haben, denn die wenigen auftauchenden Fachausdrücke sind im Kontext eindeutig zu verstehen oder werden von der betreffenden Person erläutert. Obwohl medizinische Romane normalerweise nicht zu ihrem Experten-Terrain gehören, bewegt sich Brigitte Blobel sicher auf diesem Gebiet. Unterstützung dürfte sie dabei von ihrem Schwager Günter Blobel erhalten haben, der 1999 den Nobelpreis für Medizin erhielt.

Hin und wieder haben sich kleine stilistische und inhaltliche Unschönheiten ins Werk geschmuggelt: So wird eine Kollegin Panettas erst als „Mitte Vierzig“ bezeichnet, eine Seite weiter scheint Panetta zu wissen, dass sie „über Fünfzig“ ist. Auch ein paar Formulierungswiederholungen innerhalb weniger Sätze fallen ins Auge, so beispielsweise, wenn ein Charakter fast jede Bemerkung „knurrte“ oder Panetta gleich zweimal innerhalb von vier Sätzen „einen roten Kopf bekommt“. Davon abgesehen fällt jedoch keines dieser Mankos weiter ins Gewicht oder sorgt gar für eine Trübung des Lesevergnügens.

Fazit:

Spannendes Psychodrama über die Frage, inwieweit ein Spenderorgan das Denken und Fühlen seines Empfängers beeinflussen kann. Wer nach der Buchbeschreibung einen Krimi oder Thriller erwartet, wird eher enttäuscht werden, da der Fokus auf der persönlichen Entwicklung der Hauptfigur liegt. Die subtile Schilderung einer verzweifelten Suche nach der Wahrheit fesselt bis zum Schluss, kann jedoch nicht über die zu hölzern und unnahbar geratenen Charaktere hinwegtäuschen.

_Brigitte Blobel_ wurde 1942 in Hamburg geboren. Neben der Schriftstellerei arbeitete sie als freie Journalistin und Drehbuchautorin. Ihr erster Roman erschien 1979, seitdem hat sie etwa neunzig weitere Bücher veröffentlicht. Obwohl sie auch einige Werke für Erwachsene verfasste, gilt sie hauptsächlich als Jugendbuchautorin. Ihre bekannteste Buchreihe ist „Neues vom Süderhof“.

Taschenbuch: 442 Seiten
www.ullstein-buchverlage.de