Arnold Federbush – Eis!

The Year After Tomorrow: eine neue Eiszeit

Zunächst sind es nur warnende Vorzeichen: Eine Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in Indien bleibt der Monsun aus, Staubstürme im Mittelwesten der USA, überdurchschnittlich starke Schneefälle in Grönland.
Das sind lokale Wetterunstimmigkeiten, wie sie alle paar Jahre oder Jahrzehnte auftreten können. Doch sie häufen sich, die Dürreperioden erstrecken sich über Jahre, ganze Landstriche werden zur Wüste, das Vieh stirbt, Hunderttausende von Menschen verhungern. Doch die Meteorologen sind ratlos. Sie finden das grundlegende Muster nicht, das auf eine Klimaveränderung hindeuten würde.

Als man mit verbesserten Wettersatelliten die Erde kontrolliert, wird man gewahr, daß die Verschmutzung der hohen Atmosphäre durch Abgase und Industrieemissionen stärker ist als angenommen. Ein paar Staubstürme, ein paar großflächige Waldbrände und zwei oder drei Vulkanausbrüche, die weitere Millionen Tonnen Staub und Asche in hohe Luftschichten tragen, lassen die Erdatmosphäre »umkippen«. Ein Mechanismus wird in Gang gesetzt, der schon wiederholt zu katastrophalen Klimaveränderungen geführt hat.

Eine Simulation in einem Großcomputer macht die Tragweite des Umschwungs deutlich. Eine neue Eiszeit bricht an.
Sie kommt nicht als Wetterverschlechterung, die sich über Jahrzehnte hinzieht. Sie kommt wie ein verheerender Blizzard. Und sie trifft die menschliche Zivilisation völlig unvorbereitet… (Verlagsinfo)

Der Autor

Arnold Federbush (geboren 1935 in New York City; gestorben 1993) war ein amerikanischer Science-Fiction-Autor. Er studierte Filmwissenschaft und arbeitete als Filmredakteur und Tontechniker.

Sein 1973 erschienener Debütroman The Man Who Lived in Inner Space erzählt die Geschichte eines Mannes, der bei einem Unfall in einer Chemiefabrik schwer verletzt und zum Krüppel wird und auf der Flucht vor der Welt sich eine untermeerische Zufluchtsstätte schafft, wo er die Tiefen seiner Seele zu erkunden und sich zugleich immer mehr an ein Leben im Meer anzupassen beginnt. Der Roman wird der New Wave zugerechnet.

Der zweite, auch ins Deutsche übersetzte Roman Ice! (1978) behandelt das etwas konventionellere Thema des Einbruchs einer neuen Eiszeit, bei dem New York langsam unter Gletschermassen versinkt und die Menschen sich den veränderten Bedingungen anzupassen versuchen, indem sie die Lebensweise der Inuit übernehmen. (Quelle: Wikipedia.de)

Romane

• The Man Who Lived in Inner Space (1973)
• Ice! (1978)
o Deutsch: Eis! Übersetzt von Walter Brumm. Heyne SF&F #3771, 1980, ISBN 3-453-30672-4.

Handlung

Der Monsun ist diesmal ausgeblieben. Das gab es noch nie auf dem indischen Subkontinent, und auch in Mali entdeckt Dr. Schumer erste Anzeichen einer Katastrophe: Erst verdurstet das Vieh, dann verhungern die Kinder. Über Amateurfunk schickt er seine Alarmmeldung in die Welt hinaus, doch kaum einer glaubt ihm. Denn es gibt keine Bestätigung für seine irrsinnige Behauptung, schon bald würden Millionen Menschen in der Sahel-Zone draufgehen. Und überhaupt: Wie kann es sein, dass sich uralte Wind- und Meeresströmungen von heute auf morgen verändern?

Eiszeit?!

Mark Haney von der New Yorker Columbia University ist Meteorologe und leidenschaftlicher Amateurfunker. Sein Funkgerät ist zwar nicht das modernste, aber mit etwas Einfallsreichtum bekommt er die nötigen Antennen und richtet sie aus. Er glaubt Dr. Schumer, wenn dieser von einsetzender Dürre in Mali redet. Er glaubt Kapitän Manujian, der auf seinem Tonnenlegerschiff vor Neufundland von ungewöhnlich weit südlich auftauchenden Eisbergen berichtet. Und es gibt noch viele weitere solche Quellen. Alles deutet auf eine globale Änderung der Klimabedingungen hin. Aber in welche Richtung gehen die Temperaturen – rauf oder runter?

Danny

Natürlich glauben ihm weder seine Kollegen noch der Redakteur von der „New York Times“, als Haney behauptet, dass vieles auf eine neue Eiszeit hindeute: Es ist erstens unglaublich und zweitens unbewiesen. Als Danny, ein junger Mann von zehn Jahren, ihn fragt, wie das Klima funktioniere, sieht sich Mark gezwungen, tiefer zu schürfen. Da er keinen Computer hat, erstellt er zusammen mit Danny ein primitives Modell. Siehe da: Das Trockeneis am „Nordpol“ breitet sich aus, weil die warme Golfströmung im Atlantik schwächer wird. Er wendet sich an den Meteorologen Hideo Kishihara, und der reagiert sehr zurückhaltend: Will Mark ihn aushorchen, um dann selbst was zu veröffentlichen? Denn in der Wissenschaftsgemeinde – und dazu zählt sich die Columbia University definitiv – gilt das Gesetz: „Publish or perish! Veröffentliche oder vergehe!“ Lorbeeren sind nur mit Beiträgen zu erwerben – und die brauchen ihre Zeit.

Karen

Durch Danny lernt Mark die Anthropologin Karen kennen, die lange Jahre bei den Inuit gelebt hat. Sie ist in der Mensa sofort auszumachen, weil sie sich einfach nicht vordrängeln will und sich in der Warteschlange vor der Theke immer wieder hinten anstellt. Mark begrüßt sie und verhilft ihr zu einem Mittagessen. Statt ihre Dankbarkeit zu zeigen, wäscht sie ihm wegen Danny erst einmal den Kopf: Was ihm einfalle und welche finsteren Absichten er, Mark, habe? Mark beteuert, er habe nur lautere Absichten und erfährt, dass auch Karen nur Dannys Ziehmutter sei. Aber weil sie alle ihre Verhaltensweisen auf die Lebensweise der Inuit umgestellt hat, lässt sie ihrem „Kind“ stets freie Hand, wie es sich entscheiden will. Mark bietet Danny an, ihm das Funken beizubringen. Schon bald sind Mark und Karen ein Liebespaar.

In Grönland

Doch die Katastrophenmeldungen häufen sich seltsamerweise. Die Beobachtungen des neuen Satelliten TIROS sind unbestechlich: Der Staub der Wüsten und der Städte zieht nach Norden, kondensiert mit Wasserdampf zu kalten Wassertropfen, die als Schnee niedergehen. In Grönland und Alaska verschwinden die Gletscher nicht mehr, sie wachsen. Das sehen Mark und Karen mit eigenen Augen, als sie mit einem Inuitführer Grönland bereisen. Ein später Hurrikan verschwindet nicht mehr an der amerikanische Ostküste, sondern verwandelt sich über dem Mittelwesten in einen Schneesturm. Er zieht über Ohio nach Nordosten Richtung New York City.

Schnee in New York

Als Mark und Karen das Taxi vom Flughafen Richtung Innenstadt nehmen, fallen schon die ersten Flocken. Sie schmelzen nicht mehr, sondern sammeln sich rasch am Boden und auf allen waagrechten Oberflächen. Auf der Fahrt können sie förmlich zusehen, wie Schneewehen entstehen. Auf der anderen Seite der Brooklyn-brücke schliddert das Taxi, das noch mit Sommerreifen fährt, in bereits querstehende Autos und bleibt stecken. „Bloß raus hier!“, drängt die erfahrene Karen und zieht Mark mit. „Nichts anfassen!“, warnt sie. Doch eine Fußgängerin hört nicht auf sie und friert mit ihrer Hand am Metall der Brücke fest, so kalt ist es bereits. Mithilfe von Motoröl können sie die Frau befreien, hasten aber schnell weiter, um es noch zu Danny zu schaffen.

Auf ihrem Weg sehen sie die Zivilisation rings um sich zusammenbrechen, als Polizeiautos, Kranken- und Feuerwehrwagen in den Schneewehen steckenbleiben. Wochen später müssen sie feststellen, dass dies nur der Vorgeschmack dessen ist, was noch folgen soll: Die Gletscher kommen nach New York, um es unter sich zu begraben…

Mein Eindruck

Nach diesem dramatischen Auftakt folgt ein langsamer Mittelteil, der die klimatische Entwicklung vorantreibt, doch die zivilisatorische nicht. Die Menschen glauben Mark immer noch nicht, zumindest die meisten außer Karen und Danny. Deshalb versucht Mark verzweifelt, ein Netzwerk der Willigen aufzubauen, von Miami bis Sydney. Die Erzählweise wird multiperspektivisch, als würde der Erzähler bzw. Leser zwischen verschiedenen TV- oder Funkkanälen hin- und herschalten. Das Panorama öffnet sich zu einer global eingestellten Sichtweise, der dann allmählich eine dramatischer werdende Engführung folgt. Der letzte Teile bringt die Krise und das Finale.

Danny muss sich entscheiden. Ein Glück, dass er völlige Wahlfreiheit genießt. Soll er seiner Ziehmutter folgen, die Art der Inuit annehmen und sich dem Wandel in jeder Konsequenz anpassen? Oder soll er es seinem Ziehvater Mark nachmachen, der die Zivilisation aufrechterhalten und den Menschen so ein Leben nach der Eiszeit ermöglichen will? Der Versuch, der Eiszeit durch Flucht mit dem Eisbrecher von Kapitän Manujian zu entkommen, scheitert. Das Packeis ist bereits zu dick, an jeder Ecke lauert die unsichtbare Hälfte eines Eisbergs.

Manujian opfert seine Proviantvorräte, um Marks und Kishiharas Familien die Rückkehr nach New York City zu ermöglichen. Mark erklärt Karen zur Anführerin, und nur dank ihres bei den Inuit erworbenen Wissens und ihrer Kniffe schaffen sie die Rückreise. In der Stadt lauern indes neue Gefahren: wilde Hunde. Statt vor Angst zu erstarren, erblickt Karen jedoch eine einzigartige Chance: Wenn sie es schafft, die Hunde – echte Bestien – zu bezwingen, könnte sie mit den Schlittenhunde nach Süden fahren.

Für Mark gibt es am Schluss ein echtes Problem. Auch er muss sich endgültig entscheiden: Soll er seine Funkausrüstung opfern und mit Karen und Danny – der sich ebenfalls entschieden hat – nach Süden ziehen, oder doch lieber bis zum Ende mit Leuten funken, die nicht mehr antworten? Karen hat die harte Entscheidung auf ihre Weise mitgeteilt: Sie hat ein letztes Mal mit Mark geschlafen, und da WUSSTE Mark endlich, was los war. Wie sich zeigt, nimmt ihm der Gletscher die Entscheidung ab…

Die Übersetzung

Walter Brumms Übersetzung ist sehr lesbar und durchaus korrekt, aber leider auch schon recht angestaubt. Ein „Radio“ ist ein Funkgerät, ein „Messfühler“ ist ein Sensor eine „Garage“ eine Werkstatt.

S. 161: „analy[i]sierten“: Das erste I ist überflüssig.

S. 195: „u[i]ind frag ihn“: dito.

S. 235: „Sie sagen wir, wie das Wetter wird.“ Gemeint ist aber „Sie sagen MIR, wie das Wetter wird.“

S. 298: „eine Achse mit kugelgelagerte[r] Nabe“: Das R fehlt.

S. 304: „Itzig“: New Yorker Slang-Ausdruck für einen Juden. Ziemlich abschätzig gemeint. Ziel des Spotts ist Lew Fink, der zynische Archäologe, der viel zum ironischen Humor des Buches beiträgt.

S. 317: „Die Feuchtigkeit heranführender Höhenströmungen“: Statt „heranführender“ sollte es korrekt „heranführenden“ heißen, denn die Jetstreams führend die Feuchtigkeit heran.

S. 340: „Zuerst wird die Sonne das Eis an die Oberfläche zu Wasser schmelzen…“: Ich habe mir über diesen Satz Karens den Kopf zerbrochen. Schließlich erkannte ich, dass es ganz einfach ist, das problem zu lösen. Der Satz heißt korrekt: “ Zuerst wird die Sonne das Eis an DER Oberfläche [des Gletschers] zu Wasser schmelzen…

Unterm Strich

Ich habe diesen etwas altmodischen Katastrophenroman in nur drei Tagen verschlungen, jeweils 120 Seiten pro Tag. Das Szenario ähnelt dem von Roland Emmerichs Film „The day after tomorrow“, verläuft aber wesentlich langsamer und umfassender. Die Hauptfigur Mark Haney ist wie Dennis Quaid im Film ein Meteorologe, aber seine Frau stammt aus einem völlig anderen Kulturkreis: Sie ist zwar von amerikanischer Abstammung, aber im Grunde eine Inuit. Die polare Kultur spielt mit ihren Ansichten und Techniken eine bedeutende Rolle für den Verlauf der Handlung, denn Karens Wissen rettet ihrer Familie und ihren Gefährten mehr als einmal das Leben. Wird sie auch ihre Zukunft sichern können?

Ihr Ziehsohn Danny sieht sich nun zwischen zwei Welten gefangen und muss sich wie alle drei für den richtigen Weg entscheiden: Es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Kann sich Danny rechtzeitig anpassen oder klammert er sich an die Weisheiten und Erkenntnisse seines Ziehvaters? Welchem Weg gehört die Zukunft? Wir drücken Mark die Daumen.

Soziales Medium

Was heute die sozialen Netzwerke, war anno 1978, als das Buch veröffentlich wurde, der Amateurfunk. Der Leser fühlt sich in eine geradezu prähistorisch anmutende Ära versetzt, in der sich allenfalls Leute wie Steven Spielberg heimisch fühlen würde. Und Dennis Quaid hat – welch Zufall – in dem Zeitreise-Thriller „Frequency“ mitgespielt, in dem Amateurfunk ebenfalls ein tragendes Plot-Element ist.

Top secret

Auch die Satelliten wie TIROS spielen eine Rolle. Wenn sich der Leser fragt, wieso die US-Regierung ihre Bevölkerung nicht vor dem Schneesturm warnt, so deutet dies darauf hin, dass alle von TIROS empfangenen Daten „top secret“ sind und man sich auf höchster Ebene dazu entschlossen hat, sie nicht weiterzugeben. Die Warnung könnte ja eine Panik auslösen. Menschen in Panik neigen dazu, die Straßen zu verstopfen. Keine Ambulanz und keine Feuerwehr würde mehr durchkommen, von der Polizei und der Army ganz zu schweigen. Immer wieder ereignen sich im multiperspektivischen Mittelteil menschengemachte Katastrophen, viele davon sind auf Egoismus und Geheimnistuerei zurückzuführen.

Relevanz

Ist das Szenario einer kommenden Eiszeit glaubwürdig, fragt sich der Leser von Anfang an. Behutsam führt der Autor seine Hauptfigur an die unglaubliche Wahrheit heran. Jederzeit kann sich der Leser entscheiden, dem Autor Glauben zu schenken oder nicht. Was aber als Erkenntnis hängenbleibt, ist die Tatsache, dass durch das Ändern nur weniger Stellschrauben der gesamte Klimamechanismus auf den Kopf gestellt werden kann: Die Niederschläge und Höhenströme verlagern sich, der Monsun bleibt aus, ebenso fällt der Golfstrom aus, wodurch der kalte Labradorstrom Eisberge bis nach Florida führen kann. Letzteres Phänomen hat bereits begonnen, vor allem aufgrund des steigenden Staub- und CO2-Gehalts in der Atmosphäre. Wir können die Hände in den Schoß legen oder, wie Mark Haney und seine Gefährten, etwas unternehmen.

Taschenbuch: 350 Seiten
Originaltitel: Ice!, 1978;
Aus dem Englischen von Walter Brumm
ISBN-13: 9783453306721

www.heyne.de

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