E. und H. Heron – Der Fall Medhans Lea (Gruselkabinett 179)

Ein finsteres Geheimnis, endlich aufgedeckt

Midland Counties, 1889: Während eines Billard-Spiels ereignen sich beunruhigende Vorfälle im Medhans Lea-House. Panische Schreie und eine unheimliche Gestalt erschrecken die Spieler, ohne dass die Ereignisse greif- oder erklärbar wären. Als der Hauseigentümer auf der Suche nach dem seltsamen Eindringling in einem Gebüsch verschwindet und nicht mehr zurückkehrt, kann nur noch der erfahrene Geisterjäger Flaxman Low helfen … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.


Die Autoren

E. & H. Heron sind ein Autorenpaar. Sein Serienheld Flaxman Low agiert in mehreren Gruselkabinett-Episoden.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Flaxman Low: Rolf Berg
Butler Wilkes: Bernd Kreibich
Mr. Harland: Bodo Primus
Dr. Nare-Jones: Valentin Stroh
Mr. Sawelsan: Jean Paul Baeck
Kutscher & Dunkler Jesuit: Marc Gruppe

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und bei Advertunes statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Im März 1889 erhält Flaxman Low, seines Zeichens „Geisterjäger“, in London Besuch von drei Freunden, die seine Rat und seine Hilfe suchen. Bei einer Tasse Tee mit Rum berichten sie. Mr. Harland ist mit Teehandel aus Assam reich geworden und hat sich in einer der Grafschaften in den Midlands ein stattliches Haus gepachtet, das den Namen Medhans Lea trägt. Er liegt auf einer Anhöhe, die auf ein Tal blickt, in das eine Allee prächtiger Buchen hinabführt. Im Tal liegt das Gasthaus „Red Lion“, berichtet Harland, und dort habe er seine Freunde Dr. Nare-Jones und Mr. Sawelsan getroffen.

„Das 50 Jahre alte Haus wurde renoviert“, berichtet Harland, „und das dauerte länger als erwartet.“ Vom 15. bis 18. Januar blieben sie also im Gasthaus, bis sie beschlossen, quasi zur Einweihung eine Partie Billard im Haus zu wagen, komme was wolle. Am Morgen des 18., so berichtet der Arzt, musste er nach London, um sich als Schiffsarzt zu bewerben, und kehrte am Abend zurück. Doch als er die Buchenallee hinaufgegangen sei, die etwa 400 m lang sei. Auf halber Strecke hört er ein tiefes Flüstern aus dem Nichts, und am Ende der Allee rollt ihm ein Objekt vor die Füße. Etwas beklommen eilt er ins Haus und findet den Weg zum Billardzimmer.

Unheimliche Funde

Harland kredenzt ihm einen wärmenden Whisky, und gestärkt platziert Nare-Jones besagtes Objekt auf dem Billardtisch: Es ist ein Kalb aus Messing, das als „bengalisches Götzenbild“ bestimmt wird und offenbar als Spielzeug diente. Harland hat sowas in Hinterindien schon mal gesehen. Aber erst mal Billard spielen! Da vernehmen die drei ein leises Schreien wie von einem Kätzchen oder einem Kind. Wie soll man sich dabei konzentrieren? Harland und der Doktor suchen nach der Quelle dieses Klangs, finden aber nichts. Nur ein höhnisches Lachen ertönt, und ein Schatten huscht durch die Tür.

„Er sah aus wie ein Priester oder ein Jesuit“, berichtet Harland dem Geisterjäger. „Das Fenster sprang auf und ein abscheulicher Gestank drang herein. Eine Stimme rief: „Das ist mein Haus! Verschwindet!“ Da wirft Harland eine wichtige Billardkugel, doch sie geht mitten durch die Erscheinung hindurch. Nare-Jones redet auf einmal sehr tief: Er ist besessen! Kaum ist er wieder zu sich gekommen, eilt Harland der geworfenen Billardkugel hinterher. Gefolgt von seinen Freunden gelangt er in ein Gebüsch – und wird ebenfalls besessen und stößt ein teuflisches lachen aus. Seine Freunde bringen ihn zu einer Kutsche. Für die Genesung braucht er zwei Monate.

Flaxman Low fragt Harland nach seiner Selbsteinschätzung der Geschehnisse. Harland kommt zu dem Schluss, dass die Erscheinungen auf eine lange zurückliegende Missetat hindeuten, die der Mann in Schwarz wohl an dem Kind begangen haben müsse. Auf Lows Empfehlung hin konsultieren sie ein Medium – und einen Exorzisten…

Mein Eindruck

Exorzisten gibt es bekanntlich nur noch in der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche, so dass die Protestanten selbst mit dämonischen Mächten fertig werden müssen. Dass der Geisterjäger einen Exorzisten für den Einsatz im englisch-protestantischen Kernland empfiehlt, wirft ein schlechtes Licht auf die lokalen Seelsorger, ja, eines der Verzweiflung. Auch der von ihm empfohlene Einsatz eines Mediums lässt kirchliche Würdenträger und Seelsorger außen vor. An einer Stelle wird sogar der Kontakt zu einer Londoner Organisation für übersinnliche Phänomene erwogen.

Doch alle diese Weiterungen sind nur Randaspekte im Vergleich zur zentralen Handlung, die sich ganz auf den Schrecken des Trios konzentriert, der am titelgebenden Ort zu überstehen ist. In einer hellen Mondnacht sind in der düsteren Buchenallee Geisterstimmen zu hören, und ein geheimnisvolles Objekt wird Nare-Jones vor die Füße gerollt. Die ersten Indizien in diesem rätselhaften Fall sind vorgelegt worden, doch mit logischer Deduktion ist dem Fall nicht beizukommen. Erst als Geist des „dunklen Jesuiten“ unüberhörbar seine Stimme erhebt und die Freunde zum Verlassen seines Domizils auffordert, nimmt der Fall eine ernste Wendung.

Was hier lediglich angedeutet wird, wird erst ganz am Schluss als Ergebnis von Recherchen, die das Trio angestellt hat, präsentiert: Eine Offizierswitwe engagierte einen Hauslehrer für ihr Kinder, doch dieser „dunkle Jesuit“ verging sich an dem Jungen in eben jenem Gebüsch, in das Harland später gelockt wird und aus dem das Spielzeug herausrollt. Das Kind verlor seinerzeit den Verstand. Der Fluch der bösen tat erlegte dem Ort seinen anhaltenden Bann auf – bis Flaxman und sein Exorzist zur Tat schreiten.

Die Verlagsinformation: „Als der Hauseigentümer auf der Suche nach dem seltsamen Eindringling in einem Gebüsch verschwindet und nicht mehr zurückkehrt“, ist nicht ganz korrekt, denn Harland wird durchaus gefunden, nur eben in sehr lädiertem Zustand – er braucht zwei Monate für seine Genesung.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Der Geisterjäger wird von Rolf Berg mit einer tiefen, vertrauenerweckenden Stimme gesprochen, aber seine Rolle ist nur winzig im Vergleich zum Trio. Mr. Harland, gesprochen von Bodo Primus, ist die Hauptfigur: immer gut aufgelegt, und wenn gestört, neigt er zu Aggressivität. Dr. Nare-Jones wird von Valentin Stroh gesprochen: Der Arzt klingt empfindsam, vernünftig und neugierig. Er ist mit Abstand der Schlaueste des Trios. Mr. Sawelsan, gesprochen von Jean Paul Baeck, agiert ziemlich zurückhaltend, so etwa bei der Suche nach der männlichen geisterstimme im titelgebenden Gebäude.

Butler Wilkes ist nur kurz als die Stimme von Bernd Kreibich zu hören, aber dafür sehr zurückhaltend, geradezu devot. Der Regisseur und Autor Marc Gruppe spricht den Kutscher und den „Dunklen Jesuiten“ mit tiefer, meist ärgerlicher Stimme. Das „teuflische Lachen“ hat ihm offenbar Spaß gemacht. Auffällig ist, dass „das Kind“ keinen Sprecher hat.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen, die fein aufeinander abgestimmt ist, verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Türenquietschen, klingelnde Whiskygläser (inklusive Gluckern), tickende Uhren, klackende Billardkugeln, ein knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Hinzukommt diesmal eine Geräuschkulisse in einem Gasthaus, dem „Red Lion“. Diese muss insofern eine Herausforderung gewesen sein, als die Fülle der Stimmen, die im Hintergrund erklingen, keinesfalls den Dialog der drei Freunde überdecken dürfen, der im Vordergrund verständlich erklingen soll.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene. Gefahr wird stets durch einen sehr tiefen Bass signalisiert, der auf einer Soundbar oder einem Subwoofer voll zur Geltung kommt. Im „Red Lion“ erklingt leise und dezent eine volkstümliche Weise.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt eine suggestive Szene, in der das Billardzimmer von Nedhans Lea hell eleuchtet ist, aber ringsum von schwarzen Bäumen umstellt ist. Krähen warten als Todesboten auf ein Opfer. Ein Paar Hände greift aus einem Gebüsch in die Luft, entweder um Hilfe bittend oder als Drohung.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst 2022 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Folge 176: Crawford: Das Lächeln des Toten
177: Ludwig Bechstein: Furia Infernalis
178: Benson: Das unheimliche Turmzimmer
179: Heron: Der Fall Medhans Lea – Flaxman Low 3

180: Blackwood: Das unbewohnte Haus
181: R. Conner: Das gefährlichste Spiel der Welt
182: F.G. Loring: Sarahs Grabmal
183: Eric Stenbock: Die andere Seite

184: Bertha Werder: Das Haar der Sklavin
185: Lovecraft: Die Musik des Erich Zann
186: ETA Hoffmann: Der Ghoul
187: Blackwood: Die Weiden

188: Heinrich Seidel: Der Hexenmeister
189: Per McGraup: Heimlich
190: J. u. W. Grimm: Schauermärchen I

Unterm Strich

Diese Flaxman-Episode packt ein heißes Eisen an. Es wird nicht zuviel verraten, wenn ich hier mitteile, dass es hier um einen Jahrzehnte zurückliegenden Kindesmissbrauch durch einen Hauslehrer geht. Harland erwähnt an einer Stelle, dass sein – vermutlich von der Offizierswitwe – gepachtetes Haus nur rund fünfzig Jahre alt sei, also ca. 1849 erbaut wurde. Das Kind war seinerzeit noch ein kleiner Junge, aber schon im Schulalter. Folglich kann auch seine Mutter nicht allzu alt gewesen sein und lebt 1889 vielleicht noch. Sie engagierte einen Hauslehrer, weil ihr Haus zu weit entfernt von der nächsten Dorfschule lag – das sagt uns der gesunde Menschenverstand.

Sie ging mit dem Hauslehrer ein gewisses Risiko ein: Ein fremder Mann im Haus, das vielleicht nur von einem Butler und einem Gärtner bewacht wurde. Warum musste es unbedingt ein Jesuit oder ein (katholischer) Priester sein, fragt sich der heutige Hörer. Jesuiten waren und sind in der katholischen Kirche die gebildetsten Kirchenangehörigen. Sie tragen nicht umsonst den Titel „Monsignore“. Sie waren also bestens geeignet, um den Job als Hauslehrer zu erledigen. Dass ein Jesuit einen Kindesmissbrauch begangen haben soll, lässt sich indes nicht belegen. Dass katholische Priester tausendfach ihre Schützlinge missbraucht haben, ist indes vielfach belegt – und sie wurden selbst missbraucht (erzählt im OSCAR-prämiierten Spielfilm „Spotlight“). In der deutschen evangelischen Kirche beginnt man erst, die knapp zehntausend Missbrauchsfälle aufzuarbeiten, die jüngst (Anfang 2024) dokumentiert worden sind.

Das Hörspiel

Die Inszenierung klammert die eigentlichen Taten des Geisterjägers völlig aus, denn er dient lediglich als Zuhörer. Dagegen spielt das Trio, das sich im titelgebenden Anwesen trifft, die Hauptrolle. Das ist völlig in Ordnung, denn wer will schon Amtshandlungen von Geisterjägern, Medien oder Exorzisten verfolgen? Nein, das „Gruselkabinett“ wird seinem Anspruch nur gerecht, wenn es den Grusel in den Mittelpunkt stellt und folgerichtig in allen schaurigen Details schildert. Das ist hier gelungen.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der bekannten Sprecher vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: Länge: ca. 60 Minuten
ISBN 97837857-8389-4

www.titania-medien.de

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