F.G. Loring – Sarahs Grabmal (Gruselkabinett Folge 182)

Die Lady aus der Gruft

Hagarstone 1841: Entgegen der eingravierten Warnung auf einer pompösen Grabplatte, die Totenruhe der dort Bestatteten keinesfalls zu stören, beginnt eine Gruppe Kirchen-Restaurateure damit, das Grabmal innerhalb des Gotteshauses zu versetzen. Ein bestialisch stinkender Nebel und das nächtliche Geheul eines Hundes sind die unheimlichen Folgen. Bald bemerken die Männer, dass der Leichnam in der Ruhestätte von Tag zu Tag frischer auf sie wirkt … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

F(rederick) G(eorge) Loring lebte von 1869 bis 1951, also 82 Jahre. Er war Marineoffizier und Schriftsteller, zudem ein früher Experte in der Funktelegrafie. Dass er auch gut schreiben konnte, erwies sich an seinen technischen Artikeln und seinen Berichten als Marinekorrespondent für die „Western Morning News“. Loring schrieb Gedichte und Kurzgeschichten, von denen „The Tomb of Sarah / Sarahs Grabmal“ als klassische Vampirgeschichte anerkannt ist. Sie wurde zuerst im Dezember 1910 im „Pall Mall“-Magazin abgedruckt.

Neben Hume Bisbets Story „The Vampire Maid“ und E.F. Bensons “Mrs. Amworth” (siehe Gruselkabinett) gehört “Sarahs Grabmal“ zu den wichtigsten Gruselgeschichten des frühen 20. Jahrhunderts mit einem weiblichen Vampir. Ohne es anzugeben, basierte Ray Danton seinen Spielfilm “Crypt of the Living Dead“ aus dem Jahr 1972 auf dieser Erzählung.

„The Tomb of Sarah“ lässt sich online hier , hier oder hier nachlesen.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher

Erzähler: Horst Naumann
Harry Latimer: Helmut Zierl
Somers: Jonas Minthe
Reverend Grant: Peter Weis
Gräfin Sarah: Ursula Wüsthof
Kind: Marlene Bosenius
Bauarbeiter: Stephan Bosenius, Marc Gruppe

Die Macher

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Titania Medien Studio, im scenario studio und bei Advertunes statt und wurde bei Kazuya abgemischt. Die Cover-Illustration stammt von Osman Askin.

Handlung

Ein alter Mann erzählt um das Jahr 1900 herum, was sein Vater Harold Latimer im Jahr 1841 in sein Tagebuch schrieb. Sein Vater war Leiter einer Firma von Kirchenrestauratoren, und weil er sich mit den Familiengeschichten und Legenden befasste, war er zwangsläufig sehr belesen. Für einen Viktorianer war es indes ungewöhnlich, dass er sich sogar mit slawischen Sagen und Legenden befasste, aber das sollte Latimer sehr zum Vorteil gereichen, wie der Fall der Vampirin zeigte.

Hagarstone, Sommer 1841

Latimer hat von Reverend Grant aus dem Dorf Hagarstone nahe Bristol den Auftrag erhalten, ein Grabmal in der Kirche um drei Meter nach Süden zu verlegen. Das diene der statischen Stabilität des Bauwerks. Zusammen mit seinem Vorarbeiter wird vom Pfarrer begrüßt, und ein Bautrupp aus örtlichen Arbeitern ist bereits vorhanden. Schon jetzt hat Latimer ein ungutes Gefühl bei dieser Sache, denn es ist heikel, die Ruhe der Toten zu stören. Die Ereignisse geben ihm Recht.

Auf dem Grabstein steht „Sarah Kenyon, gestorben 1630. Möge dieses Grab ungestört bleiben, bis Christus kommt.“ Auf der massive, tonnenschweren Abdeckplatte ist die Figur eines Hundes angebracht. Der Pfarrer erklärt: Die Gräfin hatte nur einen asiatischen Hund zum Gefährten, nachdem man sie der Hexerei geziehen hatte, und schließlich wurde sie ermordet: mit einem Seil um ihren Hals.“ Der Hund soll Kinder geraubt und sie ihr gebracht haben, damit sie sie aussaugen konnte. Somers beschreibt eine Figurengruppe mit dem Hund: Ein Seil liegt um den Hals einer Frau, die offenbar Gräfin Sarah Kenyon darstellen soll. Ihre Eckzähne sind ganz schön lang, findet Latimer. Für ihn ist der Fall insgeheim klar: Lady Sarah war eine Vampirin. Aber der Pfarrer würde ihn auslachen.

Am neunten Juli wird die schwere Abdeckplatte entfernt. Ein übler Gestank erhebt sich aus der Gruft, Somers windet sich vor Ekel. Latimer weist ihn an, in die Grube zu leuchten. Zu seiner Überraschung liegt dort zwar die Leiche der Gräfin kit dem Seil um den Hals, aber sie sieht in keinster Weise verwest aus. Abgemagert natürlich, aber ihre offenen Augen starren den Betrachter an. Seltsam wirkt auch der Teppich, auf dem die Leiche liegt. Von Sarg keine Spur.

In der folgenden Nacht wirkt Latimer von lautem Geheul und Bellen geweckt. Erst jetzt äußert er seinen Verdacht gegenüber dem Pfarrer: „Alle Anzeichen von Vampiren stimmen.“ Kalter Nebel steigt auf und umhüllt die Kirche, ein großer Hund macht sich auf den Weg und kehrt zwei Stunden später zurück.

Erste Opfer

Am nächsten Tag berichtet Rev. Grant, dass ein großer Hund drei Schafe gerissen habe. Latimer denkt, dass dies wohl zu erwarten war. Als sie diesmal die provisorische Abdeckung des geöffneten Grabmals abnehmen, ist Grant entsetzt. Die Lippen der Toten sind blutrot, die Augen leuchten lebendig, und einer der Eckzähne trägt noch Bluttropfen. Als Latimer ein Stück des Mörtels untersucht, stößt er auf geweihte Hostienteile. Als er den Verdacht äußert, der Wolf sei der Vampir in anderer Gestalt, reagiert Grant empört: Das sei blanker Unsinn. Doch Latimer kennt die alten slawischen Legenden von den Blutsaugern. Er prophezeit schlimmste Folgen, sollte der Vampir nicht gestoppt werden. Der Vampir würde durch seinen Biss weitere Vampire erzeugen. Und so immer, bis das ganze Land von Untoten bevölkert sei.

Grant hat erzählt, dass die Männer aus dem Dorf eine Jagd veranstalten würden, um den „großen Hund“ einzufangen. Latimer verlangt von Grant den Oberbefehl über diese Jagd. Grant gewährt dies widerwillig, aber Latimer scheint einen Plan zu haben. Nach einer Nacht, in dem ein „großer Hund“ vier weitere Schafe gerissen hat, wird die provisorische Deckplatte angehoben. Den Männer schlägt der Gestank eines Schlachthauses entgegen. Lady Sarah erscheint nun wunderschön und geradezu lebendig, trotz ihrer blutigen Eckzähne.

Die Lady erscheint

Latimer hat drei Maßnahmen vorbereitet, um den Vampir zu erledigen, jene „arme, verlorene Seele“ will er nun endgültig erlösen: mit einem Holzpflock und Hammer, mit einem Messer, um den Kopf abzuschneiden, mit Knoblauch und mit Rosen. Grant hindert ihn daran, sofort zur Tat zu schreiten, denn das wäre ja Leichenschändung. Ein schwerer Fehler, wie sich zeigt, denn nun erscheint Lady Sarah in ihrer menschlichen Gestalt. Ihre Augen glühen, ihre Eckzähne blitzen. Sie geht noch ein wenig wackelig den Gang hinunter zur Eingangstür, doch diese Tür durchdringt sie problemlos.

Erst als sie zurückkehrt, um in ihr inzwischen verlegtes Grab zu steigen, stößt sie auf ein Hindernis: eine Kette aus Rosenranken. Da entdeckt sie die zwei Männer, die sich in der Kanzel verborgen haben, entdeckt und faucht. Mit sanfter, verführerischer Stimme lockt sie sie aus ihrem Schutzkreis heraus: „Kommt zu mir! Kommt zu mir. Ich biete euch Schlaf und Frieden.“

Mit wachsendem Entsetzen registriert Latimer, dass sein vermeintlicher Kampfgefährte Reverend Grant auf diese Einladung reagiert und sich aus der Deckung wagt. „Schlaf und Frieden, ja“, stammelt er…

Mein Eindruck

Es folgen die bekannten Szenen mit dem Holzpflock, die jeder Dracula-Zuschauer auswendig kennt. Latimer, unser Vampirjäger geht noch ein wenig gründlicher vor: Auch der Kopf muss ab und dass der Knoblauch eine wichtige Rolle spielt, versteht sich von sehr. Aber wo bleibt das Kreuz, fragt sich der Hörer haareraufenderweise: kein Kreuz bezwingt diesen speziellen Vampir. Was eigentlich kein Wunder, wenn doch der Vertreter der Kirche, nämlich Rev. Grant, selbst gründlich in seiner Aufgabe versagt, dieses unheilige Geschöpf dorthin zu schicken, wo es herkommt: aus der Hölle.

Ganz im Gegenteil ist es der Vampir, der den Gottesmann in seinen Mann schlägt und ins Verderben zu führen droht. Das kann nur eines bedeuten: Der Gottesglaube der englischen Protestanten lässt schwer zu wünschen übrig, zumindest im Jahre 1841. Statt dem Bösen Einhalt zu gebieten, lässt Grant dem Wolf freien Lauf und schreckt vor Leichenschändung zurück. Seine Untugenden sind hohes Alter, Müdigkeit, Naivität und Unglaube.

Bei Latimer hingegen finden sich Entschlossenheit und der Glaube, der vom Wissen um den Ursprung des Übels ergänzt und gestärkt wird. Latimer ist ein aufgeklärter Gläubiger und somit der Inbegriff des modernen Vampirjägers. Er hat die Schriften gelesen, kennt die Legenden. Grant erscheint ihm gegenüber als schwer unterbelichtet. Aber der Glaubenskampf um die Seelen der Menschen endet nie, und wer darin nachlässt, hat mich üblen Folgen zu rechnen.

Und Lady Kenyon, die Vampirin? Noch 211 Jahre nach ihrem gewaltsamen Ableben als vermeintliche „Hexe“ klammert sie sich an das Leben, und sobald sie in Wolfsgestalt wieder Blut bekommen hat, kehrt sie ins Leben zurück. Am Schluss begegnet sie als „weiße Lady“ einem kleinen Mädchen und beißt es. Niemand scheint sich deswegen Sorgen zu machen. Eine Pointe wäre gewesen, dass sich der Chronist der Rahmenhandlung, also Latimers Sohn, als Opfer der 1841 entfachten Seuche entpuppt. Das würde zumindest seine niedergeschlagene Müdigkeit 60 Jahre später erklären.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die Hauptrolle des Harry Latimer spricht Helmut Zierl, geboren 1954, spielte nach seiner Ausbildung am Hamburgischen Schauspielstudio Hildburg Frese (1972-1975) zunächst an der Landesbühne Hannover und im Hamburger Thalia-Theater, bevor er auch das Fernsehpublikum zu erobern begann. Inzwischen gehört Helmut Zierl zu den populärsten und vielseitigsten deutschen Fernsehdarstellern. Mit nicht weniger als 300 TV-Produktionen kann er gleichermaßen auf Dramen, Komödien wie Krimis zurückblicken. (Verlagsinfo)

Peter Weis ist als Reverend Grant sein Auftraggeber, Partner im Kampf und schließlich Verräter. Von vornherein ist die zentrale Schwäche des Pfarrers erkennbar: Alter und damit verbundene Müdigkeit. Hinzukommen ein deplatzierter Humanismus – können Vampire als Menschen gelten? – und eine Naivität im Umgang und in der Beseitigung der tödlichen Gefahr. Denn Vampire wie Lady Kenyon bedrohen nicht nur Einzelpersonen, sondern die gesamte menschliche Spezies. Wodurch genau sie ihre Eigenheit weitergeben, wird zwar nicht erklärt, aber dass das Blut ein wichtiger Überträger ist, dürfte wohl klar sein. Warum sonst sollten sie es trinken wollen?

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Klappernde Teetassen, hallende Kirchenräume, eine düstere Gruft , all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Wie sehr habe ich das Käuzchen vermisst! Dafür gibt es jedoch jede Menge Wolfsgeheul.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Am Anfang steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene, begleitet von immer unheimlichen Geräuschen, die die diversen Abdeckungen der Vampirgruft von sich geben.

Den ersten dramatischen Höhepunkt bildet in der Nacht des 9. Juli das Erscheinen des Vampirs: tiefe Bässe werden frenetisch kreischenden Geigen begleitet. Wahnsinn reitet den Nachtwind, und Geheul kündigt Unheil an. Eine graue Gestalt mit leuchtenden Augen sowie ein Wolf mit roten Augen begeben sich auf die Jagd unter den Menschen. Erst zwei Tage später kommt es zum Showdown. Nun erklingen Trompeten und wider Erwarten lockt die Lady verführerisch zu einem kühlen Grab, zu Frieden und ewiger Ruh: Dem Reverend gefällt’s, doch Latimer starrt auf die immer länger gewordenen Reißzähne der Vampirin…

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die titelgebende Gräfin. Diese offenbar im Computer erzeugte Illustration stammt von Osman Askin und unterscheidet sich im Stil deutlich von den Werken Firuz Askins und Ertugul Edirnes, ohne in der Qualität abzufallen.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS und der SHERLOCK HOLMES Reihe bis Sommer 2023 (Folge 187) verzeichnet. Die Vorschau wird online auf der neugestalteten Homepage bestens dargeboten. Die letzte Seite des Booklets zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Ab Herbst 2022/Frühjahr 2023

Folge 176: Das Lächeln des Toten
177: Furia Infernalis
178: Das unheimliche Turmzimmer
179: Der Fall Medhans Lea – Flaxman Low 3
180: Blackwood: Das unbewohnte Haus
181: Das gefährlichste Spiel der Welt (2/23)
182: Sarahs Grabmal (3/23)
183: Eric Stenbock: Die andere Seite (4/23)
184: Das Haar der Sklavin (5/23)
185: Lovecraft: Die Musik des Erich Zann
186: Der Ghoul
187: Blackwood: Die Weiden

Unterm Strich

Ein Vampirkampf ist stets auch ein Kampf des Glaubens gegen das Böse. Doch während der Vampir ins Leben zurückkehrt und als Untoter seine Fortpflanzung ins Werk setzt, versagt hier der Vertreter des Glaubens auf ganzer Linie, ja, er droht sogar, zum Feind überzulaufen. So beklagenswert ist also der Zustand der Kirche im Jahre des Herrn 1841, scheint uns der Autor Loring zuzurufen.

Wo findet sich noch Hilfe in diesen verlorenen Zeiten? Einzig und allein bei wackeren Fachleuten der Kirchen- und Familiengeschichte, wie sie Harry Latimer vertritt. Als habe er schon Google gekannt, hilft er mit Wissen über die Geschichte der Vampire aus und hat daher eine Vorstellung davon, was zu unternehmen ist. Der Pfarrer scheint nur Gerüchte der übelsten Sorte zu kolportieren, und das mit dem Hexenglauben verbannen wir lieber ins Mittelalter. Wissen tut also Not, und dass sich der Autor dem Funktechnik verschrieben hat, um die Kommunikation zu verbessern, wirkt plausibel.

So lernt der Hörer noch Neues über die Beseitigung von Vampiren, insbesondere von weiblichen. Weg mit dem Kreuz, her mit den Rosenranken. Knoblauch, Messer und Holzpflock dürfen nicht fehlen soll das Werk gelingen. Sehr malerisch wirkt auch der extra gezeichnete Schutzkreis aus Rosenranken, denn wer weiß schon, welchen Dämon solch ein Vampirgesocks herbeizurufen imstande wäre? Beelzebub, Azazel und Mephistopheles sind bestimmt nicht weit. Sie warten sicher nur darauf, wehrlose Menschenseelen zu rauben. Heutzutage würden sie wahrscheinlich Chatbots, Fake News und Alternative Fakten einsetzen.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Die Atmosphäre, die von Stimmen, Sounds und Musik erzeugt wird, ist unheimlich und stellenweise sogar beklemmend. Sehr schön kommen auch die erotischen Untertöne, die mit Lady Kenyons Wiederbelebung verbunden sind, zur Geltung.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen von Helmut Zierl, Peter Weis. Ursula Wüsthof und Glenn Goltz vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: Über 51 Minuten
O-Titel: The Tomb of Sarah, 1900.
ISBN 9783785785287
ISBN-10: 3785785283

www.titania-medien.de

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