Nick Hornby – NippleJesus (Lesung)

Knien und Beten verboten!

Der „NippleJesus“ ist eine Collage aus kleinen nackten Brüsten, die von der Ferne betrachtet ein Kreuzigungsbild darstellen. Für den Museumsaufseher, der für dieses Skandalbild verantwortlich ist, wird das Bild zu seiner persönlichen Passion. Als er jedoch die eigentliche Intention der Künstlerin erfährt, versteht er die Welt nicht mehr … (Verlagsinfo)

Der Autor

Nick Hornby, geboren 1957, lebt mit Frau und Kind in London. Nach seinem Studium in Cambridge war er als Lehrer und Journalist tätig. Seit 1983 arbeitet er als freier Schriftsteller. Er schreibt für die „Sunday Times“, „Time Out“ und das „Times Literary Supplement“. Mit seinen Romanen brachte er seine Leidenschaft für Fußball und Popmusik zum Ausdruck. Auch sein dritter Roman „About a Boy“ (1998) kommt nicht ohne diese Themen aus. Er wurde ebenso verfilmt wie „High Fidelity“. Zuletzt erschien „How to be good“.

Der Sprecher

Christian Baumann, geboren 1967, wurde beim Bayerischen Rundfunk als Sprecher ausgebildet und absolvierte eine Schauspielausbildung beim Schauspiel München. Er wirkte als Sprecher in zahlreichen Hörspielen mit sowie als Kommentator in TV-Dokus. Er ist zudem auf verschiedenen Bühnen, in Kino- und TV-Produktionen zu sehen. Für den Hörverlag hat er bereits mehrere Hörbücher gelesen.

Regie führte Toni Nirschl.

Handlung

Dave, unser freundlicher Ich-Erzähler, ist mit seinen 1,88 Metern Körpergröße und 95 Kilo ein Brocken von einem Kerl. Er hat zwar nix gelernt, aber nach der Army hat man ihn gerne als Türsteher vor Discos und Klubs angeheuert. Seine Frau Lisa verdient die Brötchen in der Familie, um ihn und die Kids zu ernähren.

Heute erzählt er uns von seinem neuesten „Scheißjob“. Nachdem es in der letzten Disco einen „kleinen Zwischenfall“ mit einem Messerstecher gegeben hatte, wechselte Dave das Fach und heuerte bei dieser Kunstgalerie an. Er war der Einzige unter 60. Sie steckten ihn in den „Southern Fried Chicken“-Flügel, wo er auf das Exponat Nummer 46 aufpassen sollte.

Da sitzt und steht er nun vor dem Bild namens „NippleJesus“. Es ist vom Rest der Halle durch einen Vorhang abgeschirmt und vor diesem steht ein Warnschild. Die Aussage von „NippleJesus“, so der Text, könnte in sexueller und religiöser Hinsicht als „kontrovers“ aufgefasst werden. Was auch völlig richtig ist. Die Aussage liegt allerdings im Auge des Betrachters.

Schaut man vom Eingang auf das etwa drei Meter breite Bild, so erblickt man lediglich einen Jesuskopf mit schmerzverzerrtem Gesicht – sehr realistisch, findet Dave. Man muss schon sehr nahe an das Bild herantreten, um herauszufinden, dass der Kopf aus lauter kleinen Quadraten zusammengesetzt ist, auf dem weibliche Brüste und Nippel zu sehen sind. Diese stammen offensichtlich – Dave kennt Härteres aus der Army – aus pornografischen Magazinen. Vermutlich fällt auch der „Playboy“ in diese Kategorie.

Schon jetzt hasst Dave den Künstler. Zu seiner Verwunderung handelt es sich um eine Frau: Martha Marshall. Bei der Vernissage bleibt alles ruhig, und Dave fragt sich, warum sich keiner der blasierten Besucher über das Bild aufregt und was er hier eigentlich soll. Martha kommt ihm jetzt übrigens sympathisch vor, eine junge Frau um die 30, sehr adrett und freundlich. Lisa daheim ist angewidert.

Die Lage ändert sich am ersten Ausstellungstag. Die Zeitungen berichten, wie schrecklich anstößig doch das Bild sei und dass man Martha wegen Pornografie verklagen wolle. Vor der Galerie finden sich Demonstranten und die unvermeidlichen Reporter ein.

Jetzt findet Dave die Besucher in der abgeteilten Ausstellungsnische bigott. Zum Beispiel dieser komische Spinner, den er gleich beim Reinkommen richtig eingeschätzt hat, wegen der vielen Buttons. Fällt der doch glatt auf die Knie, um zu beten! Nicht für Jesus, sondern für ihn, Dave! Für sein Seelenheil! Na, vielen Dank auch. Dave sagt ihm klipp und klar, hier sei Beten und Knien nicht erlaubt, also raus!

Als nächster taucht ein Pfarrer auf. Dave hält ihn auf, wohl besorgt um des Pfarrers Seelenheil, jedenfalls argumentiert er pro Martha Marshall. Der Pfarrer schaut trotzdem genau hin. Ein geiler Bock?

Zu guter Letzt die Krönung: eine bigotte, konservative Politikerin auf Stimmenfang, mit dem Lokalreporter der BBC im Schlepptau. Dave hält dagegen, doch was ihn etwas enttäuscht, ist der Umstand, dass Martha Marshall nicht ihr Bild verteidigt, sondern ihre Freiheit, es hier auszustellen. Das hätte ihm zu denken geben sollen.

Als der Spinner zurückkommt und versucht, ein Ei auf das Bild zu werfen, stoppt ihn Dave und wirft ihn zum Eingang der Galerie raus. Doch als er zurückkehrt, merkt er, dass er auf ein plumpes Ablenkungsmanöver hereingefallen ist … Merkwürdig nur, dass Martha Marshall immer noch strahlt: „Einfach perfekt!“ Hat die sie noch alle?, fragt sich Dave. Er gerät ins Grübeln.

Mein Eindruck

„Was ist Kunst?“ Das scheint die Kardinalfrage dieser Kurzgeschichte aus dem Band „Speaking with the Angel“ zu sein. Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt, wenn man Dave so zuhört: „Was will, was soll Kunst?“ müsste die Frage wohl richtiger lauten.

Lustigerweise wird diese Frage nicht von einem Kunstkenner, sondern von einem wahren Banausen gestellt, der mit Kunst eigentlich nie etwas am Hut hatte, sondern vielmehr ein einfacher Mann von der Straße ist. Dave, der bullige Kerl mit den Tattoos und der Glatze. Sein „common sense“ umschleicht die Antwort auf diese Frage(n) auf eine schräge und fast schon satirische Art und Weise.

Viel interessanter als seine positive Reaktion auf das Bild ist seine Reaktion auf dessen Urheberin und auf die Besucher und Betrachter. Das Bild steht nie allein und für sich, sondern ist erstens abgeschirmt gegenüber Minderjährigen und zweitens soll ein Schild den unbedarften Besucher (den dümmsten anzunehmenden User, kurz DAU) warnen.

Dadurch lassen sich aber Besucher mit handfestem Interesse nicht abhalten, im Gegenteil: So was zieht sie an wie Motten das Licht. Sei es der Spinner, der Pfarrer oder die Politikerin. Sie alle reagieren auf den Rahmen ebenso wie auf Dave und instrumentalisieren die Situation. Das Bild, stellt Dave erstaunt fest, ist zweitrangig. Eigentlich sollte es ihn daher am Schluss nicht wundern, wenn er feststellen muss, dass er selbst auch nur als Teil dieses Rahmens benutzt worden ist. Und dass das eigentliche Kunstwerk etwas ganz anderes ist.

Der Autor hat diese Story über eine Kunstkontroverse in einer Zeit geschrieben, in der London immer heißer diskutierte Kunstwerke hervorgebracht hat. Einige dieser Werke sind ca. 2004 verbrannt worden, was bezeichnenderweise mehr Schlagzeilen gemacht hat als die Darstellungen selbst. Daves innerer Monolog ist deshalb so erfrischend und führt zu ironischen Effekten, weil er sich jenseits des gebildeten Diskurses in den Reihen der Künstler, ihrer Verwerter und der Medien befindet. Er hat quasi einen unverstellten Blick. Er ist unverdächtig, ein Parteigänger zu sein. Entsprechend redet er frei nach Schnauze.

Am besten ist natürlich die Szene, als der Spinner für Daves Seelenheil betet und dieser sich schnellstens eine Vorschrift einfallen lassen muss, um dieses unschickliche Betragen zu beenden: Knien ist nicht gestattet. Beten ist untersagt. Und das vor einem Bild Christi. Es ist eine herrlich schräge Szene, und der Autor hat sie in die passenden Worte gefasst.

Dass die Story kein Happy-end haben darf, ist eh klar – das gehört zu den Neunzigerjahren dazu. Dieser Schluss macht aber auch klar, wie sich ein Küntsler verkalkulieren kann, selbst wenn er meint, sein Ziel erreicht zu haben. Und es wird – endlich – auch klar, was Kunst nicht darf: Menschen wie Dave, die in Diensten der Galeristen stehen, dürfen nicht missbraucht werden. Auch nicht im Namen der Kunst. Denn sonst ist der Künstler keinen Deut besser als die Vertreter der Gesellschaft, die er provozieren will, und die die Kunst nur für ihre eigenen Zwecke benutzen.

Der Sprecher

Christian Baumann muss einen Mann oder vielmehr dessen Gedanken und Worte darstellen, die sich mit Religion oder Kunst bislang wenig beschäftigt haben. Folglich ist die Ausdrucksform diejenige, die Dave für die Gespräche am Tresen oder am Küchentisch verwenden würde: einfach, etwas schnoddrig, aber nicht zynisch, und immer geradeheraus. Wir können diesem Dave vertrauen. Anders als die Künstlerin will er uns nicht aufs Kreuz legen. Und anders als das Bild ist er zuweilen richtig lustig, dieser Brocken von einem Kerl (Beten verboten!).

Wie leicht könnte Dave aber auch herablassend wirken. Als habe er schon alles gesehen und getan. Baumann gelingt es, Dave authentisch zu vermitteln, so dass wir seinem Blick vertrauen können. Das geschieht am ehesten durch die Sprache und das Reden, das Dave zum Glück nicht schwer fällt. Hier redet keine Figur von Irvine Welsh, die in der Gosse von Glasgow aufgewachsen ist, sondern ein Typ, der Menschen taxieren kann. Wie sonst wäre er Türsteher geworden? Daves scharfer Blick ist mindestens ebenso wichtig wie seine ehrliche und genaue Ausdrucksweise.

Unterm Strich

Kunstkritik vom Mann auf der Straße, das kann durchaus erheiternd sein und muss nicht in eine Diskussion über die „Verschwendung von Steuergeldern“ ausarten. Der Museumsaufseher, der sich auf die Seite der Kunst bzw. des Künstlers schlägt, muss damit rechnen, ebenfalls zu ihrem Opfer zu werden. Moral von der Geschicht: Nicht die Kunst ist wichtig, sondern das, was damit angerichtet werden soll – und das sind bekanntlich zwei paar Stiefel.

Christian Baumann trägt Hornbys schräge und humorvolle Story, die zuweilen satirische Züge trägt, authentisch und dynamisch vor, ohne den Ernst der Sache zu verharmlosen. Da kommt ganz bestimmt keine Langeweile auf. Man sollte Daves Geschichte verfilmen. Baumann übernimmt dann die Synchronisation.

47 Minuten auf 1 CD
Übersetzt aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Der Hörverlag