Francis Marion Crawford – Das Lächeln des Toten (Gruselkabinett Folge 176)

Teuflisches Spiel mit der Liebe

England, 1911: Auf dem Totenbett verwehrt der alte Sir Hugh Ockram seinem Sohn Gabriel und seiner Nichte Evelyn den Segen für ihre Heiratsabsichten, verweigert aber mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen die Begründung. Gabriel befürchtet eine alte Erblast auf der Familie, die mit merkwürdigen Bestattungsriten und grinsenden Totenschädeln einhergeht. Eines Nachts schwebt eine blasse, seltsam lächelnde Frau vor dem Fenster, die Evelyn zum Verwechseln ähnlich sieht … (Verlagsinfo)

Der Autor

Der amerikanische Autor Francis Marion Crawford wurde 1854 in Italien geboren, lebte die meiste Zeit dort und starb im Jahr 1909. Obwohl er meist Romane über die Gesellschaft auf dem alten Kontinent schrieb, erinnert man sich seiner vor allem wegen der Erzählung „Die obere Koje“ (The Upper Berth) aus dem Jahr 1886. Es handelt sich nach Angaben der „Encyclopedia of Fantasy“ um eine der am häufigsten nachgedruckten Geistergeschichten überhaupt.

Insgesamt schrieb Crawford sieben Stories über das Übernatürliche, die in den „Uncanny Tales“ 1911 in Großbritannien zusammengefasst veröffentlicht wurden. Darunter sind erwähnenswert „Man Overboard“ (1903), „The Upper Berth“ („Die obere Koje“, Folge 34 im Gruselkabinett), „Der schreiende Schädel“ (Folge 64) und die Vampirerzählung „For the blood is the life“ (1905).

Unter den Romanen sind „Mr Isaacs“ (1882), „The Witch of Prague“ (1891) und „With the Immortals“ (1888) zu erwähnen. „Khaled“ (1891) ist eine Arabische Phantasie und „Cecilia: A Story of Modern Rome“ (1902), eine leichte Romanze über Traumerfüllung und die mögliche Reinkarnation.

Zahlreiche seiner Werke wie Mr. Isaacs, The White Sister, In the Palace of the King und Whosoever Shall Offend wurden laut Wikipedia auch für das Kino verfilmt.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Gabriel Ockram: Matthias Lühn
Sir Hugh Ockram: Herbert Tennigkeit
Evelyn Warburton: Fabienne Hesse
Mrs. Macdonald: Beate Gerlach
Kammermädchen: Sigrid Burkholder
Krankenschwester: Janina Sachau
Miller, ein Pächter: Bodo Primus
Diener: Marc Gruppe

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden im Titania Medien Studio, bei adventunes und in den Planet Earth Studios statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Im August 1899 (!) macht sich Gabriel, der Ich-Erzähler, Sorgen um die Gesundheit seines Vaters Hugh Ockram. Der gelblichen Gesichtsfarbe nach zu urteilen, liegt Sir Hugh im Sterben. Gabriel beeilt sich daher, von seinem Vater die Erlaubnis einzuholen, seine Cousine Evelyn Warburton heiraten zu dürfen. Sir Hugh lächelt, obwohl er bekanntermaßen für die Menschheit nur Verachtung übrighat. Seine Haushälterin Mrs Macdonald weiß Bescheid, und Sir Hugh bestätigt es: Er habe schon zwei Frauen ins Fegefeuer geschickt, und zwei würden noch folgen.

Sir Hugh erteilt den Bescheid, er werde die Einwilligung gewähren, aber erst nach seinem Tod. Auch dies sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen. Evelyn ist außer sich: Was soll das denn schon wieder bedeuten?! Worin besteht Sir Hughs Geheimnis, das er hinter seinem Lächeln verbirgt?

Die Ockrams blicken auf eine alte, ziemlich schräge Familientradition zurück. Seit König James II Sir Vernon Ockram köpfen ließ, der Kopf aber weiterlächelte, müssen alle Ockrams auf Geheiß des Königs ohne Sarg bestattet werden. Dieses Schicksal steht auch Sir Hugh und Gabriel bevor. Seit 30 Jahren wurde niemand mehr in der Gruft bestattet; dies könnte das Geheimnis des Alten sein.

Vielleicht weiß die hundertjährige Mrs Macdonald mehr, fragt Evelyn. Sie gehen zu ihr hinauf in ein entlegenes Turmzimmer, wo sie nur ihr irisches Kammermädchen um sich hat. Die Kardinalfrage lautet: Wer war Evelyns wahrer Vater? Das ist das entscheidende Geheimnis. Offiziell ist bekannt, dass Evelyns Vater in Afghanistan ums Leben kam. Die Geister der Frauen, die Sir Hugh zum Opfer fielen, erscheinen und schreien wie eine irische Todesfee. Daraufhin begibt sich Mrs. Macdonald ans Sterbebett des Alten und verlangt Auskunft. Doch Sir Hugh lacht nur und stirbt.

Nachdem Dienstboten den Toten gewaschen haben, wird er am nächsten Morgen in die Familiengruft getragen. Da liegt das Gerippe mit dem Kopf Sir Vernons immer noch im offenen Sarg. Die Helfer sind bestürzt. Sir Hugh wird ähnlich beigesetzt, aber ungeköpft.

Das Trauerjahr

Gabriel und Evelyn müssen das Trauerjahr abwarten, bevor sie heiraten dürfen. Bis dahin wollen sie einander „gute Kameraden“, denn vorehelicher Sex kommt ebensowenig infrage wie unehelicher Nachwuchs. Der Herbst geht in den Winter über, und an Neujahr geben die beiden das traditionelle Essen für die Pächter. Als alle ihr Glas auf die künftige Lady Ockram erheben wollen, ertönt ein lauter Schrei, aber nicht aus der Menge, sondern vonseiten der Geister. Die Pächter flüchten in Panik.

Evelyn geht erneut zu Mrs. Macdonald, die etwas ahnt: Gabriel und Evelyn sollen mit ihren Seelen für Sir Hughs Verbrechen an zwei Frauen bezahlen: „Ihr sollt bald zusammen sterben!“ Diese finstere Prophezeiung macht Evelyn krank. Als die Uhr Mitternacht schlägt, ruft eine Geisterstimme Gabriel in die Gruft. Er geht zur Kapelle, gefolgt von der neugierigen Evelyn.

Da liegt Sir Hugh in seinem deckellosen Sarg und grinst wie eh und je. Doch diesmal hält er ein Pergament hoch, in dem Gabriel zu lesen beginnt. In der Tat: Hier steht die Wahrheit über Evelyns Vater, und diese Information ist ein echter Schocker…

Mein Eindruck

Der in Gruselgeschichten beschlagene Hörer sieht es natürlich schon meilenweit kommen, worauf dies alles hinausläuft. Schon seit den Anfängen der Gothic Romance in den 1760er Jahren verfangen sich nichtsahnende Erben und Liebespaare in den Fallstricken des Familiennetzes. Wissenslücken werden regelmäßig zum Verhängnis. Da erscheinen Zwillingsbrüder als Doppelgänger und werden zu Todfeinden, da werden vermeintliche entfernte zu engen Verwandten und umgekehrt. So geht es auch hier. Ich verrate keine großes Geheimnis, wenn ich Sir Hugh – ohne Grinsen – zitieren, dass er die beiden Verlobten nur zu gerne in die Hölle schicken würde: in den Tabubruch des Inzests.

Es ist erstaunlich, wie stark die Hölle ständig herbeizitiert wird. Schließlich spielt das Stück ja im protestantischen England und zudem nachdem Gott für tot erklärt worden ist. Aber der Autor war zum Katholizimus konvertiert. Dieses höllische Detail und viel weitere Frevel erwecken den Eindruck, „gewollt“ zu sein, um den Hörer unbedingt ins Bockshorn zu jagen. Dabei wird an keiner Stelle der Grund erklärt, aus dem Sir Hugh selbst solch ein Frauenhasser ist. So wird er als ein misogyner Popanz aufgebaut, den man eigentlich nur hassen kann.

Die Rachegeister

Diese Hassenden sind mehr oder weniger allgegenwärtig. Da ist die alte Mrs. Macdonald und ihre verstorbenen Zeitgenossinnen, die mittlerweile nur noch als Rachegeister am Fenster etc. auftauchen können: die ehemalige Lady Ockram und ihre Schwester Gladys Warburton, mit der Sir Hugh sie seinerzeit betrog. Gladys gebar Evelyn, die Halbschwester von Gabriel Ockram. Sir Hughs zweits Verbrechen besteht darin, dass er die Halbgeschwister nicht etwa auseinander-, sondern zusammentrieb, so dass sie sich ineinander verlieben würden. Anscheinend soll Verbrechen und Schande eine Art Familientradition bilden.

Die Heirat soll die Mütter noch weiter quälen – aus welchem Grund auch immer er die beiden hasste. Und er verlässt sich darauf, dass die Halbgeschwister ihre Verwandtschaft niemals öffentlich bekannt geben würden – eine Erwartung, die sich erfüllen soll. Doch in einem Punkt hat sich der Bösewicht geirrt – und weil dies seinen Fluch bricht, verschwindet sein Lächeln… Wie das Pergament in die Hand eines Toten gelangt ist, wird ebensowenig erklärt.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die Rolle des melancholischen Gabriel Ockram spricht Matthias Lühn kompetent wie immer. Melancholisch – ja weil Gabriel weiß, wohin bei seinem Ableben sein Körper gebracht werden wird; und dass kein Sargdeckel ihn verdecken wird: Familientradition. Sir Hugh Ockram wird recht gehässig von Herbert Tennigkeit dargestellt; stets spöttisch und heiser lachend. Die Rolle der lieblichen Evelyn Warburton spricht Fabienne Hesse voll Sympathie und Courage. Sie kann ja auch nichts für den Fluch, der auf der Familie Ockram liegt.

Diejenige, die Bescheid wissen müsste, ist indes Mrs. Macdonald, gesprochen von Beate Gerlach. Sonderbar, dass sie zwar ständig Stimmen und Schreie vernimmt, aber nicht versteht, was diese sagen. Auch ihr irisches Kammermädchen, gesprochen von Sigrid Burkholder, ist diesbezüglich wenig hilfreich: Sie weiß nur, wie eine Todesfee schreien würde – und das bedeutet Unheil.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Sehr schön fand ich die quietschenden und knarrenden Türen, hinter denen schreckliche Geheimnisse lauern.

Stimmen und Schreie sind so verfremdet, dass sie ein Mittelding aus Dialog und Geräusch annehmen. Diese Ebene sollte der Hörer nicht vernachlässigen. Die Schreie sind keine Dekoration, sondern verlangen einerseits nach Rache für an Frauen begangenes Unrecht, zum anderen verkünden sie kommendes Unheil. Bezeichnend dafür ist der Toast, den die Pächter auf die „künftige Lady Ockram“ ausbringen wollen, der aber abrupt von einem „Hexenschrei“ unterbrochen wird. Krähenschreie und Katzenfauchen ergänzen die düstere Atmosphäre.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung dezent von Szene zu Szene. Die Musik wechselt vom Glockenspiel, das die Sekunden abzählt, über tiefe, dissonante Streicher, die Unheil ankündigen, bis zu einem ersten dramatisch-düsteren Requiem, in dem Chöre zu hören sind.

Doch schon auf der Pächterfeier gipfelt die Dramatik des Themas in einer ersten Drama-Sequenz. Der unheimliche Klangteppich erstreckt sich weiter bis zum Finale, in dem der schreckliche Plan Sir Hughs enthüllt wird. Erst ganz am Schluss mündet die klassisch instrumentierte Musik 8deren Komponist nirgendwo angegeben ist) in eine feierliche Majestät stabiler Ruhe.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der Sir Hugh Ockram sein berühmtes Lächeln zeigt. Dass es sich um den toten Sir Hugh handeln muss, belegen die Augen: Die Iris ist verschwunden, denn die Augen sind mit einer milchigen Kruste überzogen. Außerdem hält seine linke Hand ein Kruzifix. Der Künstler hat die Sarg-Szene durch einen Trick erhellt: Der Sonnenstrahl, der durch die sich öffnende Tür einfällt, erhellt das gesicht des Toten.

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst 2021 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst/Winter 2021/22 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

174: HPL: Der Bluthund
175: H.H. Ewers & Leonard Langheinrich-Anthos: Der Student von Prag
176: Francis Marion Crawford: Das Lächeln des Toten
177: Ludwig Bechstein: Furia Infernalis
178: E.F. Benson: Das unheimliche Turmzimmer
179: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Medhans Lea

Unterm Strich

Der Autor Crawford hat die ganze Geschichte so hingedreht, dass das große Geheimnis zwischen Gabriel Ockram und Evelyn Warburton zwar schon meilenweit vorher absehbar ist, er aber keinen Grund für Sir Hugh Ockrams teuflisches Handeln angeben muss. Offenbar eifert er seinem vor 300 Jahren verblichenen Vorfahren Sir Vernon nach, der sich mit Seiner Majestät Jakob II. persönlich anlegte und dafür geköpft wurde. Warum er es aber so auf Frauen abgesehen hat, wird uns – vielleicht wegen der Kürzungen – vorenthalten. Das ist wirklich schade und zwingt den Hörer, seine Sympathien ganz an das Liebespaar zu knüpfen, dessen Glück doch offenbar in Gefahr sein muss.

Dass die Rachegeister der betrogenen Frauen Sir Hughs immer noch eine Verbindung zwischen Gabriel und Evelyn verhindern wollen, ist verständlich: Es soll nicht noch mehr Schande die Familienehre beflecken. Vor diesem Hintergrund wirkt aber unverständlich, dass die Haushälterin Mrs Macdonald von Sir Hughs Machenschaften rein gar nichts gewusst haben soll bzw. will. Sie will das Geheimnis von Sir Hugh erfragen, obwohl sie es doch schon seit geraumer Zeit hätte wissen können. Es kommt der Eindruck auf, dass der Autor uns an der Nase herumführt.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Insbesondere die Auftritte der Rachegeister sind detailgenau inszeniert. Offenbar ist die Vorgeschichte der Handlung noch sehr lebendig, und die Toten sind keineswegs Geschichte, sondern Akteure.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Die Musik steuert wie immer die Emotionen, indem sie Stimmungen zwischen Anspannung, unheilvoller Vorahnung und Dramatik erzeugt.

CD: über 57 Minuten.
Originaltitel: The Dead Smile, 1899.
Aus dem Englischen von unbekannt.
ISBN-13: 9783785783863

www.titania-medien.de

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