Gößling, Andreas – Faust der Magier

Der kleine Georg Johannes Faust sieht mit seinen blauen Augen und dem blonden Haar zwar aus wie ein Engel, doch um seine Empfängnis rankt sich ein düsteres Geheimnis. Der rohe Küfer, unter dessen Dach er lebt, hält ihn und seine Mutter wie Gefangene, und die Übrigen in Haus und Werkstatt beschimpfen ihn als Teufelsbrut! Gleichzeitig jedoch findet der aufgeweckte Bub heraus, dass der Abt des nahen Klosters Maulbronn offenbar schützend die Hand über ihn hält. Das gibt dem Jungen eine Menge Rätsel auf, die zu lösen er fest entschlossen ist. Doch erst mit fast dreizehn Jahren erfährt er im Kloster Maulbronn die Wahrheit über seine Herkunft.

Um seine Mutter zu schützen und seine Seele zu retten, verspricht er dem Abt Johannes Burrus zu Maulbronn sowie dem Abt Paulus Nigrethius aus Spornstein, ihnen in allem zu gehorchen, was sie von ihm verlangen. Zunächst ist er begeistert von all den Büchern, die er nun studieren darf. Allmählich jedoch erkennt er, dass er sich damit in Teufels Küche gebracht hat – im wahrsten Sinne des Wortes!

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste umfasst Fausts Kinder- und Jugendjahre. Der zweite beginnt bei Fausts erstem Zusammentreffen mit seiner späteren Geliebten Adele, der dritte an dem Punkt, an dem Faust anfängt, im Land umherzureisen.

Gößlings Protagonist ist ein außergewöhnlicher Mensch. Bereits als Kind zeigt sich seine Fähigkeit, Menschen nach seinem Willen zu beeinflussen. Die Macht, die in dem Jungen schlummert, wird von ihm zwar wahrgenommen, aber zunächst nicht verstanden. Am deutlichsten zeigt sie sich, wenn der Junge seine selbstgebastelten Marionetten tanzen lässt. In großer Bedrängnis, vor allem dann, wenn er versucht, seine Mutter oder auch seinen Hund zu schützen, greift er mehr oder weniger bewusst auf das kalte Feuer zurück, das seinen Augen einen so bedrohlichen Ausdruck verleiht, dass alle um ihn herum kuschen.

Mit zunehmendem Alter wird ihm allerdings bewusst, dass er nicht nur gegen seine feindliche Umwelt zu kämpfen hat. Das kalte Feuer in ihm bemächtigt sich seiner Lenden, und der junge Mann ist machtlos dagegen. Wenn er bei seiner Geliebten Adele liegt, stellen sich wüste Visionen ein, die sich später als wahr herausstellen. Faust ist gefangen in Irrungen und Wirrungen von Wähnen und Wollen. Wie eine in einem Netz gefangene Wildkatze kämpft er gegen die Verstrickungen an, die ihn gefangen halten, bis er nach langem Kampf endlich die Oberhand über sein Selbst zurückgewinnt.

Doch der Kampf gegen den Rest der Welt ist damit nicht beendet. Obwohl sich sein Ruf als Magier und Wunderheiler bereits im ganzen Land verbreitet hat und die Menschen ihm nur so zuströmen, ist er in keiner Stadt gern gesehen. Die ortsansässigen Ärzte fürchten um ihre Kundschaft, die Obrigkeit fürchtet die Folgen seines Puppenspiels. Immer wieder wird Faust der Stadttore verwiesen, muss Bußgelder zahlen. Und auch die beiden Äbte Burrus und Nigrethius lassen nicht locker …

Burrus und Nigrethius haben jeweils ein äußerst teures Steckenpferd. Der Abt von Maulbronn hat sich in den Kopf gesetzt, das gesamte Kloster neu zu errichten, und zwar im neuen gotischen Stil. So leicht und luftig wie Schneeflocken sollen seine Gebäude wirken, und sein Baumeister hat alle Mühe, ihn auf den Boden der Statik zurückzuholen. Abgesehen davon jedoch kosten all diese Neubauten Unsummen, die das Kloster eigentlich nicht aufbringen kann. So versucht der Abt, Geld beim Fürsten der Kurpfalz locker zu machen, was allerdings einen Preis hat, der dem Herzog von Württemberg überhaupt nicht gefällt. Aus den Bauern und Leibeigenen des Klosters ist kaum mehr herauszupressen. Also muss das Gold anderweitig beschafft werden …

Der Abt aus Spornstein dagegen hat ein Faible für teure Bücher. Aber Gold ist nicht der eigentliche Grund, warum er sich mit Johannes Burrus zusammengetan hat. Nigrethius will Ansehen und vor allem Macht. Um ihretwillen schreibt er Bücher über nicht existente Kirchenväter, fälscht Urkunden, und um ihretwillen hat er auch den Faust ausgebildet. Er soll ihm Satan persönlich dienstbar machen! Natürlich alles nur zum höheren Ruhme der Kirche. Und wie praktisch, dass man damit seine eigene Seele nicht im Geringsten in Gefahr bringt. Denn es ist ja der Faust, der den Teufel beschwören und ihm seine Seele verkaufen wird!

Obwohl Burrus und Nigrethius neben Faust eine wichtige Rolle spielen, liegt der Schwerpunkt massiv bei Faust. Nach eigener Aussage ging es dem Autor Andreas Gößling darum, in seinem Buch den „Faust als mögliche historische Gestalt lebendig werden zu lassen“. Das ist ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen. Die Figur des Faust ist sehr intensiv geschildert, nachvollziehbar und glaubwürdig. Natürlich ist es fraglich, ob der Faust seine außergewöhnlichen Gaben – wie zum Beispiel die Fähigkeit, durch Handauflegung Krankheiten zu erkennen – tatsächlich daher hatte, dass ein Dämon ihn gezeugt hat. Andererseits sind die historischen Quellen zu dieser Person ohnehin äußerst spärlich, und für den Roman ergab diese Vorgabe eine gute Grundlage.

Die Handlung selbst beschränkt sich auf einen relativ engen Rahmen. Fast alles spielt sich in Maulbronn oder Knittling ab. Die Ereignisse auf Fausts Reisen, von denen es im Grunde nur eine kurze und zwei längere gibt, sind relativ knapp gehalten. Und auch die diversen Angriffe auf Faust im Haus des Küfers oder die Hexenverbrennungen in Speyer werden mit relativ wenig Details erzählt. Immer liegt das Hauptaugenmerk darauf, wie Faust mit all diesen Erlebnissen und Erfahrungen umgeht. Darauf geht der Autor umso genauer ein und lässt sich dabei viel Zeit. So viel Zeit, dass es gelegentlich doch zu Längen geführt hat.

Das mag auch daran liegen, dass Gößling sein Buch mit einem Prolog über eine durchaus verzwickte Situation beginnt, die zu einer recht späten Zeit in Fausts Leben gehört. Die ganze Zeit über will der Leser wissen, wie sich diese Situation auflösen wird, muss damit aber bis zum Epilog warten. Das wurde dann irgendwann doch zu einer gewissen Geduldsprobe.

Die Tatsache, dass es in dem Buch massiv um schwarze Kunst geht, führt natürlich auch zu einigem Kopfschütteln. Die damaligen Vorstellungen von Teufelswerken haben einige absonderliche Blüten getrieben, so zum Beispiel die von der weggehexten Mannheit, die als Vögelchen irgendwo in einem Nest hockt. Und auch die Tatsache, dass sogar ein Hund, der das Kind seines Herrn beschützte und durch ein Missverständnis von diesem getötet wurde, als Heiliger verehrt wurde, scheint uns heute ziemlich verrückt, zumal diese Verehrung auf eine Weise erfolgte, die schon wieder hart an der Grenze zur schwarzen Kunst vorbeischrammt.

Was mir mit der Zeit ein wenig auf die Nerven ging, waren die vielen Sexszenen, vor allem in der Zeit, in der Faust verzweifelt versucht, die Herrschaft über seinen eigenen Willen zurückzugewinnen. Zugegebenermaßen waren sie – so wie der Autor seinen Faust und dessen Situation entworfen hat – unvermeidlich. Trotzdem fand ich es irgendwann lästig.

Sprachlich hat mir das Buch sehr gut gefallen. Andreas Gößling schreibt in einem etwas antiquierten Stil, sowohl was Satzbau als auch Vokabular betrifft, ohne dabei gekünstelt oder gezwungen zu wirken. Gewöhnungsbedürftig, aber sehr passend. Das hervorragende Lektorat sorgte dafür, dass der Leser zu keiner Zeit aus diesem ungewöhnlichen Sprachuniversum herausgerissen wird.

Insgesamt fand ich das Buch durchaus sehr interessant. Es wirft einen recht konkreten Blick auf die damalige Chemie, deren erklärtes Ziel die Erlangung des Steins der Weisen war, und streift historische Ereignisse wie die Pest, den Streit zwischen Pfalz und Württemberg und den Unabhängigkeitskampf der Schweizer. Die schwarze Magie verleiht dem Roman einen Hauch von Mystik. Aber vor allem die Darstellung des Faust als Mensch, der sein Leben lang an allen Fronten gegen Hass und Bosheit kämpfen muss, hat mir gut gefallen. Im Hinblick auf diese gelungene Figur und die ungewöhnliche sprachliche Gestaltung seien die gelegentlichen Längen im Handlungsverlauf gern verziehen.

Andreas Gößling ist promovierter Literatur- und Kommunikationswissenschaftler und äußerst bewandert in Mythen und Kulturgeschichte. Außer diversen Sachbüchern in diesem Bereich hat er auch einige Romane geschrieben, die nicht nur in unseren Breiten spielen wie „Faust der Magier“ oder „Der Alchimist von Krumau“, sondern auch in Südamerika, wie „Die Mayapriesterin“ oder „Im Tempel des Regengottes“. Auch Kinder- und Jugendbücher stammen aus seiner Feder, darunter „Tzapalil – Im Bann des Jaguars“ oder „Timmy im Finsterwald“.

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http://www.ruetten-und-loening.de

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