Okonnek, Evelyne – Rätsel der Drachen, Das

Evelyne Okonnek ist sicherlich dem einen oder anderen ein Begriff, da sie mit ihrem Roman [„Die Tochter der Schlange“ 2419 2006 den Wolfgang-Hohlbein-Preis gewann. Ein Jahr später legt sie mit dem eigenständigen „Das Rätsel der Drachen“ nach.

Der junge Pachiro ist der einzige Sohn des reichen Kaufmanns Khandir. Sein Vater würde ihn gerne als seinen Nachfolger sehen, doch Pachiro widmet sich lieber der Musik und der Dichterei. Außerdem hat er ein besonderes Verhältnis zu Sylat, der Adoptivtochter seines Vaters. Das schweigsame Mädchen macht sich mit seiner finsteren Art keine Freunde, doch Pachiro akzeptiert und liebt sie so, wie sie ist.

Eines Tages erfährt Pachiro von einem Hausangestellten, dass sich in den Elendsvierteln der Hafenstadt Yannah seit Jahren ein Feuerdämon herumtreibt, der Menschen tötet und Häuser anzündet. Die Tatsache, dass sein Vater einst vom Fürsten eingekerkert wurde, weil man ihn für den Feuerdämonen hielt, bringt Pachiro, der noch ein halbes Kind ist, durcheinander. Er beschließt, diesen Fleck aus der Vergangenheit von Khandir zu tilgen und zieht mit Sylat los, um den Feuerdämonen zu stellen.

Es dauert Jahre, bis sie dem mysteriösen Wesen endlich ein Stück näher kommen. Gleichzeitig offenbart sich, dass der Feuerdämon näher mit Pachiros eigenem Schicksal und dem seiner Familie verbunden ist, als er glaubt …

Evelyne Okonnek hat ein unheimlich dichtes, komplexes Buch verfasst, das vor allem durch seine Vielfalt und Erzähldichte verblüfft. Die Handlung, die sich über mehrere Jahre zieht und aus drei verschiedenen Perspektiven berichtet, ist unglaublich angefüllt mit Details, Nebengeschehen, dem Innenleben der Charaktere und der eigentlichen Handlung. Okonnek gelingt es, diese verschiedenen Dinge zu ordnen und in eine Reihe zu bringen. Man merkt, dass die Autorin weiß, wovon sie redet. Alles ist unglaublich durchdacht und zusammengerafft, so dass es kaum Längen gibt. Einzig in der Mitte des Buchs scheint sich die Geschichte ein wenig zu verlieren, da die Suche nach dem Feuerdämon kurz in den Hintergrund rückt. Außerdem fehlt an einigen Stellen ein stufenförmiger Handlungsaufbau, der die Spannung mit Sicherheit noch gesteigert hätte.

Als sehr geschickt erweist sich die Anordnung der drei Perspektiven, die in jedem Kapitel in einer festgelegten Reihenfolge auftauchen. Den Großteil nimmt Khandirs Familie an, vor allem natürlich der Held Pachiro. Außerdem lässt Okonnek noch einen zwielichtigen Matrosen, der eine Schar von geflohenen Sklaven um sich scharrt, und zwei Personen namens Myzlat und Tych zu Wort kommen. Myzlat und Tych tauchen allerdings nur sehr kurz und nur in Dialogform auf. Sie reden über ein bestimmtes Mädchen, das in Gefahr ist, ohne etwas Genaues zu sagen. Auch der Matrose streut immer wieder Wissen ein, das dem Leser fehlt. Dadurch merkt selbiger, dass etwas im Gange ist, was er nicht überblicken kann. Okonnek spinnt diese spannende Konstellation bis zum Ende durch und wartet dort mit einem überraschenden, magischen Finale auf.

Die Preisträgerin siedelt ihre Geschichte in einer Welt an, die mehr durch ihre Vielfalt und Originalität als durch besonders viel Magie überzeugt. Im Gegenteil stehen mehr die realistischen Charaktere im Vordergrund. Genau wie die Personen, ist auch die Kulisse im Buch unglaublich durchdacht und ausstaffiert. Ohne zu langweilen, schildert Okonnek detailliert Zimmereinrichtungen und Schauplätze in bunten Farben. Sie greift auf einen großen Wortschatz und viel Wissen zurück und schafft es dadurch, wunderbar ausgereifte Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen.

Ähnliches gilt für die Charaktere, die aufgrund des langen Zeitraumes der Geschichte viel Platz haben, um sich zu entwickeln. Ihre wohldurchdachten Vergangenheiten und spezifischen Charakterzüge lassen sie lebendig wirken. An dieser Stelle seien Pachiros drei kleine Schwestern erwähnt, die jede eine sehr eigene Note aufweisen. Beghild zum Beispiel ist ein dickes Kind mit einer Vorliebe für Gebäck und Kochrezepte, die sie in einem Buch sammelt, das voller Marmeladenflecke ist. Durch solche winzigen Details wirkt „Das Rätsel der Drachen“ an einigen Stellen mehr wie einer dieser großen Familienromane als wie ein Fantasybuch, und das ist durchaus nicht negativ gemeint. Die Liebe und Sorgfalt, die die Autorin in die Zeichnung ihrer Charaktere investiert, sorgt nämlich dafür, dass sie unglaublich menschlich wirken.

Mit der gleichen Durchdachtheit, mit der sie Plot, Charaktere und Kulisse des Buches kreiert hat, geht Evelynne Okonnek auch an die schriftliche Umsetzung heran. Ihr Schreibstil ist dicht, flüssig und gefällt durch seine märchenhafte, aber dennoch sehr erwachsene Stimmung. Der Wortschatz ist gehoben, ohne unnötig kompliziert zu sein, und die Satzkonstruktionen sind anspruchsvoll, ohne zu überfordern.

Die gut gesetzten Worte verweben die Geschehnisse mit den wunderbaren Persönlichkeiten und der prallen Fantasywelt von „Das Rätsel der Drachen“. Evelynne Okonnek beweist damit, dass sie würdig ist, in der Hohlbein-Reihe „Meister der Fantasy“ zu erscheinen. Die anspruchsvolle Arbeitsweise der Autorin hebt sie wohltuend von vergleichbaren Schriftkünstlern des Genres „Drachenfantasy“ ab.

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