Crueger, Hardy – Glashaus

„Glashaus“ ist so ein Buch, das man sehr genau und konzentriert verfolgen sollte. Klar, das ist die Voraussetzung für jedes Buch, aber beim aktuellen Werk von Hardy Crueger kann sich schon das kurze Überfliegen einiger Zeilen für den weiteren Verlauf als verheerend herausstellen, denn wirklich jeder Satz enthält hier wichtige Details, mit denen sich das schwer konsumierbare Puzzle schließlich Stück für Stück zusammensetzen lässt – oder eben nicht …

_Story_

In einem Wald wird ein zehnjähriges Mädchen tot aufgefunden. Bei den Ermittlungen forscht das LKA auch im |Glashaus|, einer Fördereinrichtung für Künstler, nach. Doch weder der dort lebende Schriftsteller Markus Holz noch die bildende Künstlerin Chantal Hartmann können der Kripo weiterhelfen. Diese bewohnen erst seit kurzem gemeinsam dieses Haus und sollen dort sechs Monate lang ausharren. Das Kunstprojekt, das von staatlicher Seite gefördert wird, soll für die beiden auch wieder eine Art Eingliederungshilfe sein, denn sie kämpfen seit einiger Zeit mit den Dämonen der Vergangenheit. Chantal hat längere Zeit in der Psychatrie verbracht, um dort einige Todesfälle in ihrer Familie zu verarbeiten. Ihr Zustand ist nach wie vor kritisch, und wäre da nicht ihre Lebensgefährtin Dagmar, die sie händeringend unterstützt, wäre ein Rückfall in alte, enorm depressive Verhaltensmuster kaum zu vermeiden.

Bei Markus sieht die Sache erst einmal anders aus. Nach außen hin versucht er, sich nicht genau in die Karten schauen zu lassen und gibt den freundlichen, bodenständigen Mitmenschen ab. Erst nach und nach stellt sich heraus, dass auch er noch hart mit seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. Statt sich bewusst mit seinen Kindheitstraumata auseinanderzusetzen, wählt er den Weg der Verdrängung. Gerade der Konflikt mit seinem noch lebenden Vater scheint ihn zu belasten, doch nach außen hin will er sich davon zunächst nichts anmerken lassen.

Das Zusammenleben der beiden wird allerdings auch immer konfliktreicher. Chantal begegnet eines Tages einem behinderten Menschen, und dieses für sie erschreckende Ereignis wirft sie völlig aus der Bahn. Als dann auch noch Dagmar verschwindet, droht die Situation zu eskalieren. Halt findet sie nur noch bei der Katze Roland, ihrer Ersatzliebe. Doch diese wird kurze Zeit später ermordet und raubt ihr schließlich den letzten verbliebenen Mut.

Währenddessen entwickelt Markus mehr und mehr schizophrene Züge. Er fühlt sich als Versager und kann diesen Zustand nur noch überbrücken, indem er in der Rolle des „Champs“ einen Gegenpart entwickelt, der die negativen Gedanken für kurze Zeit verdrängen kann. Aber der „Champ“ hat auch seine Schwächen, und mit der Zeit bekommt diese Figur ein immer größeres Eigenleben, das auch viele Erinnerungen an die Vergangenheit Markus‘ nach oben bringt. Und außerdem war da ja noch das tote Mädchen …

_Meine Meinung_

Was Hardy Crueger sich hier in dieser verhältnismäßig kurzen Geschichte ausgedacht hat, ist schon allerhand. Der Autor wirft einen sehr tief gehenden Blick auf zwei Menschen, die zeit ihres Lebens als Aussteiger gelebt haben und im normalen Zustand für die Gesellschaft gar nicht tragbar gewesen wäre. Im „Glashaus“ versuchen sie einen neuen Anfang, um aus der Entfaltung ihrer Talente neuen Lebensmut zu schöpfen. Sie müssen jedoch feststellen, dass sie sich ihrer Vergangenheit nach wie vor stellen müssen und die neue Chance schließlich nicht auf die Schnelle die erhoffte Abkopplung der Dämonen aus dem ‚alten‘ Leben bringt.

Die Art und Weise, wie Crueger die beide Hauptfiguren beschreibt, ist allerdings sehr krass. Markus und Chantal sind nicht nur einfach zwei Menschen mit seelischen Problemen, nein, es sind Menschen, die völlig am Ende sind. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Ansichten und Lebenseinstellungen gibt es zwischen ihnen haufenweise Parallelen, doch auch wenn diese prinzipiell auf der Hand liegen, werden sie uns erst später genauer bewusst. Crueger beschreibt sie nämlich auf eine gänzlich unterschiedliche Weise, so dass man zunächst einmal darauf schaut, wer überhaupt hinter diesen obskuren Figuren steckt, bzw mit welchen Mitteln sie ihre Misere bekämpfen. Die hierbei entstehende, erschreckende Darstellung ist allerdings nicht einfach zu verkraften. Wenn Chantal immer weiter in ihre Depressionen abrutscht, weil sich ihr direktes Umfeld erneut auf tragische Weise verabschiedet hat, oder wenn Markus den „Champ“ mit all seinen Eigenschaften wiederbelebt, geht das unter die Haut und ist gleichzeitig sehr beängstigend. Teilweise fragt man sich da schon, was Crueger geritten hat, eine so derbe und zum Ende hin immer brutaler werdende Geschichte zu erzählen.

Doch eigentlich ist es letztendlich auch vorrangig diese Brutalität, die eine ungeheure Faszination ausübt. Die Brutalität der Charakterisierung zweier unberechenbarer Figuren, die Brutalität der Umstände, die von diesen beiden Menschen Besitz ergreifen, und schließlich eine Brutalität, die ich jetzt hier nicht näher beschreiben möchte – das ist nämlich die Auflösung der Geschichte – die sich auf den letzten Seiten derart heftig entwickelt, dass ich jetzt schon zu behaupten vermag, dass viele Menschen sich damit schwer tun wedren, dieses Buch bis zum Ende zu lesen, weil man manches gegebenenfalls nicht verkraften kann.

Andererseits: Sobald sich die transparente Hülle des Glashauses einmal offenbart hat, will man das Schicksal von Markus und Chantal bis zum Schluss verfolgen, komme was wolle. Meine Intention ist es nur, davor zu warnen, dass die Angelegenheit sehr hart und in der Art der Darstellung auch brutal ist. Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass sich „Glashaus“ als Lektüre voll und ganz gelohnt hat und ich im Nachhinein noch sehr lange über das Buch und den Inhalt nachgedacht habe. Denn mal ehrlich: Wie viele Menschen kämpfen in unserer Gesellschaft ebenfalls gegen solche Dämonen wie Markus und Chantal und finden ihren einzigen Schutz durch die Fassade der Wände, die im Glashaus nicht gegeben sind? Ich will’s gar nicht wissen, doch trotzdem lässt der Gedanke mich nicht los … Nicht nur hierin hat Hardy Crueger also definitiv sein Ziel erreicht und die Gemüter bewegt!

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