Franz, Andreas – Eisige Nähe

Das inzwischen auch privat miteinander verbandelte Ermittlerteam Sören Henning und Lisa Santos hat einen neuen brisanten Fall: Der deutschlandweit bekannte Star-Musikproduzent Peter Bruhns wird ermordet in seiner Villa aufgefunden. Bei ihm ist die Leiche seiner blutjungen Gespielin, beide wurden erschossen. Henning und Santos stehen unter großem Druck, da die Medien den Tod des skandalfreudigen Produzenten ausschlachten.

Wegen seiner zahlreichen Affären gerät zunächst seine junge Frau in Verdacht, aber trotz des Motivs glauben Henning und Santos nicht recht an ihre Schuld. Zu ihrem Ärger bekommen sie ungewöhnlich großen Druck vom Staatsanwalt, der binnen einer Woche den Täter präsentieren möchte. Während Henning und Santos mittlerweile einen Auftragsmörder als Täter vermuten, ergeben sich bei der Obduktion zwei Überraschungen: Vor dem Tod wurde dem ermordeten Paar ein Gift verabreicht, das sie offenbar quälen sollte.

Noch spektakulärer ist aber der Fund von Fremd-DNA, die mit der der berüchtigten „Phantomfrau“ übereinstimmt, die zehn Jahre lang vergeblich gesucht wurde. Gerade wurde bekannt gegeben, dass die DNA nicht von einer Täterin, sondern von bei der Herstellung verunreinigten Wattestäbchen stammte. Wie kommt nun aber diese DNA an die Körper der Toten? Henning und Santos fürchten, dass von obersten Justiz- und Polizeikreisen etwas vertuscht wurde. Derweil geschehen weitere Morde, die auf das Konto des vermuteten Auftragskillers gehen …

_“Über die Toten_ nichts Schlechtes“, heißt es und Andreas Franz starb überraschend Anfang dieses Jahres im Alter von nur 57 Jahren an Herzversagen – ein bisschen Kritik muss dennoch sein, auch wenn „Eisige Nähe“, der dritte Fall des Ermittlerduos Sören Henning und Lisa Santos, durchaus zu seinen besseren Werken gehört. Henning und Santos sind seit mittlerweile knapp vier Jahren auch privat ein Paar, was in Krimis manchmal störend sein kann, nicht aber hier. Liebesgeflüster und Sex gibt es kaum, dafür durchaus öfter Streitgespräche und konstruktive Dialoge. Sören Henning ist der weitaus Ältere der beiden, vernunftgesteuert, oft ein bisschen eigenbrötlerisch und knurrig. Lisa Santos ist dagegen energisch und temperamentvoll, oft von Emotionen gesteuert und spontan. Die beiden ergänzen sich gut, es gibt aber auch genug Reibungspunkte, die ihr Verhältnis sehr realistisch gestalten.

Nachdem in „Todeskreuz“ sich bereits die Wege von Julia Durant und Peter Brandt, den Ermittlern aus den beiden älteren Krimireihen, kreuzten, hat hier Julia Durant einen Kurzauftritt, indem sie die beiden Kollegen durch Infos per Telefon unterstützt, sehr nett für alle, die auch die Bücher um ihre Fälle kennen. Der Leser erfährt zudem früh, wer der Auftragskiller ist, der die Morde ausführt, recht gut gelungen ist auch der Versuch, für seine Taten – ein bisschen Verständnis abzuringen – denn Hans Schmidt ermordet fast ausnahmslos nur Männer, die selbst für zahlreiche Morde und für Kindesmissbrauch verantwortlich sind, ein anderes Mal befreit er osteuropäische junge Frauen, die als Zwangsprostituierte enden sollten. Spannung ist dennoch gegeben, denn wer hinter den jeweiligen Aufträgen steckt und wer vor allem aus dem Umfeld der Ermittler darin verwickelt ist, erfährt man erst zum Schluss.

Besonders reizvoll ist der aktuelle Bezug des Romans auf die Geschichte des Heilbronner Phantoms oder der „Frau ohne Gesicht“, das tatsächlich durch die Medien ging: Zehn Jahre lang fand sich an allen möglichen Tatorten, unter anderem beim Polizistenmord von Heilbronn, die DNA einer unbekannten Frau, die als Schwerkriminelle gesucht wurde. Bis sich 2009 herausstellte, dass in der Fabrik der Wattestäbchen eine Verpackerin einige Stäbchen berührte und unwissentlich dabei ihre DNA hinterließ, die der Spurensicherung fälschlicherweise eine Fremd-DNA an den Tatorten suggerierte. Andreas Franz greift hier die sicherlich gewagte aber literarisch nicht uninteressante Theorie auf, dass die Erklärung der angeblichen Panne eine Lüge für die Öffentlichkeit war und es die kriminelle Phantomfrau doch gibt. Ganz dezent wird aber in einem Satz auf ein weiteres wahres Verbrechen angespielt, das sicher einigen Lesern noch im Gedächtnis sein dürfte: Henning erwähnt den Fall eines wegen Mordes verurteilten geistig Minderbemittelten, der in Oberfranken ein Mädchen ermordet haben soll – obwohl die Leiche des Kindes nie gefunden wurde und es sogar Anzeichen dafür gibt, dass es noch lebt. Auch wenn Henning das Mädchen „Mandy“ nennt, liegt die Parallele zum Fall „Peggy Knobloch“ auf der Hand und es ist interessant, dass hier durch Hennings Aussage die Theorie, die nicht wenige Einwohner des betroffenen Ortes inklusive des Vaters des Mädchens vertreten, gestützt wird, dass hier tatsächlich ein Unschuldiger als Bauernopfer verurteilt wurde.

Andreas Franz war bekannt für seine akribischen Recherchen und guten Kontakte zum Polizeiapparat, die ihn dafür prädestinierten, Insiderwissen einfließen zu lassen. Da ist es umso brisanter, dass in seinen Büchern wie auch hier, immer wieder zum Thema wird, wie viele schwarze Schafe es in leitenden Kreisen bei Politik, Wirtschaft, Justiz und Polizei gibt. Santos und Henning wissen bald kaum noch, wem sie trauen können, die befreundeten Rechtsmediziner erhalten Anweisungen, die DNA-Spur zu vertuschen, ein Unschuldiger wird von Polizisten erschossen und vom Staatsanwalt als Mörder präsentiert. Es geht allerdings noch weiter, Santos und Henning erhalten detaillierte Auskünfte über Menschen- und insbesondere Kinderhandel, über engagierte Killer, die im Auftrag des Verfassungsschutzes agieren. Auch wenn dahinter sicherlich ein gewisser Anteil an Wahrheit steckt, wiederholt sich hier ein bisschen zu häufig das Motiv der organisierten Kriminalität, die überall ihre Finger im Spiel hat. Wenn man mehrere Bücher von Andreas Franz gelesen hat, erscheinen ganze Passagen bekannt, nicht nur Sören Henning fühlt ein schmerzliches Déjà-vu, dass sie wieder einmal kaum jemandem trauen können, dass höchste Kreise hinter den Morden stecken. Selbst wenn diese Szenarien der Wirklichkeit entsprechen sollten – man mag es nicht hoffen, aber was weiß man schon -, sind sie für eine Geschichte zu dick aufgetragen und ein bisschen weniger an Verschwörung wäre hier mehr gewesen. Das gilt auch für den Epilog, in dem der Erzähler mit ein bisschen zu viel Pathos und erhobenem Zeigefinger über die Dinge spricht, die sich nach dem eigentlichen Finale noch ereignen.

_Der Autor_ Andreas Franz wurde 1956 in Quedlinburg geboren und starb 2011. Bevor er sich dem Schreiben widmete, arbeitete er unter anderem als Übersetzer, Schlagzeuger, LKW-Fahrer und kaufmännischer Angestellter. 1996 erschien sein erster Roman. Franz lebte mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt, wo die meisten seiner Krimis spielen. Weitere Werke von ihm sind u. a.: „Das Verlies“, „Todeskreuz“, „Tod eins Lehrers“ und „Spiel der Teufel“.

_Als Fazit_ bleibt ein lesenswerter Krimi mit kleinen Schwächen. Der dritte und durch den frühen Tod des Autors leider auch letzte Fall von Lisa Santos und Sören Henning, der durch eine packende, spannende Handlung mit aktueller Brisanz und sympathischen Ermittlern besticht. Störend fällt nur auf, dass es sich zum wiederholten Mal um organisierte Kriminalität und Verschwörungen aus höchsten Kreisen dreht, was man schon zu oft bei Andreas Franz gelesen hat.

|Hardcover: 582 Seiten
Titelillustration von FinePic, Müchen
Titelgestaltung von ZERO Werbeagentur, München
ISBN-13: 978-3426663004|
[www.knaur.de]http://www.knaur.de
[www.andreas-franz.org]http://www.andreas-franz.org

_Andreas Franz bei |Buchwurm.info|:_
[„Teuflische Versprechen“ 1652
[„Unsichtbare Spuren“ 3620
[„Spiel der Teufel“ 4937

Schreibe einen Kommentar