Frey, Alexander Moritz – Spuk des Alltags (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 3)

|Episode 3: Federfeldzug eines Veteranen.|

„Grausame Städte“, Auftakt der phantastischen Bibliothek, wurde vom deutschen Nachwuchs vollbracht und „Das Alptraum-Netzwerk“ von einer amerikanischen Ikone zeitgenössischer Phantastik. Dementsprechend konsequent ist es, dass der Verfasser des dritten Bandes wiederum aus einem völlig anderen literarischen Lager kommt als seine Vorgänger.

Alexander Moritz Frey hat 1881 in München das Licht der Welt erblickt, hat als Sanitätsoffizier im ersten Weltkrieg gedient und eine tiefe Abscheu gegen den Krieg entwickelt, ebenso gegen die Ideologie, die sein Regiments-„Kamerad“ Adolf Hitler zu verbrechen im Begriff war.

Freys Geschichten stehen dem Namenspaten dieser Buchreihe bisher am nächsten: Seine Figuren sind skurril, seine Storys manchmal traumhaft verschwommene Streifzüge („Verhexung“, „Verwandlung“), düsterphilosophische Gesellschaftskritik („Verfolgung“, „Verzweiflung“, „Verwirrung“), oder Tauchfahrten in zerrüttete Seelen („Verwesung“, „Vergeltung“), alles eingebettet in knorrig kraftvolle Sprachgebäude.

|Verzückende Versmalerei.|

Die Richtungen, zwischen denen Freys Geschichten pendeln, sind also skizziert, wollen wir sie einfach einmal genauer betrachten:

„Verhexung“ ist der Blick in den Kopf eines Spaziergängers, der sich überzeugen lässt, eine fremde alte Frau nach Hause zu begleiten. Durch die Augen des Erzählers erlebt der Leser, wie Zeit und Raum während dieses Spazierganges die Bedeutung verlieren. Ein delirierender Sprachtaumel, der mehr als einmal an Poe erinnert.

„Verneinung“ dagegen ist ganz anders: Wilhelm Weifeuer, leidlich erfolgreicher Schauspieler, hat das Zeitliche gesegnet, will das aber so überhaupt nicht einsehen. Warum auch? Er ist ja immerhin in seinem Sarg erwacht. So entsteigt er diesem, befüllt ihn mit Steinen, verschließt ihn wieder und macht sich einen Spaß daraus, auf seiner eigenen Beerdigung aufzutauchen, wo er den scheinheiligen Tränenverguss seiner Hinterbliebenen verhöhnt.
Auch wenn das Finale schwach ist, der Weg dorthin ist eine wunderbare Sammlung makabrer Attacken gegen spießbürgerliche Rituale und scheinheilige Ehrerbietung. Der Humor ist auch jetzt noch deftig, wie muss er aber erst eingeschlagen haben, als „Spuk des Alltags“ 1920 erstveröffentlicht wurde? In den Fingern juckt es mich ja, hier zu zitieren, aber aus dem Zusammenhang gerissen, funktioniert es nicht.

„Verfolgung“ schlägt erneut eine andere Richtung ein: kein berauschender Traumtanz, kein makabres Komödiantenstück, sondern Gedankenkrieg von einem, der eine Leiche unter einem Sandhaufen vergraben hat und über die Natur des Menschen sinnt: „Wo bleibt die Ehrfurcht vor der Schöpfung, wenn man jeden Baum fällen darf, auch den jungen grünen, – und den absterbenden Menschen nicht? Weshalb ihn nicht? Ist Mensch mehr als Baum, so ungeheuer viel mehr? Nein. Aber Mensch hat Angst vor Mensch. Mensch hat nicht Angst vor Baum; deshalb springt er mit dem Baum um, wie´s ihm beliebt.“

„Verwandlung“ besinnt sich auf die Schreibart von „Verhexung“: Ein nahezu übliches Szenario, der Besuch einer Zaubervorstellung, wird zu einem bizarr verschwimmenden Erlebnis.

„Vergeltung“ ist die Geschichte eines Mannes, der sich an das Erbe einer verhassten Tante heranschleichen will, die ihren kompletten Wohlstand zugunsten ihrer Katzen verschleudert. Das Finale ist wiederum etwas schwächer, ja, aber der Weg dorthin ist mit herrlicher Sprache gesäumt: Die Vergleiche, die Bildsprache und sinnlichen Eindrücke sind so intensiv, der Blick in die verruchte Seele des „Protagonisten“ so tief, die Beleuchtung der skurrilen Alten so schillernd, dass das Finale den Lesegenuss kaum schmälern kann. Dazu ist alles von mitreißendem Rhythmus: „Ich konnte diesem Umzugsschauspiel nicht beiwohnen. Ich erinnere mich nur eines fauchenden, krächzenden und miauenden Gewoges hinter Gitterstäben, um die die Alte mit miauendem Geplärr hindurchschlurchte, wobei sie golddurchwirkte Seidendeckchen darüberbreitete, oder sinnlos aus einer Kristallkaraffe Milch im weißen Strahl durch die Stäbe mitten auf die wegprallenden Tiere plätschern ließ …“

„Verzweiflung“ ist die Geschichte eines Mannes, der von den Halluzinationen seines Kriegstraumas gepeinigt wird. Hier hört man Frey selbst heraus, den das sinnlose Töten im Krieg angeekelt hat.

„Verwirrung“ tönt ebenfalls mit gesellschaftskritischer Stimme gegen Grausamkeiten im Namen augenscheinlicher Gerechtigkeit.

In „Verwesung“ klingt „Das verräterische Herz“ von Poe durch: Karl bringt seine Eltern um, es aber nicht über das Herz, die verrottenden Leichen aus der Wohnung zu schaffen. Das ruft natürlich irgendwann die Nachbarn auf den Plan, aber das ist Karls geringste Sorge, denn die toten Eltern beginnen sich zu bewegen … Die Bilder sind drastisch, und man spürt, wie Karl vom Wahnsinn eingesponnen wird. Fesselnd!

„Verstrickung“ geht andere Wege: Wie der Titel schon sagt, unterhalten sich die beiden Hauptfiguren über zwei unabhängige Ereignisse, die immer näher aufeinander zuwachsen, je mehr Facetten sich offen legen … Interessant!

In „Versammlung“ besucht Konrad einen Vortrag, ohne sich zu erinnern, warum er das tut oder was das Thema des Vortrages überhaupt ist. Jedenfalls trifft er ein wahres Ungetüm von einem Mann, der ihn bittet, sich zu ihm zu setzen. Mit Abstand die intensivste Bildsprache, von der sich zeitgenössische Autoren gleich mehrere Scheiben abschneiden könnten. Aber, ich bin ehrlich, der Sinn dieser Geschichte bleibt mir auch nach mehrmaligem Lesen völlig verborgen.

„Vermummung“ ist dann der würdige Abschluss dieses Geschichtenbandes, ist entspannt und leitet Freys kräftige Sprache in humorvolle und herrliche makabre Kanäle: Der Gymnasiast Paul Pulver hat einer Mutprobe zugestimmt: In einer Bibliothek soll er nach einem verborgenen Kamin suchen, in dem angeblich ein vom Schlot geschossener Schornsteinfeger vermodert. Mehr zu verraten, würde die böswitzigen Wendungen der Geschichte offenlegen und den Leser um einen wunderbar verstaubten Spaß bringen.

|Old School einmal anders.|

Man sollte sich schon darauf einlassen, dass Freys Sprache alles andere als modern ist, man muss es verkraften, dass seine Sätze viel Konzentration verlangen, und dass sich „Spuk des Alltags“ keinesfalls zum Lesen im lärmenden Morgenzug eignet. Aber wenn man bereit ist, ein wenig Mühe zu investieren, wenn man jedem dieser Prosa-Happen die Zeit lässt, seinen ungewohnten Geschmack auf dem Lesergaumen zu entfalten, kommt man in den Genuss eines Sprachgelages, dessen Geschmack sich lange nicht herunterspülen lässt. Sicher, manches ist zu dick aufgetragen – überwürzt, könnte man sagen – und nicht jede Geschichte überzeugt auf ganzer Linie, aber dieser Sammelband ist so erfrischend weit entfernt vom Mainstream, dass der Phantastik-Freund einfach nicht daran vorbeikommt. Der BLITZ-Verlag hat auch hier mit geschmackssicherer Nase ein Werk erschnüffelt, das mit dieser Neuauflage vor einem Schicksal unverdienter Vergessenheit bewahrt wurde. Vielen Dank dafür!

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