Greiner, Bernd – Krieg ohne Fronten

Der Vietnamkrieg ist bis heute ein für die Vereinigten Staaten von Amerika nicht behobenes Trauma. Denn eigentlich waren sich die drei ihn führenden Regierungen unter Kennedy, Johnson, Nixon immer ganz sicher: Wir werden siegen. Wie und warum durch diese Sicherheit und durch eine völlige Fehleinschätzung der tatsächlichen Lage ein Gemetzel entstand, das bis heute die vietnamesische Gesellschaft und auch die USA belastet, erklärt der Hamburger Historiker Bernd Greiner in seinem jüngst erschienenen Sachbuch „Krieg ohne Grenzen. Die USA in Vietnam“. Er legt dabei eine Analyse jenes Konfliktes vor, in dem die Supermacht USA das mit ihr verbündete Süd-Vietnam unter allen Umständen gegen den kommunistischen Norden des Landes verteidigen wollte. Und verlor – mitten im Kalten Krieg mit der Sowjetunion eine Blamage ersten Grades, die noch dazu verheerend viele Menschenleben forderte, unzählige Krüppel hinterließ und durch den Einsatz von mit Dioxin versetztem Napalm immer noch viele vietnamesische Kinder behindert auf die Welt kommen lässt.

In seinem Werk nun listet Greiner die Kriegsverbrechen auf, die Soldaten der US Army während der Kriegszeit zwischen 1965 und 1975 verübten. Er beruft sich dabei auf lange unter Verschluss gehaltene Papiere der US-Regierung, ihrer Armee und ihrer Geheimdienste. Und kommt zu dem Schluss: Durch den Einsatz von zum Beispiel „body counts“, also leicht zu fälschenden Statistiken über die Zahl getöteter Vietkong, wurden die Soldaten der USA immer stärker unter Druck gesetzt, greifbare Erfolge zu präsentieren. Allerdings glich der Krieg vor Ort eher einer Suche, wie der Autor zeigt: Die kommunistischen Vietkong agierten als Guerilla und suchten nur in den seltensten Fällen eine offene Feldschlacht. So mussten die US-Soldaten gegen einen quasi unsichtbaren Feind kämpfen, geübt in der Handhabung von Minen und Hinterhalten. Dazu kamen das tropische Wetter, der undurchdringliche und düster anmutende Dschungel Vietnams, die vor allem ländlich geprägte Bevölkerung mit ihren fremden Sitten … Was aus dieser steten Unsicherheit entstand, lässt sich bei Greiner nachlesen, exemplarisch etwa beim berüchtigten Massaker von My Lai. Dabei griffen US-Truppen im März 1968 mehrere Dörfer an und töteten im Blutrausch rund 500 Zivilisten. Als der Massenmord Monate später öffentlich wurde, weil eine große amerikanische Zeitung berichtete, war das Entsetzen groß …

Der Fall My Lai ist typisch für Greiners Vorgehen. Er beschreibt die Verbrechen, bleibt dabei aber nicht nur Erzähler, der beteiligte Soldaten zu Wort kommen lässt. Vielmehr versucht der Autor auch, die Geschichte vor und nach den Massakern aufzuhellen, das Aufheizen der Männer durch ihre Generale, die unklare Befehlslage, später die versuchte Vertuschung und das lasche Handeln der Justiz. Greiner erläutert all diese Zusammenhänge detailreich, mit einer klaren Sprache und vielen unterschiedlichen Quellen. Gerade wegen dieses Faktenreichtums ist das Buch spannend bis zur letzten Seite, bietet es doch einen Einblick in die Seelenlage einer durch den Vietnamkrieg zutiefst verunsicherten Supermacht, deren „Heimatfront“ von einer immer stärker agierenden Antikriegsbewegung erschüttert wurde – und die deswegen ihre Soldaten immer mehr zu Erfolgen drängte, was wiederum die hemmungslose Gewalt weiter eskalieren ließ. In diesem Sinne ist „Krieg ohne Grenzen. Die USA in Vietnam“ brennend aktuell, steuern doch die USA im Irak auf eine ganz ähnliche Situation zu. Denn auch dort haben es die amerikanischen Streitkräfte mit einem scheinbar unsichtbaren Feind namens Terrorismus zu tun, der immer wieder Nadelstiche versetzt. So sterben US-Soldaten – und ihre lebenden Kameraden rächen sich. Die Bilder aus dem Folter-Gefängnis Abu-Ghraib sind nur ein Beleg dafür. Und so bahnt sich für die USA wieder ein Trauma an …

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