Hansen, Matthew Scott – Schwarzes Dickicht

_Das geschieht:_

Noch vor drei Jahren war Tyler Greenwood als Führungskraft eines aufstrebenden Software-Unternehmens eine respektierte Autorität. Dann begegnete er auf einem Wanderausflug in der Wildnis des US-Staats Idaho dem legendären „Bigfoot“, jenem urzeitlichen Affenwesen, das sich angeblich seit der Eiszeit in den dichten Wäldern Nordamerikas verbirgt. Tyler hing sein Erlebnis an die große Glocke und erntete Hohn & Spott. In den nächsten Jahren jagte er ebenso geldaufwendig wie vergeblich die Kreatur, heuerte sogar als Forstmann an und setzte seine Ehe aufs Spiel.

Mit seiner Familie lebt Tyler im Städtchen Snohomish, Washington. Dort untersuchen Mac Schneider und Karl Carillo, Detectives für das County Sheriff’s Department, das mysteriöse Verschwinden zweier waldwandernder Rechtsanwälte. Dass Mac dabei auf die Fußspur eines gigantischen Wesens stößt, hält er lieber geheim. Doch eindeutig geht Seltsames vor: Schwere Autos werden umgestoßen, weitere Menschen verschwinden. Durch den Wald tappt ein schattenhafter Schrecken, der nicht nur mordet, sondern dabei auch eine zielstrebige Intelligenz an den Tag legt.

Ben „Eagleclaw“ Campbell, der als Film-Indianer vom Dienst sein Geld in Hollywood verdient, kennt die Kreatur, seit er ihr Anno 1945 nur um Haaresbreite entkam. Das Wissen seiner Vorfahren ermöglicht ihm den geistigen Rapport mit dem Ungeheuer. Ben erkennt, dass es einen mörderischen Feldzug gegen die Menschen plant. Er reist nach Snohomish, um es zu stoppen. Kris Walker, eine junge, schöne und ehrgeizige TV-Reporterin, komplettiert die kleine Gruppe der ungleichen Monsterjäger, die sich zusammenraufen, um sich nur allzu bald in der Rolle von Gejagten wiederzufinden …

_Der Affe, der nicht sterben will_

Der Homo sapiens ist seit jeher eine unbarmherzig tüchtige Spezies. Wer ihm bei der Besiedlung dieses Planeten in die Quere kam, wurde aus dem Weg geräumt. Dies schloss weniger erfolgreiche Prototypen des Menschen durchaus ein. Dass der Neandertaler so ein Pechvogel war, wird heute nicht nur vermutet. Aber da gab es andere Vorfahren und Verwandte, die geistig & körperlich deutlich simpler gebaut waren und trotzdem viele Jahrtausende recht erfolgreich ihr Leben fristeten. Was geschah mit ihnen?

Spökenkieker und Spinner ‚wissen‘ längst, dass sie dorthin entwischt sind, wo sie ihr Nachfahre nicht so leicht erwischte. Sie ziehen über endlose Steppen, kraxeln auf hohe Berge und brechen durch tiefe Wälder. Dort munkeln sie als „Alma“ (Mongolei), „Yeti“ (Himalaja), „Bigfoot“ (USA) oder „Sasquatch“ (Kanada) umher und schaffen es trotz ihrer Primitivität erstaunlich erfolgreich, sich selbst modernen Spürgeräten zu entziehen.

Dass dies eventuell auf ihr Nichtvorhandensein zurückzuführen ist, behaupten natürlich nur wissenschaftshörige Spielverderber. Matthew Scott Hansen steht mit anderthalb Füßen im Lager der Gläubigen. Er hat ausgiebig über das Thema Bigfoot recherchiert und präsentiert ein Destillat aus entsprechenden Ergebnissen in einem umfangreichen Nachwort sowie auf seiner Website. (Die Feigheit der von der Beweislast scheinbar erdrückten Forschung geißelt Hansen mit der Figur eines Anthropologen, der nur hinter verschlossener Tür zugibt, dass es den Bigfoot gibt, aber die öffentliche Verlautbarung verweigert, um seiner Stellung und seiner Fördermittel nicht verlustig zu gehen.) Mit sensationellen Neuigkeiten oder gar überzeugenden Fakten kann auch er nicht dienen, weshalb wieder einmal der ‚gesunde Menschenverstand‘ und die Fantasie als Lückenbüßer einspringen müssen.

_Ein Monster macht mobil_

Der klassische Bigfoot ist ein eher scheues Lebewesen, das sich nur bedingt für einen Roman eignet, wie Hansen ihn plante. Er verwandelt den friedlichen Waldbewohner in eine mordende Bestie, die dreieinhalb Meter hoch, nashornschwer und trotzdem pfeilschnell über seine Opfer kommt. Als ‚Motiv‘ fungiert Rache, denn böse Modern-Menschen haben ihm versehentlich die Sippe ausgerottet, was zum Auslöser eines Ein-Monster-Krieges wurde, der gegen Wanderer und Waldrand-Bewohner geführt wird.

Es dauert seine Zeit, bis dies publik wird, denn der Bigfoot ist schlau. Hansen nutzt die Gelegenheit, seine Leser mit diversen Theorien bekannt zu machen, die das erfolgreiche Schattendasein seiner Spezies ‚erklären‘. So soll Bigfoot achtsam seinen Müll vergraben, und über einen siebten Sinn, der ihm das Nahen von Beute oder Feinden verrät, verfügt er außerdem. Auf menschlicher Seite sind es vor allem die nordamerikanischen Indianer, jene von den Gutmenschen dieser Welt in die Rolle des ewigen Naturkinds gedrängten Ureinwohner, die über ein ähnliches Ohr zur Geisterwelt verfügen.

Bigfoots Feldzug beginnt recht schlüssig, bis er – der Grund wird nie wirklich deutlich – eine Privatfehde mit Tyler Greenwood & Co. vom Zaun bricht. Nun legt er die Hollywood-Schläue des waschechten Psychopathen an den Tag und ist genauso schwer umzubringen. Ein feuriges Finale unter Blitz-und-Donner-Himmel und mit Kindern in Gefahr ist die logische Folge.

_Trivial schlägt realistisch_

Wenn wir es bisher nicht wussten, ist es jetzt amtlich: „Schwarzes Dickicht“ ist Horror-Trash der Handelsklasse A: Klischee reiht sich an Klischee, Originalität ist noch schwieriger zu erwischen als der Bigfoot, und sollte der Leser zwischendurch hundert Seiten überspringen, so fällt der Anschluss ans Geschehen trotzdem kinderleicht.

Erstaunlicherweise stört das weit weniger als ein exzessiv ausgewalzter Mittelteil, in dem die Handlung auf der Stelle tritt und aus welcher Bigfoot sogar passagenweise verschwindet, um Liebesränken und anderen Als-ob-Konflikten Platz zu machen. Das hätte Hansen sich und seinen Lesen ersparen können, denn obwohl „Schwarzes Dickicht“ kühl kalkuliertes Lesefutter ist, stimmt die Mischung seiner Bestandteile. Hansen kann schreiben, er hat ein Gespür für gut konstruierte Spannungsszenen (die ihre Verfilmung bereits vorwegnehmen.), und er nimmt sein Garn glücklicherweise nie bierernst. Trockener Humor und drastische Effekte scheut er nicht. Es wird gemetzelt, dass die Fetzen buchstäblich fliegen.

Zumindest diesen Bogen überspannt Hansen freilich. Eine unfreiwillig komische Sex-Szene und eine ebenso ekelhafte wie überdeutlich als lukrativer Tabubruch gedachte Vergewaltigung markieren die Grenzen seines Talents. Ein regelrechtes Trommelfeuer von Happy-Endings hätte ebenfalls nicht sein müssen; Hansen scheint sich von seiner Geschichte einfach nicht trennen zu können.

_Figuren aus der Retortenkammer_

Ein weniger erfreuliches Kapitel ist die Hansensche Figurenzeichnung. Hier schlägt der Trashfaktor ungebremst durch, denn wir finden sämtliche Pappkameraden des Genres: den redlichen, aber tragisch aus der Bahn geworfenen Durchschnittsmann; seine unverständig harmoniesüchtige Gattin, ihre kulleräugigen Kinder (= Nägelkau-Reserve, wenn das Monster im Haus des Helden auftaucht und seine Familie bedroht); den harten, aber smarten Cop plus seinen noch härteren, aber begriffsstutzigen Partner; die nicht nur publicitygeile Reporterin, die über Leichen geht (und viel zu gleichberechtigt ist, weshalb sie ganz besonders hässlich enden muss); sowie kerniges US-Landvolk in Flanellhemd und Truck, fiese Rednecks, den knarzigen Kleinstadt-Sheriff und viele, viele andere Schießbudenfiguren, die ein Stephen King in echte Charaktere zu verwandeln wüsste.

Im Fall von Ben „Eagleclaw“ Campbell hat Hansen versucht, die aufdringlichsten Klischees zu brechen, indem er aus dem weisen Schamanen einen kettenrauchenden Film-Indianer machte. Manitus Gedankenbrücke zum ebenfalls hellhirnigen Bigfoot ist allerdings noch immer so breit, dass sämtliche Inkarnationen pseudo-mythologischer Einfalt sie problemfrei nebeneinander beschreiten könnten.

Es sei ein letztes Mal wiederholt: Trotz seiner Mängel kann dieser Roman für sich einnehmen. Hansen ist konsequent, er kann unterhalten, und sollte er – z. B. als Missionar der Bigfoot-Fraktion – weitere Intentionen mit seinem Werk verbinden, ist er glücklicherweise zu ungeschickt, um dem glaubwürdig Ausdruck zu verleihen.

_Der Autor_

M. S. Hansen wurde 1953 im US-Staat Oregon geboren und wuchs im Staat Washington auf. Er studierte an der Washington State University und nahm an diversen Kursen über kreatives Schreiben teil. Nach seinem Abschluss begab er sich auf die traditionelle Ochsentour noch verpuppter Schriftsteller, d. h. er versuchte sich als normaler Arbeitnehmer. Als solcher wechselte er – auch dies ist offenbar Brauch – von Job zu Job.

Unter anderem leitete Hansen in Seattle eine Firma, die Werbespots für das Radio produzierte. Dort lernte er den Stimmenimitator Bill Fitzhugh kennen, der sein Freund und Partner wurde. Das Duo versuchte sich als Komiker und wechselte später nach Hollywood, wo es Arbeit beim Fernsehen fand. Die Partnerschaft währte 15 Jahre.

Hansen blieb in Kalifornien und schrieb einen Spannungsroman. „The Shadowkiller“ (dt. „Schwarzes Dickicht“), sein Erstling, erschien 2007 und wurde zum recht erfolgreichen Auftakt einer Schriftstellerkarriere, die Hansen fortzusetzen gedenkt.

Website: http://www.matthewscotthansen.com

Einen vorzüglichen (oder erschreckenden …) Blick auf die Welt der Bigfoot-‚Forschung‘ ermöglicht: http://www.oregonbigfoot.com

_Impressum_

Originaltitel: The Shadowkiller (New York : Simon & Schuster 2007)
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 36916)
592 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-36916-4
http://www.blanvalet.de

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