Miles Cameron – „Der rote Krieger“ (The Traitor Son Cycle 1)

The Traiter Son Cycle:

Band 1: „Der rote Krieger“

Eine Truppe von Söldnern nähert sich dem Nonnenkloster Lissen Carak. Die Äbtissin hat die Söldner rufen lassen, um mit ihnen über einen Auftrag zu verhandeln, denn ihre Ländereien wurden mehrfach überfallen.

Der Hauptmann der Söldner ist froh über den Auftrag, es ist der Erste seit mehreren Monaten. Allerdings hätte er es sich vielleicht noch einmal überlegt, wenn er vorher gewusst hätte, worauf er sich einläßt …

„Der rote Krieger“ ist eines der komplexesten Bücher, die ich je gelesen habe. Eine wahre Flut von Charakteren in einem Spektrum von mäßig wichtig bis hin zu von zentraler Bedeutung, mehr als fünfzehn, aus deren Blickwinkel gelegentlich erzählt wird, das allein erklärt schon den enormen Umfang von über tausendeinhundert Seiten, die der Autor allein für den Einstieg in seinen Zyklus aufgewandt hat. Nun habe ich ein ziemlich gutes Namensgedächtnis, aber gelegentlich musste ich dann doch zurückblättern und noch einmal suchen, woher ich einen Namen, den ich gerade gelesen hatte, bereits kannte. Mäßig wichtige Figuren wie Bill Redmere tauchen einfach zu selten auf, um sie genau in Erinnerung zu behalten, in Bills Fall genau zwei Mal.

Abgesehen davon ist die hohe Seitenzahl auch der großen Anzahl an Ebenen geschuldet.

Im Vordergrund steht natürlich der Kontrakt der Söldner mit der Äbtissin. Die Söldner haben sich verpflichtet, den Angreifer zur Strecke zu bringen, der die zur Abtei gehörenden Höfe überfallen hat. Was aber zunächst den Eindruck einer kleinen Einheit erweckt, wächst im Laufe des Geschehens zu einem immer größeren Haufen an, bis der Hauptmann die Festung auf einmal gegen ein ganzes Heer unter einem mächtigen Anführer verteidigen muss. Damit verbunden sind zahllose Scharmützel, Hinterhalte, Ausfälle und sonstige Angriffe, nicht nur auf die Abtei selbst, sondern auch auf die nächst größere Stadt, auf heranziehende Wagenzüge voller Händler mit ihren Waren oder Viehtrecks mit ihren Treibern. Und wie es sich gehört, steht der Leser am Ende des Buches, als die Schlacht geschlagen ist, plötzlich der Erkenntnis gegenüber, dass das alles nur der Anfang von etwas noch viel Größerem war, und dass der mächtige Gegner nicht der einzige Spieler auf dem Brett ist.

Darunter liegt die Ebene der Vergangenheit. Der Kampf um Lissen Carak ist nur ein weiteres Kapitel in einem viel älteren Krieg, und natürlich haben die damaligen Ereignisse massive Auswirkungen auf die Geschichte. Doch mit Informationen über diesen früheren Feldzug ist der Autor ausgesprochen sparsam, zumindest bisher.

Dann gibt es da noch den zwischenmenschlichen Bereich. Zu Beginn des Buches macht der Trupp des Hauptmanns noch den Eindruck eines lose zusammengewürfelten Haufens zwielichtiger Gestalten. Vom verstoßenen Adelssohn über viehtreibende Hochländer bis hin zur Hure und zum Kriminellen scheint alles vertreten. Mit der Zeit kristallisiert sich jedoch heraus, dass sie alle miteinander mehr sind als nur der Abfall der Gesellschaft, der sich an ihrem Rand gesammelt hat. Nicht alle werden dabei unbedingt sympathischer, aber sie werden zu Individuen und gleichzeitig zu einer Gruppe mit Zusammenhalt.

An Letztem hat der Hauptmann entscheidenden Anteil. Er mag ein Bastard sein, zu jung für einen Anführer, zu jung um schon Geheimnisse vor der Welt zu haben und vor seiner Vergangenheit davonzulaufen, aber er ist der geborene Anführer, der weiß, wie er seine Leute anzupacken hat, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Seine Position mag nicht immer unangefochten sein, letztlich jedoch vertrauen ihm seine Untergebenen.

Ähnliches gilt auch für die Königin Desiderata. Die anfangs so oberflächlich und leichtfertig wirkende Frau stellt sich allmählich immer mehr als klug, entschlossen und mutig heraus. Und sie ist mächtig. Tatsächlich ist sie das Herz des Reiches, was aber keiner weiß, da sie es so geschickt hinter ihrer Maske aus femininer Eitelkeit zu verbergen weiß und die Menschen ihrer Umgebung durch feinste Fäden lenkt.

Der Gegner kann da nicht mithalten. Sein Heer ist ein Sammelsurium von Spezies, die weder einander noch ihrem Anführer vertrauen. Sie sind nur da, weil seine immense magische Macht sie angezogen hat. Auch der Anführer vertraut seinen Truppen nicht, bezieht sie nicht in seine langfristigen Pläne ein, was es nur umso schwerer macht, sie dauerhaft an sich zu binden. Was der Hauptmann und Desiderata mit persönlicher Integrität und Feingefühl erreichen, muss der Gegner mit magischer Gewalt erzwingen.

Damit wären wir beim phantastischen Aspekt der Geschichte. Der Autor hat sich nicht die Mühe gemacht, eine ganz und gar eigene Welt zu entwerfen. Der Schauplatz seiner Geschichte ist stark mittelalterlich geprägt und hat auch sonst zahllose Anklänge an unsere Welt, ist allerdings nicht nur mit Geschöpfen wie Drachen bevölkert, sondern auch mit Wesen, die ihre Inspiration nicht in der mitteleuropäischen Kultur des vierzehnten Jahrhunderts fanden. Miles Camerons Kobolde erinnern mehr an überdimensionierte Küchenschaben, und seine Dämonen sind keine bösartigen Geister aus der Hölle, die man sich durch Beschwörung untertan machen kann. Im Falle der Dämonen macht das die Sache nur umso faszinierender, in dem der Kobolde eher eklig.

Am ungewöhnlichsten fand ich, dass ausgerechnet innerhalb christlicher Orden so stark auf Magie zurückgegriffen wird. Zwar wird unterschieden zwischen goldener und grüner Magie, wobei Erstere von der Sonne und damit von Gott stammend angesehen, Letztere dagegen der Wildnis und damit dem Bösen zugeschrieben wird. Tatsächlich werden Zauberer und Hexen vom Volk aber trotz dieser Unterscheidung generell mit Argwohn betrachtet, und außerhalb der Orden scheint nur der königliche Magus sich ganz offen mit Magie zu befassen. Die Entdeckung des Hofmagus in diesem Zusammenhang dürfte folglich weitreichende Konsequenzen haben.

All das ist natürlich nicht auf sechshundert Seiten abzuhandeln, zumal Miles Cameron nicht – wie viele andere Autoren – zugunsten einer Ebene alle anderen stark zurückgestellt hat. Zwar liegt auch hier das Gewicht verstärkt auf der kriegerischen Handlung, der Autor hat es jedoch verstanden, alle anderen Aspekte seiner Geschichte trotzdem mit derselben Intensität und Sorgfalt darzustellen wie all die großen und kleinen Schlachten. Ausgenommen sind dabei Teile der Magie und Vergangenheit, sowohl hinsichtlich des Gesamtkontextes als auch einiger Personen, die bewusst als Geheimnis angelegt wurden.

Unterm Strich ist „Der rote Krieger“ ein enorm vielversprechender Auftakt. Ich gebe zu, es gab Momente, da ich auf weitere Kampfhandlungen keine Lust mehr hatte. Ich muss dem Autor jedoch zugestehen, dass er offenbar weiß, wovon er schreibt. Nicht, dass ich Schwertkampfexperte wäre. Doch seine Schilderungen klingen – zumindest für mich – authentisch und echt, was wohl der Leidenschaft Camerons für Reenactment und der damit einhergehenden Schwertkampferfahrung geschuldet ist, und dabei vollkommen frei von der selbstlverliebten Detaildarstellung, die mir damals in Bernd Frenz‘ „Bannkrieger“ so negativ aufgefallen ist.

Dafür haben mir die lebhafte, glaubwürdige und klischeefreie Charakterzeichnung bis hinein in kleine Nebencharaktere sowie die Darstellung der Wildnis und ihrer Geschöpfe ausnehmend gut gefallen, und auch der Plot und seine allmähliche Ausweitung fand ich gelungen.

Wer dieses Buch lesen möchte, sollte allerdings zweierlei mitbringen: zum einen Geduld. Denn es dauert, bis die Handlung sich entwickelt und die vielen Personen, die zunächst völlig unabhängig voneinander auftauchen, sich allmählich in einen größeren Zusammenhang integrieren, und außerdem steht zu befürchten, dass die vier geplanten Fortsetzungen womöglich genauso dick werden wie der Einstieg; zum anderen braucht der Leser einen robusten Magen. Denn hier wird nicht nur geköpft und ausgeweidet …

Alle, die damit kein Problem haben, werden mit einem vielschichtigen, lebendigen und glaubwürdigen Roman mit weitreichendem Potenzial belohnt, der trotz seiner kriegerischen Handlung nicht nur Hauen und Stechen bietet, sondern auch Rätsel und Geheimnisse, die Entwicklung von Figuren und eine Menge ungewöhnlicher Geschöpfe.

Mein einziger echter Kritikpunkt richtet sich daher an den Verlag: die Bindung kann auch bei einem so dicken Taschenbuch wesentlich besser sein!

Miles Cameron hat ein Studium in mittelalterlicher Geschichte sowie eine militärische Laufbahn hinter sich. Wenn er nicht gerade schreibt, nimmt er in voller Rüstung an Turnieren teil oder campiert mit einem mittelalterlichen Treck im kanadischen Outback. „Der rote Krieger“ ist sein erster Roman. Die Fortsetzung ist in Arbeit, ein Erscheinungstermin steht aber noch nicht fest.

Taschenbuch: 1168 Seiten
Originaltitel: The Red Knight
Deutsch von Michael Siefener
ISBN-13: 978-3-453-31441-2

www.heyne.de

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